„Kulak“ – Versionsunterschied

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Version vom 29. Dezember 2010, 01:41 Uhr

Der Begriff Kulak (russisch кулак, „Faust“) war im Russischen eine seit dem 19. Jahrhundert verwendete Bezeichnung für relativ wohlhabende Bauern[1]. Spätestens nach Jahrhundertwende bekam der Begriff einen pejorativen Charakter.[2] Nach der Oktoberrevolution von 1917 und im Rahmen der Kollektivierung der Landwirtschaft von 1928 bis 1933 unter Josef Stalin wurde die Bedeutung des Begriffs „Kulak“ in der Agitation der Bolschewiki mehr und mehr auf alle (noch) selbstständigen Bauern ausgedehnt.[1] Diese Personen und ihre Angehörigen wurden im Rahmen der Entkulakisierung der Jahre 1929 bis 1932 als Klassenfeinde in Arbeitslager deportiert.

Genaue quantifizierbare Zuordnungkriterien für die Bezeichnung Kulak existierten auch innerhalb der marxistischen Wirtschafstwissenschaft nicht. So wurde z.B. einerseits der Verleih von Arbeitsgeräten oder Zugvieh als ein entscheidend ansahen. Andererseits gab es Studien, die die Beschäftigung von Lohnarbeitern als ein entscheidenens Kriterium sahen. [2]

Als sich die Entkulakisierung, das heißt die staatliche Kampagne gegen angebliche oder echte Kulaken, immer stärker radikalisierte, galten auf dem Höhepunkt der Kollektivierung 1932 bereits geringfügiges landwirtschaftliches Eigentum wie zum Beispiel eine Kuh oder die Beschäftigung von Tagelöhnern oder Knechten als Kulakentum und führte zu Zwangsmaßnahmen: Zuerst höhere Abgaben, dann Enteignung, schließlich Deportation in menschenleere Gebiete oder in den Gulag. Oft wurden auch die Familienangehörigen der Betroffenen und sogar sogenannte Kulakensöldlinge, die Podkulatschniks, verfolgt. Damit konnte auch jeder Tagelohner als Kulakensöldling deportiert werden.

Die Schätzungen über die Anzahl der von diesen Maßnahmen zwischen 1928 und 1937 betroffenen Menschen schwanken zwischen 10 Millionen Deportierten und Opfern (so Josef Stalin gegenüber Winston Churchill[3]) und 15 Millionen. Der amerikanische Politologe Rudolph Joseph Rummel geht von erheblich mehr Todesopfern aus; er nennt die Zahl 11,4 Millionen.

Interpretation

Der Feldzug des Staates gegen die Kulaken war ein Angriff gegen die freien Bauern überhaupt. Die Mehrheit der Bauern waren so genannte Mittelbauern (ca. 75%), die recht häufig als Kulakenknechte bezeichnet wurden. Auch diese horteten bzw. versteckten Getreide, da die hohen Zwangsabgaben und Besteuerungen sie dazu veranlassten. Der industrielle Aufbau des Landes, die Schaffung des Mehrproduktes erfolgte durch größtmögliche Auspressung fast aller Bauern. Trotz Getreideknappheit exportierte die Sowjetunion das Getreide, um sich so Maschinen und Werkzeuge einkaufen zu können (sogenannte Hungerexporte). Die Bauern hatten also einen Großteil der gesellschaftlichen Kosten für die rasante Industrialisierung zu zahlen. Der Unterschied zwischen Kulaken und den Mittelbauern war nur graduell und wurde von den Bolschewiki willkürlich vorgenommen.[4] Hätte der Staat den Bauern Kredite, Maschinen usw. als Gegenleistung für abgeliefertes Korn geben können, wozu er nicht in der Lage war, dann wäre dem Land die ganze humanitäre Katastrophe des Holodomor wohl erspart geblieben. Da dies nicht der Fall war, war eine Eigenversorgung der Bauern Anfang der 1930er Jahre nicht mehr gewährleistet, sodass viele Bauern regelrecht hungerten und verhungerten. Besonders in der Ukraine nahm es das Ausmaß einer humanitären Katastrophe an. Die Folge waren zahlreiche Bauernaufstände. Mit der nachfolgenden Zwangskollektivierung ebbten diese (Bauernaufstände) ab. Den Bauern in den Sowchosen und Kolchosen wurden auch die Pässe abgenommen, so dass sie an die Scholle gebunden waren.

Einzelnachweise

  1. a b Manfred Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion 1917-1991, C.H. Beck, München 1998, S. 1184. (online)
  2. a b Manfred Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion 1917-1991, C.H. Beck, München 1998, S. 292. (online)
  3. Churchill: Der Zweite Weltkrieg, S. 700, Fischer-Verlag, Frankfurt/M, 2003
  4. Alexander Heinert, Das Feindbild Kulak. Die politisch-gesellschaftliche Crux 1925-1930, in: Silke Satjukow und Rainer Gries, (Hrsg.), Unsere Feinde. Konstruktionen des Anderen im Sozialismus, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2004, S. 373

Literatur

In mehreren sowjetischen Romanen kommt das Schicksal der „Kulaken“ vor und spielt dort die Rolle eines kollektiven Traumas: so z. B. bei Tschingis Aitmatow: Ein Tag länger als das Leben (1980) und bei Jewgeni Jewtuschenko: Wo die Beeren reifen (1981).

Sachbücher:

  • Robert Conquest: The Harvest of Sorrow: Soviet Collectivization and the Terror-Famine", Oxford Univ. Pr., ISBN 0195051807+
  • Alexander Heinert, Das Feindbild Kulak. Die politisch-gesellschaftliche Crux 1925-1930, in: Silke Satjukow und Rainer Gries, (Hrsg.), Unsere Feinde. Konstruktionen des Anderen im Sozialismus, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2004, S. 363-386
  • Dimitri Wolkogonow: Lenin. Utopie und Terror. Econ 1996, ISBN 3430198283