Artamanen

Als Artamanen bezeichneten sich die Mitglieder des formal 1926 in München gegründeten „Bund Artam e. V.“, einem radikal-völkischen Siedlungsbund im deutschnationalen Flügel der deutschen Jugendbewegung. Dieser wurde 1934 in die Hitlerjugend eingegliedert.

Bezeichnung

Die Namensgebung bezog sich unmittelbar auf einen Aufruf von Willibald Hentschel, der in den Blättern aus Niegard 2 (1923) gefordert hatte: „Eine ritterliche deutsche Kampfgemeinschaft auf deutscher Erde – ich nenne sie Artam.“ Wilhelm Kotzde-Kottenrodt und Bruno Tanzmann druckten im Frühlingsheft 1924 der Deutschen Bauernhochschulen diesen Aufruf nach und richtete ihn an die gesamte völkische Jugendbewegung.

Spätere Deutungen von ‚Artam‘ versuchten die Namensgebung auf die althochdeutschen Wörter art (‚Ackerbau‘) und manen (‚Männer‘) zurückzuführen. Jedoch hatte Hentschel ‚Artam‘ bereits vor 1910 und später in verschiedenen Auflagen von Varuna angeblich aus dem Persischen abgeleitet, aber in den verschiedenen Auflagen mit unterschiedlichen Deutungen. Das legt nahe, dass es sich um ein von ihm geschaffenes Kunstwort handelt. Die Parole der Artamanen lautete: „Gläubig dienen wir der Erde und dem großen Stirb und Werde.“

Ideologie

Die Gruppe vertrat eine völkische, agrarromantische Blut-und-Boden-Ideologie und propagierte einen freiwilligen Arbeitsdienst in der Landwirtschaft. Ihr Weltbild war von rassenideologischen und völkisch-esoterischen Vorstellungen geprägt.[1]

Nach ihrem Selbstverständnis bedeutete „Artam“ „die Erneuerung aus den Urkräften des Volkstums, aus Blut, Boden, Sonne und Wahrheit“. Die Artamanen strebten an, in den deutschen Ostprovinzen in einer möglichst autarken Gemeinschaft zu leben, auf dem Lande und von bäuerlicher Tätigkeit, um auf diese Weise einen Wall gegen das Eindringen und die Beschäftigung von polnischen Saisonarbeitern zur Erntezeit zu bilden. Die Gemeinschaft der Artamanen war seit 1927 hierarchisch nach dem Führerprinzip gegliedert. Nach ihrer Überzeugung würde sich das Schicksal Deutschlands nicht im Westen entscheiden, nicht an Rhein und Ruhr, sondern an der Weichsel und Memel.

Geschichte

Anfänge

Die erste Artamanschaft kam im April 1924 auf dem Rittergut Limbach in Sachsen unter Leitung des Siebenbürgener Jungbauern August G. Kenstler zum Einsatz; ihr folgten weitere Gruppen. 1926 wurde ein Stand von 650 Freiwilligen auf 65 Gütern und Höfen erreicht, 1929, auf dem Höhepunkt der Bewegung, waren es rund 2000 auf rund 300 Gütern.

Die Großgrundbesitzer im Osten bezahlten die Freiwilligen jedoch oftmals schlecht, gaben ihnen schlechte Unterkünfte und behandelten sie auch schlecht. Deshalb ging der Bund Artam dazu über, die Einkünfte der Mitglieder, bis auf ein kleines Taschengeld, in eine gemeinsame Kasse einzuzahlen. Aus diesen Mitteln wurden heruntergekommene Großgüter aufgekauft und in einer mehrjährigen Übergangszeit ertragfähig gemacht, dann aber in einzelne Höfe zu durchschnittlich 15 Hektar aufgeteilt. In Koppelow in Mecklenburg wurden so nach vierjähriger Zwischen- und Aufbauwirtschaft 38 Familien angesiedelt.[2] Diese von den Artamanen bevorzugte Gruppensiedlung bedeutete keine Kollektivwirtschaft. Nur bei Erschließung und Aufbau der Siedlung wurde gemeinschaftlich vorgegangen.

Mitglieder

Mitgliedsabzeichen der Artamanen

Hentschel leitete zwar formal den Verein bis 1927, als Kanzler fungierte jedoch Friedrich Schmidt, bis dann das NSDAP-Mitglied Hans Holfelder das Amt übernahm. Hauptsitz war Halle (Saale). Weitere führende Köpfe im Verein waren die schon genannten Bruno Tanzmann von der Deutschen Bauernhochschule, Wilhelm Kotzde-Kottenrodt, Gründer und Führer der Adler und Falken, und August Georg Kenstler, Herausgeber der Zeitschrift Blut und Boden. Viele Artamanen waren zugleich Mitglieder der Adler und Falken, die ein eigenes Artamanenamt einrichteten und in ihrem Zwiespruch die Sonderbeilage Der Artamane herausgaben. Zuständig dafür war Hans Teichmann, der spätere Hauptschriftleiter Der Kommenden.[3]

1927 gründete Georg Wilhelm Schiele eine „Gesellschaft der Freunde der Artamanenbewegung“ und warb in finanzkräftigen Kreisen um Unterstützung.[4]

Zu den Mitgliedern der Artamanen gehörten einige später prominente Nationalsozialisten wie der Reichsbauernführer Richard Walther Darré, sein enger Mitarbeiter Horst Rechenbach, der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß, der Ministerpräsident von Mecklenburg Walter Granzow,[5] der Leiter des Hauptschulungsamtes der NSDAP, der schon erwähnte Friedrich Schmidt und der Reichsführer-SS Heinrich Himmler, der am 21. Dezember 1929 auf dem Reichsthing der Artamanen in Freyburg an der Unstrut als Gauführer des Bundes Artam in Bayern bestätigt wurde, zu dem er Mitte 1928 von Holfelder ernannt worden war. Als Redner auf der Veranstaltung in Freyburg waren versammelt: Der völkische Schriftsteller Georg Stammler, Max Robert Gerstenhauer, Hans Severus Ziegler, Ernst Niekisch, Friedrich Muck-Lamberty, Kleo Pleyer, Alfred Rosenberg und Baldur von Schirach.[6]

1942 genehmigte der Reichsjugendführer „in Würdigung des Verdienstes der Artamanenbewegung“, dass das alte Artamanen-Abzeichen (blaues Schild mit Rune und Siebengestirn) zum Dienstanzug der HJ von ehemaligen Angehörigen des NS-Bundes der Artamanen und des Bundes Artamanen e.V. getragen werden kann. Das Abzeichen wurde auf der linken Brusttasche unterhalb des Parteiabzeichens getragen.[7]

Niedergang

Auf dem Reichsthing 1929 kam es zur Spaltung der Artamanen. Die Mehrheit um die Bundesführung schloss die Minderheit aus, die sich daraufhin als „Die Artamanen. Bündische Gemeinden für Landarbeit und Siedlung“ in einem eigenen Bund mit Fritz Hugo Hoffmann als Bundesführer konstituierte. Damit begann der Niedergang der Bewegung.[8] Die noch im Anfang stehende Siedlungstätigkeit der Artamanen kam zu Ende.

Nach der Auflösung und dem Verbot aller übrigen Organisationen der bündischen Jugend und der freien Jugendbewegung im Zuge der Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten wurde der „Bund der Artamanen“ als einzige Ausnahme im Oktober 1934 korporativ in die Hitlerjugend (HJ) übernommen und bildete später den Kern des Landdienstes der HJ.

Rezeption

Die Gesamtzahl junger Menschen, die im Laufe der 12 Jahre ihres Bestehens in der Artamanenbewegung tätig gewesen sind, liegt zwischen 25.000 und 30.000.[9] Im September 1966 wurde der erste „Artam-Rundbrief“ von und für alte Artamanen verschickt, aus dem später die „Artam-Blätter“ eines Freundeskreises und der „Freundeskreis der Artamanen“ hervorgingen, der 2001 aufgelöst und in den "Überbündischen Kreis" überführt wurde.[10] Bis 2001 hatte jährlich ein Bundestreffen des Freundeskreises stattgefunden.[11]

In Form eines dystopischen Romans wurde die Artam-Idee von Volkmar Weiss wieder aufgegriffen.[12]

Neo-Artamanen

Seit Anfang der 1990er Jahre haben sich mehrere Familien zwischen Teterow und Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern angesiedelt, die an die Tradition der Artamanen anknüpfen und gelegentlich als „Neo-Artamanen“ bezeichnet werden.[11] Die Siedler stammen aus rechtsextremen Kaderfamilien und wuchsen bereits mit dem Nationalsozialismus und seinem biologistischen Weltbild auf. Viele kennen sich aus der 1994 verbotenen Wiking-Jugend oder der ebenfalls verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend. Andrea Röpke schreibt: „Es herrscht ein Klima des Auserwähltseins. Sendungsbewusst sollen die Menschen in den Dörfern missioniert werden“.[13] Das Portal „Endstation Rechts“ nennt diese Siedler „völkisch[14] und „rechtsgesinnt“.[15]

Literatur

  • Stefan Brauckmann: Artamanen als völkisch-nationalistische Gruppierung innerhalb der deutschen Jugendbewegung 1924–1935. In: Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung NF Band 2/05. Wochenschau-Verlag, Schwalbach 2006, ISBN 3-89974-310-5, S. 176–196.
  • Stefan Brauckmann: Die Artamanenbewegung in Mecklenburg. In: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern. Heft 2/08, Rostock 2008. ISSN 1434-1794, S. 68–78.
  • Stefan Breuer: Die Völkischen in Deutschland. Kaiserreich und Weimarer Republik. Wiss. Buchges., Darmstadt 2008, ISBN 978-3-534-21354-2.
  • Walter Dietrich: Artam Siedler, Siedlungen, Bauernhöfe. Versuch einer Dokumentation über die Siedlungsgebiete der Artamanen in den Jahren 1926-1945. Selbstverlag, Witzenhausen 1982.
  • Marie-Luise Heuser: Was Grün begann endete blutigrot. Von der Naturromantik zu den Reagrarisierungs- und Entvölkerungsplänen der SA und SS. In: Dieter Hassenpflug (Hrsg.), Industrialismus und Ökoromantik. Geschichte und Perspektiven der Ökologisierung, Wiesbaden 1991, S. 43-62.
  • Michael H. Kater: Die Artamanen - Völkische Jugend in der Weimarer Republik. In: Historische Zeitschrift. Band 213, 1971, S. 577–638.
  • Hanns Nickol: Das neue Leben oder Die Artamanen. Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1936, DNB 575240091.
  • Gudrun Pausewang: Rosinkawiese - damals und heute: Mit dokumentarischen Fotos: Die Rosinkawiesen-Trilogie in einem Band. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004, ISBN 3-423-13203-5.
  • Thomas Nitschke: Die Gartenstadt Hellerau im Spannungsverhältnis zwischen weltoffener Reformsiedlung und nationalistisch gesinnter völkischer Gemeinde. Dissertationsschrift. Martin-Luther-Universität, Halle 2007, DNB 988227517.
  • Thomas Nitschke: Die Geschichte der Gartenstadt Hellerau. Hellerau-Verlag. Dresden 2009, ISBN 978-3-938122-17-4.
  • Alwiß Rosenberg: Bäuerliche Siedlungsarbeit des Bundes Artam. Ein agrarpolitischer Versuch bündischer Jugend. In: Jahrbuch des Archivs der Deutschen Jugendbewegung. Band 9, 1977, S. 199–229.
  • Peter Schmitz: Die Artamanen: Landarbeit und Siedlung bündischer Jugend 1920 - 1945. Bad Neustadt an der Saale 1985, ISBN 3-922923-36-4.
  • Rudolf Höß: Über die Artamanen zur SS. In: Die Zeit. Nr. 42/1958. Auszug aus der von Martin Broszat herausgegebenen Autobiografie: Kommandant in Auschwitz, DVA 1958.

Einzelnachweise

  1. "Außerdem war das Weltbild der Artamanen von esoterischen Vorstellungen, ariosophischen und theosophischen Ideen geprägt, die später in das rassenideologische Konzept Heinrich Himmlers einflossen.“ Paula Diehl: Macht, Mythos, Utopie: die Körperbilder der SS-Männer, Berlin (Akademie-Verlag) 2005 S. 59.
  2. Ulrich Linse: Zurück, o Mensch, zur Mutter Erde. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1983, ISBN 3-423-02934-X, S. 327–339 (Artamanengüter).
  3. Stefan Breuer, Ina Schmidt: Die Kommenden. Eine Zeitschrift der Bündischen Jugend (1926–1933). Wochenschau Verlag, Schwalbach/Taunus 2010, S. 26ff (Bündnispartner: Artamanen und Schilljugend)
  4. Wolfgang Schlicker: „Freiwilliger“ Arbeitsdienst und Arbeitsdienstpflicht 1919–1933. Die Rolle militaristischer und faschistischer Kräfte in den Arbeitsdienstbestrebungen der Weimarer Republik. Dissertation an der Pädagogischen Hochschule Potsdam, 1968, S. 82–105 (Artamanenbewegung, Landwerk und „Ostmärkische Landarbeiter- und Siedlerschule“ – Vorläufer des faschistischen Arbeitsdienstes und Zentren des aggressiven Nationalismus und Faschismus auf dem Lande)
  5. Dietrich Bronder: Bevor Hitler kam. Marva, Genf 1975, S. 204.
  6. Hans-Christian Brandenburg: Die Geschichte der HJ. Wege und Irrwege einer Generation. 2. Auflage. Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1982, ISBN 3-8046-8609-5, S. 77–80 (Die Artamanen).
  7. UM-Uniformen-Markt. Fachzeitschrift des Uniformen-Handels. Folge 20 vom 15. Oktober 1942, S. 157.
  8. Stefan Breuer: Die Völkischen in Deutschland. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2008, S. 218–220 (Völkische Jugend).
  9. Werner Kindt (Hrsg.): Die deutsche Jugendbewegung 1920 bis 1933. Die bündische Zeit. Eugen Diederichs, Düsseldorf 1974, S. 909–930 (Artamanen).
  10. Gideon Botsch: Artamanen. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 5: Organisationen, Institutionen, Bewegungen. Berlin: De Gruyter Saur 2012, S. 44-46
  11. a b Maik Baumgärtner, Jesko Wrede: „Wer trägt die schwarze Fahne dort ...“ Völkische und neurechte Gruppen im Fahrwasser der Bündischen Jugend. Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Niedersachsen Ost, Braunschweig 2009, S. 115.
  12. Uwe Puschner: Mittgart - Eine völkische Utopie. In: Klaus Geus (Hrsg): Utopie, Zukunftsvorstellungen, Gedankenexperimente. Literarische Konzepte von einer "anderen" Welt im abendländischen Denken von der Antike bis zur Gegenwart. Frankfurt/Main: Peter Lang 2011, S. 155-181, auf S. 180: "Eingang hat Hentschels Rassezuchtutopie in den über weite Strecken pornographische, völkische und nationalsozialistische Ideologeme vereinigenden ideologischen Roman von Volkmar Weiss, Das Tausendjährige Reich Artam, Die alternative Geschichte, ... gefunden, von dem sich der Leser - so der Verlag - geistig provozieren lassen soll."
  13. NDR, Sendung Braune Biokost – Rechte Siedler im Nordosten vom 24. August 2012, abgerufen 1. März 2013
  14. Siedlungsprojekt in Mecklenburg-Vorpommern: Wohnen und Leben in Nazi-Tradition. auf: www.netz-gegen-nazis.de, abgerufen 26. Feb 2014.
  15. André Mächler: Ökologische Rechtsgesinnte. auf: endstation-rechts.de, abgerufen 20. November 2013.