„Sudetendeutsche“ – Versionsunterschied

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Als '''Sudetendeutsche''' (auch: [[Deutschböhmen]], deutsche Sudeten-Altösterreicher) werden die ehemaligen [[Deutsche Sprache|deutschen]] Einwohner in den als [[Sudetenland]] bezeichneten Gebieten, genauer der böhmischen Länder [[Böhmen]], [[Mähren]] und [[Österreichisch Schlesien]], zusammenfassend bezeichnet.
Als '''Sudetendeutsche''' (auch: [[Deutschböhmen]], deutsche Sudeten-Altösterreicher) werden die ehemaligen [[Deutsche Sprache|deutschen]] Einwohner in den als [[Sudetenland]] bezeichneten Gebieten, genauer der böhmischen Länder [[Böhmen]], [[Mähren]] und [[Österreichisch Schlesien]], zusammenfassend bezeichnet.


Die Einwohnerzahl in den Jahren von 1910 bis 1945 schwankte stets zwischen 3,2 und 3,3 Millionen Menschen. Die Vorfahren der Sudetendeutschen zogen hauptsächlich im 12. und 13. Jahrhundert im Zuge der [[Deutsche Ostsiedlung|deutschen Ostsiedlung]] aus den Gebieten des heute angrenzenden Bayern, Franken, Obersachsen, Schlesien und Österreich in die fast menschenleeren Gebiete Böhmens und Mährens innerhalb des Heiligen Römischen Reiches (Deutscher Nation) ein. Sie unterscheiden sich daher nach Mundart, Herkunft und regionaler Kultur entsprechend den angrenzenden deutschen Regionalbevölkerungen der Altbaiern, Franken, Obersachsen (Thüringer) und Schlesier. Sie sprachen daher nordbairische, auch vom Fränkischen beeinflusste Ortsdialekte im nordwestlichen [[Egerland]], schlesische Ortsdialekte in Nordmähren und bairische Ortsdialekte im Süden und Südwesten des Landes. Im [[Sudetenland]] stellten sie die absolute Bevölkerungsmehrheit (mehr als 90 %), während ihr Bevölkerungsanteil in den böhmischen Ländern von Österreich-Ungarn, dem Gebiet der heutigen [[Tschechische Republik|Tschechischen Republik]], entsprechend den Volkszählungen von 1910, 1921, 1930 und 1939 nur etwa ein Drittel mit leicht sinkender Tendenz ausmachte.
Die Einwohnerzahl in den Jahren von 1910 bis 1945 schwankte stets zwischen 3,2 und 3,3 Millionen Menschen. Die Vorfahren der Sudetendeutschen zogen hauptsächlich im 12. und 13. Jahrhundert im Zuge der [[Deutsche Ostsiedlung|deutschen Ostsiedlung]] aus den Gebieten des heute angrenzenden Bayern, Franken, Obersachsen, Schlesien und Österreich in die fast menschenleeren Gebiete Böhmens und Mährens innerhalb des Heiligen Römischen Reiches (Deutscher Nation) ein. Sie unterscheiden sich daher nach Mundart, Herkunft und regionaler Kultur entsprechend den angrenzenden deutschen Regionalbevölkerungen der Altbaiern, Franken, Obersachsen (Thüringer) und Schlesier. Sie sprachen daher nordbairische, auch vom Fränkischen beeinflusste Ortsdialekte im nordwestlichen [[Egerland]], schlesische Ortsdialekte in Nordmähren und bairische Ortsdialekte im Süden und Südwesten des Landes. Im [[Sudetenland]] stellten sie die absolute Bevölkerungsmehrheit (mehr als 90 Prozent), während ihr Bevölkerungsanteil in den böhmischen Ländern von Österreich-Ungarn, dem Gebiet der heutigen [[Tschechische Republik|Tschechischen Republik]], entsprechend den Volkszählungen von 1910, 1921, 1930 und 1939 nur etwa ein Drittel mit leicht sinkender Tendenz ausmachte.


== Genese des Begriffs ==
== Genese des Begriffs ==
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Die Bezeichnung „Sudetendeutsche“ leitet sich von Gebirgszug der [[Sudeten]] ab, der sich im Norden Böhmens, Mährens und Sudetenschlesiens auf 330 km Länge hinzieht. Der Name „Sudetendeutsche“ wurde vereinzelt schon im 19. Jahrhundert benutzt und setzte sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, vor allem ab 1919, als Sammelbegriff für die über drei Millionen Deutschen in den böhmischen Ländern durch.
Die Bezeichnung „Sudetendeutsche“ leitet sich von Gebirgszug der [[Sudeten]] ab, der sich im Norden Böhmens, Mährens und Sudetenschlesiens auf 330 km Länge hinzieht. Der Name „Sudetendeutsche“ wurde vereinzelt schon im 19. Jahrhundert benutzt und setzte sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, vor allem ab 1919, als Sammelbegriff für die über drei Millionen Deutschen in den böhmischen Ländern durch.


Nicht wenige „Sudetendeutsche“ wie etwa [[Peter Glotz]] (mit einem deutschen Vater und einer tschechischen Mutter) bezeichnen sich lieber als ''Deutschböhmen'', was besonders in [[Österreich]] die jeher bevorzugte Bezeichnung ist; bisweilen spricht man hier auch von deutschen ''Randlböhmen''.
Nicht wenige „Sudetendeutsche“, wie etwa [[Peter Glotz]] (mit einem deutschen Vater und einer tschechischen Mutter), bezeichnen sich lieber als ''Deutschböhmen'', was besonders in Österreich die seit jeher bevorzugte Bezeichnung ist; bisweilen spricht man hier auch von deutschen ''Randlböhmen''.


== Siedlungsgeschichte ==
== Siedlungsgeschichte ==
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Die Zeit des Dreißigjährigen Krieges war von Gräueltaten und Opfern in der Bevölkerung geprägt; einige Quellen sprechen von der Reduzierung der Bevölkerung auf ein ''Fünftel''. Bis zur letzten Generation immer noch gängige Schimpfwörter unter Deutschböhmen waren "Du [[Schweden (Volk)|Schwed]]'" - das vernichtendste [[Verdikt]] überhaupt - oder "der elentige Krawat", der aus dem Ausland stammende, der "elende" [[Kroaten|Kroate]] (Vgl. ''Eli lenti'' = das fremde Land; ''eli sazzo'' = der fremde Sitz = Elsass), abgeleitet von der einschlägigen [[Soldateska]], die das Land während dieser Zeit heimsuchte. Die anschließende [[Gegenreformation]] durch die [[Habsburger]] förderte erneut die Neubesiedlung verlassener und ausgebluteter Gebiete durch Zuwanderer aus den benachbarten deutschen Grenzgebieten. Mitte des [[17. Jahrhundert]]s kann von einem wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung gesprochen werden, wenn auch die Freiheit des Einzelnen, der Bauernschaft und der Städte durch den herrschenden Absolutismus stark eingeschränkt war. Erst unter [[Maria Theresia]] und ihrem Sohn, Kaiser [[Joseph II. (HRR)|Josef II.]] besserte sich die Situation; die Einführung der [[Schulpflicht]] und die Aufhebung der [[Leibeigenschaft]] sind zwei Beispiele. Die deutsche Sprache war Verkehrs- und Bildungssprache, die Epoche der [[Zeitalter der Aufklärung|Aufklärung]] und der [[Weimarer Klassik]] im [[18. Jahrhundert]] trugen ihren Teil zum verstärkten kulturellen Einfluss der deutschen Sprache nicht nur in Böhmen bei.
Die Zeit des Dreißigjährigen Krieges war von Gräueltaten und Opfern in der Bevölkerung geprägt; einige Quellen sprechen von der Reduzierung der Bevölkerung auf ein ''Fünftel''. Bis zur letzten Generation immer noch gängige Schimpfwörter unter Deutschböhmen waren "Du [[Schweden (Volk)|Schwed]]'" - das vernichtendste [[Verdikt]] überhaupt - oder "der elentige Krawat", der aus dem Ausland stammende, der "elende" [[Kroaten|Kroate]] (Vgl. ''Eli lenti'' = das fremde Land; ''eli sazzo'' = der fremde Sitz = Elsass), abgeleitet von der einschlägigen [[Soldateska]], die das Land während dieser Zeit heimsuchte. Die anschließende [[Gegenreformation]] durch die [[Habsburger]] förderte erneut die Neubesiedlung verlassener und ausgebluteter Gebiete durch Zuwanderer aus den benachbarten deutschen Grenzgebieten. Mitte des [[17. Jahrhundert]]s kann von einem wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung gesprochen werden, wenn auch die Freiheit des Einzelnen, der Bauernschaft und der Städte durch den herrschenden Absolutismus stark eingeschränkt war. Erst unter [[Maria Theresia]] und ihrem Sohn, Kaiser [[Joseph II. (HRR)|Josef II.]] besserte sich die Situation; die Einführung der [[Schulpflicht]] und die Aufhebung der [[Leibeigenschaft]] sind zwei Beispiele. Die deutsche Sprache war Verkehrs- und Bildungssprache, die Epoche der [[Zeitalter der Aufklärung|Aufklärung]] und der [[Weimarer Klassik]] im [[18. Jahrhundert]] trugen ihren Teil zum verstärkten kulturellen Einfluss der deutschen Sprache nicht nur in Böhmen bei.


Während und nach der Zeit der [[Romantik]] im 19. Jahrhundert traten erneut tschechisch-nationale, später auch nach Eigenstaatlichkeit strebende Bewegungen auf, wie der [[Austroslawismus]], die ihren vorläufigen Höhepunkt nach dem [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] in der Gründung der [[Tschechoslowakei]] erreichten und die Vorherrschaft deutscher Sprache und Kultur auf die deutschen Siedlungsgebiete zurückdrängten. Während dieser Phase, in der tschechischen Geschichtsschreibung seit dem Ausgang des [[19. Jahrhundert]]s als ''[[Nationale Wiedergeburt der Tschechen|Nationale Wiedergeburt]]'' bezeichnet, veröffentlichte u.a. [[Josef Jungmann]], der in der tschechischen [[Philologie]] etwa den Rang genießt wie hierzulande die [[Gebrüder Grimm]], seine „Unterredungen über die [[tschechische Sprache]] (''O jazyku českém, rozmlouvání první'')
Während und nach der Zeit der [[Romantik]] im 19. Jahrhundert traten erneut tschechisch-nationale, später auch nach Eigenstaatlichkeit strebende Bewegungen auf, wie der [[Austroslawismus]], die ihren vorläufigen Höhepunkt nach dem [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] in der Gründung der [[Tschechoslowakei]] erreichten und die Vorherrschaft deutscher Sprache und Kultur auf die deutschen Siedlungsgebiete zurückdrängten. Während dieser Phase, in der tschechischen Geschichtsschreibung seit dem Ausgang des [[19. Jahrhundert]]s als ''[[Nationale Wiedergeburt der Tschechen|Nationale Wiedergeburt]]'' bezeichnet, veröffentlichte u.a. [[Josef Jungmann]], der in der tschechischen [[Philologie]] etwa den Rang genießt wie hierzulande die [[Gebrüder Grimm]], sein Werk „Über die [[tschechische Sprache]], erste Unterredung“ (''O jazyku českém, rozmlouvání první'' - [http://www.tschechische-bibliothek.de/data/leseprobe_18.pdf Leseprobe]) -


=== Mährens ===
=== Mährens ===
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== Vertreibungsproblematik ==
== Vertreibungsproblematik ==
Nach dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] wurden die Sudetendeutschen in der Zeit von Mai bis Dezember 1945 fast vollständig vertrieben bzw. danach zwischen Januar und Dezember 1946 zwangsausgesiedelt, in tschechischer Lesart „abgeschoben“. Die im [[Münchener Abkommen]] an Deutschland übertragenen Territorien wurden im Rückgriff auf den [[Vertrag von St. Germain]] wieder der Tschechoslowakei einverleibt. Die gewaltsame [[Vertreibung]] der Deutschen wurde nach Kriegsende auf Grundlage der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz, des Potsdamer Protokolls und des [[Potsdamer Abkommen]]s durch die [[Beneš-Dekrete]] initiiert und von den Siegermächten geduldet, obgleich zunächst weite Teile Westböhmens von den US-Amerikanern besetzt worden waren.
Nach dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] wurden die Sudetendeutschen in der Zeit von Mai bis Dezember 1945 fast vollständig vertrieben bzw. danach zwischen Januar und Dezember 1946 zwangsausgesiedelt, in tschechischer Lesart „abgeschoben“. Die im [[Münchener Abkommen]] an Deutschland übertragenen Territorien wurden im Rückgriff auf den [[Vertrag von St. Germain]] wieder der Tschechoslowakei einverleibt. Die gewaltsame [[Vertreibung]] (tschechisch: ''odsun'', also "Abschiebung") der deutschsprachigen Minderheit wurde nach Kriegsende auf Grundlage der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz, des Potsdamer Protokolls und des [[Potsdamer Abkommen]]s durch die [[Beneš-Dekrete]] initiiert und von den Siegermächten geduldet, obgleich zunächst weite Teile Westböhmens von den US-Amerikanern besetzt worden waren.


Eine von der sudetendeutsche Landsmannschaft herausgegebene Berechnung der Opferzahlen basiert auf Zahlen des [[Kirchlicher Suchdienst|kirchlichen Suchdienstes]] des [[Caritas]]verbandes und dessen [[Heimatortkartei]] und kommt mit Stand von 1959 auf rund 241.000 Todesopfer <ref>http://www.sudeten.de/bas/content/a08_3.htm</ref>.
Eine von der sudetendeutsche Landsmannschaft herausgegebene Berechnung der Opferzahlen basiert auf Zahlen des [[Kirchlicher Suchdienst|kirchlichen Suchdienstes]] des [[Caritas]]verbandes und dessen [[Heimatortkartei]] und kommt mit Stand von 1959 auf rund 241.000 Todesopfer <ref>http://www.sudeten.de/bas/content/a08_3.htm</ref>.


Die [[Beneš-Dekrete]] wurden im Nachhinein vom Tschechoslowakischen Parlament gebilligt und haben bis in die Gegenwart Rechtsgültigkeit.
Die [[Beneš-Dekrete]] wurden im Nachhinein vom tschechoslowakischen Parlament gebilligt und haben bis in die Gegenwart Rechtsgültigkeit, werden jedoch nach tschechischer Interpretation "nicht mehr angewendet" und sind für Antifaschisten seit März 2002 vollständig aufgehoben (''s. weiter unten'').


== Die heutige Lage==
== Die heutige Lage==
=== Die heutige deutsche Minderheit in Tschechien ===
=== Die heutige deutsche Minderheit in Tschechien ===

Rund 200.000 Deutschsprachige, etwa sechs Prozent, wurden nach 1945 nicht vertrieben. Dies waren zum Teil Mischehen, in denen ein Elternteil die deutsche, der andere die tschechische Volkszugehörigkeit hatte. Solche Familien bekamen manchmal die Wahl zum Bleiben, meistens wenn der Vater (also das Familienoberhaupt, das in der damaligen Sicht die Nationalität der ganzen Familie angab) tschechisch war. Seltener handelte es sich um sogenannte „Antifaschisten”, z.B. solche, die mit dem tschechischen und slowakischen Widerstand zusammengearbeitet hatten oder aufgrund der Mitgliedschaft in der [[Deutsche sozialdemokratische Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik|DSAP]] durch das Hitler-Regime verfolgt worden waren. Hinzu kamen Fachleute und Experten, denen oftmals von der tschechoslowakischen Nachkriegsregierung die gewollte Ausreise verweigert wurde, weil der Staat ihr Fachwissen benötigte. Eine weitere große Gruppe waren Deutsche, die als "wirtschaftlich Unentbehrliche" eingestuft wurden, unter anderem viele deutsche Bergleute. Heute bezeichnen sich die Angehörigen der deutschen Minderheit in Tschechien als [[Deutsche in Tschechien]], tschechische Deutsche, Tschechien-Deutsche oder Deutschböhmen.
Rund 200.000 Deutschsprachige, etwa sechs Prozent, wurden nach 1945 nicht vertrieben. Dies waren zum Teil Mischehen, in denen ein Elternteil die deutsche, der andere die tschechische Volkszugehörigkeit hatte. Solche Familien bekamen manchmal die Wahl zum Bleiben, meistens wenn der Vater (also das Familienoberhaupt, das in der damaligen Sicht die Nationalität der ganzen Familie angab) tschechisch war. Oft handelte es sich auch um Antifaschisten, z.B. solche, die mit dem tschechoslowakischen Widerstand zusammengearbeitet hatten oder aufgrund der Mitgliedschaft in der [[Deutsche sozialdemokratische Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik|DSAP]] durch das Hitler-Regime verfolgt worden waren. Diese Personen erhielten später von den Behörden einen so genannten ''Antifaschisten-Ausweis'' und konnten frei wählen, ob sie bleiben oder ausreisen wollten; bei der Ausreise konnten sie - im Gegensatz zu den tatsächlich Vertriebenen (in tschechischer Lesart: den "Abgeschobenen") - sämtliches bewegliches Hab und Gut mitnehmen, während den Zwangsausgesiedelten nur 40 Kilogramm pro Kopf zugestanden wurden. Antifaschisten mussten auch nicht die berüchtigte N-Armbinde tragen, die sie auf den ersten Blick als Angehörige der deutschen Bevölkerungsgruppe (N für "Nemec") zu erkennen geben sollte - wie im so genannten [[Drittes Reich|Dritten Reich]] der [[Judenstern]] die Juden (ethnologisch korrekt: die [[Hebräer]]). Hinzu kamen Fachleute und Experten, denen oftmals von der tschechoslowakischen Nachkriegsregierung die gewollte Ausreise verweigert wurde, weil der Staat ihr Fachwissen benötigte. Eine weitere große Gruppe waren Deutsche, die als "wirtschaftlich Unentbehrliche" eingestuft wurden, unter anderem viele deutsche Bergleute. Heute bezeichnen sich die Angehörigen der deutschen Minderheit in Tschechien als [[Deutsche in Tschechien]], tschechische Deutsche, Tschechien-Deutsche oder Deutschböhmen (letztere Selbstbezeichnung wird von den meisten Tschechen allerdings rundweg abgelehnt, weil sie einen Gleichstellungsanspruch konnotiert).


Die Anzahl der deutschsprachigen Bewohner nahm seitdem, zuerst durch Auswanderung oder als [[Aussiedler]], in späteren Generationen durch zunehmende [[Assimilation (Soziologie)|Assimilation]] immer mehr ab.
Die Anzahl der deutschsprachigen Bewohner nahm seitdem, zuerst durch Auswanderung oder als [[Aussiedler]], in späteren Generationen durch zunehmende [[Assimilation (Soziologie)|Assimilation]] immer mehr ab.
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=== Die heutigen deutsch-tschechischen Beziehungen ===
=== Die heutigen deutsch-tschechischen Beziehungen ===
Das Verhältnis mancher [[Tschechen]] zu [[Vertriebene]]n aus dem Sudetenland - und umgekehrt - ist bis heute angespannt und teilweise von erheblichen Vorurteilen belastet. Auch fast 60 Jahre nach dem [[Zweiter Weltkrieg|2. Weltkrieg]] sind Aussöhnung und Ausgleich problematisch und der Dialog zwischen den Nachbarn wird weiterhin durch Misstrauen auf beiden Seiten erschwert. So werden die [[Beneš-Dekrete]] von der Tschechischen Seite bislang nicht insgesamt für ungültig erklärt. Die Dekrete sind dagegen seit März 2002 gemäß einem Urteil des obersten tschechischen Verfassungsgerichts gegenüber bestimmten deutschen und ungarischen Widerstandsgruppen der NS-Zeit, nach kommunistischem Sprachgebrauch Antifaschisten genannt (daher zumeist ehemalige Kommunisten), (fast) vollständig aufgehoben (was in der öffentlichen Debatte kaum bekannt ist). Die Ängste mancher Tschechen beziehen sich hauptsächlich auf die mögliche Geltendmachung von Eigentumsansprüchen, obgleich hierfür demokratische rechtsstaatliche Grundsätze gelten.
Das Verhältnis mancher [[Tschechen]] zu [[Vertriebene]]n aus dem Sudetenland - und umgekehrt - ist bis heute angespannt und teilweise von erheblichen Vorurteilen belastet. Auch fast 60 Jahre nach dem [[Zweiter Weltkrieg|2. Weltkrieg]] sind Aussöhnung und Ausgleich problematisch und der Dialog zwischen den Nachbarn wird weiterhin durch Misstrauen auf beiden Seiten erschwert. So werden die [[Beneš-Dekrete]] von der Tschechischen Seite bislang nicht insgesamt für ungültig erklärt. Die Dekrete sind allerdings seit März 2002 gemäß einem Urteil des obersten tschechischen Verfassungsgerichts in Brünn ([[Brno]]) in Hinsicht auf bestimmte deutsche und ungarische Widerstandsgruppen sowie Verfolgte der NS-Zeit vollständig aufgehoben (was in der öffentlichen Debatte kaum bekannt ist). In dem Urteil heißt es wörtlich: "Die Enteignung von Antifaschisten war schweres Unrecht" (auch und gerade für den Fall, dass sie "freiwillig" ausgereist waren - das Urteil war von einem böhmischen ''Juden'' erwirkt worden, der nach dem Krieg in die USA ausgereist war). Diese Kreise haben demnach Anspruch auf vollständige Entschädigung und auf Wiedereinbürgerung.

Die Ängste vieler Tschechen beziehen sich hauptsächlich auf die mögliche Geltendmachung von Eigentumsansprüchen, sollten die Benesch-Dekrete auch für ''andere'' ehemalige Bevölkerungsteile aufgehoben werden. In der Tat verbliebe dem tschechischen Volk nur ein kleiner Teil des eigenen Landes, würde es z.B. den Ansprüchen etwa der katholischen Kirche und jenen der ehemaligen deutschen, ungarischen und polnischen Grundbesitzer nachgeben. <!--, obgleich hierfür demokratische rechtsstaatliche Grundsätze gelten--> <!-- Was soll dieser Hinweis? Welche Grundsätze? Welcher Rechtsstaat? -->.


Die Bundesrepublik Deutschland beharrt auf ihrer Rechtsposition, wonach das [[Münchner Abkommen]] völkerrechtlich bindend zustande gekommen ist. Dagegen fordert die tschechische Regierung deren Ungültigkeitserklärung von Beginn an als unabdingbare Voraussetzung für die vollständige Ungültigmachung der Beneš-Dekrete. Der Beitritt der [[Tschechische Republik|Tschechischen Republik]] zur [[Europäische Union|Europäischen Union]] relativiert die Wirksamkeit und Folgen des Abkommens wie der Dekrete für die gemeinsamen Beziehungen erheblich, wenngleich die durch sie aufgebürdeten geschichtlichen Hypotheken nicht unterschätzt werden sollten.
Die Bundesrepublik Deutschland beharrt auf ihrer Rechtsposition, wonach das [[Münchner Abkommen]] völkerrechtlich bindend zustande gekommen ist. Dagegen fordert die tschechische Regierung deren Ungültigkeitserklärung von Beginn an (juristisch-staatsrechtlich: ''ex tunc'') als unabdingbare Voraussetzung für die vollständige Ungültigmachung der Beneš-Dekrete. Der Beitritt der [[Tschechische Republik|Tschechischen Republik]] zur [[Europäische Union|Europäischen Union]] relativiert die Wirksamkeit und Folgen des Abkommens wie der Dekrete für die gemeinsamen Beziehungen erheblich, wenngleich die durch sie aufgebürdeten geschichtlichen Hypotheken nicht unterschätzt werden sollten.


== Vertretungen ==
== Vertretungen ==

Version vom 16. Mai 2007, 18:41 Uhr

Als Sudetendeutsche (auch: Deutschböhmen, deutsche Sudeten-Altösterreicher) werden die ehemaligen deutschen Einwohner in den als Sudetenland bezeichneten Gebieten, genauer der böhmischen Länder Böhmen, Mähren und Österreichisch Schlesien, zusammenfassend bezeichnet.

Die Einwohnerzahl in den Jahren von 1910 bis 1945 schwankte stets zwischen 3,2 und 3,3 Millionen Menschen. Die Vorfahren der Sudetendeutschen zogen hauptsächlich im 12. und 13. Jahrhundert im Zuge der deutschen Ostsiedlung aus den Gebieten des heute angrenzenden Bayern, Franken, Obersachsen, Schlesien und Österreich in die fast menschenleeren Gebiete Böhmens und Mährens innerhalb des Heiligen Römischen Reiches (Deutscher Nation) ein. Sie unterscheiden sich daher nach Mundart, Herkunft und regionaler Kultur entsprechend den angrenzenden deutschen Regionalbevölkerungen der Altbaiern, Franken, Obersachsen (Thüringer) und Schlesier. Sie sprachen daher nordbairische, auch vom Fränkischen beeinflusste Ortsdialekte im nordwestlichen Egerland, schlesische Ortsdialekte in Nordmähren und bairische Ortsdialekte im Süden und Südwesten des Landes. Im Sudetenland stellten sie die absolute Bevölkerungsmehrheit (mehr als 90 Prozent), während ihr Bevölkerungsanteil in den böhmischen Ländern von Österreich-Ungarn, dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik, entsprechend den Volkszählungen von 1910, 1921, 1930 und 1939 nur etwa ein Drittel mit leicht sinkender Tendenz ausmachte.

Genese des Begriffs

Die Bezeichnung „Sudetendeutsche“, im Egerländer Dialekt Suaderer, als Ersatz für die ältere Selbstbezeichnung „Deutschböhmen” kam erst nach dem Ende des 1. Weltkriegs auf, nachdem das Land der neuen Tschechoslowakei zugeschlagen wurde; sie beruht auf dem durchaus denunziatorisch gemeinten „Sudetští Nĕmci” (Sudeten-Deutsche) der Tschechen für den deutschen Bevölkerungsteil, den tschechische Nationalisten, vor allem die Jungtschechen seit dem 19. Jahrhundert propagierten.

Die Bezeichnung „Sudetendeutsche“ leitet sich von Gebirgszug der Sudeten ab, der sich im Norden Böhmens, Mährens und Sudetenschlesiens auf 330 km Länge hinzieht. Der Name „Sudetendeutsche“ wurde vereinzelt schon im 19. Jahrhundert benutzt und setzte sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, vor allem ab 1919, als Sammelbegriff für die über drei Millionen Deutschen in den böhmischen Ländern durch.

Nicht wenige „Sudetendeutsche“, wie etwa Peter Glotz (mit einem deutschen Vater und einer tschechischen Mutter), bezeichnen sich lieber als Deutschböhmen, was besonders in Österreich die seit jeher bevorzugte Bezeichnung ist; bisweilen spricht man hier auch von deutschen Randlböhmen.

Siedlungsgeschichte

Tracht aus der Schönhengster Sprachinsel zwischen Böhmen und Mähren

Da Sudetendeutsche ein zusammenfassender Oberbegriff für die Deutschen am Rande des Sudetengebirges ist, wird bei der Betrachtung der Siedlungsgeschichte zwischen den verschiedenen deutschen Volksgruppen unterschieden. Das Siedlungsgebiet verteilte sich geographisch auf das Böhmerwaldgebiet, das Egerland, Nordböhmen, Ostböhmen, Schlesien, Nordmähren und Südmähren. Außerdem gab es einige deutsche Sprachinseln wie den Schönhengstgau (siehe Bild) und deutsche Minderheiten in Städten mit vorwiegend tschechischsprachiger Bevölkerung. Stellvertretend wird hier zunächst die Siedlungsgeschichte Böhmens, des geschlossensten und größten Gebietes, betrachtet:

Böhmens

Vor der Völkerwanderungszeit war Böhmen von keltischen und germanischen Stämmen besiedelt. Mit der Völkerwanderung wurden diese Menschen zum großen Teil durch slawische Stämme verdrängt. Der eigentliche Einfluss deutscher Kultur und eine entsprechende Besiedlung Böhmens begann danach wieder zur Zeit des Frankenreiches und des böhmischen Herrschergeschlechts der Přemysliden. Spätestens mit der Herrschaft des in Prag geborenen Karl IV. als Kaiser des Deutschen Reiches und König von Böhmen entstand die kulturelle Dominanz der Deutschen: die 1348 gegründete Prager Karls-Universität war die erste "Deutsche Universität", Johannes von Saaz verfasste die wichtige Prosadichtung "Der Ackermann aus Böhmen", deutsche Siedlungen, Ackerbau, Gewerbe und Kunst im Land wurden gefördert. Mit den Hussitenkriegen, die neben religiösen vor allem nationale Ursachen hatten, wurde der dominierende deutsche Einfluss verdrängt, es kam jedoch auch zu friedlichem tschechisch-deutschen Zusammenleben, beispielsweise unter dem Einfluss der Böhmischen Brüder. Während der Reformationszeit gab es durchaus Dorfgemeinschaften mit mehreren Konfessionen.

Die Glasindustrie, später von weltweit herausragender Bedeutung, nahm in der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg ihren Anfang in den böhmischen Waldgebieten.

Gastmahl der Generale Wallensteins in Pilsen

Die Zeit des Dreißigjährigen Krieges war von Gräueltaten und Opfern in der Bevölkerung geprägt; einige Quellen sprechen von der Reduzierung der Bevölkerung auf ein Fünftel. Bis zur letzten Generation immer noch gängige Schimpfwörter unter Deutschböhmen waren "Du Schwed'" - das vernichtendste Verdikt überhaupt - oder "der elentige Krawat", der aus dem Ausland stammende, der "elende" Kroate (Vgl. Eli lenti = das fremde Land; eli sazzo = der fremde Sitz = Elsass), abgeleitet von der einschlägigen Soldateska, die das Land während dieser Zeit heimsuchte. Die anschließende Gegenreformation durch die Habsburger förderte erneut die Neubesiedlung verlassener und ausgebluteter Gebiete durch Zuwanderer aus den benachbarten deutschen Grenzgebieten. Mitte des 17. Jahrhunderts kann von einem wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung gesprochen werden, wenn auch die Freiheit des Einzelnen, der Bauernschaft und der Städte durch den herrschenden Absolutismus stark eingeschränkt war. Erst unter Maria Theresia und ihrem Sohn, Kaiser Josef II. besserte sich die Situation; die Einführung der Schulpflicht und die Aufhebung der Leibeigenschaft sind zwei Beispiele. Die deutsche Sprache war Verkehrs- und Bildungssprache, die Epoche der Aufklärung und der Weimarer Klassik im 18. Jahrhundert trugen ihren Teil zum verstärkten kulturellen Einfluss der deutschen Sprache nicht nur in Böhmen bei.

Während und nach der Zeit der Romantik im 19. Jahrhundert traten erneut tschechisch-nationale, später auch nach Eigenstaatlichkeit strebende Bewegungen auf, wie der Austroslawismus, die ihren vorläufigen Höhepunkt nach dem Ersten Weltkrieg in der Gründung der Tschechoslowakei erreichten und die Vorherrschaft deutscher Sprache und Kultur auf die deutschen Siedlungsgebiete zurückdrängten. Während dieser Phase, in der tschechischen Geschichtsschreibung seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts als Nationale Wiedergeburt bezeichnet, veröffentlichte u.a. Josef Jungmann, der in der tschechischen Philologie etwa den Rang genießt wie hierzulande die Gebrüder Grimm, sein Werk „Über die tschechische Sprache, erste Unterredung“ (O jazyku českém, rozmlouvání první - Leseprobe) -

Mährens

Die Siedlungsgeschichte Mährens.

Sudetendeutsche in der Zwischenkriegszeit

Siehe dazu Hauptartikel: Sudetenland, Unterartikel Von 1919 bis zum Münchner Abkommen.

Sudetendeutsche in der Zeit des Nationalsozialismus

Siehe dazu Hauptartikel: Sudetenland, Unterartikel Geschichte: 2.3.: Besetzung der "Rest-Tschechei" und Zweiter Weltkrieg, sowie den Artikel Sudetenland (Reichsgau)

Siedlungsgebiete nach der Vertreibung

Die Sudetendeutschen siedelten sich danach überwiegend in den angrenzenden deutschen Ländern Bayern, Sachsen, Thüringen, Niedersachsen, Hessen, Baden-Württemberg, in Österreich und ungefähr 500 Familien auch in Ungarn an. Einige Sudetendeutsche haben sich in sonstigen Ländern niedergelassen oder sind nach Übersee ausgewandert.

Im niederrheinischen Rheinbach beispielsweise siedelte sich eine große Anzahl von Glaskünstlern und Glasraffineuren aus dem sudetendeutschen Steinschönau (Kamenický Šenov) und Umgebung an und baute in dieser Kleinstadt ihre heimatliche Glasindustrie neu auf, darunter auch die Staatliche Glasfachschule Rheinbach und Teile der Lüsterindustrie. In Vertriebenenverbänden organisierten sich viele Menschen um damit ein politisches Sprachrohr zu haben. Als "Anwalt" der Sudetendeutschen stellt sich vor allem die CSU dar, die die Vertriebenen zu einem "vierten Volksstamm Bayerns neben Altbayern, Schwaben und Franken" (Franz Josef Strauß) erklärte, was allerdings ethnologisch keine Grundlage hat. In Bayern, aber auch in anderen deutschen Ländern wandelten sich durch den massenhaften Zuzug von Vertriebenen die Bevölkerungsstrukturen. Die vielen Vertriebenen, darunter die Sudetendeutschen, wurden von der heimischen Bevölkerung in der Nachkriegszeit häufig mit Argwohn betrachtet und abfällig pauschal als "Flüchtlinge" bezeichnet - was einem Schimpfwort gleichkam. Ganze Stadtteile oder Städte entstanden neu, wie etwa Neutraubling bei Regensburg, das zu Kaufbeuren gehörige Neugablonz, Geretsried, Traunreut oder Waldkraiburg.

Dialektvariationen

Die verschiedenen sudetendeutschen Dialekte lassen sich in fünf Mundartlandschaften unterteilen:

  • Mittelbairisch (Südmähren, unterer und mittlerer Böhmerwald, Schönhengstgau, die Sprachinseln von Budweis, Wischau, Brünn und Olmütz).
  • Nordbairisch oder Oberpfälzisch (Westböhmen, Iglauer Sprachinsel).
  • Ostfränkisch (kleinste Sprachlandschaft; sie reicht von NW-Böhmen über das Erzgebirge bis in die Gegend von Bamberg und ist auch noch im Schönhengstgau und im mittleren Nordmähren vertreten).
  • Schlesisch (Ostböhmen, Nordmähren).
  • Thüringisch-Obersächsisch (Nordböhmen und als Mischdialekt mit dem Nordbairischen in der Iglauer Sprachinsel).

Die Dialekte der sudetendeutschen Gebiete werden lexikographisch erfasst und beschrieben im Sudetendeutschen Wörterbuch. Die Sprachgeographie erfasst der Atlas der historischen deutschen Mundarten auf dem Gebiet der Tschechischen Republik.

Vertreibungsproblematik

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Sudetendeutschen in der Zeit von Mai bis Dezember 1945 fast vollständig vertrieben bzw. danach zwischen Januar und Dezember 1946 zwangsausgesiedelt, in tschechischer Lesart „abgeschoben“. Die im Münchener Abkommen an Deutschland übertragenen Territorien wurden im Rückgriff auf den Vertrag von St. Germain wieder der Tschechoslowakei einverleibt. Die gewaltsame Vertreibung (tschechisch: odsun, also "Abschiebung") der deutschsprachigen Minderheit wurde nach Kriegsende auf Grundlage der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz, des Potsdamer Protokolls und des Potsdamer Abkommens durch die Beneš-Dekrete initiiert und von den Siegermächten geduldet, obgleich zunächst weite Teile Westböhmens von den US-Amerikanern besetzt worden waren.

Eine von der sudetendeutsche Landsmannschaft herausgegebene Berechnung der Opferzahlen basiert auf Zahlen des kirchlichen Suchdienstes des Caritasverbandes und dessen Heimatortkartei und kommt mit Stand von 1959 auf rund 241.000 Todesopfer [1].

Die Beneš-Dekrete wurden im Nachhinein vom tschechoslowakischen Parlament gebilligt und haben bis in die Gegenwart Rechtsgültigkeit, werden jedoch nach tschechischer Interpretation "nicht mehr angewendet" und sind für Antifaschisten seit März 2002 vollständig aufgehoben (s. weiter unten).

Die heutige Lage

Die heutige deutsche Minderheit in Tschechien

Rund 200.000 Deutschsprachige, etwa sechs Prozent, wurden nach 1945 nicht vertrieben. Dies waren zum Teil Mischehen, in denen ein Elternteil die deutsche, der andere die tschechische Volkszugehörigkeit hatte. Solche Familien bekamen manchmal die Wahl zum Bleiben, meistens wenn der Vater (also das Familienoberhaupt, das in der damaligen Sicht die Nationalität der ganzen Familie angab) tschechisch war. Oft handelte es sich auch um Antifaschisten, z.B. solche, die mit dem tschechoslowakischen Widerstand zusammengearbeitet hatten oder aufgrund der Mitgliedschaft in der DSAP durch das Hitler-Regime verfolgt worden waren. Diese Personen erhielten später von den Behörden einen so genannten Antifaschisten-Ausweis und konnten frei wählen, ob sie bleiben oder ausreisen wollten; bei der Ausreise konnten sie - im Gegensatz zu den tatsächlich Vertriebenen (in tschechischer Lesart: den "Abgeschobenen") - sämtliches bewegliches Hab und Gut mitnehmen, während den Zwangsausgesiedelten nur 40 Kilogramm pro Kopf zugestanden wurden. Antifaschisten mussten auch nicht die berüchtigte N-Armbinde tragen, die sie auf den ersten Blick als Angehörige der deutschen Bevölkerungsgruppe (N für "Nemec") zu erkennen geben sollte - wie im so genannten Dritten Reich der Judenstern die Juden (ethnologisch korrekt: die Hebräer). Hinzu kamen Fachleute und Experten, denen oftmals von der tschechoslowakischen Nachkriegsregierung die gewollte Ausreise verweigert wurde, weil der Staat ihr Fachwissen benötigte. Eine weitere große Gruppe waren Deutsche, die als "wirtschaftlich Unentbehrliche" eingestuft wurden, unter anderem viele deutsche Bergleute. Heute bezeichnen sich die Angehörigen der deutschen Minderheit in Tschechien als Deutsche in Tschechien, tschechische Deutsche, Tschechien-Deutsche oder Deutschböhmen (letztere Selbstbezeichnung wird von den meisten Tschechen allerdings rundweg abgelehnt, weil sie einen Gleichstellungsanspruch konnotiert).

Die Anzahl der deutschsprachigen Bewohner nahm seitdem, zuerst durch Auswanderung oder als Aussiedler, in späteren Generationen durch zunehmende Assimilation immer mehr ab.

1989 kam es in der damaligen Tschechoslowakei zur samtenen Revolution. Von den ehemals deutschen Bewohnern, die am Ende des 20. Jahrhunderts meist im hohem Alter waren, bzw. deren Nachkommen, kehrten zwar einige in die frühere Heimat zurück, ihre einstigen Güter aber blieben enteignet.

Die heutigen deutsch-tschechischen Beziehungen

Das Verhältnis mancher Tschechen zu Vertriebenen aus dem Sudetenland - und umgekehrt - ist bis heute angespannt und teilweise von erheblichen Vorurteilen belastet. Auch fast 60 Jahre nach dem 2. Weltkrieg sind Aussöhnung und Ausgleich problematisch und der Dialog zwischen den Nachbarn wird weiterhin durch Misstrauen auf beiden Seiten erschwert. So werden die Beneš-Dekrete von der Tschechischen Seite bislang nicht insgesamt für ungültig erklärt. Die Dekrete sind allerdings seit März 2002 gemäß einem Urteil des obersten tschechischen Verfassungsgerichts in Brünn (Brno) in Hinsicht auf bestimmte deutsche und ungarische Widerstandsgruppen sowie Verfolgte der NS-Zeit vollständig aufgehoben (was in der öffentlichen Debatte kaum bekannt ist). In dem Urteil heißt es wörtlich: "Die Enteignung von Antifaschisten war schweres Unrecht" (auch und gerade für den Fall, dass sie "freiwillig" ausgereist waren - das Urteil war von einem böhmischen Juden erwirkt worden, der nach dem Krieg in die USA ausgereist war). Diese Kreise haben demnach Anspruch auf vollständige Entschädigung und auf Wiedereinbürgerung.

Die Ängste vieler Tschechen beziehen sich hauptsächlich auf die mögliche Geltendmachung von Eigentumsansprüchen, sollten die Benesch-Dekrete auch für andere ehemalige Bevölkerungsteile aufgehoben werden. In der Tat verbliebe dem tschechischen Volk nur ein kleiner Teil des eigenen Landes, würde es z.B. den Ansprüchen etwa der katholischen Kirche und jenen der ehemaligen deutschen, ungarischen und polnischen Grundbesitzer nachgeben. .

Die Bundesrepublik Deutschland beharrt auf ihrer Rechtsposition, wonach das Münchner Abkommen völkerrechtlich bindend zustande gekommen ist. Dagegen fordert die tschechische Regierung deren Ungültigkeitserklärung von Beginn an (juristisch-staatsrechtlich: ex tunc) als unabdingbare Voraussetzung für die vollständige Ungültigmachung der Beneš-Dekrete. Der Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union relativiert die Wirksamkeit und Folgen des Abkommens wie der Dekrete für die gemeinsamen Beziehungen erheblich, wenngleich die durch sie aufgebürdeten geschichtlichen Hypotheken nicht unterschätzt werden sollten.

Vertretungen

Die Sudetendeutsche Landsmannschaft gibt sich als die führende Vertretung der Vertriebenen aus Böhmen und Mähren. Ihr gehört jedoch nur ein kleiner Teil der vertriebenen Sudetendeutschen bzw. Deutschböhmen an. Sie zählt rund 250.000 Mitglieder, was 7,3 Prozent der 3,4 Millionen Vertriebenen entspricht. Keineswegs alle teilen ihre Ziele - etwa dass sie mit Unterstützung der Bayerischen Staatsregierung fordert, von der Prager Regierung als Verhandlungspartner anerkannt zu werden.

Weniger bekannt bzw. öffentlichkeitswirksam ist die katholisch inspirierte Ackermann-Gemeinde, die sich nach dem Prosagedicht Der Ackermann aus Böhmen des mittelalterlichen Mystikers Johannes von Tepl nennt. Sie sieht ihre Haupttätigkeit in der "praktische[n] Friedensarbeit im Dienste der Völkerversöhnung".

Unter den kulturellen und künstlerischen Austausch zwischen Deutschen und Tschechen fördernden Organisationen ist der Adalbert-Stifter-Verein (München) hervorzuheben.

Forschung

Heute ist das von Eugen Lemberg, Theodor Mayer, Kurt Oberdorffer und Hermann Raschhofer sowie Ernst Schwarz gegründete Collegium Carolinum die herausragende Forschungseinrichtung für die gemeinsame deutsch-tschechische Geschichte.

Literatur

Multimedia

  • Odsun - Dokumentarfilm von Karl-Peter Schwarz. ORF, Österreich 1995 (Filmbeschreibung der BPB)

Siehe auch

Karl der Große, Deutsche Ostsiedlung, Geschichte Böhmens, Přemysliden, Geschichte der Tschechoslowakei, Sudetendeutsche Wissenschaftliche Sammlung, Karpatendeutsche, Entwicklung der neueren tschechischen Literatur

Deutsche, Deutsche Sprache

Hultschiner Ländchen

Einzelnachweise

  1. http://www.sudeten.de/bas/content/a08_3.htm