Textil- und Bekleidungsindustrie

Die Textil- und Bekleidungsindustrie ist ein traditionsreicher Zweig des produzierenden Gewerbes in Deutschland. In rund 1.300 nahezu ausschließlich mittelständischen Betrieben der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie erzeugen rund 130.000 Beschäftigte einen Umsatz von rund 28 Mrd. Euro. Die Exportquote liegt bei etwa 40 % in der Textilindustrie und 44 % in der Bekleidungsindustrie (2008). Die Textil- und Bekleidungsindustrie ist damit nach dem Ernährungsgewerbe die zweitgrößte Konsumgüterbranche in Deutschland[1].

Die früher übliche Unterscheidung zwischen der Textilindustrie einerseits und der Bekleidungsindustrie andererseits ist heute nicht mehr zeitgemäß, da die Grenzen zwischen den beiden Bereichen fließend sind. Zudem gibt es heute in Mitteleuropa so gut wie keine Betriebe mehr, in der sämtliche Produktionsstufen vom Rohstoff bis zum Endprodukt betrieben werden. Vielmehr arbeiten die Betriebe der Textil- und Bekleidungsindustrie stark arbeitsteilig und internationalisiert. So wird heute so gut wie keine Bekleidung mehr in Deutschland produziert, obwohl einige der größten Bekleidungsproduzenten in Deutschland ansässig sind.

Deutschland ist nach China, Hongkong und Italien viertgrößter Exporteur von Erzeugnissen der Textil- und Bekleidungsindustrie.

Von der Textil- und Bekleidungsindustrie hängen direkt und indirekt Arbeitsplätze in anderen Industriezweigen ab. Sie ist Zulieferer für die Pharma-, Fahrzeug- und Bauindustrie sowie für den Medizin- und Schutzkleidungsbereich und nimmt ihrerseits Leistungen anderer Industriezweige in Anspruch wie z. B. der Maschinenbauindustrie oder der Chemischen Industrie.

Techniken und Fertigungsstufen

Grundsätzlich sind folgende Fertigungsstufen und -techniken entlang der textilen Produktionskette zu unterscheiden:

Textile Rohstoffe können natürlichen Ursprungs sein (wie z. B. Jute, Sisalfaser, Baumwolle, Schafwolle, Seide) oder aber künstlich hergestellt worden sein (z. B. Polyester, Polyacryl, Glasfasern)

Geschichte

Die Anfänge der Textilindustrie reichen bis ins Mittelalter zurück. Vor allem im ländlichen Raum und hier besonders in den Mittelgebirgen, wo es gute klimatische Bedingungen für den Anbau von Hanf und Flachs gab, aber auch Wiesen für die Haltung von Schafen vorhanden waren, waren die Herstellung von Leinen sowie das Spinnen und Weben eine wichtige Einnahmequelle für die Bauern.

Im 18. Jahrhundert stieg die Nachfrage nach Textilien mit zunehmender Bevölkerung stark an. So entwickelte sich zunächst das Verlagssystem, bei dem ein Verleger das Rohmaterial ankaufte, es gegen Lohn verspinnen und weben ließ und dann schließlich das fertige Produkt vertrieb. Die Spinner und Weber kamen fast ausschließlich aus den ländlichen Unterschichten. Oft musste die ganze Familie durch ihre Arbeit das Einkommen sichern.

Im 18. Jahrhundert wurden zunächst Spinnmaschinen und schließlich mechanische Webstühle entwickelt. Die Folge war die Verlagerung der Produktion in große Fabriken mit vielen Spinnmaschinen und Webstühlen. Kaufleute und Verleger investierten ihr Kapital in Fabriken mit neuen Maschinen. Die bisherige Handarbeit wurde durch die maschinelle Produktion verdrängt, zahlreiche Weber und Spinner verloren ihre Erwerbsgrundlage. Dies war einer der Gründe für den sogenannten Weberaufstand.

Begünstigt durch die Hollandgänger, die auch mit Leinen handelten, entstand im westlichen Münsterland eines der größten Zentren der deutschen und europäischen Textilindustrie. Darüber hinaus gab es Schwerpunkte der Textilindustrie in nahezu allen deutschen Mittelgebirgen wie z. B. der Schwäbischen Alb, der Eifel, dem Hunsrück, der Rhön, dem Vogelsberg, dem Frankenwald, dem Vogtland, dem Erzgebirge, dem Schwarzwald und dem Bayerischen Wald.

Dabei ersetzte die Textilindustrie oft rückläufige Wirtschaftsbereiche wie den Bergbau.

Im Umfeld der Betriebe der Textilindustrie entstanden Zulieferindustrien, in denen Dampfmaschinen und Antriebe für Spinnereien und Webereien produziert wurden. Der Aufstieg von Textilien zum wichtigsten Konsumgut neben Nahrungs- und Genussmitteln brachte zudem die Entstehung weiterer Industrien mit sich wie die Herstellung von Waschmaschinen.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die britische Textilindustrie zur Hauptkonkurrenz für die Betriebe auf dem europäischen Festland. Durch die von der britischen Insel ausgehende Mechanisierung des Web- und Spinnvorgangs sowie durch die Verdrängung von Leinen und Wolle durch Baumwolle verlor die Textilindustrie in den Mittelgebirgen zunehmend an Bedeutung. Folge war unter anderem der Weberaufstand. Die Bedeutung der baumwollverarbeitenden Industrie im deutsch-niederländischen Grenzgebiet wuchs hingegen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich zunächst das Ruhrgebiet zu einem bedeutenden Standort für die Bekleidungsindustrie der Bundesrepublik, da unter den Flüchtlingen und Vertriebenen etliche Unternehmer aus den ehemaligen Zentren der deutschen Bekleidungsindustrie rund um Breslau und den Osten Berlins ins Ruhrgebiet gekommen waren. Sie eröffneten neue Betriebe, die aufgrund der Rohstoffknappheit zunächst vor allem alte Kleidung und Textilien umarbeiteten, bevor sie der Textil- und Bekleidungsindustrie zu einem kurzzeitigen Boom verhalfen. Ostberlin wurde das Zentrum der Bekleidungsindustrie der DDR. Seit Beginn der 1960er Jahre ist die Industrie jedoch durch einen anhaltenden Schrumpfungsprozess aufgrund der zunehmenden Konkurrenz durch Fernost gekennzeichnet.

So gingen in der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie seit 1980 rund 450.000 Arbeitsplätze verloren.

Textil- und Bekleidungsindustrie nach Ländern

Deutschland

Die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie ist mittelständisch geführt. Mehr als die Hälfte der Unternehmen beschäftigt weniger als 100 Mitarbeiter, weniger als 10 Unternehmen haben mehr als 1000 Beschäftigte. Zahlreiche Unternehmen sind seit Generationen im Familienbesitz. Etwa ein Drittel der Industrie ist der Bekleidungsindustrie zuzuordnen, zwei Drittel der Textilindustrie.

Die Zukunftsperspektiven der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie liegen vor allem im Bereich der sogenannten Technischen Textilien und ihrer vielfältigen Anwendungs- und Verwendungsmöglichkeiten. Das Forschungskuratorium Textil sieht vor allem folgende Leitthemen mit Zukunftspotential für die Textil- und Bekleidungsindustrie[2].

Bildung und Forschung

In kaum einem Bereich wird in Deutschland so intensiv geforscht wie im Textilbereich. Insgesamt existieren in Deutschland 17 Institute und Forschungseinrichtungen, die im Textilbereich tätig sind.

Verbände

Die Interessen der in der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie Beschäftigten vertritt die IG Metall, seit sie mit der GTB (Gewerkschaft Textil und Bekleidung) 1998 fusionierte. Die Interessen der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie werden auf Bundesebene durch den Gesamtverband textil+mode vertreten. In ihm sind die folgenden Landes- und Fachverbände zusammengeschlossen:

Landesverbände:

Die Landesverbände sind die regionalen Arbeitgeberverbände der Textil- und Bekleidungsindustrie. Ihre Abgrenzung orientiert sich an den Grenzen der Tarifbezirke. Sie beraten und betreuen ihre Mitglieder vor allem in sozial- und tarifpolitischen Angelegenheiten.

Die im Gesamtverband textil+mode zusammengeschlossenen Fachverbände vertreten die Interessen ihrer Mitgliedsunternehmen je nach Fertigungsstufen oder Endprodukten. Sie haben nicht die Funktion von Arbeitgeberverbänden:

Fachverbände:

  • Industrieverband Veredlung - Garne - Gewebe - Technische Textilien, Frankfurt am Main
  • Initiative Handarbeit, Salach
  • Verband der deutschen Heimtextilien-Industrie, Wuppertal
  • Verein Deutscher Kammgarnspinner, Eschborn
  • Bundesverband Konfektion Technischer Textilien (BKTex), Mönchengladbach
  • Gesamtverband der Leinenindustrie, Bielefeld
  • Gesamtverband der Deutschen Maschen-Industrie, Stuttgart
  • Verband der Nähfadenindustrie, Taunusstein
  • Branchenverband Plauener Spitze und Stickereien, Plauen
  • Gesamtverband der deutschen Textilveredlungsindustrie, Frankfurt am Main
  • BVMed Bundesverband Medizintechnologie, Berlin
  • Arbeitsgemeinschaft Wollkämmerei, Bremen
  • GermanFashion - Modeverband Deutschland
  • Verband Lederbekleidung, München
  • Deutscher Pelzverband, Frankfurt

Gesundheit

In der Zukunft werden textilintegrierte Überwachungssysteme für die Pflege die Langzeiterfassung von physiologischen Parametern und die Diagnose und Nachsorge nach medizinischen Eingriffen außerhalb von Kliniken und Arztpraxen möglich machen. Textile Zukunftsprojekte sind z. B. Kleidung mit Biofeedback, Orthesen mit Sensorik/Aktorik und Sturzprotektoren mit Notruffunktion, sogenannte Smart Clothes.

Darüber hinaus wird an der Entwicklung textiler Implantate gearbeitet, da Textilien aufgrund ihrer physiologischen und mechanischen Eigenschaften den biologischen Strukturen des menschlichen Körpers ähnlicher sind als Metalle wird hier ein großes Zukunftspotential gesehen. So bestehen heute Gefäßprothesen und Herniennetze sowie Meniskusimplantate und künstliche Hornhaut aus textilen Strukturen. Mechanisch hochbelastbare Faserverbundmaterialien, neuartige Zellträger und Formgeber für die Regeneration von Organen und Geweben sind weitere Zukunftsprojekte, die zum Teil sogar in Verbindung mit integrierter Sensorik und intelligenten Wirkstoffabgabesystemen eine drahtlose Überwachung und Steuerung des Heilungsverlaufes durch den Arzt ermöglichen.

Darüber hinaus wird an der Entwicklung keimdichter Barrieretextilien für den Operationsbereich und neuartiger Textilien gearbeitet, die bessere Heilungschancen vor allem bei chronischen Wunderkrankungen ermöglichen.

Mobilität/Verkehr

Schon heute haben Textilien in Autos, Bahnen, Flugzeugen und Schiffen wichtige Funktionen in puncto Komfort, Sicherheit, Akustik und Kraftstoffeinsparung. Der Anteil an Textilien in einem Auto beträgt zurzeit rund 20 Kilogramm und wird 2015 rund 30 Kilogramm betragen. Neben der klassischen Verwendung von Textilien bei Sitzen werden Textilverbindungen von Kunststofffasern mit Epoxidharzen zunehmend Metalle ersetzen, da sie vergleichbare Steifigkeiten aufweisen, aber erheblich weniger wiegen. So besteht der neue Airbus A 380 bereits zu einem Viertel aus faserverstärktem Kunststoff. Prognosen gehen von einem Anteil von 80 Prozent aus.

Weitere Zukunftsprojekte sind Textilien für Sitze, die eine aktive Belüftung ermöglichen, eine effizientere Klimakontrolle durch Spacer-Textilien und eine Aufwertung des Ambientes durch textile Bedienungs- und Beleuchtungsflächen.

Im Sicherheitsbereich geht die Entwicklung in Richtung einer Selbstüberwachung der Sicherheitstextilien in Reifen, adaptive textile Stoßabsorber und leuchtende Textilien für Notfälle.

Sicherheit

Durch technische Entwicklungen, aber auch durch den Klimawandel und die zunehmende Zahl von Naturkatastrophen werden Schutz und Sicherheit von Arbeitnehmern, Hilfskräften und Verbrauchern immer wichtiger. Hier werden Textilien eine immer größere Rolle spielen. Beispiel hierfür sind Textilien, die vor der UV-Strahlung schützen.

Vorbeugend können Geotextilien im Baubereich eingesetzt werden, um Erosionen zu verhindern.

Bereits heute werden großflächige Überdachungen von Sportfeldern, Fußballstadien, öffentlichen Plätzen und industriellen Arealen zunehmend aus textilen Materialien hergestellt, da sie ohne Verzicht auf die statische Sicherheit ein geringeres Gewicht haben als Beton oder Glas, gleichzeitig aber flexibler sind, über eine hohe Lichtdurchlässigkeit verfügen und vor UV-Belastungen schützen können. Die Entwicklung geht in Richtung von Textilien, die bei übermäßigem Lichteinfall selbstabdunkelnd sind oder durch implementierte Solarzellen zur Stromerzeugung beitragen können.

Darüber hinaus wird textilarmierter Beton bereits heute beim Bau von freitragenden Brücken verwendet.

In Schutzkleidung werden durch die Integration von Mikrosystemtechnik in Zukunft die isolatorische Wirkung von Schutzkleidung gegen Kälte oder Wärme online erfasst, um aktorische Wärme- oder Kühlsysteme in Betrieb zu setzen, die Erfrierungen oder Verbrennungen vermeiden. Zusätzlich können auch die Vitalparameter des Trägers der Kleidung erfasst werden.

Darüber hinaus wird der Bedarf an spezieller Kleidung, die den Träger vor Chemikalien oder UV-Strahlung schützt, sowie an Warnkleidung z. B. für Fußgänger und Radfahrer zunehmen.

Im Bereich der Heimtextilien werden Sensoren zukünftig in Teppichen Regelfunktionen z. B. für das Raumklima übernehmen, in Notfällen den Weg weisen oder Zugangskontrollen übernehmen.

Kommunikation

Der Trend im Bekleidungsbereich geht in die Integration von nahezu allen Funktionen mobiler elektronischer Geräte in die Kleidung wie telefonieren, Musik hören oder Position bestimmen. Die Forschung arbeitet daran, Kleidungsstücke zu entwickeln, die diese Funktion erfüllen können, aber genauso wie ein "normales" Kleidungsstück gewaschen und gereinigt werden können. Außerdem arbeitet man daran, die Energieversorgung durch die Verwendung flexibler Solarzellen ebenfalls in das Kleidungsstück zu integrieren.

Weitere Zukunftsprojekte liegen im Bereich der Leiter- und Verbindungstechnik, der Multiuse-Transponder (z. B. RFID) oder die Verwendung von Transpondern bereits im Herstellungsprozess.

Bekleidung

Die Entwicklung geht in Richtung von Kleidungssystemen, die sich den Umgebungsbedingungen und dem Zustand der Träger anpassen. Dies gilt vor allem für Funktionstextilien im Sport- und Freizeitbereich, die sich Temperaturschwankungen anpassen, Farbveränderungen entsprechend dem Umfeld vornehmen und das Feuchtigkeitsmanagement an der Körperoberfläche abhängig von der jeweiligen Leistungsfähigkeit des Trägers regeln.

Ein weiteres Zukunftsprojekt sind Textilien, die pflegende und die Fitness steigernde Substanzen auf die Haut abgeben. Gerade auch im Bereich der Arbeitskleidung und bei Arbeitshandschuhen können solche Textilien auch präventiv zur Vermeidung von Hautproblemen wirken.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. BMWI Branchenfokus Textil und Bekleidung.
  2. Forschungskuratorium Textil: Textilforschung in Deutschland − Perspektiven 2015. Eschborn 2006.

Literatur

  • Herbert Giese: Textilindustrie in NRW – Der Wandel wurde Programm. In: Stefan Goch (Hrsg.): Strukturwandel und Strukturpolitik in Nordrhein Westfalen. Münster 2004.
  • Dieter Ahlert, Gustav Dieckheuer (Hg.): Jürgen Reckfort, Michael Ridder: Die münsterländische Textilwirtschaft. Münster 1996.
  • Michael Grömling, Jürgen Matthes: Globalisierung und Strukturwandel der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie. Köln 2003, ISBN 3-602-14627-8.

Döring, Friedrich-Wilhelm: Vom Konfektionsgewerbe zur Bekleidungsindustrie. Zur Geschichte von Technisierung und Organisierung der Massenproduktion von Bekleidung. Diss. Hannover 1992, Frankfurt/Main 1992, ISBN 3-631-45326-4