„Verfassungsgerichtshof (Österreich)“ – Versionsunterschied

[gesichtete Version][gesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
→‎Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes: + weiteren EN zur geplanten cooling-off-phase
 
(23 dazwischenliegende Versionen von 12 Benutzern werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
{{österreichbezogen}}
{{Infobox Behörde
{{Infobox Behörde
|behörden_logo = [[Datei:Logo VfGH 2016.svg|250px|Logo des VfGH]]
|behörden_logo = [[Datei:Logo VfGH 2016.svg|250px|Logo des VfGH]]
Zeile 10: Zeile 11:
| Leitungstitel = Präsident
| Leitungstitel = Präsident
| Behördenleiter = [[Christoph Grabenwarter]]
| Behördenleiter = [[Christoph Grabenwarter]]
|Anzahl-Mitarbeiter = 102 nichtrichterliche Mitarbeiter<br /> davon 35 verf. Mitarbeiter<br /><small> &nbsp;(2018)</small><ref name="Tätigkeitsbericht 2018 Mitarbeiter">{{Internetquelle |url=https://www.vfgh.gv.at/downloads/taetigkeitsberichte/VfGH_Taetigkeitsbericht_2018.pdf |titel=Bericht des Verfassungsgerichtshofes über seine Tätigkeit im Jahr 2018 |hrsg=Verfassungsgerichtshof |datum=2019-03-12 |seiten=15 |abruf=2019-08-30 |format=PDF}}</ref>
|Anzahl-Mitarbeiter = 102 nichtrichterliche Mitarbeiter<br />davon 35 verfassungsrechtliche Mitarbeiter<small>&nbsp;(2018)</small><ref name="Tätigkeitsbericht 2018 Mitarbeiter">{{Internetquelle |url=https://www.vfgh.gv.at/downloads/taetigkeitsberichte/VfGH_Taetigkeitsbericht_2018.pdf |titel=Bericht des Verfassungsgerichtshofes über seine Tätigkeit im Jahr 2018 |hrsg=Verfassungsgerichtshof |datum=2019-03-12 |seiten=15 |abruf=2019-08-30 |format=PDF}}</ref>
|haushaltsvolumen = 18 Mio. EUR <small>(2021)</small><ref name="BFG2021">{{Internetquelle |url=https://service.bmf.gv.at/Budget/Budgets/2021/bfg/Bundesfinanzgesetz_2021.pdf |titel=Bundesfinanzgesetz 2021 |hrsg=Bundesministerium der Finanzen |abruf=2020-01-08 |format=PDF |kommentar=Seite 561}}</ref>
|haushaltsvolumen = 17 Mio. EUR <small>(2022)</small><ref name="BFG2022">{{Internetquelle |url=https://service.bmf.gv.at/Budget/Budgets/2022/bfg/Bundesfinanzgesetz_2022.pdf |titel=Bundesfinanzgesetz 2022 |hrsg=Bundesministerium der Finanzen |abruf=2022-03-05 |format=PDF |kommentar=Seite 15}}</ref>
|Homepage = [https://www.vfgh.gv.at/ www.vfgh.gv.at]
|Homepage = [https://www.vfgh.gv.at/ www.vfgh.gv.at]
}}
}}
Zeile 17: Zeile 18:
[[Datei:Wien-Innere Stadt - Verfassungsgerichtshof und Kunstforum.jpg|mini|Der Sitz des Verfassungs&shy;gerichts&shy;hofs in Wien-Innere Stadt im ehe&shy;maligen Gebäude der [[Creditanstalt-Bankverein|Österr. Credit&shy;anstalt für Handel und Gewerbe]]]]
[[Datei:Wien-Innere Stadt - Verfassungsgerichtshof und Kunstforum.jpg|mini|Der Sitz des Verfassungs&shy;gerichts&shy;hofs in Wien-Innere Stadt im ehe&shy;maligen Gebäude der [[Creditanstalt-Bankverein|Österr. Credit&shy;anstalt für Handel und Gewerbe]]]]


Der [[österreich]]ische '''Verfassungsgerichtshof''' (Abkürzung '''VfGH''') ist ein [[Gericht]]shof des [[Öffentliches Recht|öffentlichen Rechts]] mit Sitz in [[Wien]]. Er ist als einzige in Österreich zur Ausübung der [[Verfassungsgerichtsbarkeit]] berufene Institution eine der wichtigsten Einrichtungen im [[Rechtsschutz]]system der österreichischen [[Bundesverfassung (Österreich)|Bundesverfassung]] und neben dem&nbsp;[[Verwaltungsgerichtshof (Österreich)|Verwaltungsgerichtshof]] (VwGH) und dem&nbsp;[[Oberster Gerichtshof (Österreich)|Obersten Gerichtshof]]&nbsp;(OGH) eines von drei&nbsp;[[Höchstgericht]]en&nbsp;in Österreich.
Der [[österreich]]ische '''Verfassungsgerichtshof''' (Abkürzung '''VfGH''') ist ein [[Gericht]]shof des [[Öffentliches Recht|öffentlichen Rechts]] mit Sitz in [[Wien]]. Er ist als einzige in Österreich zur Ausübung der [[Verfassungsgerichtsbarkeit]] berufene Institution eine der wichtigsten Einrichtungen im [[Rechtsschutz]]system der österreichischen [[Bundesverfassung (Österreich)|Bundesverfassung]] und neben dem&nbsp;[[Verwaltungsgerichtshof (Österreich)|Verwaltungsgerichtshof]] (VwGH) und dem&nbsp;[[Oberster Gerichtshof (Österreich)|Obersten Gerichtshof]]&nbsp;(OGH) eines von drei&nbsp;[[Höchstgericht]]en&nbsp;in Österreich.


Die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofes werden im [[Bundes-Verfassungsgesetz]] (B-VG) abschließend geregelt, die Organisation und das Verfahren dagegen nur in ihren Grundzügen. Nähere Regelungen enthalten das Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG) und eine vom Verfassungsgerichtshof auf seiner Grundlage erlassene Geschäftsordnung. Der VfGH gilt als ältestes für die [[Normenkontrolle]] ermächtigtes Verfassungsgericht der Welt.<ref>Nach wie vor ist unter Verfassungsjuristen umstritten, ob der tschechoslowakische oder der österreichische Verfassungsgerichtshof das älteste ausschließliche Verfassungsgericht der Welt ist. Eine historische Darstellung der (weitgehend parallelen) Entwicklung beider Verfassungsgerichte findet sich etwa in Heller: ''Der Verfassungsgerichtshof'', S. 188.</ref>
Die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofes werden im [[Bundes-Verfassungsgesetz]] (B-VG) abschließend geregelt, die Organisation und das Verfahren dagegen nur in ihren Grundzügen. Nach Art. 138 B-VG hat er die Funktion eines [[Kompetenzgerichtshof]]s nicht nur bei [[Kompetenzkonflikt]]en zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden, sondern auch zwischen ordentlichen Gerichten und Verwaltungsgerichten oder dem Verwaltungsgerichtshof sowie zwischen dem Verfassungsgerichtshof selbst und allen anderen Gerichten.
Nähere Regelungen zum Verfahren enthalten das Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG) und eine vom Verfassungsgerichtshof auf seiner Grundlage erlassene Geschäftsordnung. Der VfGH gilt als ältestes für die [[Normenkontrolle]] ermächtigtes Verfassungsgericht der Welt.<ref> Nach wie vor ist unter Verfassungsjuristen umstritten, ob der tschechoslowakische oder der österreichische Verfassungsgerichtshof das älteste ausschließliche Verfassungsgericht der Welt ist. Eine historische Darstellung der (weitgehend parallelen) Entwicklung beider Verfassungsgerichte findet sich etwa in Heller: ''Der Verfassungsgerichtshof'', S. 188.</ref>


== Geschichte der österreichischen Verfassungsgerichtsbarkeit ==
== Geschichte der österreichischen Verfassungsgerichtsbarkeit ==
=== Verfassungsgerichtsbarkeit in der Monarchie ===
=== Verfassungsgerichtsbarkeit in der Monarchie ===
[[Datei:Elisabethstraße 09.JPG|mini|Das ehemalige Gebäude des Reichsgerichts am Wiener Schillerplatz]]
[[Datei:Elisabethstraße 09.JPG|mini|Das ehemalige Gebäude des Reichsgerichts am Wiener Schillerplatz]]

Als Vorgänger des späteren Verfassungsgerichtshofs der Republik [[Deutschösterreich|(Deutsch-)Österreich]] wird allgemein das [[Reichsgericht (Österreich)|Reichsgericht]] der Monarchie angesehen. Dieses entstand im Zuge der Überlegungen zur Schaffung der konstitutionellen [[Dezemberverfassung]] von 1867 als notwendig erachtete Füllung einer Lücke des [[Februarpatent]]s von 1861. Die Mitglieder des mit der Ausarbeitung der Dezemberverfassung betrauten Verfassungsausschusses des [[Abgeordnetenhaus (Österreich)|Abgeordnetenhauses]] des [[Reichsrat (Österreich)|österreichischen Reichsrats]] planten, mit diesem eine Institution zu schaffen, die dreierlei Aufgaben zu übernehmen hatte: Die Gewährleistung des Schutzes der – nunmehr neu kodifizierten – verfassungsmäßig gewährleisteten politischen Rechte der Staatsbürger, die unparteiische Entscheidung gewisser Kompetenzkonflikte sowie die Durchsetzung von Ansprüchen, welche nicht [[privatrecht]]licher Natur waren, gegen das Reich und die einzelnen Bestandteile desselben zu ermöglichen.<ref name="Spaun: Reichsgericht">{{Literatur |Autor=Johann von Spaun |Titel=Das Reichsgericht. Die auf dasselbe sich beziehenden Gesetze und Verordnungen samt Gesetzesmaterialien sowie Übersicht der einschlägigen Judikatur und Literatur |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=1904 |Seiten=25}}</ref>
Als Vorgänger des späteren Verfassungsgerichtshofs der Republik [[Deutschösterreich|(Deutsch-)Österreich]] wird allgemein das [[Reichsgericht (Österreich)|Reichsgericht]] der Monarchie angesehen. Dieses entstand im Zuge der Überlegungen zur Schaffung der konstitutionellen [[Dezemberverfassung]] von 1867 als notwendig erachtete Füllung einer Lücke des [[Februarpatent]]s von 1861. Die Mitglieder des mit der Ausarbeitung der Dezemberverfassung betrauten Verfassungsausschusses des [[Abgeordnetenhaus (Österreich)|Abgeordnetenhauses]] des [[Reichsrat (Österreich)|österreichischen Reichsrats]] planten, mit diesem eine Institution zu schaffen, die dreierlei Aufgaben zu übernehmen hatte: Die Gewährleistung des Schutzes der – nunmehr neu kodifizierten – verfassungsmäßig gewährleisteten politischen Rechte der Staatsbürger, die unparteiische Entscheidung gewisser Kompetenzkonflikte sowie die Durchsetzung von Ansprüchen, welche nicht [[privatrecht]]licher Natur waren, gegen das Reich und die einzelnen Bestandteile desselben zu ermöglichen.<ref name="Spaun: Reichsgericht">{{Literatur |Autor=Johann von Spaun |Titel=Das Reichsgericht. Die auf dasselbe sich beziehenden Gesetze und Verordnungen samt Gesetzesmaterialien sowie Übersicht der einschlägigen Judikatur und Literatur |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=1904 |Seiten=25}}</ref>


Das Reichsgericht wurde durch das Staatsgrundgesetz über die Einrichtung eines Reichsgerichts vom 21. Dezember 1867<ref>{{ANNO|rgb|04|00|1867|00000397|NAME=Reichsgesetzblatt für das Kaiserthum Österreich|RGBl. 143/1867 Staatsgrundgesetz über die Einsetzung eines Reichsgerichtes|anno-plus=ja}}</ref> eingeführt und nahm am 21. Juni 1869 seine Tätigkeit in Wien auf. Die erste mündliche Verhandlung führte das Reichsgericht am 29. November 1869 durch.<ref name="Hugelmann: Reichsgericht">{{Literatur |Autor=[[Karl Heinrich Hugelmann]] |Titel=Das österreichische Reichsgericht |Sammelwerk=[[Zeitschrift für öffentliches Recht]] |Nummer=IV |Ort=Wien |Datum=1925 |Seiten=499}}</ref> Es bestand – hierin zeigt sich eine Übereinstimmung mit dem späteren Verfassungsgerichtshof – aus 14 Mitgliedern, wobei der Präsident und der Vizepräsident sowie die zwölf weiteren Mitglieder unterschiedlich vom [[Kaiser von Österreich|Kaiser]] direkt oder auf Vorschlag jeweils einer der beiden Kammern des Reichsrats ernannt wurden.<ref name="Heller: Reichsgericht">{{Literatur |Autor=[[Kurt Heller (Jurist)|Kurt Heller]] |Titel=Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2010 |ISBN=978-3-7046-5495-3 |Kapitel=Kapitel: ''Das Reichsgericht'' |Seiten=99–113}}</ref> Die letzten veröffentlichten Erkenntnisse des Reichsgerichts datieren mit 14. Oktober 1918,<ref name="Hugelmann: ErkenntnisseRG">{{Literatur |Autor=[[Karl Heinrich Hugelmann]], [[Anton Hye von Glunek]] |Titel=Sammlung der Erkenntnisse des Reichsgerichtes |Band=1 |Nummer=XVII. Teil, Drittes Heft |Ort=Wien |Datum=1918}}</ref> also wenige Tage vor dem Zusammenbruch der Monarchie und der [[Ausrufung der Republik Deutschösterreich|Proklamation der Republik]], wenngleich das Reichsgericht als provisorische Übergangsinstitution formal noch einige Wochen in der Zeit der Republik existierte.<ref name="Hugelmann: Reichsgericht" />
Das Reichsgericht wurde durch das Staatsgrundgesetz über die Einrichtung eines Reichsgerichts vom 21. Dezember 1867<ref>{{ANNO|rgb|04|00|1867|00000397|NAME=Reichsgesetzblatt für das Kaiserthum Österreich|RGBl. 143/1867 Staatsgrundgesetz über die Einsetzung eines Reichsgerichtes|anno-plus=ja}}</ref> eingeführt und nahm am 21. Juni 1869 seine Tätigkeit in Wien auf. Die erste mündliche Verhandlung führte das Reichsgericht am 29.&nbsp;November 1869 durch.<ref name="Hugelmann: Reichsgericht">{{Literatur |Autor=[[Karl Heinrich Hugelmann]] |Titel=Das österreichische Reichsgericht |Sammelwerk=[[Zeitschrift für öffentliches Recht]] |Nummer=IV |Ort=Wien |Datum=1925 |Seiten=499}}</ref> Es bestand – hierin zeigt sich eine Übereinstimmung mit dem späteren Verfassungsgerichtshof – aus 14 Mitgliedern, wobei der Präsident und der Vizepräsident sowie die zwölf weiteren Mitglieder unterschiedlich vom [[Kaiser von Österreich|Kaiser]] direkt oder auf Vorschlag jeweils einer der beiden Kammern des Reichsrats ernannt wurden.<ref name="Heller: Reichsgericht">{{Literatur |Autor=[[Kurt Heller (Jurist)|Kurt Heller]] |Titel=Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2010 |ISBN=978-3-7046-5495-3 |Kapitel=Kapitel: ''Das Reichsgericht'' |Seiten=99–113}}</ref>
Die letzten veröffentlichten Erkenntnisse des Reichsgerichts datieren mit 14.&nbsp;Oktober 1918,<ref name="Hugelmann: ErkenntnisseRG">{{Literatur |Autor=[[Karl Heinrich Hugelmann]], [[Anton Hye von Glunek]] |Titel=Sammlung der Erkenntnisse des Reichsgerichtes |Band=1 |Nummer=XVII. Teil, Drittes Heft |Ort=Wien |Datum=1918}}</ref> also wenige Tage vor dem Zusammenbruch der Monarchie und der [[Ausrufung der Republik Deutschösterreich|Proklamation der Republik]], wenngleich das Reichsgericht als provisorische Übergangsinstitution formal noch einige Wochen in der Zeit der Republik existierte.<ref name="Hugelmann: Reichsgericht" />


=== Der Verfassungsgerichtshof der Zwischenkriegszeit ===
=== Der Verfassungsgerichtshof der Zwischenkriegszeit ===
Nach heute herrschender Ansicht in weiten Teilen der rechtsgeschichtlichen Lehre wurde der Staat ''(Deutsch-)Österreich'' nicht erst mit Beschluss des ''Gesetzes über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich'' und der daran anschließenden öffentlichen Ausrufung der Republik am 12. November 1918, sondern bereits einige Tage zuvor, nämlich am 30. Oktober, gegründet.<ref name="Brauneder: Deutschösterreich">{{Literatur |Autor=[[Wilhelm Brauneder]] |Titel=Deutsch-Österreich 1918. Die Republik entsteht |Verlag=[[Amalthea Signum Verlag]] |Ort=Wien |Datum=2000 |ISBN=978-3-85002-433-4 |Seiten=45 ff}}</ref> An diesem Tag fasste die [[Provisorische Nationalversammlung]] den „Beschluss über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt“, dessen §&nbsp;16 wie folgt lautete:
Nach heute herrschender Ansicht in weiten Teilen der rechtsgeschichtlichen Lehre wurde der Staat ''(Deutsch-)Österreich'' nicht erst mit Beschluss des ''Gesetzes über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich'' und der daran anschließenden öffentlichen Ausrufung der Republik am 12.&nbsp;November 1918, sondern bereits einige Tage zuvor, nämlich am 30.&nbsp;Oktober, gegründet.<ref name="Brauneder: Deutschösterreich">{{Literatur |Autor=[[Wilhelm Brauneder]] |Titel=Deutsch-Österreich 1918. Die Republik entsteht |Verlag=[[Amalthea Signum Verlag]] |Ort=Wien |Datum=2000 |ISBN=978-3-85002-433-4 |Seiten=45 ff}}</ref> An diesem Tag fasste die [[Provisorische Nationalversammlung]] den „Beschluss über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt“, dessen §&nbsp;16 wie folgt lautete:
{{Gesetzestext|§&nbsp;16.<br />
{{Gesetzestext|§&nbsp;16.<br />
Insoweit Gesetze und Einrichtungen, die in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern in Kraft stehen, durch diesen Beschluß nicht aufgehoben oder abgeändert sind, bleiben sie bis auf weiteres in vorläufiger Geltung.
Insoweit Gesetze und Einrichtungen, die in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern in Kraft stehen, durch diesen Beschluß nicht aufgehoben oder abgeändert sind, bleiben sie bis auf weiteres in vorläufiger Geltung.
Zeile 36: Zeile 41:


==== Der (deutsch-)österreichische Verfassungsgerichtshof 1919–1920 ====
==== Der (deutsch-)österreichische Verfassungsgerichtshof 1919–1920 ====
Bereits wenige Wochen nach der Bestimmung des vormaligen Reichsgerichts zum „provisorischen Reichsgericht“ der neuen Republik kam es schließlich zur Errichtung des Verfassungsgerichtshofs als eigenes Verfassungsgericht der Republik Deutschösterreich. Das ''Gesetz über die Errichtung eines deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshofes'' vom 25. Jänner 1919 bildete die Grundlage für den Übergang der bisher vom Reichsgericht ausgeübten Kompetenzen auf den neu geschaffenen Verfassungsgerichtshof.<ref>{{ANNO|sgb|00|00|1919|154|NAME=Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich|StGBl. 48/1919 Gesetz vom 25. Jänner 1919 über die Errichtung eines deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshofes|anno-plus=ja}}</ref> Der Vorentwurf für dieses Gesetz, das die Provisorische Nationalversammlung kurz vor dem Übergang der Gesetzgebungsgewalt an die gewählte [[Konstituierende Nationalversammlung]] am 25. Jänner 1919 beschloss, stammt aus der Feder [[Hans Kelsen]]s, des späteren maßgeblichen Mitschöpfers der Bundesverfassung von 1920, der auf Anweisung von Staatskanzler [[Karl Renner]] tätig wurde.<ref name="Schmitz: Vorentwürfe">{{Literatur |Autor=Georg Schmitz |Titel=Die Vorentwürfe Hans Kelsens für die österreichische Bundesverfassung |Reihe=Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts |BandReihe=6 |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=1981 |ISBN=978-3-214-06506-5 |Seiten=308–310}}</ref>
Bereits wenige Wochen nach der Bestimmung des vormaligen Reichsgerichts zum „provisorischen Reichsgericht“ der neuen Republik kam es schließlich zur Errichtung des Verfassungsgerichtshofs als eigenes Verfassungsgericht der Republik Deutschösterreich. Das ''Gesetz über die Errichtung eines deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshofes'' vom 25.&nbsp;Jänner 1919 bildete die Grundlage für den Übergang der bisher vom Reichsgericht ausgeübten Kompetenzen auf den neu geschaffenen Verfassungsgerichtshof.<ref>{{ANNO|sgb|00|00|1919|154|NAME=Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich|StGBl. 48/1919 Gesetz vom 25. Jänner 1919 über die Errichtung eines deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshofes|anno-plus=ja}}</ref>
Der Vorentwurf für dieses Gesetz, das die Provisorische Nationalversammlung kurz vor dem Übergang der Gesetzgebungsgewalt an die gewählte [[Konstituierende Nationalversammlung]] am 25.&nbsp;Jänner 1919 beschloss, stammt aus der Feder [[Hans Kelsen]]s, des späteren maßgeblichen Mitschöpfers der Bundesverfassung von 1920, der auf Anweisung von Staatskanzler [[Karl Renner]] tätig wurde.<ref name="Schmitz: Vorentwürfe">{{Literatur |Autor=Georg Schmitz |Titel=Die Vorentwürfe Hans Kelsens für die österreichische Bundesverfassung |Reihe=Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts |BandReihe=6 |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=1981 |ISBN=978-3-214-06506-5 |Seiten=308–310}}</ref>


Der nunmehr eingesetzte Verfassungsgerichtshof änderte im Wesentlichen nur seinen Namen. Darüber hinaus wurde die Anzahl der Mitglieder zunächst auf den Präsidenten, den Vizepräsidenten, acht weitere Mitglieder und vier Ersatzmitglieder verkleinert, weil Kelsen, wie er in den Anmerkungen zu seinem Entwurf ausführte, der Ansicht war, die vorgeschlagene Anzahl von zwölf Mitgliedern sei angesichts der „geminderten territorialen Kompetenz“ zu groß.<ref name="Schmitz: Vorentwürfe" /> Nachdem die Mitglieder des Reichsgerichts zuvor vom Kaiser ernannt worden waren, ging diese Ernennungskompetenz zunächst auf das neue Staatsoberhaupt der Republik, den [[Staatsrat (Österreich)#Deutschösterreich 1918/19|Staatsrat]], über. Am 24. Februar 1919 kam es schließlich zur formellen Amtsübergabe des ehemaligen Präsidenten des Reichsgerichts, [[Karl Grabmayr]], an den neuen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs, [[Paul Vittorelli]].<ref name="Walter: Kelsen als Verfassungsrichter FN11" /> Der Verfassungsgerichtshof nahm danach unmittelbar seine rechtsprechende Arbeit auf und konnte mit 10. März 1919 seine ersten Erkenntnisse fällen. Bereits in einem dieser ersten Erkenntnisse hielt der Verfassungsgerichtshof allerdings fest, sich selbst nicht als „Fortsetzung des früheren Reichsgerichtes unter einer anderen Bezeichnung“ zu sehen, sondern vielmehr ein „neu geschaffener Gerichtshof“ zu sein.<ref>{{ANNO|vfa|00|00|0001|18|NAME=Sammlung der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes|Slg. 6/1919 Erkenntnis über Ansprüche von Angestellten der ehemaligen öst.-ung. Militärverwaltung. Zuständigkeit. Verhältnis des Verfassungsgerichtshofs zum vormaligen Reichsgericht|anno-plus=ja}}</ref>
Der nunmehr eingesetzte Verfassungsgerichtshof änderte im Wesentlichen nur seinen Namen. Darüber hinaus wurde die Anzahl der Mitglieder zunächst auf den Präsidenten, den Vizepräsidenten, acht weitere Mitglieder und vier Ersatzmitglieder verkleinert, weil Kelsen, wie er in den Anmerkungen zu seinem Entwurf ausführte, der Ansicht war, die vorgeschlagene Anzahl von zwölf Mitgliedern sei angesichts der „geminderten territorialen Kompetenz“ zu groß.<ref name="Schmitz: Vorentwürfe" /> Nachdem die Mitglieder des Reichsgerichts zuvor vom Kaiser ernannt worden waren, ging diese Ernennungskompetenz zunächst auf das neue Staatsoberhaupt der Republik, den [[Staatsrat (Österreich)#Deutschösterreich 1918/19|Staatsrat]], über.
Am 24.&nbsp;Februar 1919 kam es schließlich zur formellen Amtsübergabe des ehemaligen Präsidenten des Reichsgerichts, [[Karl Grabmayr]], an den neuen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs, [[Paul Vittorelli]].<ref name="Walter: Kelsen als Verfassungsrichter FN11" /> Der Verfassungsgerichtshof nahm danach unmittelbar seine rechtsprechende Arbeit auf und konnte mit 10.&nbsp;März 1919 seine ersten Erkenntnisse fällen. Bereits in einem dieser ersten Erkenntnisse hielt der Verfassungsgerichtshof allerdings fest, sich selbst nicht als „Fortsetzung des früheren Reichsgerichtes unter einer anderen Bezeichnung“ zu sehen, sondern vielmehr ein „neu geschaffener Gerichtshof“ zu sein.<ref>{{ANNO|vfa|00|00|0001|18|NAME=Sammlung der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes|Slg. 6/1919 Erkenntnis über Ansprüche von Angestellten der ehemaligen öst.-ung. Militärverwaltung. Zuständigkeit. Verhältnis des Verfassungsgerichtshofs zum vormaligen Reichsgericht|anno-plus=ja}}</ref>


Eine wesentliche Erweiterung der Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs erfolgte noch im März 1919. Mit dem ''Gesetz über die Volksvertretung'' wurde in dessen Art. 15 die Möglichkeit geschaffen, dass der Verfassungsgerichtshof auf Antrag der Staatsregierung Gesetzesbeschlüsse der [[Landtag (Österreich)|Landesversammlungen]] auf ihre Verfassungswidrigkeit hin zu prüfen hat.<ref>{{ANNO|sgb|00|00|1919|483|NAME=Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich|StGBl. 179/1919 Gesetz vom 14. März 1919 über die Volksvertretung|anno-plus=ja}}</ref> Diese Bestimmung wird heute überwiegend als Beginn der Gesetzesprüfungskompetenz des Verfassungsgerichtshofs betrachtet, wobei ihr in der Zeit bis zur Schaffung des B-VG 1920 tatsächlich keine Bedeutung zukam, da es in dieser Zeit zu keinem einzigen solchen Gesetzesprüfungsverfahren kam.<ref name="Walter: Kelsen als Verfassungsrichter FN14_16">{{Literatur |Autor=[[Robert Walter (Jurist)|Robert Walter]] |Titel=Hans Kelsen als Verfassungsrichter |Reihe=Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts |BandReihe=27 |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=2005 |ISBN=3-214-07673-6 |Seiten=4 |Fundstelle=Fußnoten 14 & 16}}</ref> Zu einer weiteren Kompetenzerweiterung kam es nur wenige Wochen später, am 3. April 1919, mit einem Gesetz, das die Aufgaben der Staatsgerichtsbarkeit (also insbesondere die Entscheidung über Anklagen von Ministern) an den Verfassungsgerichtshof übertrug. Mit demselben Gesetz wurde auch die Mitgliederzahl wieder auf 14 angehoben und damit dem Stand des ehemaligen Reichsgerichts angeglichen.<ref>{{ANNO|sgb|00|00|1919|591|NAME=Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich|StGBl. 212/1919 Gesetz vom 3. April 1919, womit die Aufgabe des ehemaligen Staatsgerichtshofes auf den Deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshof übertragen &#91;... &#93; wird|anno-plus=ja}}</ref> Bereits kurz zuvor, nämlich am 30. März 1919 verstarb das Mitglied des Verfassungsgerichtshofs [[Edmund Bernatzik]]. Als sein regulärer Nachfolger – und damit nicht bedingt durch die Aufstockung der Mitgliederzahl, die parallel dazu stattfand – wurde am 3. Mai 1919 der von Teilen der Lehre als geistiger „Vater“<ref name="Wiederin: VfGH und Kelsen">{{Literatur |Autor=[[Ewald Wiederin]] |Hrsg=[[Thomas Simon (Jurist)|Thomas Simon]]/Johannes Kalwoda |Titel=Der österreichische Verfassungsgerichtshof als Schöpfung Hans Kelsens und sein Modellcharakter als eigenständiges Verfassungsgericht |Sammelwerk=Schutz der Verfassung. Normen, Institutionen, Höchst und Verfassungsgerichte. Tagung der [[Vereinigung für Verfassungsgeschichte]] in Hofgeismar vom 12. bis 14. März 2012 |Reihe=Beihefte zu „[[Der Staat]]“ |BandReihe=22 |Ort=Berlin |Datum=2014 |Seiten=283–315}}</ref> des Verfassungsgerichtshofs bezeichnete [[Hans Kelsen]] zum Verfassungsrichter ernannt.
Eine wesentliche Erweiterung der Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs erfolgte noch im März 1919. Mit dem ''Gesetz über die Volksvertretung'' wurde in dessen Art. 15 die Möglichkeit geschaffen, dass der Verfassungsgerichtshof auf Antrag der Staatsregierung Gesetzesbeschlüsse der [[Landtag (Österreich)|Landesversammlungen]] auf ihre Verfassungswidrigkeit hin zu prüfen hat.<ref>{{ANNO|sgb|00|00|1919|483|NAME=Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich|StGBl. 179/1919 Gesetz vom 14. März 1919 über die Volksvertretung|anno-plus=ja}}</ref> Diese Bestimmung wird heute überwiegend als Beginn der Gesetzesprüfungskompetenz des Verfassungsgerichtshofs betrachtet, wobei ihr in der Zeit bis zur Schaffung des B-VG 1920 tatsächlich keine Bedeutung zukam, da es in dieser Zeit zu keinem einzigen solchen Gesetzesprüfungsverfahren kam.<ref name="Walter: Kelsen als Verfassungsrichter FN14_16">{{Literatur |Autor=[[Robert Walter (Jurist)|Robert Walter]] |Titel=Hans Kelsen als Verfassungsrichter |Reihe=Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts |BandReihe=27 |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=2005 |ISBN=3-214-07673-6 |Seiten=4 |Fundstelle=Fußnoten 14 & 16}}</ref>
Zu einer weiteren Kompetenzerweiterung kam es nur wenige Wochen später, am 3.&nbsp;April 1919, mit einem Gesetz, das die Aufgaben der Staatsgerichtsbarkeit (also insbesondere die Entscheidung über Anklagen von Ministern) an den Verfassungsgerichtshof übertrug. Mit demselben Gesetz wurde auch die Mitgliederzahl wieder auf 14 angehoben und damit dem Stand des ehemaligen Reichsgerichts angeglichen.<ref>{{ANNO|sgb|00|00|1919|591|NAME=Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich|StGBl. 212/1919 Gesetz vom 3. April 1919, womit die Aufgabe des ehemaligen Staatsgerichtshofes auf den Deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshof übertragen &#91;... &#93; wird|anno-plus=ja}}</ref> Bereits kurz zuvor, nämlich am 30.&nbsp;März 1919 verstarb das Mitglied des Verfassungsgerichtshofs [[Edmund Bernatzik]]. Als sein regulärer Nachfolger – und damit nicht bedingt durch die Aufstockung der Mitgliederzahl, die parallel dazu stattfand – wurde am 3. Mai 1919 der von Teilen der Lehre als geistiger „Vater“<ref name="Wiederin: VfGH und Kelsen">{{Literatur |Autor=[[Ewald Wiederin]] |Hrsg=[[Thomas Simon (Jurist)|Thomas Simon]]/Johannes Kalwoda |Titel=Der österreichische Verfassungsgerichtshof als Schöpfung Hans Kelsens und sein Modellcharakter als eigenständiges Verfassungsgericht |Sammelwerk=Schutz der Verfassung. Normen, Institutionen, Höchst und Verfassungsgerichte. Tagung der [[Vereinigung für Verfassungsgeschichte]] in Hofgeismar vom 12. bis 14. März 2012 |Reihe=Beihefte zu „[[Der Staat]]“ |BandReihe=22 |Ort=Berlin |Datum=2014 |Seiten=283–315}}</ref> des Verfassungsgerichtshofs bezeichnete [[Hans Kelsen]] zum Verfassungsrichter ernannt.


Der [[Vertrag von Saint-Germain|Staatsvertrag von Saint-Germain]] bedingte eine gesamtstaatliche Namensänderung: Der Staat trug nicht mehr den Namen „Deutschösterreich“, sondern nur noch „Österreich“. Dies hatte insofern Auswirkung auf den Verfassungsgerichtshof, als dieser ab 21. Juli 1920 als Verfassungsgerichtshof der Republik Österreich bezeichnet wurde.
Der [[Vertrag von Saint-Germain|Staatsvertrag von Saint-Germain]] bedingte eine gesamtstaatliche Namensänderung: Der Staat trug nicht mehr den Namen „Deutschösterreich“, sondern nur noch „Österreich“. Dies hatte insofern Auswirkung auf den Verfassungsgerichtshof, als dieser ab 21.&nbsp;Juli 1920 als Verfassungsgerichtshof der Republik Österreich bezeichnet wurde.


==== Der Verfassungsgerichtshof nach dem B-VG 1920 ====
==== Der Verfassungsgerichtshof nach dem B-VG 1920 ====
Das Jahr 1920 brachte der jungen Republik Österreich eine verfassungsrechtliche Zäsur: Nachdem die Konstituierende Nationalversammlung monatelang diskutiert und verhandelt hatte, wurde schließlich in ihrer letzten Sitzung am 1. Oktober 1920 mit dem [[Bundes-Verfassungsgesetz]] der zentrale Verfassungsakt der österreichischen Bundesverfassung beschlossen, die mit dem Tag der ersten Sitzung des darin neu geschaffenen [[Nationalrat (Österreich)|Nationalrats]] am 10. November 1920 in Kraft trat.<ref name="Heller: B-VG 1920">{{Literatur |Autor=[[Kurt Heller (Jurist)|Kurt Heller]] |Titel=Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2010 |ISBN=978-3-7046-5495-3 |Kapitel=Kapitel: ''Die Verhandlung und Beschlussfassung in der Konstituierenden Nationalversammlung'' |Seiten=178}}</ref> Diese Verfassung ging auf Entwürfe Hans Kelsens sowie Textbeiträge des damaligen Staatskanzlers [[Karl Renner]] sowie des späteren Bundeskanzlers und Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs [[Michael Mayr]] zurück. Sie stellt bis heute den zentralen Bestandteil des österreichischen Verfassungsrechts dar und enthielt zum Zeitpunkt ihrer ursprünglichen Beschlussfassung in den Artikeln 137 bis 148 die wesentlichen Bestimmungen zur Einrichtung, Organisation und Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs.<ref>{{ANNO|bgb|00|00|1920|15|NAME=Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich|BGBl. 1/1920 Gesetz vom 1. Oktober 1920, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (B-VG)|anno-plus=ja}}</ref>
Das Jahr 1920 brachte der jungen Republik Österreich eine verfassungsrechtliche Zäsur: Nachdem die Konstituierende Nationalversammlung monatelang diskutiert und verhandelt hatte, wurde schließlich in ihrer letzten Sitzung am 1.&nbsp;Oktober 1920 mit dem [[Bundes-Verfassungsgesetz]] der zentrale Verfassungsakt der österreichischen Bundesverfassung beschlossen, die mit dem Tag der ersten Sitzung des darin neu geschaffenen [[Nationalrat (Österreich)|Nationalrats]] am 10.&nbsp;November 1920 in Kraft trat.<ref name="Heller: B-VG 1920">{{Literatur |Autor=[[Kurt Heller (Jurist)|Kurt Heller]] |Titel=Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2010 |ISBN=978-3-7046-5495-3 |Kapitel=Kapitel: ''Die Verhandlung und Beschlussfassung in der Konstituierenden Nationalversammlung'' |Seiten=178}}</ref>
Diese Verfassung ging auf Entwürfe Hans Kelsens sowie Textbeiträge des damaligen Staatskanzlers [[Karl Renner]] sowie des späteren Bundeskanzlers und Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs [[Michael Mayr]] zurück. Sie stellt bis heute den zentralen Bestandteil des österreichischen Verfassungsrechts dar und enthielt zum Zeitpunkt ihrer ursprünglichen Beschlussfassung in den Artikeln 137 bis 148 die wesentlichen Bestimmungen zur Einrichtung, Organisation und Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs.<ref>{{ANNO|bgb|00|00|1920|15|NAME=Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich|BGBl. 1/1920 Gesetz vom 1. Oktober 1920, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (B-VG)|anno-plus=ja}}</ref>


Im Zuge der Einführung des B-VG wurden auch die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs zum einen auf eine verfassungsrechtliche Grundlage gestellt und zum anderen erheblich ausgeweitet. Neben der schon bislang bestehenden Kompetenz-, Kausal-, Wahl- und Staatsgerichtsbarkeit erhielt der Verfassungsgerichtshof insbesondere auch erweiterte Normenkontrollbefugnisse (also die Berechtigung, Verordnungen und Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen) sowie die Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit (die Möglichkeit, über Beschwerden wegen Verletzung verfassungsmäßig gewährleisteter Rechte durch Entscheidung oder Verfügung von Verwaltungsbehörden zu entscheiden).<ref name="Walter: Kelsen als Verfassungsrichter: Errichtung des VfGH">{{Literatur |Autor=[[Robert Walter (Jurist)|Robert Walter]] |Titel=Hans Kelsen als Verfassungsrichter |Reihe=Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts |BandReihe=27 |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=2005 |ISBN=3-214-07673-6 |Kapitel=Kapitel ''Die Errichtung des Verfassungsgerichtshofes'' |Seiten=21–22}}</ref> Daneben mussten auch die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs – es blieb bei 14 Mitgliedern – erneut nach den nunmehr neu geschaffenen Besetzungsbestimmungen des Art. 147 B-VG bestellt werden. Dies erfolgte durch die Wahl der Mitglieder im National- bzw. Bundesrat am 15. bzw. 20. Juli 1921. Ein zusätzliches Vorschlagsrecht der [[Bundesregierung (Österreich)|Bundesregierung]], wie dies heute der Fall ist, kannte die ursprüngliche Fassung des Art. 147 nicht.<ref name="Walter: Kelsen als Verfassungsrichter: Errichtung des VfGH" /> Ganz im Gegensatz zu den späteren Bestellungen war es 1921 üblich, dass aktive Politiker, teilweise sogar ohne juristische Vorbildung, aus parteipolitischem Kalkül zu Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofs bestellt wurden.
Im Zuge der Einführung des B-VG wurden auch die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs zum einen auf eine verfassungsrechtliche Grundlage gestellt und zum anderen erheblich ausgeweitet. Neben der schon bislang bestehenden Kompetenz-, Kausal-, Wahl- und Staatsgerichtsbarkeit erhielt der Verfassungsgerichtshof insbesondere auch erweiterte Normenkontrollbefugnisse (also die Berechtigung, Verordnungen und Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen) sowie die Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit (die Möglichkeit, über Beschwerden wegen Verletzung verfassungsmäßig gewährleisteter Rechte durch Entscheidung oder Verfügung von Verwaltungsbehörden zu entscheiden).<ref name="Walter: Kelsen als Verfassungsrichter: Errichtung des VfGH">{{Literatur |Autor=[[Robert Walter (Jurist)|Robert Walter]] |Titel=Hans Kelsen als Verfassungsrichter |Reihe=Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts |BandReihe=27 |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=2005 |ISBN=3-214-07673-6 |Kapitel=Kapitel ''Die Errichtung des Verfassungsgerichtshofes'' |Seiten=21–22}}</ref> Daneben mussten auch die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs – es blieb bei 14 Mitgliedern – erneut nach den nunmehr neu geschaffenen Besetzungsbestimmungen des Art. 147 B-VG bestellt werden. Dies erfolgte durch die Wahl der Mitglieder im National- bzw. Bundesrat am 15. bzw. 20.&nbsp;Juli 1921. Ein zusätzliches Vorschlagsrecht der [[Bundesregierung (Österreich)|Bundesregierung]], wie dies heute der Fall ist, kannte die ursprüngliche Fassung des Art.&nbsp;147 nicht.<ref name="Walter: Kelsen als Verfassungsrichter: Errichtung des VfGH" /> Ganz im Gegensatz zu den späteren Bestellungen war es 1921 üblich, dass aktive Politiker, teilweise sogar ohne juristische Vorbildung, aus parteipolitischem Kalkül zu Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofs bestellt wurden.


Seine ersten Erkenntnisse nach der Erlassung des B-VG fällte der Verfassungsgerichtshof am 14. Dezember 1920, wobei erst am 11. Oktober 1921, nach den Neubestellungen, die ersten Erkenntnisse durch die neue Besetzung gefällt wurden.<ref name="Walter: Kelsen als Verfassungsrichter: Errichtung des VfGH" /> Den Sitz hatte der Verfassungsgerichtshof zunächst weiter im Gebäude des ehemaligen Reichsgerichts („Schillerhof“) am Wiener [[Schillerplatz (Wien)|Schillerplatz]], ehe er im Mai 1923 aus Einsparungsgründen infolge der [[Genfer Protokolle]] ins [[Parlamentsgebäude (Wien)|Parlamentsgebäude]] übersiedeln musste.<ref name="Heller: Unterbringung des VfGH">{{Literatur |Autor=[[Kurt Heller (Jurist)|Kurt Heller]] |Titel=Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2010 |ISBN=978-3-7046-5495-3 |Kapitel=Kapitel: ''Die Unterbringung des Verfassungsgerichtshofes und seine Bibliothek'' |Seiten=185–186}}</ref>
Seine ersten Erkenntnisse nach der Erlassung des B-VG fällte der Verfassungsgerichtshof am 14.&nbsp;Dezember 1920, wobei erst am 11. Oktober 1921, nach den Neubestellungen, die ersten Erkenntnisse durch die neue Besetzung gefällt wurden.<ref name="Walter: Kelsen als Verfassungsrichter: Errichtung des VfGH" /> Den Sitz hatte der Verfassungsgerichtshof zunächst weiter im Gebäude des ehemaligen Reichsgerichts („Schillerhof“) am Wiener [[Schillerplatz (Wien)|Schillerplatz]], ehe er im Mai 1923 aus Einsparungsgründen infolge der [[Genfer Protokolle]] ins [[Parlamentsgebäude (Wien)|Parlamentsgebäude]] übersiedeln musste.<ref name="Heller: Unterbringung des VfGH">{{Literatur |Autor=[[Kurt Heller (Jurist)|Kurt Heller]] |Titel=Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2010 |ISBN=978-3-7046-5495-3 |Kapitel=Kapitel: ''Die Unterbringung des Verfassungsgerichtshofes und seine Bibliothek'' |Seiten=185–186}}</ref>


Eine weitere organisatorische Veränderung erfuhr der Verfassungsgerichtshof im Jahr 1921, als das ''Verfassungsgerichtshofgesetz'' erlassen wurde. Bis dahin hatte es kein eigenes Organisations- und Verfahrensrecht für den Gerichtshof gegeben, weshalb das ''{{"|Gesetz betreffend die Organisation des Reichsgerichtes, das Verfahren vor dem selben und die Vollziehung seiner Erkenntnisse}}'' aus dem Jahr 1869 ersatzweise herangezogen wurde. Das ''Bundesgesetz über die Organisation und über das Verfahren des Verfassungsgerichtshofes''<ref>{{ANNO|bgb|00|00|1921|1353|NAME=Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich|BGBl. 364/1921 Bundesgesetz vom 13. Juli 1921 über die Organisation und über das Verfahren des Verfassungsgerichtshofes|anno-plus=ja}}</ref> vom 13. Juli 1921 änderte diesen Zustand und bewirkte gleichzeitig einige organisatorische Neuerungen. Zu den wichtigsten davon gehören die Festlegung der Zahl der Mitglieder des Gerichtshofs (14, wie bereits beim Reichsgericht, aber sechs statt vier Ersatzmitglieder) sowie erstmals eine Unvereinbarkeitsbestimmung für die Richter des Verfassungsgerichtshofs. Auch die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs wurden im selben Zuge erweitert: Er war nunmehr auch zuständig, über Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern zu entscheiden.<ref name="Heller: VfGG 1921">{{Literatur |Autor=[[Kurt Heller (Jurist)|Kurt Heller]] |Titel=Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2010 |ISBN=978-3-7046-5495-3 |Kapitel=Kapitel: ''Das Verfassungsgerichtshofgesetz 1921'' |Seiten=192–194}}</ref>
Eine weitere organisatorische Veränderung erfuhr der Verfassungsgerichtshof im Jahr 1921, als das ''Verfassungsgerichtshofgesetz'' erlassen wurde. Bis dahin hatte es kein eigenes Organisations- und Verfahrensrecht für den Gerichtshof gegeben, weshalb das ''{{"|Gesetz betreffend die Organisation des Reichsgerichtes, das Verfahren vor dem selben und die Vollziehung seiner Erkenntnisse}}'' aus dem Jahr 1869 ersatzweise herangezogen wurde. Das ''Bundesgesetz über die Organisation und über das Verfahren des Verfassungsgerichtshofes''<ref>{{ANNO|bgb|00|00|1921|1353|NAME=Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich|BGBl. 364/1921 Bundesgesetz vom 13. Juli 1921 über die Organisation und über das Verfahren des Verfassungsgerichtshofes|anno-plus=ja}}</ref> vom 13.&nbsp;Juli 1921 änderte diesen Zustand und bewirkte gleichzeitig einige organisatorische Neuerungen. Zu den wichtigsten davon gehören die Festlegung der Zahl der Mitglieder des Gerichtshofs (14, wie bereits beim Reichsgericht, aber sechs statt vier Ersatzmitglieder) sowie erstmals eine Unvereinbarkeitsbestimmung für die Richter des Verfassungsgerichtshofs. Auch die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs wurden im selben Zuge erweitert: Er war nunmehr auch zuständig, über Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern zu entscheiden.<ref name="Heller: VfGG 1921">{{Literatur |Autor=[[Kurt Heller (Jurist)|Kurt Heller]] |Titel=Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2010 |ISBN=978-3-7046-5495-3 |Kapitel=Kapitel: ''Das Verfassungsgerichtshofgesetz 1921'' |Seiten=192–194}}</ref>


==== Die „Entpolitisierung“ des Verfassungsgerichtshofs 1930 ====
==== Die Entpolitisierung des Verfassungsgerichtshofs 1930 ====
Die Novelle des Bundes-Verfassungsgesetzes von 1929 führte zu einer tiefgreifenden Veränderung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs. Bereits nach der [[Nationalratswahl in Österreich 1920|Nationalratswahl 1920]] hatte sich unter Führung der [[Christlichsoziale Partei (Österreich)|Christlichsozialen Partei]] eine so genannte „Bürgerblockregierung“ gebildet (siehe [[Bundesregierung Mayr II]]), die, bei der [[Nationalratswahl in Österreich 1927|Nationalratswahl 1927]] als Einheitsliste angetreten, gemeinsam mit dem [[Landbund (Österreich)|Landbund]] über eine Mehrheit im Nationalrat verfügte. Diese Parlamentsmehrheit strebte nunmehr eine Novelle des Bundes-Verfassungsgesetzes an, um eine „Entpolitisierung“ des VfGH zu bewerkstelligen, nachdem diesem zuvor zahlreiche aktive Politiker und parteinahe Personen angehört hatten. Wesentlichstes Ziel der Novelle war aber primär eine Stärkung der Stellung des [[Bundespräsident (Österreich)|Bundespräsidenten]] gegenüber dem Parlament.<ref name="Heller: Novelle 1929">{{Literatur |Autor=[[Kurt Heller (Jurist)|Kurt Heller]] |Titel=Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2010 |ISBN=978-3-7046-5495-3 |Kapitel=Kapitel: ''Die B-VG-Novelle 1929'' |Seiten=198–208}}</ref><ref name="Berchtold: Reform 1929">{{Literatur |Hrsg=Klaus Berchtold |Titel=Die Verfassungsreform von 1929. Dokumente und Materialien zur Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle von 1929 |Reihe=Österreichische Schriftenreihe für Rechts- und Politikwissenschaft |BandReihe=Bände 3/1, 3/2 |Verlag=[[Wilhelm Braumüller Universitäts-Verlagsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=1979}}</ref> Daher wurden auch als zentrales Element der Reform die Bestimmungen über die Bestellung der Verfassungsrichter abgeändert: Nicht mehr der [[Nationalrat (Österreich)|Nationalrat]], sondern der Bundespräsident sollte die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs ernennen. Hierzu hatten die Bundesregierung, der Nationalrat und der [[Bundesrat (Österreich)|Bundesrat]] jeweils Vorschläge zu erstatten, die beiden Letztgenannten in Form von Dreiervorschlägen, aus denen der Bundespräsident einen Kandidaten auswählen konnte.
Die Novelle des Bundes-Verfassungsgesetzes von 1929 führte zu einer tiefgreifenden Veränderung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs. Bereits nach der [[Nationalratswahl in Österreich 1920|Nationalratswahl 1920]] hatte sich unter Führung der [[Christlichsoziale Partei (Österreich)|Christlichsozialen Partei]] eine „Bürgerblockregierung“ gebildet (siehe [[Bundesregierung Mayr II]]), die, bei der [[Nationalratswahl in Österreich 1927|Nationalratswahl 1927]] als Einheitsliste angetreten, gemeinsam mit dem [[Landbund (Österreich)|Landbund]] über eine Mehrheit im Nationalrat verfügte. Diese Parlamentsmehrheit strebte nunmehr eine Novelle des Bundes-Verfassungsgesetzes an, um eine Entpolitisierung des VfGH zu bewerkstelligen, nachdem diesem zuvor zahlreiche aktive Politiker und parteinahe Personen angehört hatten. Wesentlichstes Ziel der Novelle war aber primär eine Stärkung der Stellung des [[Bundespräsident (Österreich)|Bundespräsidenten]] gegenüber dem Parlament.<ref name="Heller: Novelle 1929">{{Literatur |Autor=[[Kurt Heller (Jurist)|Kurt Heller]] |Titel=Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2010 |ISBN=978-3-7046-5495-3 |Kapitel=Kapitel: ''Die B-VG-Novelle 1929'' |Seiten=198–208}}</ref><ref name="Berchtold: Reform 1929">{{Literatur |Hrsg=Klaus Berchtold |Titel=Die Verfassungsreform von 1929. Dokumente und Materialien zur Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle von 1929 |Reihe=Österreichische Schriftenreihe für Rechts- und Politikwissenschaft |BandReihe=Bände 3/1, 3/2 |Verlag=[[Wilhelm Braumüller Universitäts-Verlagsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=1979}}</ref> Daher wurden auch als zentrales Element der Reform die Bestimmungen über die Bestellung der Verfassungsrichter abgeändert: Nicht mehr der [[Nationalrat (Österreich)|Nationalrat]], sondern der Bundespräsident sollte die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs ernennen. Hierzu hatten die Bundesregierung, der Nationalrat und der [[Bundesrat (Österreich)|Bundesrat]] jeweils Vorschläge zu erstatten, die beiden Letztgenannten in Form von Dreiervorschlägen, aus denen der Bundespräsident einen Kandidaten auswählen konnte.


Weiters wurden die Unvereinbarkeitsregeln des VfGG sowie die Zahl der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs nunmehr im Bundes-Verfassungsgesetz verankert. Zugleich wurde, wie bereits angedeutet, die „Entpolitisierung“ des Gerichtshofs angestrebt, indem die Vollendung des [[Juristenausbildung in Österreich|Rechts- und Staatswissenschaftlichen Studiums]] ebenso zur Voraussetzung für die Ernennung gemacht wurde wie eine zehnjährige Ausübung eines juristischen Berufs. Waren die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs bis dahin auf Lebenszeit gewählt worden, bestimmte die Novelle nunmehr, dass ihre Amtszeit mit Ablauf des Jahres enden sollte, in dem sie ihr 70. Lebensjahr vollendeten, – auch diese Regelung hat bis heute Bestand. Der von manchen Autoren als „Schönheitsfehler“<ref name="Heller: Novelle 1929" /> der Reform von 1929 bezeichnete Punkt der Novelle bestand darin, dass, wie einige Autoren anmerken, die „Entpolitisierung“ eher eine „Umpolitisierung“ war:<ref name="Merkl: Entpolitisierter VfGH">{{Literatur |Autor=[[Adolf Julius Merkl]] |Titel=Der „entpolitisierte“ Verfassungsgerichtshof. |Sammelwerk=Der österreichische Volkswirt |Ort=Wien |Datum=1930}}</ref> Durch §&nbsp;25 des Verfassungs-Übergangsgesetzes 1929 verloren nämlich alle zu diesem Zeitpunkt im Verfassungsgerichtshof tätigen Richter ihr Amt zum 15. Februar 1930 und mussten nach den neuen Bestellungsregeln neu bestellt werden. Dass dies nicht bei allen Mitgliedern geschah und beispielsweise Hans Kelsen sein Amt dadurch verlor, macht deutlich, dass hauptsächlich der parteipolitischen Linie der Regierung entsprechende Mitglieder wiederbestellt wurden. Kelsen saß bis dahin als „Experte“ im Verfassungsgerichtshof und hatte sich dort als Referent bei umstrittenen Erkenntnissen (z.&nbsp;B. [[Sever-Ehe]]) bei der Regierung unbeliebt gemacht. Er hätte ein Angebot des damaligen Wiener Bürgermeisters [[Karl Seitz]] annehmen können, der vorschlug, ihn vonseiten der Sozialdemokraten zu nominieren, lehnte dies aber ab, da er nicht parteipolitisch nominiert werden wollte.<ref name="Walter: Kelsen als Verfassungsrichter: Ende des Amts">{{Literatur |Autor=[[Robert Walter (Jurist)|Robert Walter]] |Titel=Hans Kelsen als Verfassungsrichter |Reihe=Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts |BandReihe=27 |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=2005 |ISBN=3-214-07673-6 |Kapitel=Kapitel ''Die Bestellung Kelsens zum Mitglied des Verfassungsgerichtshofes; Ende seines Amtes'' |Seiten=25}}</ref> Auch Präsident [[Paul Vittorelli|Vittorelli]] und Vizepräsident [[Adolf Menzel|Menzel]] verloren am 15. Februar 1930 ihre Ämter als Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs.<ref name="Merkl: Entpolitisierter VfGH" />
Weiters wurden die Unvereinbarkeitsregeln des VfGG sowie die Zahl der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs nunmehr im Bundes-Verfassungsgesetz verankert. Zugleich wurde, wie bereits angedeutet, die Entpolitisierung des Gerichtshofs angestrebt, indem die Vollendung des [[Juristenausbildung in Österreich|Rechts- und Staatswissenschaftlichen Studiums]] ebenso zur Voraussetzung für die Ernennung gemacht wurde wie eine zehnjährige Ausübung eines juristischen Berufs. Waren die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs bis dahin auf Lebenszeit gewählt worden, bestimmte die Novelle nunmehr, dass ihre Amtszeit mit Ablauf des Jahres enden sollte, in dem sie ihr 70. Lebensjahr vollendeten, – auch diese Regelung hat bis heute Bestand. Der von manchen Autoren als „Schönheitsfehler“<ref name="Heller: Novelle 1929" /> der Reform von 1929 bezeichnete Punkt der Novelle bestand darin, dass, wie einige Autoren anmerken, die „Entpolitisierung“ eher eine „Umpolitisierung“ war:<ref name="Merkl: Entpolitisierter VfGH">{{Literatur |Autor=[[Adolf Julius Merkl]] |Titel=Der „entpolitisierte“ Verfassungsgerichtshof. |Sammelwerk=Der österreichische Volkswirt |Ort=Wien |Datum=1930}}</ref> Durch §&nbsp;25 des Verfassungs-Übergangsgesetzes 1929 verloren nämlich alle zu diesem Zeitpunkt im Verfassungsgerichtshof tätigen Richter ihr Amt zum 15. Februar 1930 und mussten nach den neuen Bestellungsregeln neu bestellt werden.
Dass dies nicht bei allen Mitgliedern geschah und beispielsweise Hans Kelsen sein Amt dadurch verlor, macht deutlich, dass hauptsächlich der parteipolitischen Linie der Regierung entsprechende Mitglieder wiederbestellt wurden. Kelsen saß bis dahin als „Experte“ im Verfassungsgerichtshof und hatte sich dort als Referent bei umstrittenen Erkenntnissen (z.&nbsp;B. [[Sever-Ehe]]) bei der Regierung unbeliebt gemacht. Er hätte ein Angebot des damaligen Wiener Bürgermeisters [[Karl Seitz]] annehmen können, der vorschlug, ihn vonseiten der Sozialdemokraten zu nominieren, lehnte dies aber ab, da er nicht parteipolitisch nominiert werden wollte.<ref name="Walter: Kelsen als Verfassungsrichter: Ende des Amts">{{Literatur |Autor=[[Robert Walter (Jurist)|Robert Walter]] |Titel=Hans Kelsen als Verfassungsrichter |Reihe=Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts |BandReihe=27 |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=2005 |ISBN=3-214-07673-6 |Kapitel=Kapitel ''Die Bestellung Kelsens zum Mitglied des Verfassungsgerichtshofes; Ende seines Amtes'' |Seiten=25}}</ref> Auch Präsident [[Paul Vittorelli|Vittorelli]] und Vizepräsident [[Adolf Menzel|Menzel]] verloren am 15. Februar 1930 ihre Ämter als Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs.<ref name="Merkl: Entpolitisierter VfGH" />


==== Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs 1933 ====
==== Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs 1933/34 ====
[[Datei:EngelbertDollfußEnEscritorio.jpg|mini|Bundeskanzler [[Engelbert Dollfuß]] schaltete 1933 mit seiner Regierung den VfGH aus]]
[[Datei:EngelbertDollfußEnEscritorio.jpg|mini|Bundeskanzler [[Engelbert Dollfuß]] schaltete 1933 mit seiner Regierung den VfGH aus]]
Die politische Entwicklung der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts war in der Folge geprägt von einer Zuspitzung und Polarisierung zwischen den konservativen Regierungsparteien und der oppositionellen Sozialdemokratie. All dies kulminierte schließlich in der Nationalratssitzung am 4. März 1933, als alle drei Präsidenten des Nationalrats zurücktraten. Bundeskanzler [[Engelbert Dollfuß]] nahm dieses Ereignis zum Anlass, von der „[[Selbstausschaltung des Parlaments]]“ und daraus resultierend dessen Funktionsunfähigkeit auszugehen. In weiterer Folge wurde eine für 15. März einberufene Nationalratssitzung mithilfe der Polizei, die das Parlamentsgebäude umstellte und Abgeordneten den Zugang verwehrte, verhindert.<ref name="Berchtold: Verfassungsgeschichte">{{Literatur |Autor=Klaus Berchtold |Titel=Verfassungsgeschichte der Republik Österreich. Band I: 1918–1933 |Verlag=[[Springer Science+Business Media|Springer-Verlag]] |Ort=Wien |Datum=1998 |ISBN=978-3-211-83188-5 |Seiten=712}}</ref>


Die politische Entwicklung der 30er-Jahre des 20.&nbsp;Jahrhunderts war in der Folge geprägt von einer Zuspitzung und Polarisierung zwischen den konservativen Regierungsparteien und der oppositionellen Sozialdemokratie. All dies kulminierte schließlich in der Nationalratssitzung am 4.&nbsp;März 1933, als alle drei Präsidenten des Nationalrats zurücktraten. Bundeskanzler [[Engelbert Dollfuß]] nahm dieses Ereignis zum Anlass, von der „[[Selbstausschaltung des Parlaments]]“ und daraus resultierend dessen Funktionsunfähigkeit auszugehen. In weiterer Folge wurde eine für 15.&nbsp;März einberufene Nationalratssitzung mithilfe der Polizei, die das Parlamentsgebäude umstellte und Abgeordneten den Zugang verwehrte, verhindert.<ref name="Berchtold: Verfassungsgeschichte">{{Literatur |Autor=Klaus Berchtold |Titel=Verfassungsgeschichte der Republik Österreich. Band I: 1918–1933 |Verlag=[[Springer Science+Business Media|Springer-Verlag]] |Ort=Wien |Datum=1998 |ISBN=978-3-211-83188-5 |Seiten=712}}</ref>
Die [[Bundesregierung Dollfuß I]] erließ in der Folge auf der Grundlage des [[Kriegswirtschaftliches Ermächtigungsgesetz|Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes]] von 1917 generelle Normen in Form von (Not-)Verordnungen. Bereits bis zum 30. Mai 1933 langten beim Verfassungsgerichtshof insgesamt 38 Anträge auf Prüfung von solchen Verordnungen ein, zum Jahresende 1933 hatte allein die [[Wiener Stadtsenat und Wiener Landesregierung|Wiener Landesregierung]] [[Landesregierung und Stadtsenat Seitz III|Seitz III]] 82 solche Anträge eingebracht. Der Verfassungsgerichtshof leitete schließlich auch von Amts wegen ein Prüfungsverfahren ein, was die Regierung befürchten ließ, der Gerichtshof würde ihrer Praxis der Gesetzgebung durch Verordnungen demnächst ein Ende setzen.<ref name="Zavadil: Ausschaltung">{{Literatur |Autor=Thomas Zavadil |Titel=Die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs 1933 |Ort=Wien |Datum=1997 |Kommentar=Geisteswissenschaftliche Diplomarbeit an der Universität Wien}}</ref> Nachdem das Verfahren über sieben dieser Fälle bereits eingeleitet und die Bundesregierung zur Erstattung von Gegenschriften aufgefordert worden war, war Eile geboten. In einer Ministerratssitzung am 28. April 1933 wurde daher von der Regierung das weitere Vorgehen besprochen, wobei ein Vorschlag des VfGH-Ersatzmitglieds [[Robert Hecht]] aufgegriffen wurde: Die regierungsnahen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs sollten geschlossen zurücktreten, sodass die für die Beschlussfassung im Gerichtshof erforderliche Anwesenheit nicht mehr erreicht werden konnte.<ref name="Zavadil: Ausschaltung" /><ref name="Huemer: Robert Hecht">{{Literatur |Autor=[[Peter Huemer (Journalist)|Peter Huemer]] |Titel=Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich |Verlag=Verlag für Geschichte und Politik |Ort=Wien |Datum=1975 |ISBN=3-7028-0084-0 |Kapitel=Kapitel: ''Die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofes'' |Seiten=178–192}}</ref>


Die [[Bundesregierung Dollfuß I]] erließ in der Folge auf der Grundlage des [[Kriegswirtschaftliches Ermächtigungsgesetz|Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes]] von 1917 generelle Normen in Form von (Not-)Verordnungen. Bereits bis zum 30.&nbsp;Mai 1933 langten beim Verfassungsgerichtshof insgesamt 38 Anträge auf Prüfung von solchen Verordnungen ein, zum Jahresende 1933 hatte allein die [[Wiener Stadtsenat und Wiener Landesregierung|Wiener Landesregierung]] [[Landesregierung und Stadtsenat Seitz III|Seitz III]] 82 solche Anträge eingebracht. Der Verfassungsgerichtshof leitete schließlich auch von Amts wegen ein Prüfungsverfahren ein, was die Regierung befürchten ließ, der Gerichtshof würde ihrer Praxis der Gesetzgebung durch Verordnungen demnächst ein Ende setzen.<ref name="Zavadil: Ausschaltung">{{Literatur |Autor=Thomas Zavadil |Titel=Die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs 1933 |Ort=Wien |Datum=1997 |Kommentar=Geisteswissenschaftliche Diplomarbeit an der Universität Wien}}</ref> Nachdem das Verfahren über sieben dieser Fälle bereits eingeleitet und die Bundesregierung zur Erstattung von Gegenschriften aufgefordert worden war, war Eile geboten.
Die Regierung erließ am 23. Mai 1933 eine gesetzesändernde Verordnung, mit der das Verfassungsgerichtshofgesetz abgeändert wurde, um die vorgeschlagene Vorgehensweise zu erleichtern. So mussten nicht alle Mitglieder zurücktreten, sondern es reichte bereits der Rücktritt einzelner Mitglieder, um weitere Mitglieder von der Verhandlung automatisch auszuschließen.<ref>{{ANNO|bgb|00|00|1933|553|NAME=Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich|BGBl. 191/1933 Verordnung der Bundesregierung vom 23. Mai 1933, betreffend Abänderungen des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1930|anno-plus=ja}}</ref> Als erstes Mitglied des Verfassungsgerichtshofs trat bereits am 18. Mai 1933, also noch einige Tage vor der Änderung des VfGG, [[Adolf Wanschura]] vom Amt zurück, der in einer zeitgleich mit dem Beschluss der oben genannten Verordnung veröffentlichten Erklärung in der [[Reichspost (Zeitung)|''Reichspost'']] seinen Austritt ausführlich begründete.<ref>{{ANNO|rpt|23|05|1933|1|AUTOR=[[Adolf Wanschura]]|Ist die Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofes noch zeitgemäß?}}</ref> In weiterer Folge, insbesondere nachdem Robert Hecht im Auftrag von Dollfuß zugesagt hatte, dass die zurücktretenden Mitglieder auch für den künftig neu zu besetzenden VfGH wieder berücksichtigt würden, traten zwischen 20. und 28. Mai noch sechs weitere Mitglieder des Gerichtshofs von ihren Ämtern zurück (neben Wanschura und Hecht selbst auch [[Ludwig Praxmarer]], [[Friedrich Mathias]], [[Mathias Bernegger]], [[Ernst Ganzwohl]] und [[Adolf Pilz]]).<ref name="Zavadil: Ausschaltung" /> Dadurch war der Verfassungsgerichtshof nicht mehr beschlussfähig, was [[de jure/de facto|de facto]] die Ausschaltung bedeutete.<ref name="Huemer: Robert Hecht" />
In einer Ministerratssitzung am 28.&nbsp;April 1933 wurde daher von der Regierung das weitere Vorgehen besprochen, wobei ein Vorschlag des VfGH-Ersatzmitglieds [[Robert Hecht]] aufgegriffen wurde: Die regierungsnahen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs sollten geschlossen zurücktreten, sodass die für die Beschlussfassung im Gerichtshof erforderliche Anwesenheit nicht mehr erreicht werden konnte.<ref name="Zavadil: Ausschaltung" /><ref name="Huemer: Robert Hecht">{{Literatur |Autor=[[Peter Huemer (Journalist)|Peter Huemer]] |Titel=Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich |Verlag=Verlag für Geschichte und Politik |Ort=Wien |Datum=1975 |ISBN=3-7028-0084-0 |Kapitel=Kapitel: ''Die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofes'' |Seiten=178–192}}</ref>


Die Regierung erließ am 23. Mai 1933 eine gesetzesändernde Verordnung, mit der das Verfassungsgerichtshofgesetz abgeändert wurde, um die vorgeschlagene Vorgehensweise zu erleichtern. So mussten nicht alle Mitglieder zurücktreten, sondern es reichte bereits der Rücktritt einzelner Mitglieder, um weitere Mitglieder von der Verhandlung automatisch auszuschließen.<ref>{{ANNO|bgb|00|00|1933|553|NAME=Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich|BGBl. 191/1933 Verordnung der Bundesregierung vom 23. Mai 1933, betreffend Abänderungen des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1930|anno-plus=ja}}</ref> Als erstes Mitglied des Verfassungsgerichtshofs trat bereits am 18.&nbsp;Mai 1933, also noch einige Tage vor der Änderung des VfGG, [[Adolf Wanschura]] vom Amt zurück, der in einer zeitgleich mit dem Beschluss der oben genannten Verordnung veröffentlichten Erklärung in der [[Reichspost (Zeitung)|''Reichspost'']] seinen Austritt ausführlich begründete.<ref>{{ANNO|rpt|23|05|1933|1|AUTOR=[[Adolf Wanschura]]|Ist die Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofes noch zeitgemäß?}}</ref> In weiterer Folge, insbesondere nachdem Robert Hecht im Auftrag von Dollfuß zugesagt hatte, dass die zurücktretenden Mitglieder auch für den künftig neu zu besetzenden VfGH wieder berücksichtigt würden, traten zwischen 20. und 28.&nbsp;Mai noch sechs weitere Mitglieder des Gerichtshofs von ihren Ämtern zurück (neben Wanschura und Hecht selbst auch [[Ludwig Praxmarer]], [[Friedrich Mathias]], [[Mathias Bernegger]], [[Ernst Ganzwohl]] und [[Adolf Pilz]]).<ref name="Zavadil: Ausschaltung" /> Dadurch war der Verfassungsgerichtshof nicht mehr beschlussfähig, was [[de jure/de facto|de facto]] die Ausschaltung bedeutete.<ref name="Huemer: Robert Hecht" />
Mit der autoritären ständestaatlichen [[Maiverfassung]] von 1934 wurde der Verfassungsgerichtshof schließlich gänzlich abgeschafft, wodurch auch die noch verbliebenen Mitglieder des Gerichtshofs ihr Amt verloren. Gleichzeitig wurde in der von der Bundesregierung durchgesetzten und von einem „Rumpfparlament“ beschlossenen Verfassung der [[Bundesgerichtshof (Österreich)|Bundesgerichtshof]] als Nachfolger sowohl des Verfassungs- als auch des Verwaltungsgerichtshofs geschaffen. Diesem gehörten in der Folge auch einige der ehemaligen VfGH-Mitglieder an, insbesondere in dessen Verfassungssenat.<ref name="Merkl: Verfassung 1934">{{Literatur |Autor=[[Adolf Julius Merkl]] |Titel=Die ständisch-autoritäre Verfassung Österreichs. Ein kritisch-systematischer Grundriß |Verlag=[[Springer Science+Business Media|Springer-Verlag]] |Ort=Wien |Datum=1935}}</ref> Der [[Anschluss Österreichs|„Anschluss“ Österreichs]] an das [[Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistische]] [[Deutsches Reich 1933 bis 1945|Deutsche Reich]] änderte das Wesen des Bundesgerichtshofs maßgeblich. Er verlor alle verfassungsgerichtlichen Kompetenzen und wurde zu einem Verwaltungsgericht, das ab 1940 als „Verwaltungsgerichtshof in Wien“ bezeichnet wurde. 1941 wurde er mit anderen Verwaltungsgerichten organisatorisch zusammengelegt und fungierte in der Folge als Außensenat Wien des [[Reichsverwaltungsgericht]]s.<ref name="Heller: Ende des BGH">{{Literatur |Autor=[[Kurt Heller (Jurist)|Kurt Heller]] |Titel=Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2010 |ISBN=978-3-7046-5495-3 |Kapitel=Kapitel: ''Das Ende des Bundesgerichtshofs'' |Seiten=294–296}}</ref><ref name="Olechowski: Verwaltungsgerichtsbarkei">{{Literatur |Autor=[[Thomas Olechowski]] |Titel=Die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich |Reihe=Österreichische Rechtswissenschaftliche Studien |BandReihe=52 |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=1999 |ISBN=3-214-07952-2 |Kapitel=Kapitel: ''Vom Bundesgerichtshof zum Reichsverwaltungsgericht'' |Seiten=247–249}}</ref>

Mit der autoritären ständestaatlichen [[Maiverfassung]] von 1934 wurde der Verfassungsgerichtshof schließlich gänzlich abgeschafft, wodurch auch die noch verbliebenen Mitglieder des Gerichtshofs ihr Amt verloren. Gleichzeitig wurde in der von der Bundesregierung durchgesetzten und von einem „Rumpfparlament“ beschlossenen Verfassung der [[Bundesgerichtshof (Österreich)|Bundesgerichtshof]] als Nachfolger sowohl des Verfassungs- als auch des Verwaltungsgerichtshofs geschaffen. Diesem gehörten in der Folge auch einige der ehemaligen VfGH-Mitglieder an, insbesondere in dessen Verfassungssenat.<ref name="Merkl: Verfassung 1934">{{Literatur |Autor=[[Adolf Julius Merkl]] |Titel=Die ständisch-autoritäre Verfassung Österreichs. Ein kritisch-systematischer Grundriß |Verlag=[[Springer Science+Business Media|Springer-Verlag]] |Ort=Wien |Datum=1935}}</ref> Der [[Anschluss Österreichs|„Anschluss“ Österreichs]] an das [[Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistische]] [[Deutsches Reich 1933 bis 1945|Deutsche Reich]] änderte das Wesen des Bundesgerichtshofs maßgeblich. Er verlor alle verfassungsgerichtlichen Kompetenzen und wurde zu einem Verwaltungsgericht, das ab 1940 als „Verwaltungsgerichtshof in Wien“ bezeichnet wurde.
1941 wurde er mit anderen Verwaltungsgerichten organisatorisch zusammengelegt und fungierte in der Folge als Außensenat Wien des [[Reichsverwaltungsgericht]]s.<ref name="Heller: Ende des BGH">{{Literatur |Autor=[[Kurt Heller (Jurist)|Kurt Heller]] |Titel=Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2010 |ISBN=978-3-7046-5495-3 |Kapitel=Kapitel: ''Das Ende des Bundesgerichtshofs'' |Seiten=294–296}}</ref><ref name="Olechowski: Verwaltungsgerichtsbarkei">{{Literatur |Autor=[[Thomas Olechowski]] |Titel=Die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich |Reihe=Österreichische Rechtswissenschaftliche Studien |BandReihe=52 |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=1999 |ISBN=3-214-07952-2 |Kapitel=Kapitel: ''Vom Bundesgerichtshof zum Reichsverwaltungsgericht'' |Seiten=247–249}}</ref><ref>{{Literatur |Titel=Die Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich 1919–1939 |Autor=[[Ewald Wiederin]] |Sammelwerk=[[Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs]] |Verlag=Verlag der [[Österreichische Akademie der Wissenschaften|Österreichischen Akademie der Wissenschaften]] |Ort=Wien |Datum=2022 |Band=2 / 2022 |Seiten=276–286 |DOI=10.1553/BRGOE2022-2s276 |Online=[https://www.austriaca.at/0xc1aa5576_0x003dc99a.pdf Online abrufbar] auf ''austriaca.at''}}</ref>


=== Entwicklung des Verfassungsgerichtshofs in der zweiten Republik ===
=== Entwicklung des Verfassungsgerichtshofs in der zweiten Republik ===
==== Der „provisorische“ Verfassungsgerichtshof 1945/1946 ====
==== Der provisorische Verfassungsgerichtshof 1945/1946 ====
Die [[Befreiung vom Nationalsozialismus]] ab Ende März 1945 führte auch zum Wiederaufleben der Republik Österreich und ihrer Institutionen. Nachdem bereits am 23. April zwischen den beiden neu gegründeten großen Parteien, den [[Sozialdemokratische Partei Österreichs|Sozialisten]] und der [[Österreichische Volkspartei|Volkspartei]], das Einvernehmen über die Bildung einer provisorischen Staatsregierung hergestellt wurde, wurde diese am 27. April 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht anerkannt. Noch am selben Tag erließ die neue [[Provisorische Staatsregierung Renner 1945|provisorische Staatsregierung]] unter Staatskanzler [[Karl Renner]] eine Proklamation über die Unabhängigkeit Österreichs. Bereits in seiner sechsten Sitzung am 13. Mai 1945 beschloss der Kabinettsrat das [[Verfassungs-Überleitungsgesetz]], mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 sowie alle weiteren Verfassungsgesetze in ihrem Stand vom 5. März 1933 wieder in Geltung gesetzt wurden. Österreich war damit wieder auf die verfassungsmäßige Grundlage vor der autoritären Maiverfassung von 1934 gestellt worden. Tatsächlich wurde im Verfassungs-Überleitungsgesetz aber bestimmt, dass das B-VG aufgrund der Undurchführbarkeit zu diesem Zeitpunkt erst sechs Monate nach dem Zusammentreten der gewählten Volksvertretung in Kraft treten sollte. (Diese Frist wurde in der Folge stark verkürzt.) Bis dahin galt eine Vorläufige Verfassung.<ref name="Werner: Wiedererstehen Österreichs">{{Literatur |Autor=[[Leopold Werner]] |Titel=Das Wiedererstehen Österreichs als Rechtsproblem |Sammelwerk=[[Juristische Blätter]] 1946 |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=1946 |Seiten=85}}</ref>
Die [[Befreiung vom Nationalsozialismus]] ab Ende März 1945 führte auch zum Wiederaufleben der Republik Österreich und ihrer Institutionen. Nachdem bereits am 23.&nbsp;April zwischen den beiden neu gegründeten großen Parteien, den [[Sozialdemokratische Partei Österreichs|Sozialisten]] und der [[Österreichische Volkspartei|Volkspartei]], das Einvernehmen über die Bildung einer provisorischen Staatsregierung hergestellt wurde, wurde diese am 27.&nbsp;April 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht anerkannt. Noch am selben Tag erließ die neue [[Provisorische Staatsregierung Renner 1945|provisorische Staatsregierung]] unter Staatskanzler [[Karl Renner]] eine Proklamation über die Unabhängigkeit Österreichs.
Bereits in seiner sechsten Sitzung am 13.&nbsp;Mai 1945 beschloss der Kabinettsrat das [[Verfassungs-Überleitungsgesetz]], mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 sowie alle weiteren Verfassungsgesetze in ihrem Stand vom 5.&nbsp;März 1933 wieder in Geltung gesetzt wurden. Österreich war damit wieder auf die verfassungsmäßige Grundlage vor der autoritären Maiverfassung von 1934 gestellt worden. Tatsächlich wurde im Verfassungs-Überleitungsgesetz aber bestimmt, dass das B-VG aufgrund der Undurchführbarkeit zu diesem Zeitpunkt erst sechs Monate nach dem Zusammentreten der gewählten Volksvertretung in Kraft treten sollte. (Diese Frist wurde in der Folge stark verkürzt.) Bis dahin galt eine Vorläufige Verfassung.<ref name="Werner: Wiedererstehen Österreichs">{{Literatur |Autor=[[Leopold Werner]] |Titel=Das Wiedererstehen Österreichs als Rechtsproblem |Sammelwerk=[[Juristische Blätter]] 1946 |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=1946 |Seiten=85}}</ref>


Diese Vorläufige Verfassung sah zunächst keinen Verfassungsgerichtshof vor. Erst mit einem Verfassungsgesetz vom 12. Oktober 1945 wurde in §&nbsp;48a der Vorläufigen Verfassung der Verfassungsgerichtshof wieder eingerichtet, um in Hinblick auf die anstehenden Nationalratswahlen eine ordentliche Kompetenz- und Wahlgerichtsbarkeit zu gewährleisten. Die Kompetenzen dieses „provisorischen“ Verfassungsgerichtshofs wurden aus dem – zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht in Geltung stehenden – Bundes-Verfassungsgesetz 1929 abgeleitet.<ref name="Werner: Wiedererstehen Österreichs" /> Das erste und offenbar einzige Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs auf Grundlage der Vorläufigen Verfassung betraf dann auch eine Wahlanfechtung, und zwar die Anfechtung der [[Landtagswahl in Tirol 1945]].<ref name="Loebenstein: VfGH">{{Literatur |Autor=[[Egon Loebenstein]] |Titel=Der Verfassungsgerichtshof seit seiner Wiedererrichtung im Jahre 1945 |Sammelwerk=[[Österreichische Juristen-Zeitung]] 1950 |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=1950 |Seiten=173}}</ref> Das ebenfalls am 12. Oktober 1945 beschlossene Verfassungsgerichtshofgesetz regelte erneut die Einrichtung und das Verfahren des Verfassungsgerichtshofs. Dem „provisorischen“ Verfassungsgerichtshof gehörten demnach bis zum Inkrafttreten des B-VG nur ein Präsident, ein Vizepräsident und fünf weitere Mitglieder sowie fünf Ersatzmitglieder an. Die Bestellung dieser Mitglieder erfolgte ebenfalls abweichend zum B-VG: Präsident und Vizepräsident waren vom Kabinettsrat (Staatskanzler, alle Staatssekretäre, alle Unterstaatssekretäre), je ein Mitglied und Ersatzmitglied von den beiden anderen Höchstgerichten (OGH und VwGH) sowie je ein Mitglied und Ersatzmitglied von den drei staatstragenden politischen Parteien (ÖVP, SPÖ und KPÖ) zu bestellen.<ref name="Heller: Wiedereinsetzung des VfGH">{{Literatur |Autor=[[Kurt Heller (Jurist)|Kurt Heller]] |Titel=Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2010 |ISBN=978-3-7046-5495-3 |Kapitel=Kapitel: ''Die Wiedereinsetzung des Verfassungsgerichtshofs'' |Seiten=312ff}}</ref>
Diese Vorläufige Verfassung sah zunächst keinen Verfassungsgerichtshof vor. Erst mit einem Verfassungsgesetz vom 12.&nbsp;Oktober 1945 wurde in §&nbsp;48a der Vorläufigen Verfassung der Verfassungsgerichtshof wieder eingerichtet, um in Hinblick auf die anstehenden Nationalratswahlen eine ordentliche Kompetenz- und Wahlgerichtsbarkeit zu gewährleisten. Die Kompetenzen dieses provisorischen Verfassungsgerichtshofs wurden aus dem – zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht in Geltung stehenden – Bundes-Verfassungsgesetz 1929 abgeleitet.<ref name="Werner: Wiedererstehen Österreichs" /> Das erste und offenbar einzige Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs auf Grundlage der Vorläufigen Verfassung betraf dann auch eine Wahlanfechtung, und zwar die Anfechtung der [[Landtagswahl in Tirol 1945]].<ref name="Loebenstein: VfGH">{{Literatur |Autor=[[Egon Loebenstein]] |Titel=Der Verfassungsgerichtshof seit seiner Wiedererrichtung im Jahre 1945 |Sammelwerk=[[Österreichische Juristen-Zeitung]] 1950 |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=1950 |Seiten=173}}</ref>
Das ebenfalls am 12.&nbsp;Oktober 1945 beschlossene Verfassungsgerichtshofgesetz regelte erneut die Einrichtung und das Verfahren des Verfassungsgerichtshofs. Dem provisorischen Verfassungsgerichtshof gehörten demnach bis zum Inkrafttreten des B-VG nur ein Präsident, ein Vizepräsident und fünf weitere Mitglieder sowie fünf Ersatzmitglieder an. Die Bestellung dieser Mitglieder erfolgte ebenfalls abweichend zum B-VG: Präsident und Vizepräsident waren vom Kabinettsrat (Staatskanzler, alle Staatssekretäre, alle Unterstaatssekretäre), je ein Mitglied und Ersatzmitglied von den beiden anderen Höchstgerichten (OGH und VwGH) sowie je ein Mitglied und Ersatzmitglied von den drei staatstragenden politischen Parteien (ÖVP, SPÖ und KPÖ) zu bestellen.<ref name="Heller: Wiedereinsetzung des VfGH">{{Literatur |Autor=[[Kurt Heller (Jurist)|Kurt Heller]] |Titel=Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2010 |ISBN=978-3-7046-5495-3 |Kapitel=Kapitel: ''Die Wiedereinsetzung des Verfassungsgerichtshofs'' |Seiten=312ff}}</ref>


Am 25. November 1945 fand in Österreich die erste [[Nationalratswahl in Österreich 1945|Nationalratswahl]] seit 1933 statt. Der somit neu gewählte Nationalrat kam am 19. Dezember 1945 zu seiner [[Konstituierende Sitzung|konstituierenden Sitzung]] zusammen und beschloss in dieser ein weiteres Verfassungs-Übergangsgesetz, mit dem das B-VG 1929 in Kraft gesetzt und das Verfassungs-Überleitungsgesetz sowie die vorläufige Verfassung des Kabinettsrats außer Geltung gesetzt wurden. Der erste nach den Bestimmungen des B-VG 1929 zusammengesetzte Verfassungsgerichtshof kam in der Folge am 3. Oktober 1946 zu seiner konstituierenden Sitzung unter dem Vorsitz von Präsident [[Ludwig Adamovich senior|Ludwig Adamovich sen.]] zusammen.<ref name="Heller: Wiedereinsetzung des VfGH" />
Am 25. November 1945 fand in Österreich die erste [[Nationalratswahl in Österreich 1945|Nationalratswahl]] seit 1933 statt. Der somit neu gewählte Nationalrat kam am 19.&nbsp;Dezember 1945 zu seiner [[Konstituierende Sitzung|konstituierenden Sitzung]] zusammen und beschloss in dieser ein weiteres Verfassungs-Übergangsgesetz, mit dem das B-VG 1929 in Kraft gesetzt und das Verfassungs-Überleitungsgesetz sowie die vorläufige Verfassung des Kabinettsrats außer Geltung gesetzt wurden. Der erste nach den Bestimmungen des B-VG 1929 zusammengesetzte Verfassungsgerichtshof kam in der Folge am 3.&nbsp;Oktober 1946 zu seiner konstituierenden Sitzung unter dem Vorsitz von Präsident [[Ludwig Adamovich senior|Ludwig Adamovich sen.]] zusammen.<ref name="Heller: Wiedereinsetzung des VfGH" />


==== Entwicklungen nach 1946 ====
==== Entwicklungen nach 1946 ====
[[Datei:Wien - ehemalige Böhmische Hofkanzlei.JPG|mini|Der österreichische Verfassungs&shy;gerichts&shy;hof residierte von 1946 bis 2012 in der ehemaligen [[Böhmische Hofkanzlei|Böhmi&shy;schen Hof&shy;kanzlei]], Wien 1., Judenplatz 11]]
[[Datei:Wien - ehemalige Böhmische Hofkanzlei.JPG|mini|Der österreichische Verfassungs&shy;gerichts&shy;hof residierte von 1946 bis 2012 in der ehemaligen [[Böhmische Hofkanzlei|Böhmi&shy;schen Hof&shy;kanzlei]], Wien 1., Judenplatz 11]]
[[Datei:Blue parlor of the VfGH at Böhmische Hofkanzlei, Vienna.jpg|mini|Beratung der VfGH-Richter im ''Blauen Salon'' der Böhmischen Hofkanzlei im Juni 2003]]
[[Datei:Blue parlor of the VfGH at Böhmische Hofkanzlei, Vienna.jpg|mini|Beratung der VfGH-Richter im ''Blauen Salon'' der Böhmischen Hofkanzlei im Juni 2003]]

In den Jahrzehnten nach der Konstituierung des Verfassungsgerichtshofs der Zweiten Republik auf Grundlage des Bundes-Verfassungsgesetzes kam es im Wesentlichen nur noch zu Änderungen und Erweiterungen der Kompetenzen des Gerichtshofs. Seine Stellung oder Organisation wurden aber nie mehr wesentlich verändert. Eine geringfügige Änderung hinsichtlich des Bestellungsmodus wurde mit einer Verfassungsnovelle im Jahr 1994 eingeführt: Bis dahin hatten sowohl der National- als auch der Bundesrat ihre Vorschläge für die Bestellung von Mitgliedern dem Bundespräsidenten jeweils als Dreiervorschläge zu unterbreiten, woraus der Bundespräsident einen der Kandidaten frei wählen konnte. Diese Praxis wurde 1994 abgeschafft und dem Vorschlagsrecht der Bundesregierung angeglichen, sodass nunmehr auch National- und Bundesrat jeweils Einzelkandidaten zur Bestellung vorschlagen.
In den Jahrzehnten nach der Konstituierung des Verfassungsgerichtshofs der Zweiten Republik auf Grundlage des Bundes-Verfassungsgesetzes kam es im Wesentlichen nur noch zu Änderungen und Erweiterungen der Kompetenzen des Gerichtshofs. Seine Stellung oder Organisation wurden aber nie mehr wesentlich verändert. Eine geringfügige Änderung hinsichtlich des Bestellungsmodus wurde mit einer Verfassungsnovelle im Jahr 1994 eingeführt: Bis dahin hatten sowohl der National- als auch der Bundesrat ihre Vorschläge für die Bestellung von Mitgliedern dem Bundespräsidenten jeweils als Dreiervorschläge zu unterbreiten, woraus der Bundespräsident einen der Kandidaten frei wählen konnte. Diese Praxis wurde 1994 abgeschafft und dem Vorschlagsrecht der Bundesregierung angeglichen, sodass nunmehr auch National- und Bundesrat jeweils Einzelkandidaten zur Bestellung vorschlagen.


Weitere Novellierungen des Bundes-Verfassungsgesetzes und anderer Verfassungsbestimmungen mit Bezug zum Verfassungsgerichtshof betrafen meistens nur dessen Kompetenzen. So kann der VfGH etwa seit 1964 über die Rechtmäßigkeit von Staatsverträgen entscheiden, seit 1975 auf Antrag eines Drittels der Abgeordneten des Nationalrats oder eines zweitinstanzlichen Gerichts ein Gesetzes- oder Verordnungsprüfungsverfahren einleiten, dasselbe seit 1991 auch auf Antrag eines Drittels der Mitglieder des Bundesrats, sowie Entscheidungen der damaligen [[Unabhängiger Verwaltungssenat|Unabhängigen Verwaltungssenate]] prüfen. Im Zuge der bedeutenden Novelle 1975 wurde auch die „Individualbeschwerde“ eingeführt, die es Einzelpersonen in eng begrenztem Rahmen ermöglichte, Gesetzes- oder Verordnungsbestimmungen direkt beim Verfassungsgerichtshof zu bekämpfen. Eine wesentliche Neuerung in den Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs stellte auch die mit 1. Jänner 2015 eingeführte „Gesetzesbeschwerde“ – juristisch als Parteiantrag auf Normenkontrolle bezeichnet – dar, die es Parteien eines Verfahrens vor einem ordentlichen Gericht ermöglicht, im Zuge eines Rechtsmittels gegen ein erstinstanzliches Urteil beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung von Rechtsvorschriften zu beantragen. Auch erstinstanzliche Gerichte können seitdem Anträge auf Normenkontrolle an den Verfassungsgerichtshof stellen.
Weitere Novellierungen des Bundes-Verfassungsgesetzes und anderer Verfassungsbestimmungen mit Bezug zum Verfassungsgerichtshof betrafen meistens nur dessen Kompetenzen. So kann der VfGH etwa seit 1964 über die Rechtmäßigkeit von Staatsverträgen entscheiden, seit 1975 auf Antrag eines Drittels der Abgeordneten des Nationalrats oder eines zweitinstanzlichen Gerichts ein Gesetzes- oder Verordnungsprüfungsverfahren einleiten, dasselbe seit 1991 auch auf Antrag eines Drittels der Mitglieder des Bundesrats, sowie Entscheidungen der damaligen [[Unabhängiger Verwaltungssenat|Unabhängigen Verwaltungssenate]] prüfen. Im Zuge der bedeutenden Novelle 1975 wurde auch die „Individualbeschwerde“ eingeführt, die es Einzelpersonen in eng begrenztem Rahmen ermöglichte, Gesetzes- oder Verordnungsbestimmungen direkt beim Verfassungsgerichtshof zu bekämpfen. Eine wesentliche Neuerung in den Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs stellte auch die mit 1.&nbsp;Jänner 2015 eingeführte „Gesetzesbeschwerde“ – juristisch als Parteiantrag auf Normenkontrolle bezeichnet – dar, die es Parteien eines Verfahrens vor einem ordentlichen Gericht ermöglicht, im Zuge eines Rechtsmittels gegen ein erstinstanzliches Urteil beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung von Rechtsvorschriften zu beantragen. Auch erstinstanzliche Gerichte können seitdem Anträge auf Normenkontrolle an den Verfassungsgerichtshof stellen.

Von 1946 bis zum Sommer 2012 hatte der VfGH seinen Sitz in der ehemaligen [[Böhmische Hofkanzlei|Böhmischen Hofkanzlei]] im [[Innere Stadt (Wien)|1.&nbsp;Wiener Gemeindebezirk]], Eingang vom [[Judenplatz (Wien)|Judenplatz]], wo sich auch der [[Verwaltungsgerichtshof (Österreich)|Verwaltungsgerichtshof]] befindet. Am 20. August 2012 wurde der wegen Platzmangels übersiedelte Gerichtsbetrieb im bis 1921 errichteten ehemaligen Bankgebäude [[Freyung (Wien)|Freyung]]&nbsp;8 (offizielle Adresse, zuvor als Renngasse&nbsp;2 bezeichnet), ebenfalls im 1.&nbsp;Bezirk, aufgenommen. Das Haus ist seit Anfang der 1990er Jahre als Sitz des [[Bank Austria Kunstforum]]s bekannt.<ref>{{Internetquelle |url=https://derstandard.at/1345164585932/Verfassungsgerichtshof-zieht-bei-Benko-ein |titel=Verfassungsgerichtshof zieht bei Benko ein |werk=[[derStandard.at]] |datum=2012-08-20 |abruf=2016-07-29}}</ref><ref>[https://www.vfgh.gv.at/verfassungsgerichtshof/gebaeude.de.html Gebäudebeschreibung] auf der Website des Verfassungsgerichtshofs</ref>


Von 1946 bis zum Sommer 2012 hatte der VfGH seinen Sitz in der ehemaligen [[Böhmische Hofkanzlei|Böhmischen Hofkanzlei]] im [[Innere Stadt (Wien)|1.&nbsp;Wiener Gemeindebezirk]], Eingang vom [[Judenplatz]], wo sich auch der [[Verwaltungsgerichtshof (Österreich)|Verwaltungsgerichtshof]] befindet. Am 20. August 2012 wurde der wegen Platzmangels übersiedelte Gerichtsbetrieb im bis 1921 errichteten ehemaligen Bankgebäude [[Freyung (Wien)|Freyung]]&nbsp;8 (offizielle Adresse, zuvor als Renngasse&nbsp;2 bezeichnet), ebenfalls im 1.&nbsp;Bezirk, aufgenommen. Das Haus ist seit Anfang der 1990er Jahre als Sitz des [[Bank Austria Kunstforum]]s bekannt.<ref>{{Internetquelle |url=http://derstandard.at/1345164585932/Verfassungsgerichtshof-zieht-bei-Benko-ein |titel=Verfassungsgerichtshof zieht bei Benko ein |werk=[[derStandard.at]] |datum=2012-08-20 |abruf=2016-07-29}}</ref><ref>[https://www.vfgh.gv.at/verfassungsgerichtshof/gebaeude.de.html Gebäudebeschreibung] auf der Website des Verfassungsgerichtshofs</ref> Mit der Ernennung von [[Brigitte Bierlein]] zur VfGH-Präsidentin am 23. Februar 2018 rückte erstmals in der Geschichte der österreichischen Verfassungsgerichtsbarkeit eine Frau an die Spitze dieses Höchstgerichts auf.<ref>{{Internetquelle |url=https://diepresse.com/home/innenpolitik/5375730/ |titel=Bierlein wird VfGH-Präsidentin, Brandstetter rückt nach |werk=[[diePresse.com]] |datum=2018-02-21 |abruf=2018-08-16}}</ref> Knapp anderthalb Jahre später wurde Brigitte Bierlein von Bundespräsident [[Alexander Van der Bellen]] zur [[Bundeskanzler (Österreich)|Bundeskanzlerin]] einer Übergangsregierung ernannt, nachdem die vorherige Regierungs-Koalition infolge der [[Ibiza-Affäre]] aufgelöst worden war. Gemäß {{Art.|147 Abs. 4 u. 5|B-VG|RIS-B|DokNr=NOR40152549}} [[Bundes-Verfassungsgesetz|B-VG]] dürfen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs nicht gleichzeitig auch der [[Bundesregierung (Österreich)|Bundesregierung]] angehören ([[Grundsatz der Inkompatibilität]]). Im Vorfeld der [[Angelobung]] als Bundeskanzlerin legte Brigitte Bierlein daher das Amt als Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes mit 2.&nbsp;Juni 2019 zurück.<ref name="Presse 2019-05-30">{{Internetquelle |autor=Benedikt Kommenda |url=https://diepresse.com/home/innenpolitik/5636900/Grabenwarter-uebernimmt-interimistisch-den-VfGH |titel=Grabenwarter übernimmt interimistisch den VfGH |werk=DiePresse.com |datum=2019-05-30 |abruf=2019-06-03}}</ref>
Mit der Ernennung von [[Brigitte Bierlein]] zur VfGH-Präsidentin am 23.&nbsp;Februar 2018 rückte erstmals in der Geschichte der österreichischen Verfassungsgerichtsbarkeit eine Frau an die Spitze dieses Höchstgerichts auf.<ref>{{Internetquelle |url=https://diepresse.com/home/innenpolitik/5375730/ |titel=Bierlein wird VfGH-Präsidentin, Brandstetter rückt nach |werk=[[diePresse.com]] |datum=2018-02-21 |abruf=2018-08-16}}</ref> Knapp anderthalb Jahre später wurde Brigitte Bierlein von Bundespräsident [[Alexander Van der Bellen]] zur [[Bundeskanzler (Österreich)|Bundeskanzlerin]] einer [[Übergangsregierung]] ([[Bundesregierung Bierlein]]) ernannt, nachdem die vorherige Regierungs-Koalition infolge der [[Ibiza-Affäre]] aufgelöst worden war. Gemäß {{Art.|147 Abs. 4 u. 5|B-VG|RIS-B|DokNr=NOR40152549}} [[Bundes-Verfassungsgesetz|B-VG]] dürfen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs nicht gleichzeitig auch der [[Bundesregierung (Österreich)|Bundesregierung]] angehören ([[Grundsatz der Inkompatibilität]]). Im Vorfeld der [[Angelobung]] als Bundeskanzlerin legte Brigitte Bierlein daher das Amt als Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes mit 2.&nbsp;Juni 2019 zurück.<ref name="Presse 2019-05-30">{{Internetquelle |autor=Benedikt Kommenda |url=https://diepresse.com/home/innenpolitik/5636900/Grabenwarter-uebernimmt-interimistisch-den-VfGH |titel=Grabenwarter übernimmt interimistisch den VfGH |werk=DiePresse.com |datum=2019-05-30 |abruf=2019-06-03}}</ref>


== Bedeutende Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs ==
== Bedeutende Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs ==
Zeile 92: Zeile 110:


; Kein „Reigen“-Verbot in Wien
; Kein „Reigen“-Verbot in Wien
Der Wiener Bürgermeister [[Jakob Reumann]] verbot 1921 entgegen einer Verordnung des Bundesministers für Inneres und Unterricht, [[Egon Glanz]], die Aufführung von [[Arthur Schnitzler]]s von Konservativen als skandalös bezeichnetem Drama „[[Reigen (Drama)|Reigen]]“ nicht und wurde deshalb von der [[Bundesregierung Mayr&nbsp;II]] beim VfGH angeklagt. Es stellte sich heraus, dass die an Reumann ergangene Verordnung keine Unterschrift aufwies und daher rechtlich als nicht existent zu betrachten war.<ref>[http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?apm=0&aid=vfb&datum=00010004&seite=00000022&zoom=2 Erkenntnis vom 24. April 1921, Nr. 8 (= S. 22), Sammlung der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge. 1. Heft, Jahr 1921, Druck der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1923]</ref>
Der Wiener Bürgermeister [[Jakob Reumann]] verbot 1921 entgegen einer Verordnung des Bundesministers für Inneres und Unterricht, [[Egon Glanz]], die Aufführung von [[Arthur Schnitzler]]s von Konservativen als skandalös bezeichnetem Drama „[[Reigen (Drama)|Reigen]]“ nicht und wurde deshalb von der [[Bundesregierung Mayr&nbsp;II]] beim VfGH angeklagt. Es stellte sich heraus, dass die an Reumann ergangene Verordnung keine Unterschrift aufwies und daher rechtlich als nicht existent zu betrachten war.<ref>{{Literatur |Titel=Reigen um Kompetenzen. Arthur Schnitzlers „Reigen“ vor dem Verfassungsgerichtshof im Jahre 1921 |Autor=Peter Techet |Sammelwerk=[[Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs]] |Verlag=Verlag der [[Österreichische Akademie der Wissenschaften|Österreichischen Akademie der Wissenschaften]] |Ort=Wien |Datum=2022 |Band=1 / 2022 |Seiten=135–154 |DOI=10.1553/BRGOE2022-1s135 |Online=[https://www.austriaca.at/0xc1aa5576_0x003d51db.pdf Online abrufbar] auf ''austriaca.at''}}</ref><ref>[https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?apm=0&aid=vfb&datum=00010004&seite=00000022&zoom=2 Erkenntnis vom 24. April 1921, Nr. 8 (= S. 22), Sammlung der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge. 1. Heft, Jahr 1921, Druck der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1923]</ref>


; Feuerbestattung gegen Ministerwillen
; Feuerbestattung gegen Ministerwillen
1923 nahm Reumann gegen den Willen von Sozialminister [[Richard Schmitz (Politiker, 1885)|Richard Schmitz]] ein [[Krematorien in Österreich#Geschichte der Feuerbestattung in Österreich|städtisches Krematorium]], die [[Feuerhalle Simmering]], in Betrieb (die [[römisch-katholische Kirche]] trat damals gegen die Feuerbestattung auf). Der Landeshauptmann wurde daraufhin von der von einem Priester geleiteten [[Bundesregierung Seipel&nbsp;I]] vor den VfGH gezogen. Dieser entschied, Reumann habe sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden, da das Bestattungswesen lang ausschließliche Landeskompetenz gewesen sei.<ref>[http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?apm=0&aid=vfb&datum=00030004&zoom=2&seite=00000038&x=13&y=11 Erkenntnis vom 27. März 1923, Nr. 206 (= S. 38), Sammlung der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge. 3. Heft, Jahr 1923, Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1924]</ref>
1923 nahm Reumann gegen den Willen von Sozialminister [[Richard Schmitz (Politiker, 1885)|Richard Schmitz]] ein [[Krematorien in Österreich#Geschichte der Feuerbestattung in Österreich|städtisches Krematorium]], die [[Feuerhalle Simmering]], in Betrieb (die [[römisch-katholische Kirche]] trat damals gegen die Feuerbestattung auf). Der Landeshauptmann wurde daraufhin von der von einem Priester geleiteten [[Bundesregierung Seipel&nbsp;I]] vor den VfGH gezogen. Dieser entschied, Reumann habe sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden, da das Bestattungswesen lang ausschließliche Landeskompetenz gewesen sei.<ref>[https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?apm=0&aid=vfb&datum=00030004&zoom=2&seite=00000038&x=13&y=11 Erkenntnis vom 27. März 1923, Nr. 206 (= S. 38), Sammlung der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge. 3. Heft, Jahr 1923, Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1924]</ref>


; Dispensehen nicht von Gerichten entscheidbar
; Dispensehen nicht von Gerichten entscheidbar
Die so genannten [[Eheverbot#Österreich: die Sever-Ehen|Sever-Ehen]] (auch [[Dispensehe]]) bewirkten jahrelange Unsicherheit der betreffenden Personen. [[Albert Sever]], 1919–1921 sozialdemokratischer Landeshauptmann von [[Niederösterreich]] (damals noch inklusive Wien), hatte geschiedenen Katholiken per [[Dispens]] die Wiederverehelichung ermöglicht. Gerichte sahen sich berufen, die Dispens in einigen Fällen für unwirksam zu erklären. Der VfGH entschied, der Verfassung entsprechend seien nur Verwaltungsbehörden, nicht aber Gerichte zu diesen Entscheidungen befugt, und hob die Gerichtsurteile zum Missvergnügen der Konservativen auf, sodass die Zweitehen aufrecht blieben.<ref>[http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?apm=0&aid=vfb&datum=00070004&zoom=2&seite=00000193&x=14&y=9 Erkenntnis vom 5. November 1927, Nr. 878 (= S. 193), Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge. 7. Heft, Jahr 1927, Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1928]</ref><ref>[http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?apm=0&aid=vfb&datum=00080004&seite=00000051&zoom=2 Erkenntnis vom 27. Februar 1928, Nr. 951 (= S. 51), Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge. 8. Heft, Jahr 1928, Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1929]</ref> In einem späteren Erkenntnis, das der Verfassungsgerichtshof nach der Neubesetzung aller Stellen 1930, traf, wurde diese Auffassung ausdrücklich revidiert.
Die so genannten [[Eheverbot#Österreich: die Sever-Ehen|Sever-Ehen]] (auch [[Dispensehe]]) bewirkten jahrelange Unsicherheit der betreffenden Personen. [[Albert Sever]], 1919–1921 sozialdemokratischer Landeshauptmann von [[Niederösterreich]] (damals noch inklusive Wien), hatte geschiedenen Katholiken per [[Dispens]] die Wiederverehelichung ermöglicht. Gerichte sahen sich berufen, die Dispens in einigen Fällen für unwirksam zu erklären. Der VfGH entschied, der Verfassung entsprechend seien nur Verwaltungsbehörden, nicht aber Gerichte zu diesen Entscheidungen befugt, und hob die Gerichtsurteile zum Missvergnügen der Konservativen auf, sodass die Zweitehen aufrecht blieben.<ref>[https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?apm=0&aid=vfb&datum=00070004&zoom=2&seite=00000193&x=14&y=9 Erkenntnis vom 5. November 1927, Nr. 878 (= S. 193), Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge. 7. Heft, Jahr 1927, Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1928]</ref><ref>[https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?apm=0&aid=vfb&datum=00080004&seite=00000051&zoom=2 Erkenntnis vom 27. Februar 1928, Nr. 951 (= S. 51), Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge. 8. Heft, Jahr 1928, Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1929]</ref> In einem späteren Erkenntnis, das der Verfassungsgerichtshof nach der Neubesetzung aller Stellen 1930, traf, wurde diese Auffassung ausdrücklich revidiert.


=== In der Zweiten Republik ===
=== In der Zweiten Republik ===
Zeile 108: Zeile 126:


; Aufhebung der Stichwahl zur Bundespräsidentenwahl 2016
; Aufhebung der Stichwahl zur Bundespräsidentenwahl 2016
Am 1. Juli 2016 verkündete der VfGH ein Erkenntnis,<ref name="Erkenntnis Wahlaufhebung">[https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_20160701_16W_I00006_00/JFT_20160701_16W_I00006_00.pdf Erkenntnis W I 6/2016-125] des Verfassungsgerichtshofs vom 1. Juli 2016 (= VfSlg. 20071/2016).</ref> wonach der zweite Wahlgang zur [[Bundespräsidentenwahl in Österreich 2016]] in ganz Österreich zu wiederholen sei, und bestätigte somit eine Wahlanfechtung des Zustellbevollmächtigten [[Heinz-Christian Strache]] des unterlegenen Kandidaten [[Norbert Hofer]] (FPÖ).<ref name="Kurier 2016-07-01">{{Internetquelle |url=https://kurier.at/politik/inland/wahlanfechtung-tag-der-entscheidung-am-vfgh/207.331.346 |titel=VfGH hebt Hofburg-Wahl auf: Stichwahl wird komplett wiederholt |werk=[[Kurier (Tageszeitung)|Kurier]] |datum=2016-07-01 |abruf=2018-08-16}}</ref> Grund für die Aufhebung war, dass der VfGH feststellte, dass es in insgesamt 14 österreichischen Wahlbezirken zu Verletzungen der Vorschriften für die Auszählung der Briefwahlstimmen gekommen war. Insgesamt rund 77.000 Briefwahl-Stimmen waren zu früh oder durch die falschen Personen ausgezählt worden. Außerdem waren die vorläufigen Wahl(teil)ergebnisse von den Wahlbehörden zu früh an die Medien weitergegeben worden.<ref name="Erkenntnis Wahlaufhebung" />
Am 1. Juli 2016 verkündete der VfGH ein Erkenntnis,<ref name="Erkenntnis Wahlaufhebung">[https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_20160701_16W_I00006_00/JFT_20160701_16W_I00006_00.pdf Erkenntnis W I 6/2016-125] des Verfassungsgerichtshofs vom 1. Juli 2016 (= VfSlg. 20071/2016).</ref> wonach der zweite Wahlgang zur [[Bundespräsidentenwahl in Österreich 2016]] in ganz Österreich zu wiederholen sei, und bestätigte somit eine Wahlanfechtung des Zustellbevollmächtigten [[Heinz-Christian Strache]] des unterlegenen Kandidaten [[Norbert Hofer]] (FPÖ).<ref name="Kurier 2016-07-01">{{Internetquelle |url=https://kurier.at/politik/inland/wahlanfechtung-tag-der-entscheidung-am-vfgh/207.331.346 |titel=VfGH hebt Hofburg-Wahl auf: Stichwahl wird komplett wiederholt |werk=[[Kurier (Tageszeitung)|Kurier]] |datum=2016-07-01 |abruf=2018-08-16}}</ref>
Grund für die Aufhebung war, dass der VfGH feststellte, dass es in insgesamt 14 österreichischen Wahlbezirken zu Verletzungen der Vorschriften für die Auszählung der Briefwahlstimmen gekommen war. Insgesamt rund 77.000 Briefwahl-Stimmen waren zu früh oder durch die falschen Personen ausgezählt worden. Außerdem waren die vorläufigen Wahl(teil)ergebnisse von den Wahlbehörden zu früh an die Medien weitergegeben worden.<ref name="Erkenntnis Wahlaufhebung" />


Erstmals in der Geschichte der Republik Österreich kam es daher ab 8. Juli 2016 nach dem durch das Auslaufen der Amtszeit bedingten Ausscheiden von [[Heinz Fischer]] aus dem Amt zu einem [[Liste der Bundespräsidenten der Republik Österreich#Interimistische Funktionsausübung|Interregnum ohne Bundespräsidenten]]. Der in der aufgehobenen Stichwahl siegreich gewesene Kandidat [[Alexander Van der Bellen]] konnte auf Grund dieses VfGH-Erkenntnisses das Amt nicht antreten, sondern musste sich erneut einer Stichwahl stellen, die er schließlich am 4. Dezember für sich entscheiden konnte. Das Erkenntnis zur Aufhebung der Stichwahl entwickelte sich rasch zu einem politisch und rechtswissenschaftlich stark diskutierten Gegenstand der öffentlichen Debatte. Namhafte Juristen haben das Erkenntnis sowohl stark kritisiert als auch gegen solche Kritik verteidigt.
Erstmals in der Geschichte der Republik Österreich kam es daher ab 8. Juli 2016 nach dem durch das Auslaufen der Amtszeit bedingten Ausscheiden von [[Heinz Fischer]] aus dem Amt zu einem [[Liste der Bundespräsidenten der Republik Österreich#Interimistische Funktionsausübung|Interregnum ohne Bundespräsidenten]]. Der in der aufgehobenen Stichwahl siegreich gewesene Kandidat [[Alexander Van der Bellen]] konnte auf Grund dieses VfGH-Erkenntnisses das Amt nicht antreten, sondern musste sich erneut einer Stichwahl stellen, die er schließlich am 4.&nbsp;Dezember für sich entscheiden konnte. Das Erkenntnis zur Aufhebung der Stichwahl entwickelte sich rasch zu einem politisch und rechtswissenschaftlich stark diskutierten Gegenstand der öffentlichen Debatte. Namhafte Juristen haben das Erkenntnis sowohl stark kritisiert als auch gegen solche Kritik verteidigt.


;Öffnung der [[Gleichgeschlechtliche Ehe|Ehe für gleichgeschlechtliche Paare]]
;Öffnung der [[Gleichgeschlechtliche Ehe|Ehe für gleichgeschlechtliche Paare]]
Nachdem sich ein [[Homosexualität in Österreich|homosexuelles Paar]] im Jahr 2016 beim Verfassungsgerichtshof darüber beschwert hatte, dass es vom Magistrat der Stadt Wien nicht zur Eheschließung zugelassen worden war, leitete der VfGH von Amts wegen ein Prüfverfahren ein, um zu prüfen, ob es verfassungswidrig sei, gleichgeschlechtlichen Paaren den Zugang zur Ehe grundsätzlich zu verweigern. In seinem Erkenntnis vom 4. Dezember 2017<ref name="Erkenntnis Ehe für Alle">[https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_20171204_17G00258_00/JFT_20171204_17G00258_00.pdf Erkenntnis G 258-259/2017-9] des Verfassungsgerichtshofs vom 4. Dezember 2017.</ref> hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge „verschiedenen Geschlechts“ in §&nbsp;44 [[Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch|ABGB]] sowie die entsprechenden Bestimmungen im [[Eingetragene Partnerschaft (Österreich)|Eingetragene Partnerschaft-Gesetz (EPG)]] mit Wirkung zum 1. Jänner 2019 auf. Als Folge dürfen daher seit 1. Jänner 2019 auch gleichgeschlechtliche Paare in Österreich die [[Zivilehe]] miteinander eingehen.<ref name="Presse 2017-12-05">{{Internetquelle |url=https://diepresse.com/home/innenpolitik/5333225/Ehe-fuer-Homosexuelle-kommt-2019 |titel=Ehe für Homosexuelle kommt 2019 |werk=[[diePresse.com]] |datum=2017-12-05 |abruf=2018-08-16}}</ref> Begründend führte der VfGH im Wesentlichen aus, dass die eingetragene Partnerschaft der Ehe immer weiter angenähert worden sei, sodass die beiden Rechtsinstitute einander heute sowohl von der Ausgestaltung als auch von den Rechtsfolgen her trotz „vereinzelt bestehender Unterschiede“ weitgehend entsprächen.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.vfgh.gv.at/medien/Ehe_fuer_gleichgeschlechtliche_Paare.de.php |titel=Unterscheidung zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft verletzt Diskriminierungsverbot |werk=Website des VfGH |datum=2017-12-05 |abruf=2018-08-16}}</ref>
Nachdem sich ein [[Homosexualität in Österreich|homosexuelles Paar]] im Jahr 2016 beim Verfassungsgerichtshof darüber beschwert hatte, dass es vom Magistrat der Stadt Wien nicht zur Eheschließung zugelassen worden war, leitete der VfGH von Amts wegen ein Prüfverfahren ein, um zu prüfen, ob es verfassungswidrig sei, gleichgeschlechtlichen Paaren den Zugang zur Ehe grundsätzlich zu verweigern. In seinem Erkenntnis vom 4.&nbsp;Dezember 2017<ref name="Erkenntnis Ehe für Alle">[https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_20171204_17G00258_00/JFT_20171204_17G00258_00.pdf Erkenntnis G 258-259/2017-9] des Verfassungsgerichtshofs vom 4. Dezember 2017.</ref> hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge „verschiedenen Geschlechts“ in §&nbsp;44 [[Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch|ABGB]] sowie die entsprechenden Bestimmungen im [[Eingetragene Partnerschaft (Österreich)|Eingetragene Partnerschaft-Gesetz (EPG)]] mit Wirkung zum 1.&nbsp;Jänner 2019 auf. Als Folge dürfen daher seit 1.&nbsp;Jänner 2019 auch gleichgeschlechtliche Paare in Österreich die [[Zivilehe]] miteinander eingehen.<ref name="Presse 2017-12-05">{{Internetquelle |url=https://diepresse.com/home/innenpolitik/5333225/Ehe-fuer-Homosexuelle-kommt-2019 |titel=Ehe für Homosexuelle kommt 2019 |werk=[[diePresse.com]] |datum=2017-12-05 |abruf=2018-08-16}}</ref>
Begründend führte der VfGH im Wesentlichen aus, dass die eingetragene Partnerschaft der Ehe immer weiter angenähert worden sei, sodass die beiden Rechtsinstitute einander heute sowohl von der Ausgestaltung als auch von den Rechtsfolgen her trotz „vereinzelt bestehender Unterschiede“ weitgehend entsprächen.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.vfgh.gv.at/medien/Ehe_fuer_gleichgeschlechtliche_Paare.de.php |titel=Unterscheidung zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft verletzt Diskriminierungsverbot |werk=Website des VfGH |datum=2017-12-05 |abruf=2018-08-16}}</ref>


== Organisation ==
== Organisation ==
Zeile 121: Zeile 141:
{{Hauptartikel|Liste der Mitglieder des österreichischen Verfassungsgerichtshofs}}
{{Hauptartikel|Liste der Mitglieder des österreichischen Verfassungsgerichtshofs}}
{{Siehe auch|Liste der Mitglieder des österreichischen Verfassungsgerichtshofs#Liste der Präsidenten des VfGH|titel1=Liste der Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs}}
{{Siehe auch|Liste der Mitglieder des österreichischen Verfassungsgerichtshofs#Liste der Präsidenten des VfGH|titel1=Liste der Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs}}

Der Verfassungsgerichtshof besteht aus einem Präsidenten, einer Vizepräsidentin, sowie zwölf Mitgliedern und sechs Ersatzmitgliedern.
Der Verfassungsgerichtshof besteht aus einem Präsidenten, einer Vizepräsidentin, sowie zwölf Mitgliedern und sechs Ersatzmitgliedern.


Zeile 128: Zeile 149:
* Drei Mitglieder und ein Ersatzmitglied werden vom [[Bundesrat (Österreich)|Bundesrat]] vorgeschlagen.<ref name="Holzinger: Organisation">{{Literatur |Autor=[[Gerhart Holzinger]] |Hrsg=[[Michael Holoubek]], [[Michael Lang (Jurist)|Michael Lang]] |Titel=Die Organisation des Verfassungsgerichtshofes (Plenum, „Kleine Besetzung“, Zuständigkeiten des Präsidenten) |Sammelwerk=Das verfassungsgerichtliche Verfahren in Steuersachen |Verlag=[[Linde Verlag]] |Ort=Wien |Datum=2010 |ISBN=978-3-7073-1618-6 |Seiten=15–26}}</ref>
* Drei Mitglieder und ein Ersatzmitglied werden vom [[Bundesrat (Österreich)|Bundesrat]] vorgeschlagen.<ref name="Holzinger: Organisation">{{Literatur |Autor=[[Gerhart Holzinger]] |Hrsg=[[Michael Holoubek]], [[Michael Lang (Jurist)|Michael Lang]] |Titel=Die Organisation des Verfassungsgerichtshofes (Plenum, „Kleine Besetzung“, Zuständigkeiten des Präsidenten) |Sammelwerk=Das verfassungsgerichtliche Verfahren in Steuersachen |Verlag=[[Linde Verlag]] |Ort=Wien |Datum=2010 |ISBN=978-3-7073-1618-6 |Seiten=15–26}}</ref>


Bestimmte (politische) Staatsfunktionen und Tätigkeiten als Funktionäre oder Angestellte politischer Parteien schließen eine Mitgliedschaft oder Ersatzmitgliedschaft im Verfassungsgerichtshof aus ([[Grundsatz der Inkompatibilität]]; siehe näher Artikel {{Art.|147 Abs. 4 u. 5|B-VG|RIS-B|DokNr=NOR40152549}} B-VG). Eine auch nach Beendigung der politischen Tätigkeit bestehende „[[Cooling-off-Periode]]“ von 5 Jahren besteht allerdings momentan nur für den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Verfassungsgerichtshofes. Im Juni 2024 brachten die Koalitionsfraktionen [[ÖVP]] und [[Die Grünen – Die Grüne Alternative|Die Grünen]] einen Gesetzesvorschlag im Nationalrat ein, durch den auch die Ernennung zum Mitglied und Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofs eine vorhergehende mindestens dreijährige Periode ohne politische Ämter oder Tätigkeiten voraussetzen würde.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.derstandard.at/story/3000000224294/regierung-plant-cooling-off-phase-fuer-alle-mitglieder-des-verfassungsgerichtshofs |titel=Regierung plant Cooling-off-Phase für alle Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs |autor=Sebastian Fellner |werk=[[DerStandard.at]] |datum=2024-06-14 |abruf=2024-06-14}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://orf.at/stories/3360699/ |titel=Regierung plant Cooling-off-Phase für Verfassungsrichter |werk=[[ORF.at]] |datum=2024-06-14 |abruf=2024-06-14}}</ref>
Bestimmte (politische) Staatsfunktionen schließen eine Mitgliedschaft oder Ersatzmitgliedschaft im Verfassungsgerichtshof aus ([[Grundsatz der Inkompatibilität]]; siehe näher Artikel {{Art.|147 Abs. 4 u. 5|B-VG|RIS-B|DokNr=NOR40152549}} B-VG).


Anders als die Mitglieder des [[Verwaltungsgerichtshof (Österreich)|Verwaltungsgerichtshofes]] sind die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Verfassungsgerichtshofes keine Berufsrichter, sondern üben ihre Funktion als „Nebenamt“ aus, sind dabei aber mit denselben richterlichen Garantien wie Berufsrichter ausgestattet. Das bedeutet insbesondere, dass sie ihr Amt unabhängig ausüben können und grundsätzlich weder ab- noch versetzbar sind. Die Mitglieder erhalten für die Ausübung ihrer Funktion monatliche Bezüge. Ihre Amtszeit endet prinzipiell mit Ablauf jenes Jahres, in dem sie ihr 70. Lebensjahr vollendet haben.<ref name="Holzinger: Organisation" /> Vorzeitig ihres [[Amtsenthebung|Amtes enthoben]] werden können Mitglieder des VfGH nur durch einen Beschluss des Gerichtshofs selbst, wenn einer der Gründe des {{§|10|VfGG|RIS-B|DokNr=NOR40153309}} VfGG vorliegt: Wenn nachträglich eine Inkompatibilität aufgrund der Annahme eines politischen Amtes eintritt, wenn das Mitglied bei drei aufeinanderfolgenden Verhandlungen des VfGH unentschuldigt gefehlt hat, wenn es sich durch sein Verhalten der Achtung und des Vertrauens des Amtes unwürdig gezeigt oder seine Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit gröblich verletzt hat sowie wenn körperliche oder geistige Einschränkungen des Mitglieds die Erfüllung der Amtspflichten unmöglich erscheinen lassen.<ref>{{Literatur |Autor=[[Kurt Heller (Jurist)|Kurt Heller]] |Hrsg=[[Bernd-Christian Funk]], [[Gerhart Holzinger]], [[Hans Klecatsky]], [[Karl Korinek]], [[Wolfgang Mantl]], [[Peter Pernthaler]] |Titel=Die Enthebung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes |Sammelwerk=Der Rechtsstaat vor neuen Herausforderungen. Festschrift für Ludwig Adamovich zum 70. Geburtstag |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2002 |ISBN=3-7046-3861-7 |Seiten=155–168}}</ref>
Anders als die Mitglieder des [[Verwaltungsgerichtshof (Österreich)|Verwaltungsgerichtshofes]] sind die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Verfassungsgerichtshofes keine Berufsrichter, sondern üben ihre Funktion als „Nebenamt“ aus, sind dabei aber mit denselben richterlichen Garantien wie Berufsrichter ausgestattet. Das bedeutet insbesondere, dass sie ihr Amt unabhängig ausüben können und grundsätzlich weder ab- noch versetzbar sind. Die Mitglieder erhalten für die Ausübung ihrer Funktion monatliche Bezüge. Ihre Amtszeit endet prinzipiell mit Ablauf jenes Jahres, in dem sie ihr 70.&nbsp;Lebensjahr vollendet haben.<ref name="Holzinger: Organisation" /> Vorzeitig ihres [[Amtsenthebung|Amtes enthoben]] werden können Mitglieder des VfGH nur durch einen Beschluss des Gerichtshofs selbst, wenn einer der Gründe des {{§|10|VfGG|RIS-B|DokNr=NOR40153309}} VfGG vorliegt: Wenn nachträglich eine Inkompatibilität aufgrund der Annahme eines politischen Amtes eintritt, wenn das Mitglied bei drei aufeinanderfolgenden Verhandlungen des VfGH unentschuldigt gefehlt hat, wenn es sich durch sein Verhalten der Achtung und des Vertrauens des Amtes unwürdig gezeigt oder seine Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit gröblich verletzt hat sowie wenn körperliche oder geistige Einschränkungen des Mitglieds die Erfüllung der Amtspflichten unmöglich erscheinen lassen.<ref>{{Literatur |Autor=[[Kurt Heller (Jurist)|Kurt Heller]] |Hrsg=[[Bernd-Christian Funk]], [[Gerhart Holzinger]], [[Hans Klecatsky]], [[Karl Korinek]], [[Wolfgang Mantl]], [[Peter Pernthaler]] |Titel=Die Enthebung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes |Sammelwerk=Der Rechtsstaat vor neuen Herausforderungen. Festschrift für Ludwig Adamovich zum 70. Geburtstag |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2002 |ISBN=3-7046-3861-7 |Seiten=155–168}}</ref>


{| class="wikitable sortable zebra" style="float:left; margin-right:1em;"
{| class="wikitable sortable zebra" style="float:left; margin-right:1em;"
Zeile 161: Zeile 182:
|data-sort-value="Gahleitner, Sieglinde"| [[Sieglinde Gahleitner]]
|data-sort-value="Gahleitner, Sieglinde"| [[Sieglinde Gahleitner]]
| Mitglied
| Mitglied
| {{DatumZelle|2009-12-22}}
| {{DatumZelle|2009-12-22}}<br /><small>Amtsantritt am 1. Jänner 2010</small>
| Bundesrat
| Bundesrat
|-
|-
Zeile 215: Zeile 236:
|data-sort-value="Schnizer, Johannes"| [[Johannes Schnizer]]
|data-sort-value="Schnizer, Johannes"| [[Johannes Schnizer]]
| Mitglied
| Mitglied
| {{DatumZelle|2009-12-22}}
| {{DatumZelle|2009-12-22}}<br /><small>Amtsantritt am 1. Jänner 2010</small>
| Bundesregierung
| Bundesregierung
|-
|-
Zeile 236: Zeile 257:
| Ersatzmitglied
| Ersatzmitglied
| {{DatumZelle|2009-02-04}}
| {{DatumZelle|2009-02-04}}
| Bundesregierung
|-
| [[Datei:Daniel Ennöckl 2022.jpg|100px|Daniel Ennöckl]]
|data-sort-value="Ennöckl, Daniel"| [[Daniel Ennöckl]]
| Ersatzmitglied
| {{DatumZelle|2022-01-22}}
| Bundesregierung
| Bundesregierung
|-
|-
Zeile 253: Zeile 280:
|data-sort-value="Schick, Robert"| [[Robert Schick (Jurist)|Robert Schick]]
|data-sort-value="Schick, Robert"| [[Robert Schick (Jurist)|Robert Schick]]
| Ersatzmitglied
| Ersatzmitglied
| {{DatumZelle|1998-12-17}}
| {{DatumZelle|1998-12-17}}<br /><small>Amtsantritt am 1. Jänner 1999</small>
| Nationalrat
| Nationalrat
|-
|-
Zeile 266: Zeile 293:
=== Arbeitsweise und Verfahren ===
=== Arbeitsweise und Verfahren ===
[[Datei:Consultation room 1 of the Austrian Constitutional Court 01.jpg|mini|Beratung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs im Plenum]]
[[Datei:Consultation room 1 of the Austrian Constitutional Court 01.jpg|mini|Beratung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs im Plenum]]

Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist im Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG) und in der vom VfGH selbst auf Grundlage des VfGG erlassenen Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofes näher geregelt ({{Art.|148|B-VG|RIS-B|DokNr=NOR40045858}} B-VG). [[Subsidiär]] (ersatzweise) kommt die [[Zivilprozessordnung (Österreich)|Zivilprozessordnung]] (ZPO) überall dort zur Anwendung, wo durch das VfGG und die Geschäftsordnung keine näheren Bestimmungen zum Verfahrensablauf getroffen werden ({{§|35|VfGG|RIS-B|DokNr=NOR40166292}} VfGG). Die Angelegenheiten der Justizverwaltung, wie etwa die Ausübung Diensthoheit über die Bediensteten des Gerichtshofs, werden vom Präsidenten besorgt.
Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist im Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG) und in der vom VfGH selbst auf Grundlage des VfGG erlassenen Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofes näher geregelt ({{Art.|148|B-VG|RIS-B|DokNr=NOR40045858}} B-VG). [[Subsidiär]] (ersatzweise) kommt die [[Zivilprozessordnung (Österreich)|Zivilprozessordnung]] (ZPO) überall dort zur Anwendung, wo durch das VfGG und die Geschäftsordnung keine näheren Bestimmungen zum Verfahrensablauf getroffen werden ({{§|35|VfGG|RIS-B|DokNr=NOR40166292}} VfGG). Die Angelegenheiten der Justizverwaltung, wie etwa die Ausübung Diensthoheit über die Bediensteten des Gerichtshofs, werden vom Präsidenten besorgt.


Alle Eingaben an den Verfassungsgerichtshof haben grundsätzlich schriftlich eingebracht zu werden und unterliegen einem [[Anwaltszwang]] (§&nbsp;17 Abs.&nbsp;2 VfGG). Einzelne Anträge, die vonseiten von Körperschaften öffentlichen Rechts (Bund, Ländern, Gemeinden, aber hier ausnahmsweise auch einige weitere) eingebracht werden oder von Mitgliedern von Nationalrat, Bundesrat oder Landtagen gestellt werden, sind von dieser Anwaltspflicht ausgenommen. Ebenfalls grundsätzlich sind alle Anträge an den Verfassungsgerichtshof mit einer Eingabegebühr (240 Euro) belastet, von der es wiederum diverse Ausnahmen gibt. Rechtsanwälte sind gemäß §&nbsp;14a Abs.&nbsp;4 VfGG verpflichtet, Schriftsätze an den VfGH auf elektronischem Wege – in aller Regel via elektronischem Rechtsverkehr – einzubringen, allen anderen Personen steht dies frei. Bereits seit 2013 ist die komplette interne und externe Aktenverwaltung des VfGH auf den [[ELAK|Elektronischen Akt]] umgestellt, was unter anderem auch die Erkenntniszustellung auf elektronischem Weg ermöglicht.
Alle Eingaben an den Verfassungsgerichtshof haben grundsätzlich schriftlich eingebracht zu werden und unterliegen einem [[Anwaltszwang]] (§&nbsp;17 Abs.&nbsp;2 VfGG). Einzelne Anträge, die vonseiten von Körperschaften öffentlichen Rechts (Bund, Ländern, Gemeinden, aber hier ausnahmsweise auch einige weitere) eingebracht werden oder von Mitgliedern von Nationalrat, Bundesrat oder Landtagen gestellt werden, sind von dieser Anwaltspflicht ausgenommen. Ebenfalls grundsätzlich sind alle Anträge an den Verfassungsgerichtshof mit einer Eingabegebühr (240&nbsp;Euro) belastet, von der es wiederum diverse Ausnahmen gibt. Rechtsanwälte sind gemäß §&nbsp;14a Abs.&nbsp;4 VfGG verpflichtet, Schriftsätze an den VfGH auf elektronischem Wege – in aller Regel via elektronischem Rechtsverkehr – einzubringen, allen anderen Personen steht dies frei. Bereits seit 2013 ist die komplette interne und externe Aktenverwaltung des VfGH auf den [[ELAK|Elektronischen Akt]] umgestellt, was unter anderem auch die Erkenntniszustellung auf elektronischem Weg ermöglicht.


Nach dem Einlagen des sogenannten „verfahrenseinleitenden Schriftsatzes“ teilt der Präsident des Verfassungsgerichtshofs die Rechtssache einem der ständigen Referenten zu. Diese werden vom Plenum des VfGH aus dessen Mitgliedern gewählt und befassen sich permanent mit der Behandlung der eingetroffenen Rechtssachen. Den Referenten sind sogenannte „verfassungsrechtliche Mitarbeiter“, das sind Juristen, die sie bei ihrer Arbeit unterstützen, beigegeben. Der jeweils zuständige Referent führt in der Folge ein Vorverfahren durch, in dem er sämtliche Vorerhebungen, wie etwa die Prüfung der Zulässigkeit, Erhebungen zum Sachverhalt, eventuelle Zeugeneinvernahmen oder das Anfordern von Stellungnahmen der Verfahrensparteien vornimmt. Am Ende dieses Vorverfahrens bereitet der ständige Referent einen Entwurf vor, der entweder auf Zurückweisung mittels Beschluss, auf Abweisung der Beschwerdebehandlung oder als inhaltlicher Erledigungsentwurf ausgestaltet sein kann. Diesen Entwurf leitet der Referent dann an die restlichen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs zur Beschlussfassung weiter.<ref name="Berka: Verfahren">{{Literatur |Autor=[[Walter Berka]] |Titel=Verfassungsrecht. Grundzüge des österreichischen Verfassungsrechts für das juristische Studium |Auflage=7. |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2018 |ISBN=978-3-7046-8039-6 |Kapitel=Kapitel: ''40.3. Das Verfahren vor dem VfGH'' |Seiten=344–347}}</ref><ref name="Holzinger: Organisation" />
Nach dem Einlagen des sogenannten „verfahrenseinleitenden Schriftsatzes“ teilt der Präsident des Verfassungsgerichtshofs die Rechtssache einem der ständigen Referenten zu. Diese werden vom Plenum des VfGH aus dessen Mitgliedern gewählt und befassen sich permanent mit der Behandlung der eingetroffenen Rechtssachen. Den Referenten sind sogenannte „verfassungsrechtliche Mitarbeiter“, das sind Juristen, die sie bei ihrer Arbeit unterstützen, beigegeben. Der jeweils zuständige Referent führt in der Folge ein Vorverfahren durch, in dem er sämtliche Vorerhebungen, wie etwa die Prüfung der Zulässigkeit, Erhebungen zum Sachverhalt, eventuelle Zeugeneinvernahmen oder das Anfordern von Stellungnahmen der Verfahrensparteien vornimmt. Am Ende dieses Vorverfahrens bereitet der ständige Referent einen Entwurf vor, der entweder auf Zurückweisung mittels Beschluss, auf Abweisung der Beschwerdebehandlung oder als inhaltlicher Erledigungsentwurf ausgestaltet sein kann. Diesen Entwurf leitet der Referent dann an die restlichen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs zur Beschlussfassung weiter.<ref name="Berka: Verfahren">{{Literatur |Autor=[[Walter Berka]] |Titel=Verfassungsrecht. Grundzüge des österreichischen Verfassungsrechts für das juristische Studium |Auflage=7. |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2018 |ISBN=978-3-7046-8039-6 |Kapitel=Kapitel: ''40.3. Das Verfahren vor dem VfGH'' |Seiten=344–347}}</ref><ref name="Holzinger: Organisation" />


Die Beschlussfassung durch die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs erfolgt in viermal jährlich stattfindenden, jeweils drei- bis vierwöchigen ''Sessionen''. Dies sind intensive Sitzungswochen, in denen die zur Erledigung vorbereiteten Fälle beraten werden. Im Gegensatz zum deutschen [[Bundesverfassungsgericht]], welches zwei Senate als Spruchkörper eingerichtet hat, entscheidet der Verfassungsgerichtshof in der Regel im [[Plenum]] aller 14 Mitglieder. Für die Beschlussfähigkeit ist die Anwesenheit des Vorsitzenden (also des Präsidenten oder Vizepräsidenten) und mindestens acht stimmführender Mitglieder erforderlich. In bestimmten Fällen, in denen die Rechtsfrage durch die bisherige Rechtsprechung des VfGH bereits genügend klargestellt ist, genügt auch die Anwesenheit von vier stimmführenden Mitgliedern (sogenannte „kleine Besetzungen“; §&nbsp;7 Abs.&nbsp;2 Z 1 VfGG). Die Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofs werden grundsätzlich mit absoluter Stimmenmehrheit gefasst, wobei der Vorsitzende nicht mitstimmt. Dieser gibt seine Stimme nur bei Stimmengleichheit ab und entscheidet dadurch in solchen strittigen Fällen (sogenanntes [[Dirimierung]]srecht). Im Gegensatz zu inhaltlichen Entscheidungen müssen Ablehnungen von Beschwerden allerdings ausnahmsweise einstimmig beschlossen werden.<ref name="Berka: Arbeitsweise">{{Literatur |Autor=[[Walter Berka]] |Titel=Verfassungsrecht. Grundzüge des österreichischen Verfassungsrechts für das juristische Studium |Auflage=7. |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2018 |ISBN=978-3-7046-8039-6 |Kapitel=Kapitel: ''40.2.2. Die Arbeitsweise des VfGH'' |Seiten=343–344}}</ref><ref name="Holzinger: Organisation" />
Die Beschlussfassung durch die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs erfolgt in viermal jährlich stattfindenden, jeweils drei- bis vierwöchigen ''Sessionen''. Dies sind intensive Sitzungswochen, in denen die zur Erledigung vorbereiteten Fälle beraten werden. Im Gegensatz zum deutschen [[Bundesverfassungsgericht]], welches zwei Senate als Spruchkörper eingerichtet hat, entscheidet der Verfassungsgerichtshof in der Regel im [[Plenum]] aller 14 Mitglieder. Für die Beschlussfähigkeit ist die Anwesenheit des Vorsitzenden (also des Präsidenten oder Vizepräsidenten) und mindestens acht stimmführender Mitglieder erforderlich. In bestimmten Fällen, in denen die Rechtsfrage durch die bisherige Rechtsprechung des VfGH bereits genügend klargestellt ist, genügt auch die Anwesenheit von vier stimmführenden Mitgliedern (sogenannte „kleine Besetzungen“; §&nbsp;7 Abs.&nbsp;2 Z 1 VfGG).
Die Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofs werden grundsätzlich mit absoluter Stimmenmehrheit gefasst, wobei der Vorsitzende nicht mitstimmt. Dieser gibt seine Stimme nur bei Stimmengleichheit ab und entscheidet dadurch in solchen strittigen Fällen (sogenanntes [[Dirimierung]]srecht). Im Gegensatz zu inhaltlichen Entscheidungen müssen Ablehnungen von Beschwerden allerdings ausnahmsweise einstimmig beschlossen werden.<ref name="Berka: Arbeitsweise">{{Literatur |Autor=[[Walter Berka]] |Titel=Verfassungsrecht. Grundzüge des österreichischen Verfassungsrechts für das juristische Studium |Auflage=7. |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2018 |ISBN=978-3-7046-8039-6 |Kapitel=Kapitel: ''40.2.2. Die Arbeitsweise des VfGH'' |Seiten=343–344}}</ref><ref name="Holzinger: Organisation" />


Inhaltliche Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs werden grundsätzlich als „Erkenntnis“ bezeichnet (die einleitende Wortfolge jedes Erkenntnisses ist daher auch „Im Namen der Republik! Der Verfassungsgerichtshof hat […] zu Recht erkannt:“) und schriftlich ausgefertigt. Aus dem jeweiligen Erkenntnis ist nicht ersichtlich, welche Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs für und welche gegen die Entscheidung gestimmt haben. Auch die Einführung der Möglichkeit von [[dissenting opinion]]s, wie sie etwa das deutsche Bundesverfassungsgericht oder der US-Supreme Court kennen, wurde zwar immer wieder diskutiert (etwa bei einer parlamentarischen [[Enquete]] zu diesem Thema im Jahr 1998<ref>{{Internetquelle |url=https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_1998/PK0660/index.shtml |titel=Enquete: Die Referenten und ihre Meinung zu dissenting opinion |werk=Parlamentskorrespondenz Nr. 660 |hrsg=Österreichisches Parlament |datum=1998-10-16 |abruf=2016-09-05}}</ref> und beim [[Österreich-Konvent]] in den Jahren 2003–2005<ref>{{Internetquelle |url=http://www.konvent.gv.at/K/DE/P-REG-K/P-REG-K_00015/fname_026785.pdf |titel=Protokoll über die 11. Sitzung des Ausschusses 9 am 1. September 2004 |hrsg=Österreich-Konvent |datum=2004-08-02 |abruf=2016-09-05 |format=PDF}}</ref>), bislang aber überwiegend abgelehnt und bis 2021 durch den Gesetzgeber nicht aufgegriffen.<ref>{{Literatur |Autor=[[Martin Hiesel]] |Titel=Von inneren Freiheiten, subjektiven Wahrnehmungen und objektiven Fakten. Skizzenhafte Beiträge zur aktuellen Diskussion betreffend die Einführung einer „dissenting opinion“ am VfGH |Sammelwerk=[[Journal für Rechtspolitik]] (JRP) |Band=Jahrgang 25 |Nummer=Heft 4 |Datum=2017 |Seiten=201–205}}</ref> Im Rahmen der von der [[Bundesregierung Kurz II]] im Februar 2021 vorgestellten Regierungsvorlage eines Informationsfreiheitsgesetzes soll erstmals die Möglichkeit eingeführt werden, dass Verfassungsrichter abweichende Meinungen schriftlich mit Ausfertigung des Erkenntnisses äußern dürfen.<ref>{{Internetquelle |autor=Daniel Bischof |url=https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2093802-Wenn-sich-Hoechstrichter-uneins-sind.html |titel=Wenn sich Höchstrichter uneins sind |werk=[[Wiener Zeitung]] |datum=2021-02-23 |abruf=2021-02-23}}</ref><ref>{{Internetquelle |autor=Philipp Aichinger |url=https://www.diepresse.com/5941101/wie-man-zur-auskunft-kommen-kann |titel=Wie man zur Auskunft kommen kann |werk=[[DiePresse.com]] |datum=2021-02-23 |abruf=2021-02-23}}</ref> Das Präsidium des Verfassungsgerichtshofs selbst lehnte dieses gesetzgeberische Vorhaben der Einführung von Sondervoten in einer Stellungnahme zum Ministerialentwurf vom April 2021 ab.<ref>{{Internetquelle |autor=Verfassungsgerichtshof |url=https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/SNME/SNME_81494/imfname_942349.pdf |titel=Stellungnahme zum Entwurf für ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, das Rechnungshofgesetz 1948 und das Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 geändert werden und ein Informationsfreiheitsgesetz erlassen wird |werk=Website des [[Österreichisches Parlament|österreichischen Parlaments]] |datum=2021-04-13 |abruf=2021-04-14 |format=PDF}}</ref>
Inhaltliche Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs werden grundsätzlich als „Erkenntnis“ bezeichnet (die einleitende Wortfolge jedes Erkenntnisses ist daher auch „Im Namen der Republik! Der Verfassungsgerichtshof hat […] zu Recht erkannt:“) und schriftlich ausgefertigt. Aus dem jeweiligen Erkenntnis ist nicht ersichtlich, welche Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs für und welche gegen die Entscheidung gestimmt haben. Auch die Einführung der Möglichkeit von [[dissenting opinion]]s, wie sie etwa das deutsche Bundesverfassungsgericht oder der US-Supreme Court kennen, wurde zwar immer wieder diskutiert (etwa bei einer parlamentarischen [[Enquete]] zu diesem Thema im Jahr 1998<ref>{{Internetquelle |url=https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_1998/PK0660/index.shtml |titel=Enquete: Die Referenten und ihre Meinung zu dissenting opinion |werk=Parlamentskorrespondenz Nr. 660 |hrsg=Österreichisches Parlament |datum=1998-10-16 |abruf=2016-09-05}}</ref> und beim [[Österreich-Konvent]] in den Jahren 2003–2005<ref>{{Internetquelle |url=http://www.konvent.gv.at/K/DE/P-REG-K/P-REG-K_00015/fname_026785.pdf |titel=Protokoll über die 11. Sitzung des Ausschusses 9 am 1. September 2004 |hrsg=Österreich-Konvent |datum=2004-08-02 |abruf=2016-09-05 |format=PDF}}</ref>), bislang aber überwiegend abgelehnt und bis 2021 durch den Gesetzgeber nicht aufgegriffen.<ref>{{Literatur |Autor=[[Martin Hiesel]] |Titel=Von inneren Freiheiten, subjektiven Wahrnehmungen und objektiven Fakten. Skizzenhafte Beiträge zur aktuellen Diskussion betreffend die Einführung einer „dissenting opinion“ am VfGH |Sammelwerk=[[Journal für Rechtspolitik]] (JRP) |Band=Jahrgang 25 |Nummer=Heft 4 |Datum=2017 |Seiten=201–205}}</ref>
Im Rahmen der von der [[Bundesregierung Kurz&nbsp;II]] im Februar 2021 vorgestellten Regierungsvorlage eines Informationsfreiheitsgesetzes sollte erstmals die Möglichkeit eingeführt werden, dass Verfassungsrichter abweichende Meinungen schriftlich mit Ausfertigung des Erkenntnisses äußern dürfen.<ref>{{Internetquelle |autor=Daniel Bischof |url=https://www.tagblatt-wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2093802-Wenn-sich-Hoechstrichter-uneins-sind.html |titel=Wenn sich Höchstrichter uneins sind |werk=[[Wiener Zeitung]] |datum=2021-02-23 |abruf=2021-02-23}}</ref><ref>{{Internetquelle |autor=Philipp Aichinger |url=https://www.diepresse.com/5941101/wie-man-zur-auskunft-kommen-kann |titel=Wie man zur Auskunft kommen kann |werk=[[DiePresse.com]] |datum=2021-02-23 |abruf=2021-02-23}}</ref>
Das Präsidium des Verfassungsgerichtshofs selbst lehnte dieses gesetzgeberische Vorhaben der Einführung von Sondervoten in einer Stellungnahme zum Ministerialentwurf vom April 2021 ab.<ref>{{Internetquelle |autor=Verfassungsgerichtshof |url=https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/SNME/SNME_81494/imfname_942349.pdf |titel=Stellungnahme zum Entwurf für ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, das Rechnungshofgesetz 1948 und das Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 geändert werden und ein Informationsfreiheitsgesetz erlassen wird |werk=Website des [[Österreichisches Parlament|österreichischen Parlaments]] |datum=2021-04-13 |abruf=2021-04-14 |format=PDF}}</ref> In dem im Jahr 2023 von der [[Bundesregierung Nehammer]] wieder aufgegriffenen Regierungsvorhaben zum Informationsfreiheitsgesetz war die Einführung der Veröffentlichung abweichender Meinungen am VfGH nicht mehr enthalten.<ref>{{Internetquelle |autor=Sebastian Fellner |url=https://www.derstandard.at/story/3000000177537/warum-die-abschaffung-d |titel=Warum die Abschaffung des Amtsgeheimnisses unwahrscheinlicher wird |werk=[[derStandard.at]] |datum=2023-07-05 |abruf=2023-08-25}}</ref><ref>{{Internetquelle |autor=Jürgen Klatzer |titel=„Dissenting Opinion“ am VfGH: Politik hält sich bedeckt |url=https://orf.at/stories/3331199/ |werk=[[ORF.at]] |datum=2023-09-16 |abruf=2023-12-01}}</ref>


== Kompetenzen ==
== Kompetenzen ==
Die dem Verfassungsgerichtshof zukommenden Kompetenzen sind bereits im [[Bundes-Verfassungsgesetz]], und damit verfassungsgesetzlich abgesichert, abschließend aufgezählt. Im Wesentlichen werden neun unterschiedliche Kompetenzfelder unterschieden, wobei vier davon eine besondere Bedeutung zukommt, weshalb auf diese in der Folge in eigenen Unterabschnitten näher eingegangen wird und die anderen fünf unter [[#Sonstige Kompetenzen|Sonstige Kompetenzen]] zusammengefasst sind.<ref name="Mayer,Kucsko-Stadlmayer,Stöger: Bundesverfassungsrecht">{{Literatur |Autor=[[Heinz Mayer (Jurist)|Heinz Mayer]], [[Gabriele Kucsko-Stadlmayer]], [[Karl Stöger (Jurist)|Karl Stöger]] |Titel=Bundesverfassungsrecht |Auflage=11. |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=2015 |ISBN=978-3-214-08890-3 |Kapitel=Kapitel: ''IV. Die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofes'' |Seiten=552–611}}</ref><ref name="Berka: Verfassungsrecht">{{Literatur |Autor=[[Walter Berka]] |Titel=Verfassungsrecht. Grundzüge des österreichischen Verfassungsrechts für das juristische Studium |Auflage=6., aktualisierte |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2016 |ISBN=978-3-7046-7281-0 |Seiten=345–393}}</ref><ref name="Öhlinger, Eberhard: Verfassungsrecht">{{Literatur |Autor=[[Theo Öhlinger]], [[Harald Eberhard]] |Titel=Verfassungsrecht |Auflage=10., überarbeitete |Verlag=[[Facultas]] |Ort=Wien |Datum=2014 |ISBN=978-3-7089-1111-3 |Kapitel=Kapitel: ''2. Kompetenzen'' |Seiten=464–502}}</ref><ref name="Machacek: Verfahren vor VfGH und VwGH">{{Literatur |Hrsg=[[Rudolf Machacek]] |Titel=Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und vor dem Verwaltungsgerichtshof |Auflage=6., gänzlich überarbeitete |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=2008 |ISBN=978-3-214-06194-4 |Kapitel=Kapitel: ''II. B. Die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofes'' |Seiten=20–24}}</ref>
Die dem Verfassungsgerichtshof zukommenden Kompetenzen sind bereits im [[Bundes-Verfassungsgesetz]], und damit verfassungsgesetzlich abgesichert, abschließend aufgezählt. Im Wesentlichen werden neun unterschiedliche Kompetenzfelder unterschieden, wobei vier davon eine besondere Bedeutung zukommt, weshalb auf diese in der Folge in eigenen Unterabschnitten näher eingegangen wird und die anderen fünf unter [[#Sonstige Kompetenzen|Sonstige Kompetenzen]] zusammengefasst sind.<ref name="Mayer,Kucsko-Stadlmayer,Stöger: Bundesverfassungsrecht">{{Literatur |Autor=[[Heinz Mayer (Jurist)|Heinz Mayer]], [[Gabriele Kucsko-Stadlmayer]], [[Karl Stöger (Rechtswissenschaftler)|Karl Stöger]] |Titel=Bundesverfassungsrecht |Auflage=11. |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=2015 |ISBN=978-3-214-08890-3 |Kapitel=Kapitel: ''IV. Die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofes'' |Seiten=552–611}}</ref><ref name="Berka: Verfassungsrecht">{{Literatur |Autor=[[Walter Berka]] |Titel=Verfassungsrecht. Grundzüge des österreichischen Verfassungsrechts für das juristische Studium |Auflage=6., aktualisierte |Verlag=[[Verlag Österreich]] |Ort=Wien |Datum=2016 |ISBN=978-3-7046-7281-0 |Seiten=345–393}}</ref><ref name="Öhlinger, Eberhard: Verfassungsrecht">{{Literatur |Autor=[[Theo Öhlinger]], [[Harald Eberhard]] |Titel=Verfassungsrecht |Auflage=10., überarbeitete |Verlag=[[Facultas]] |Ort=Wien |Datum=2014 |ISBN=978-3-7089-1111-3 |Kapitel=Kapitel: ''2. Kompetenzen'' |Seiten=464–502}}</ref><ref name="Machacek: Verfahren vor VfGH und VwGH">{{Literatur |Hrsg=[[Rudolf Machacek]] |Titel=Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und vor dem Verwaltungsgerichtshof |Auflage=6., gänzlich überarbeitete |Verlag=[[Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung]] |Ort=Wien |Datum=2008 |ISBN=978-3-214-06194-4 |Kapitel=Kapitel: ''II. B. Die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofes'' |Seiten=20–24}}</ref>


=== Normenkontrolle ===
=== Normenkontrolle ===
Zeile 298: Zeile 329:


=== Wahlgerichtsbarkeit ===
=== Wahlgerichtsbarkeit ===
Gemäß {{Art.|141|B-VG|RIS-B|DokNr=NOR40152555}}&nbsp;B-VG in Verbindung mit §§&nbsp;67&nbsp;bis&nbsp;71a&nbsp;VfGG entscheidet der VfGH über die Anfechtung bestimmter Wahlen wegen deren behaupteter Rechtswidrigkeit. Dem Wortlaut nach hat der VfGH einer Wahlanfechtung stattzugeben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit eines Wahlverfahrens erwiesen wurde und diese auf das Wahlergebnis von Einfluss war. Die Anfechtung wiederum muss sich bereits auf die Behauptung der ''Rechtswidrigkeit'' der Wahl gründen.<ref name="Öhlinger, Eberhard: Verfassungsrecht Rz1043">{{Literatur |Autor=[[Theo Öhlinger]], [[Harald Eberhard]] |Titel=Verfassungsrecht |Auflage=10., überarbeitete |Verlag=[[Facultas]] |Ort=Wien |Datum=2014 |ISBN=978-3-7089-1111-3 |Seiten=494 |Fundstelle=Rz 1043}}</ref> Der Begriff der Rechtswidrigkeit umfasst einerseits gesetzwidrige Handlungen und Entscheidungen der Wahlbehörde (z.&nbsp;B. das Fehlen einer Wahlzelle), wobei die Bestimmungen der Wahlordnungen (z.&nbsp;B. der [[Nationalratswahlordnung|NRWO]]) streng nach ihrem Wortlaut auszulegen und die Wahlbehörden durch diese Formalvorschriften streng gebunden sind.<ref>[http://www.ris2.bka.gv.at/Dokument.wxe?QueryID=Vfgh&Dokumentnummer=JFR_10018788_98W00I04_01&WxeFunctionToken=814a12f5-32cd-46b3-9c5f-1babc31fcb75 VfGH Slg. 15.375/1998]</ref> Auf diese Weise kann somit eine Verletzung von [[Wahlrecht#Wahlrecht|Wahlrechtsgrundsätzen]] geltend gemacht werden. Andererseits umfasst der Rechtswidrigkeitsbegriff auch die von den (Wahl-)Behörden angewendeten Rechtsgrundlagen. So wurde etwa von der KPÖ die Nationalratswahl&nbsp;2006 – im Ergebnis erfolglos – mit der Behauptung angefochten, die [[Vier-Prozent-Hürde (Österreich)|Vier-Prozent-Hürde]] (§§&nbsp;100,&nbsp;107&nbsp;NRWO) sei verfassungswidrig.<ref>[http://www.ris2.bka.gv.at/Dokument.wxe?QueryID=Vfgh&Dokumentnummer=JFT_09938788_06W00I05_00 VfGH Slg. 18.036/2006]</ref>
Gemäß {{Art.|141|B-VG|RIS-B|DokNr=NOR40152555}}&nbsp;B-VG in Verbindung mit §§&nbsp;67&nbsp;bis&nbsp;71a&nbsp;VfGG entscheidet der VfGH über die Anfechtung bestimmter Wahlen wegen deren behaupteter Rechtswidrigkeit. Dem Wortlaut nach hat der VfGH einer Wahlanfechtung stattzugeben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit eines Wahlverfahrens erwiesen wurde und diese auf das Wahlergebnis von Einfluss war. Die Anfechtung wiederum muss sich bereits auf die Behauptung der ''Rechtswidrigkeit'' der Wahl gründen.<ref name="Öhlinger, Eberhard: Verfassungsrecht Rz1043">{{Literatur |Autor=[[Theo Öhlinger]], [[Harald Eberhard]] |Titel=Verfassungsrecht |Auflage=10., überarbeitete |Verlag=[[Facultas]] |Ort=Wien |Datum=2014 |ISBN=978-3-7089-1111-3 |Seiten=494 |Fundstelle=Rz 1043}}</ref> Der Begriff der Rechtswidrigkeit umfasst einerseits gesetzwidrige Handlungen und Entscheidungen der Wahlbehörde (z.&nbsp;B. das Fehlen einer Wahlzelle), wobei die Bestimmungen der Wahlordnungen (z.&nbsp;B. der [[Nationalratswahlordnung|NRWO]]) streng nach ihrem Wortlaut auszulegen und die Wahlbehörden durch diese Formalvorschriften streng gebunden sind.<ref>[http://www.ris2.bka.gv.at/Dokument.wxe?QueryID=Vfgh&Dokumentnummer=JFR_10018788_98W00I04_01&WxeFunctionToken=814a12f5-32cd-46b3-9c5f-1babc31fcb75 VfGH Slg. 15.375/1998]</ref>
Auf diese Weise kann somit eine Verletzung von [[Wahlrecht#Wahlrecht|Wahlrechtsgrundsätzen]] geltend gemacht werden. Andererseits umfasst der Rechtswidrigkeitsbegriff auch die von den (Wahl-)Behörden angewendeten Rechtsgrundlagen. So wurde etwa von der KPÖ die Nationalratswahl&nbsp;2006 – im Ergebnis erfolglos – mit der Behauptung angefochten, die [[Vier-Prozent-Hürde (Österreich)|Vier-Prozent-Hürde]] (§§&nbsp;100,&nbsp;107&nbsp;NRWO) sei verfassungswidrig.<ref>[http://www.ris2.bka.gv.at/Dokument.wxe?QueryID=Vfgh&Dokumentnummer=JFT_09938788_06W00I05_00 VfGH Slg. 18.036/2006]</ref>


Folgende Wahlen können – meist nur von den Wahlwerbern selbst – angefochten werden (Art&nbsp;141&nbsp;Abs&nbsp;1&nbsp;B-VG):
Folgende Wahlen können – meist nur von den Wahlwerbern selbst – angefochten werden (Art&nbsp;141&nbsp;Abs&nbsp;1&nbsp;B-VG):
Zeile 331: Zeile 363:


== Literatur ==
== Literatur ==
[[Datei:Paul Vittorelli Verfassungsgerichtshof Titel 1928.jpg|mini|hochkant|''Der Verfassungsgerichtshof'' (1928)]]
;Zum Verfassungsgerichtshof selbst und zur österreichischen Verfassungsgerichtsbarkeit
;Zum Verfassungsgerichtshof selbst und zur österreichischen Verfassungsgerichtsbarkeit
* {{Literatur
* {{Literatur
Zeile 393: Zeile 426:
|Kommentar=Kapitel XI.: ''Verfassungsgerichtsbarkeit'', S. 472–520}}
|Kommentar=Kapitel XI.: ''Verfassungsgerichtsbarkeit'', S. 472–520}}
* {{Literatur
* {{Literatur
|Autor=[[Heinz Mayer (Jurist)|Heinz Mayer]], [[Gabriele Kucsko-Stadlmayer]], [[Karl Stöger (Jurist)|Karl Stöger]]
|Autor=[[Heinz Mayer (Jurist)|Heinz Mayer]], [[Gabriele Kucsko-Stadlmayer]], [[Karl Stöger (Rechtswissenschaftler)|Karl Stöger]]
|Titel=Bundesverfassungsrecht
|Titel=Bundesverfassungsrecht
|Auflage=11.
|Auflage=11.
Zeile 413: Zeile 446:


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Commonscat|Constitutional Court of Austria|Verfassungsgerichtshof (Österreich)}}
{{Commonscat|Constitutional Court of Austria|Verfassungsgerichtshof (Österreich)|audio=0|video=0}}
* [https://www.vfgh.gv.at/ Website des Verfassungsgerichtshofes]
* [https://www.vfgh.gv.at/ Website des Verfassungsgerichtshofes]
* [http://www.ris.bka.gv.at/Vfgh/ Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes] seit 1980 im [[Rechtsinformationssystem des Bundes]] (RIS)
* [https://www.ris.bka.gv.at/Vfgh/ Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes] seit 1980 im [[Rechtsinformationssystem des Bundes]] (RIS)
* [http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=vfb&datum=0001&pos=1&size=45 Sammlung der Erkenntnisse des österreichischen Verfassungsgerichtshofes] – Digitalisate von 1919 bis 1979 bei [[ALEX – Historische Rechts- und Gesetzestexte Online]]
* [https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=vfb&datum=0001&pos=1&size=45 Sammlung der Erkenntnisse des österreichischen Verfassungsgerichtshofes] – Digitalisate von 1919 bis 1979 bei [[ALEX – Historische Rechts- und Gesetzestexte Online]]
* {{DNB-Portal|35886-1}}


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
Zeile 425: Zeile 459:
{{Rechtshinweis}}
{{Rechtshinweis}}
{{Coordinate|NS=48.2115|EW=16.3660|type=landmark|dim=200|region=AT-9}}
{{Coordinate|NS=48.2115|EW=16.3660|type=landmark|dim=200|region=AT-9}}
{{Normdaten|TYP=k|GND=35886-1|LCCN=n/83/182936|VIAF=141935013}}
{{Normdaten|TYP=k|GND=35886-1|LCCN=n83182936|VIAF=88151897215924072244}}


[[Kategorie:Gericht (Österreich)]]
[[Kategorie:Gericht (Österreich)]]

Aktuelle Version vom 14. Juni 2024, 12:10 Uhr

OsterreichÖsterreich Verfassungsgerichtshof
— VfGH —p1
Logo des VfGH
Staatliche Ebene Bund
Stellung für die Verfassungsgerichtsbarkeit zuständiges Höchstgericht
Hauptsitz Wien 1., Freyung 8
Präsident Christoph Grabenwarter
Mitarbeiter 102 nichtrichterliche Mitarbeiter
davon 35 verfassungsrechtliche Mitarbeiter (2018)[1]
Haushaltsvolumen 17 Mio. EUR (2022)[2]
Website www.vfgh.gv.at
Der Sitz des Verfassungs­gerichts­hofs in Wien-Innere Stadt im ehe­maligen Gebäude der Österr. Credit­anstalt für Handel und Gewerbe

Der österreichische Verfassungsgerichtshof (Abkürzung VfGH) ist ein Gerichtshof des öffentlichen Rechts mit Sitz in Wien. Er ist als einzige in Österreich zur Ausübung der Verfassungsgerichtsbarkeit berufene Institution eine der wichtigsten Einrichtungen im Rechtsschutzsystem der österreichischen Bundesverfassung und neben dem Verwaltungsgerichtshof (VwGH) und dem Obersten Gerichtshof (OGH) eines von drei Höchstgerichten in Österreich.

Die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofes werden im Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) abschließend geregelt, die Organisation und das Verfahren dagegen nur in ihren Grundzügen. Nach Art. 138 B-VG hat er die Funktion eines Kompetenzgerichtshofs nicht nur bei Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden, sondern auch zwischen ordentlichen Gerichten und Verwaltungsgerichten oder dem Verwaltungsgerichtshof sowie zwischen dem Verfassungsgerichtshof selbst und allen anderen Gerichten.

Nähere Regelungen zum Verfahren enthalten das Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG) und eine vom Verfassungsgerichtshof auf seiner Grundlage erlassene Geschäftsordnung. Der VfGH gilt als ältestes für die Normenkontrolle ermächtigtes Verfassungsgericht der Welt.[3]

Geschichte der österreichischen Verfassungsgerichtsbarkeit

Verfassungsgerichtsbarkeit in der Monarchie

Das ehemalige Gebäude des Reichsgerichts am Wiener Schillerplatz

Als Vorgänger des späteren Verfassungsgerichtshofs der Republik (Deutsch-)Österreich wird allgemein das Reichsgericht der Monarchie angesehen. Dieses entstand im Zuge der Überlegungen zur Schaffung der konstitutionellen Dezemberverfassung von 1867 als notwendig erachtete Füllung einer Lücke des Februarpatents von 1861. Die Mitglieder des mit der Ausarbeitung der Dezemberverfassung betrauten Verfassungsausschusses des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrats planten, mit diesem eine Institution zu schaffen, die dreierlei Aufgaben zu übernehmen hatte: Die Gewährleistung des Schutzes der – nunmehr neu kodifizierten – verfassungsmäßig gewährleisteten politischen Rechte der Staatsbürger, die unparteiische Entscheidung gewisser Kompetenzkonflikte sowie die Durchsetzung von Ansprüchen, welche nicht privatrechtlicher Natur waren, gegen das Reich und die einzelnen Bestandteile desselben zu ermöglichen.[4]

Das Reichsgericht wurde durch das Staatsgrundgesetz über die Einrichtung eines Reichsgerichts vom 21. Dezember 1867[5] eingeführt und nahm am 21. Juni 1869 seine Tätigkeit in Wien auf. Die erste mündliche Verhandlung führte das Reichsgericht am 29. November 1869 durch.[6] Es bestand – hierin zeigt sich eine Übereinstimmung mit dem späteren Verfassungsgerichtshof – aus 14 Mitgliedern, wobei der Präsident und der Vizepräsident sowie die zwölf weiteren Mitglieder unterschiedlich vom Kaiser direkt oder auf Vorschlag jeweils einer der beiden Kammern des Reichsrats ernannt wurden.[7] Die letzten veröffentlichten Erkenntnisse des Reichsgerichts datieren mit 14. Oktober 1918,[8] also wenige Tage vor dem Zusammenbruch der Monarchie und der Proklamation der Republik, wenngleich das Reichsgericht als provisorische Übergangsinstitution formal noch einige Wochen in der Zeit der Republik existierte.[6]

Der Verfassungsgerichtshof der Zwischenkriegszeit

Nach heute herrschender Ansicht in weiten Teilen der rechtsgeschichtlichen Lehre wurde der Staat (Deutsch-)Österreich nicht erst mit Beschluss des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich und der daran anschließenden öffentlichen Ausrufung der Republik am 12. November 1918, sondern bereits einige Tage zuvor, nämlich am 30. Oktober, gegründet.[9] An diesem Tag fasste die Provisorische Nationalversammlung den „Beschluss über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt“, dessen § 16 wie folgt lautete:

§ 16.
Insoweit Gesetze und Einrichtungen, die in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern in Kraft stehen, durch diesen Beschluß nicht aufgehoben oder abgeändert sind, bleiben sie bis auf weiteres in vorläufiger Geltung. [10]

Bedingt durch diese Formulierung war auch das Reichsgericht der Monarchie nicht ersatzlos aufgehoben, sondern als „provisorisches Reichsgericht“ des Staates Deutschösterreich eingesetzt worden. Dieses stellte jedoch seine Rechtsprechung mit den oben erwähnten letzten Erkenntnissen ein und nahm die Entscheidungstätigkeit in den Anfangstagen der Republik auch nicht mehr auf. Interessant ist in dieser Hinsicht, dass die Mitglieder des Reichsgerichts dennoch noch eine Entscheidung im Rahmen eines zusammengesetzten Senats über einen Kompetenzkonflikt des Reichsgerichts mit dem Verwaltungsgerichtshof am 11. November 1918 fällten – die einzige überlieferte Entscheidung des Reichsgerichts in der Zeit des Staates Deutschösterreich.[11][8]

Der (deutsch-)österreichische Verfassungsgerichtshof 1919–1920

Bereits wenige Wochen nach der Bestimmung des vormaligen Reichsgerichts zum „provisorischen Reichsgericht“ der neuen Republik kam es schließlich zur Errichtung des Verfassungsgerichtshofs als eigenes Verfassungsgericht der Republik Deutschösterreich. Das Gesetz über die Errichtung eines deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshofes vom 25. Jänner 1919 bildete die Grundlage für den Übergang der bisher vom Reichsgericht ausgeübten Kompetenzen auf den neu geschaffenen Verfassungsgerichtshof.[12] Der Vorentwurf für dieses Gesetz, das die Provisorische Nationalversammlung kurz vor dem Übergang der Gesetzgebungsgewalt an die gewählte Konstituierende Nationalversammlung am 25. Jänner 1919 beschloss, stammt aus der Feder Hans Kelsens, des späteren maßgeblichen Mitschöpfers der Bundesverfassung von 1920, der auf Anweisung von Staatskanzler Karl Renner tätig wurde.[13]

Der nunmehr eingesetzte Verfassungsgerichtshof änderte im Wesentlichen nur seinen Namen. Darüber hinaus wurde die Anzahl der Mitglieder zunächst auf den Präsidenten, den Vizepräsidenten, acht weitere Mitglieder und vier Ersatzmitglieder verkleinert, weil Kelsen, wie er in den Anmerkungen zu seinem Entwurf ausführte, der Ansicht war, die vorgeschlagene Anzahl von zwölf Mitgliedern sei angesichts der „geminderten territorialen Kompetenz“ zu groß.[13] Nachdem die Mitglieder des Reichsgerichts zuvor vom Kaiser ernannt worden waren, ging diese Ernennungskompetenz zunächst auf das neue Staatsoberhaupt der Republik, den Staatsrat, über. Am 24. Februar 1919 kam es schließlich zur formellen Amtsübergabe des ehemaligen Präsidenten des Reichsgerichts, Karl Grabmayr, an den neuen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs, Paul Vittorelli.[11] Der Verfassungsgerichtshof nahm danach unmittelbar seine rechtsprechende Arbeit auf und konnte mit 10. März 1919 seine ersten Erkenntnisse fällen. Bereits in einem dieser ersten Erkenntnisse hielt der Verfassungsgerichtshof allerdings fest, sich selbst nicht als „Fortsetzung des früheren Reichsgerichtes unter einer anderen Bezeichnung“ zu sehen, sondern vielmehr ein „neu geschaffener Gerichtshof“ zu sein.[14]

Eine wesentliche Erweiterung der Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs erfolgte noch im März 1919. Mit dem Gesetz über die Volksvertretung wurde in dessen Art. 15 die Möglichkeit geschaffen, dass der Verfassungsgerichtshof auf Antrag der Staatsregierung Gesetzesbeschlüsse der Landesversammlungen auf ihre Verfassungswidrigkeit hin zu prüfen hat.[15] Diese Bestimmung wird heute überwiegend als Beginn der Gesetzesprüfungskompetenz des Verfassungsgerichtshofs betrachtet, wobei ihr in der Zeit bis zur Schaffung des B-VG 1920 tatsächlich keine Bedeutung zukam, da es in dieser Zeit zu keinem einzigen solchen Gesetzesprüfungsverfahren kam.[16] Zu einer weiteren Kompetenzerweiterung kam es nur wenige Wochen später, am 3. April 1919, mit einem Gesetz, das die Aufgaben der Staatsgerichtsbarkeit (also insbesondere die Entscheidung über Anklagen von Ministern) an den Verfassungsgerichtshof übertrug. Mit demselben Gesetz wurde auch die Mitgliederzahl wieder auf 14 angehoben und damit dem Stand des ehemaligen Reichsgerichts angeglichen.[17] Bereits kurz zuvor, nämlich am 30. März 1919 verstarb das Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Edmund Bernatzik. Als sein regulärer Nachfolger – und damit nicht bedingt durch die Aufstockung der Mitgliederzahl, die parallel dazu stattfand – wurde am 3. Mai 1919 der von Teilen der Lehre als geistiger „Vater“[18] des Verfassungsgerichtshofs bezeichnete Hans Kelsen zum Verfassungsrichter ernannt.

Der Staatsvertrag von Saint-Germain bedingte eine gesamtstaatliche Namensänderung: Der Staat trug nicht mehr den Namen „Deutschösterreich“, sondern nur noch „Österreich“. Dies hatte insofern Auswirkung auf den Verfassungsgerichtshof, als dieser ab 21. Juli 1920 als Verfassungsgerichtshof der Republik Österreich bezeichnet wurde.

Der Verfassungsgerichtshof nach dem B-VG 1920

Das Jahr 1920 brachte der jungen Republik Österreich eine verfassungsrechtliche Zäsur: Nachdem die Konstituierende Nationalversammlung monatelang diskutiert und verhandelt hatte, wurde schließlich in ihrer letzten Sitzung am 1. Oktober 1920 mit dem Bundes-Verfassungsgesetz der zentrale Verfassungsakt der österreichischen Bundesverfassung beschlossen, die mit dem Tag der ersten Sitzung des darin neu geschaffenen Nationalrats am 10. November 1920 in Kraft trat.[19] Diese Verfassung ging auf Entwürfe Hans Kelsens sowie Textbeiträge des damaligen Staatskanzlers Karl Renner sowie des späteren Bundeskanzlers und Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs Michael Mayr zurück. Sie stellt bis heute den zentralen Bestandteil des österreichischen Verfassungsrechts dar und enthielt zum Zeitpunkt ihrer ursprünglichen Beschlussfassung in den Artikeln 137 bis 148 die wesentlichen Bestimmungen zur Einrichtung, Organisation und Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs.[20]

Im Zuge der Einführung des B-VG wurden auch die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs zum einen auf eine verfassungsrechtliche Grundlage gestellt und zum anderen erheblich ausgeweitet. Neben der schon bislang bestehenden Kompetenz-, Kausal-, Wahl- und Staatsgerichtsbarkeit erhielt der Verfassungsgerichtshof insbesondere auch erweiterte Normenkontrollbefugnisse (also die Berechtigung, Verordnungen und Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen) sowie die Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit (die Möglichkeit, über Beschwerden wegen Verletzung verfassungsmäßig gewährleisteter Rechte durch Entscheidung oder Verfügung von Verwaltungsbehörden zu entscheiden).[21] Daneben mussten auch die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs – es blieb bei 14 Mitgliedern – erneut nach den nunmehr neu geschaffenen Besetzungsbestimmungen des Art. 147 B-VG bestellt werden. Dies erfolgte durch die Wahl der Mitglieder im National- bzw. Bundesrat am 15. bzw. 20. Juli 1921. Ein zusätzliches Vorschlagsrecht der Bundesregierung, wie dies heute der Fall ist, kannte die ursprüngliche Fassung des Art. 147 nicht.[21] Ganz im Gegensatz zu den späteren Bestellungen war es 1921 üblich, dass aktive Politiker, teilweise sogar ohne juristische Vorbildung, aus parteipolitischem Kalkül zu Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofs bestellt wurden.

Seine ersten Erkenntnisse nach der Erlassung des B-VG fällte der Verfassungsgerichtshof am 14. Dezember 1920, wobei erst am 11. Oktober 1921, nach den Neubestellungen, die ersten Erkenntnisse durch die neue Besetzung gefällt wurden.[21] Den Sitz hatte der Verfassungsgerichtshof zunächst weiter im Gebäude des ehemaligen Reichsgerichts („Schillerhof“) am Wiener Schillerplatz, ehe er im Mai 1923 aus Einsparungsgründen infolge der Genfer Protokolle ins Parlamentsgebäude übersiedeln musste.[22]

Eine weitere organisatorische Veränderung erfuhr der Verfassungsgerichtshof im Jahr 1921, als das Verfassungsgerichtshofgesetz erlassen wurde. Bis dahin hatte es kein eigenes Organisations- und Verfahrensrecht für den Gerichtshof gegeben, weshalb das „Gesetz betreffend die Organisation des Reichsgerichtes, das Verfahren vor dem selben und die Vollziehung seiner Erkenntnisse“ aus dem Jahr 1869 ersatzweise herangezogen wurde. Das Bundesgesetz über die Organisation und über das Verfahren des Verfassungsgerichtshofes[23] vom 13. Juli 1921 änderte diesen Zustand und bewirkte gleichzeitig einige organisatorische Neuerungen. Zu den wichtigsten davon gehören die Festlegung der Zahl der Mitglieder des Gerichtshofs (14, wie bereits beim Reichsgericht, aber sechs statt vier Ersatzmitglieder) sowie erstmals eine Unvereinbarkeitsbestimmung für die Richter des Verfassungsgerichtshofs. Auch die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs wurden im selben Zuge erweitert: Er war nunmehr auch zuständig, über Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern zu entscheiden.[24]

Die Entpolitisierung des Verfassungsgerichtshofs 1930

Die Novelle des Bundes-Verfassungsgesetzes von 1929 führte zu einer tiefgreifenden Veränderung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs. Bereits nach der Nationalratswahl 1920 hatte sich unter Führung der Christlichsozialen Partei eine „Bürgerblockregierung“ gebildet (siehe Bundesregierung Mayr II), die, bei der Nationalratswahl 1927 als Einheitsliste angetreten, gemeinsam mit dem Landbund über eine Mehrheit im Nationalrat verfügte. Diese Parlamentsmehrheit strebte nunmehr eine Novelle des Bundes-Verfassungsgesetzes an, um eine Entpolitisierung des VfGH zu bewerkstelligen, nachdem diesem zuvor zahlreiche aktive Politiker und parteinahe Personen angehört hatten. Wesentlichstes Ziel der Novelle war aber primär eine Stärkung der Stellung des Bundespräsidenten gegenüber dem Parlament.[25][26] Daher wurden auch als zentrales Element der Reform die Bestimmungen über die Bestellung der Verfassungsrichter abgeändert: Nicht mehr der Nationalrat, sondern der Bundespräsident sollte die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs ernennen. Hierzu hatten die Bundesregierung, der Nationalrat und der Bundesrat jeweils Vorschläge zu erstatten, die beiden Letztgenannten in Form von Dreiervorschlägen, aus denen der Bundespräsident einen Kandidaten auswählen konnte.

Weiters wurden die Unvereinbarkeitsregeln des VfGG sowie die Zahl der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs nunmehr im Bundes-Verfassungsgesetz verankert. Zugleich wurde, wie bereits angedeutet, die Entpolitisierung des Gerichtshofs angestrebt, indem die Vollendung des Rechts- und Staatswissenschaftlichen Studiums ebenso zur Voraussetzung für die Ernennung gemacht wurde wie eine zehnjährige Ausübung eines juristischen Berufs. Waren die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs bis dahin auf Lebenszeit gewählt worden, bestimmte die Novelle nunmehr, dass ihre Amtszeit mit Ablauf des Jahres enden sollte, in dem sie ihr 70. Lebensjahr vollendeten, – auch diese Regelung hat bis heute Bestand. Der von manchen Autoren als „Schönheitsfehler“[25] der Reform von 1929 bezeichnete Punkt der Novelle bestand darin, dass, wie einige Autoren anmerken, die „Entpolitisierung“ eher eine „Umpolitisierung“ war:[27] Durch § 25 des Verfassungs-Übergangsgesetzes 1929 verloren nämlich alle zu diesem Zeitpunkt im Verfassungsgerichtshof tätigen Richter ihr Amt zum 15. Februar 1930 und mussten nach den neuen Bestellungsregeln neu bestellt werden. Dass dies nicht bei allen Mitgliedern geschah und beispielsweise Hans Kelsen sein Amt dadurch verlor, macht deutlich, dass hauptsächlich der parteipolitischen Linie der Regierung entsprechende Mitglieder wiederbestellt wurden. Kelsen saß bis dahin als „Experte“ im Verfassungsgerichtshof und hatte sich dort als Referent bei umstrittenen Erkenntnissen (z. B. Sever-Ehe) bei der Regierung unbeliebt gemacht. Er hätte ein Angebot des damaligen Wiener Bürgermeisters Karl Seitz annehmen können, der vorschlug, ihn vonseiten der Sozialdemokraten zu nominieren, lehnte dies aber ab, da er nicht parteipolitisch nominiert werden wollte.[28] Auch Präsident Vittorelli und Vizepräsident Menzel verloren am 15. Februar 1930 ihre Ämter als Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs.[27]

Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs 1933/34

Bundeskanzler Engelbert Dollfuß schaltete 1933 mit seiner Regierung den VfGH aus

Die politische Entwicklung der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts war in der Folge geprägt von einer Zuspitzung und Polarisierung zwischen den konservativen Regierungsparteien und der oppositionellen Sozialdemokratie. All dies kulminierte schließlich in der Nationalratssitzung am 4. März 1933, als alle drei Präsidenten des Nationalrats zurücktraten. Bundeskanzler Engelbert Dollfuß nahm dieses Ereignis zum Anlass, von der „Selbstausschaltung des Parlaments“ und daraus resultierend dessen Funktionsunfähigkeit auszugehen. In weiterer Folge wurde eine für 15. März einberufene Nationalratssitzung mithilfe der Polizei, die das Parlamentsgebäude umstellte und Abgeordneten den Zugang verwehrte, verhindert.[29]

Die Bundesregierung Dollfuß I erließ in der Folge auf der Grundlage des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917 generelle Normen in Form von (Not-)Verordnungen. Bereits bis zum 30. Mai 1933 langten beim Verfassungsgerichtshof insgesamt 38 Anträge auf Prüfung von solchen Verordnungen ein, zum Jahresende 1933 hatte allein die Wiener Landesregierung Seitz III 82 solche Anträge eingebracht. Der Verfassungsgerichtshof leitete schließlich auch von Amts wegen ein Prüfungsverfahren ein, was die Regierung befürchten ließ, der Gerichtshof würde ihrer Praxis der Gesetzgebung durch Verordnungen demnächst ein Ende setzen.[30] Nachdem das Verfahren über sieben dieser Fälle bereits eingeleitet und die Bundesregierung zur Erstattung von Gegenschriften aufgefordert worden war, war Eile geboten. In einer Ministerratssitzung am 28. April 1933 wurde daher von der Regierung das weitere Vorgehen besprochen, wobei ein Vorschlag des VfGH-Ersatzmitglieds Robert Hecht aufgegriffen wurde: Die regierungsnahen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs sollten geschlossen zurücktreten, sodass die für die Beschlussfassung im Gerichtshof erforderliche Anwesenheit nicht mehr erreicht werden konnte.[30][31]

Die Regierung erließ am 23. Mai 1933 eine gesetzesändernde Verordnung, mit der das Verfassungsgerichtshofgesetz abgeändert wurde, um die vorgeschlagene Vorgehensweise zu erleichtern. So mussten nicht alle Mitglieder zurücktreten, sondern es reichte bereits der Rücktritt einzelner Mitglieder, um weitere Mitglieder von der Verhandlung automatisch auszuschließen.[32] Als erstes Mitglied des Verfassungsgerichtshofs trat bereits am 18. Mai 1933, also noch einige Tage vor der Änderung des VfGG, Adolf Wanschura vom Amt zurück, der in einer zeitgleich mit dem Beschluss der oben genannten Verordnung veröffentlichten Erklärung in der Reichspost seinen Austritt ausführlich begründete.[33] In weiterer Folge, insbesondere nachdem Robert Hecht im Auftrag von Dollfuß zugesagt hatte, dass die zurücktretenden Mitglieder auch für den künftig neu zu besetzenden VfGH wieder berücksichtigt würden, traten zwischen 20. und 28. Mai noch sechs weitere Mitglieder des Gerichtshofs von ihren Ämtern zurück (neben Wanschura und Hecht selbst auch Ludwig Praxmarer, Friedrich Mathias, Mathias Bernegger, Ernst Ganzwohl und Adolf Pilz).[30] Dadurch war der Verfassungsgerichtshof nicht mehr beschlussfähig, was de facto die Ausschaltung bedeutete.[31]

Mit der autoritären ständestaatlichen Maiverfassung von 1934 wurde der Verfassungsgerichtshof schließlich gänzlich abgeschafft, wodurch auch die noch verbliebenen Mitglieder des Gerichtshofs ihr Amt verloren. Gleichzeitig wurde in der von der Bundesregierung durchgesetzten und von einem „Rumpfparlament“ beschlossenen Verfassung der Bundesgerichtshof als Nachfolger sowohl des Verfassungs- als auch des Verwaltungsgerichtshofs geschaffen. Diesem gehörten in der Folge auch einige der ehemaligen VfGH-Mitglieder an, insbesondere in dessen Verfassungssenat.[34] Der „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich änderte das Wesen des Bundesgerichtshofs maßgeblich. Er verlor alle verfassungsgerichtlichen Kompetenzen und wurde zu einem Verwaltungsgericht, das ab 1940 als „Verwaltungsgerichtshof in Wien“ bezeichnet wurde. 1941 wurde er mit anderen Verwaltungsgerichten organisatorisch zusammengelegt und fungierte in der Folge als Außensenat Wien des Reichsverwaltungsgerichts.[35][36][37]

Entwicklung des Verfassungsgerichtshofs in der zweiten Republik

Der provisorische Verfassungsgerichtshof 1945/1946

Die Befreiung vom Nationalsozialismus ab Ende März 1945 führte auch zum Wiederaufleben der Republik Österreich und ihrer Institutionen. Nachdem bereits am 23. April zwischen den beiden neu gegründeten großen Parteien, den Sozialisten und der Volkspartei, das Einvernehmen über die Bildung einer provisorischen Staatsregierung hergestellt wurde, wurde diese am 27. April 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht anerkannt. Noch am selben Tag erließ die neue provisorische Staatsregierung unter Staatskanzler Karl Renner eine Proklamation über die Unabhängigkeit Österreichs. Bereits in seiner sechsten Sitzung am 13. Mai 1945 beschloss der Kabinettsrat das Verfassungs-Überleitungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 sowie alle weiteren Verfassungsgesetze in ihrem Stand vom 5. März 1933 wieder in Geltung gesetzt wurden. Österreich war damit wieder auf die verfassungsmäßige Grundlage vor der autoritären Maiverfassung von 1934 gestellt worden. Tatsächlich wurde im Verfassungs-Überleitungsgesetz aber bestimmt, dass das B-VG aufgrund der Undurchführbarkeit zu diesem Zeitpunkt erst sechs Monate nach dem Zusammentreten der gewählten Volksvertretung in Kraft treten sollte. (Diese Frist wurde in der Folge stark verkürzt.) Bis dahin galt eine Vorläufige Verfassung.[38]

Diese Vorläufige Verfassung sah zunächst keinen Verfassungsgerichtshof vor. Erst mit einem Verfassungsgesetz vom 12. Oktober 1945 wurde in § 48a der Vorläufigen Verfassung der Verfassungsgerichtshof wieder eingerichtet, um in Hinblick auf die anstehenden Nationalratswahlen eine ordentliche Kompetenz- und Wahlgerichtsbarkeit zu gewährleisten. Die Kompetenzen dieses provisorischen Verfassungsgerichtshofs wurden aus dem – zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht in Geltung stehenden – Bundes-Verfassungsgesetz 1929 abgeleitet.[38] Das erste und offenbar einzige Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs auf Grundlage der Vorläufigen Verfassung betraf dann auch eine Wahlanfechtung, und zwar die Anfechtung der Landtagswahl in Tirol 1945.[39] Das ebenfalls am 12. Oktober 1945 beschlossene Verfassungsgerichtshofgesetz regelte erneut die Einrichtung und das Verfahren des Verfassungsgerichtshofs. Dem provisorischen Verfassungsgerichtshof gehörten demnach bis zum Inkrafttreten des B-VG nur ein Präsident, ein Vizepräsident und fünf weitere Mitglieder sowie fünf Ersatzmitglieder an. Die Bestellung dieser Mitglieder erfolgte ebenfalls abweichend zum B-VG: Präsident und Vizepräsident waren vom Kabinettsrat (Staatskanzler, alle Staatssekretäre, alle Unterstaatssekretäre), je ein Mitglied und Ersatzmitglied von den beiden anderen Höchstgerichten (OGH und VwGH) sowie je ein Mitglied und Ersatzmitglied von den drei staatstragenden politischen Parteien (ÖVP, SPÖ und KPÖ) zu bestellen.[40]

Am 25. November 1945 fand in Österreich die erste Nationalratswahl seit 1933 statt. Der somit neu gewählte Nationalrat kam am 19. Dezember 1945 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen und beschloss in dieser ein weiteres Verfassungs-Übergangsgesetz, mit dem das B-VG 1929 in Kraft gesetzt und das Verfassungs-Überleitungsgesetz sowie die vorläufige Verfassung des Kabinettsrats außer Geltung gesetzt wurden. Der erste nach den Bestimmungen des B-VG 1929 zusammengesetzte Verfassungsgerichtshof kam in der Folge am 3. Oktober 1946 zu seiner konstituierenden Sitzung unter dem Vorsitz von Präsident Ludwig Adamovich sen. zusammen.[40]

Entwicklungen nach 1946

Der österreichische Verfassungs­gerichts­hof residierte von 1946 bis 2012 in der ehemaligen Böhmi­schen Hof­kanzlei, Wien 1., Judenplatz 11
Beratung der VfGH-Richter im Blauen Salon der Böhmischen Hofkanzlei im Juni 2003

In den Jahrzehnten nach der Konstituierung des Verfassungsgerichtshofs der Zweiten Republik auf Grundlage des Bundes-Verfassungsgesetzes kam es im Wesentlichen nur noch zu Änderungen und Erweiterungen der Kompetenzen des Gerichtshofs. Seine Stellung oder Organisation wurden aber nie mehr wesentlich verändert. Eine geringfügige Änderung hinsichtlich des Bestellungsmodus wurde mit einer Verfassungsnovelle im Jahr 1994 eingeführt: Bis dahin hatten sowohl der National- als auch der Bundesrat ihre Vorschläge für die Bestellung von Mitgliedern dem Bundespräsidenten jeweils als Dreiervorschläge zu unterbreiten, woraus der Bundespräsident einen der Kandidaten frei wählen konnte. Diese Praxis wurde 1994 abgeschafft und dem Vorschlagsrecht der Bundesregierung angeglichen, sodass nunmehr auch National- und Bundesrat jeweils Einzelkandidaten zur Bestellung vorschlagen.

Weitere Novellierungen des Bundes-Verfassungsgesetzes und anderer Verfassungsbestimmungen mit Bezug zum Verfassungsgerichtshof betrafen meistens nur dessen Kompetenzen. So kann der VfGH etwa seit 1964 über die Rechtmäßigkeit von Staatsverträgen entscheiden, seit 1975 auf Antrag eines Drittels der Abgeordneten des Nationalrats oder eines zweitinstanzlichen Gerichts ein Gesetzes- oder Verordnungsprüfungsverfahren einleiten, dasselbe seit 1991 auch auf Antrag eines Drittels der Mitglieder des Bundesrats, sowie Entscheidungen der damaligen Unabhängigen Verwaltungssenate prüfen. Im Zuge der bedeutenden Novelle 1975 wurde auch die „Individualbeschwerde“ eingeführt, die es Einzelpersonen in eng begrenztem Rahmen ermöglichte, Gesetzes- oder Verordnungsbestimmungen direkt beim Verfassungsgerichtshof zu bekämpfen. Eine wesentliche Neuerung in den Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs stellte auch die mit 1. Jänner 2015 eingeführte „Gesetzesbeschwerde“ – juristisch als Parteiantrag auf Normenkontrolle bezeichnet – dar, die es Parteien eines Verfahrens vor einem ordentlichen Gericht ermöglicht, im Zuge eines Rechtsmittels gegen ein erstinstanzliches Urteil beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung von Rechtsvorschriften zu beantragen. Auch erstinstanzliche Gerichte können seitdem Anträge auf Normenkontrolle an den Verfassungsgerichtshof stellen.

Von 1946 bis zum Sommer 2012 hatte der VfGH seinen Sitz in der ehemaligen Böhmischen Hofkanzlei im 1. Wiener Gemeindebezirk, Eingang vom Judenplatz, wo sich auch der Verwaltungsgerichtshof befindet. Am 20. August 2012 wurde der wegen Platzmangels übersiedelte Gerichtsbetrieb im bis 1921 errichteten ehemaligen Bankgebäude Freyung 8 (offizielle Adresse, zuvor als Renngasse 2 bezeichnet), ebenfalls im 1. Bezirk, aufgenommen. Das Haus ist seit Anfang der 1990er Jahre als Sitz des Bank Austria Kunstforums bekannt.[41][42]

Mit der Ernennung von Brigitte Bierlein zur VfGH-Präsidentin am 23. Februar 2018 rückte erstmals in der Geschichte der österreichischen Verfassungsgerichtsbarkeit eine Frau an die Spitze dieses Höchstgerichts auf.[43] Knapp anderthalb Jahre später wurde Brigitte Bierlein von Bundespräsident Alexander Van der Bellen zur Bundeskanzlerin einer Übergangsregierung (Bundesregierung Bierlein) ernannt, nachdem die vorherige Regierungs-Koalition infolge der Ibiza-Affäre aufgelöst worden war. Gemäß Art. 147 Abs. 4 u. 5 B-VG dürfen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs nicht gleichzeitig auch der Bundesregierung angehören (Grundsatz der Inkompatibilität). Im Vorfeld der Angelobung als Bundeskanzlerin legte Brigitte Bierlein daher das Amt als Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes mit 2. Juni 2019 zurück.[44]

Bedeutende Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs

Die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes von 1919 bis 1979 sind auf einem Internetportal der Österreichischen Nationalbibliothek mit dem Namen ALEX – Historische Rechts- und Gesetzestexte Online archiviert. Die Erkenntnisse seit 1980 – sowie in Auswahl auch ältere Judikate[45] – sind im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) zu finden. Der Verfassungsgerichtshof selbst präsentiert auf seiner Website unter dem Titel „Rechtsprechung im Wandel“ im Rahmen einer Zeitleiste ausgewählte geschichtlich bedeutsame Erkenntnisse.[46]

In der Ersten Republik

Unter den vom VfGH zu entscheidenden Fällen befanden sich einige, in denen der Gegensatz zwischen der Sozialdemokratie und der seit 1920 konservativen Bundesregierung zum Ausdruck kam:

Kein „Reigen“-Verbot in Wien

Der Wiener Bürgermeister Jakob Reumann verbot 1921 entgegen einer Verordnung des Bundesministers für Inneres und Unterricht, Egon Glanz, die Aufführung von Arthur Schnitzlers von Konservativen als skandalös bezeichnetem Drama „Reigen“ nicht und wurde deshalb von der Bundesregierung Mayr II beim VfGH angeklagt. Es stellte sich heraus, dass die an Reumann ergangene Verordnung keine Unterschrift aufwies und daher rechtlich als nicht existent zu betrachten war.[47][48]

Feuerbestattung gegen Ministerwillen

1923 nahm Reumann gegen den Willen von Sozialminister Richard Schmitz ein städtisches Krematorium, die Feuerhalle Simmering, in Betrieb (die römisch-katholische Kirche trat damals gegen die Feuerbestattung auf). Der Landeshauptmann wurde daraufhin von der von einem Priester geleiteten Bundesregierung Seipel I vor den VfGH gezogen. Dieser entschied, Reumann habe sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden, da das Bestattungswesen lang ausschließliche Landeskompetenz gewesen sei.[49]

Dispensehen nicht von Gerichten entscheidbar

Die so genannten Sever-Ehen (auch Dispensehe) bewirkten jahrelange Unsicherheit der betreffenden Personen. Albert Sever, 1919–1921 sozialdemokratischer Landeshauptmann von Niederösterreich (damals noch inklusive Wien), hatte geschiedenen Katholiken per Dispens die Wiederverehelichung ermöglicht. Gerichte sahen sich berufen, die Dispens in einigen Fällen für unwirksam zu erklären. Der VfGH entschied, der Verfassung entsprechend seien nur Verwaltungsbehörden, nicht aber Gerichte zu diesen Entscheidungen befugt, und hob die Gerichtsurteile zum Missvergnügen der Konservativen auf, sodass die Zweitehen aufrecht blieben.[50][51] In einem späteren Erkenntnis, das der Verfassungsgerichtshof nach der Neubesetzung aller Stellen 1930, traf, wurde diese Auffassung ausdrücklich revidiert.

In der Zweiten Republik

Verfassungsbestimmungen in einfachen Gesetzen

In der Zweiten Republik wurde Österreich 1945–1966, 1987–1994, 1996–2000 und 2006–2008 von einer Großen Koalition regiert, die im Nationalrat über die verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit verfügte. Lief eine politisch erwünschte Gesetzesbestimmung Gefahr, vom VfGH – meist wegen Verstoßes gegen das grundsätzliche Gleichheitsgebot der Verfassung – aufgehoben zu werden, beschloss die Große Koalition häufig Bestimmungen im Verfassungsrang. Damit konnte man die Prüfung dieser Bestimmung durch den VfGH verhindern.

Lange Übergangsfristen

Der VfGH hob die im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, in Kraft getreten 1956, enthaltene Regel, dass das Regelpensionsalter für Männer mit 65 Lebensjahren, für Frauen mit 60 Lebensjahren angesetzt wird, 1990 wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung auf. Bundesregierung und Nationalrat entschieden sich zur Abstellung der Ungleichheit für sehr lange Übergangsfristen.

Aufhebung der Stichwahl zur Bundespräsidentenwahl 2016

Am 1. Juli 2016 verkündete der VfGH ein Erkenntnis,[52] wonach der zweite Wahlgang zur Bundespräsidentenwahl in Österreich 2016 in ganz Österreich zu wiederholen sei, und bestätigte somit eine Wahlanfechtung des Zustellbevollmächtigten Heinz-Christian Strache des unterlegenen Kandidaten Norbert Hofer (FPÖ).[53] Grund für die Aufhebung war, dass der VfGH feststellte, dass es in insgesamt 14 österreichischen Wahlbezirken zu Verletzungen der Vorschriften für die Auszählung der Briefwahlstimmen gekommen war. Insgesamt rund 77.000 Briefwahl-Stimmen waren zu früh oder durch die falschen Personen ausgezählt worden. Außerdem waren die vorläufigen Wahl(teil)ergebnisse von den Wahlbehörden zu früh an die Medien weitergegeben worden.[52]

Erstmals in der Geschichte der Republik Österreich kam es daher ab 8. Juli 2016 nach dem durch das Auslaufen der Amtszeit bedingten Ausscheiden von Heinz Fischer aus dem Amt zu einem Interregnum ohne Bundespräsidenten. Der in der aufgehobenen Stichwahl siegreich gewesene Kandidat Alexander Van der Bellen konnte auf Grund dieses VfGH-Erkenntnisses das Amt nicht antreten, sondern musste sich erneut einer Stichwahl stellen, die er schließlich am 4. Dezember für sich entscheiden konnte. Das Erkenntnis zur Aufhebung der Stichwahl entwickelte sich rasch zu einem politisch und rechtswissenschaftlich stark diskutierten Gegenstand der öffentlichen Debatte. Namhafte Juristen haben das Erkenntnis sowohl stark kritisiert als auch gegen solche Kritik verteidigt.

Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare

Nachdem sich ein homosexuelles Paar im Jahr 2016 beim Verfassungsgerichtshof darüber beschwert hatte, dass es vom Magistrat der Stadt Wien nicht zur Eheschließung zugelassen worden war, leitete der VfGH von Amts wegen ein Prüfverfahren ein, um zu prüfen, ob es verfassungswidrig sei, gleichgeschlechtlichen Paaren den Zugang zur Ehe grundsätzlich zu verweigern. In seinem Erkenntnis vom 4. Dezember 2017[54] hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge „verschiedenen Geschlechts“ in § 44 ABGB sowie die entsprechenden Bestimmungen im Eingetragene Partnerschaft-Gesetz (EPG) mit Wirkung zum 1. Jänner 2019 auf. Als Folge dürfen daher seit 1. Jänner 2019 auch gleichgeschlechtliche Paare in Österreich die Zivilehe miteinander eingehen.[55] Begründend führte der VfGH im Wesentlichen aus, dass die eingetragene Partnerschaft der Ehe immer weiter angenähert worden sei, sodass die beiden Rechtsinstitute einander heute sowohl von der Ausgestaltung als auch von den Rechtsfolgen her trotz „vereinzelt bestehender Unterschiede“ weitgehend entsprächen.[56]

Organisation

Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes

Der Verhandlungs­saal des Verfassungs­gerichts­hofs

Der Verfassungsgerichtshof besteht aus einem Präsidenten, einer Vizepräsidentin, sowie zwölf Mitgliedern und sechs Ersatzmitgliedern.

Mitglied oder Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofes kann nur werden, wer das Studium der Rechtswissenschaften abgeschlossen und mindestens zehn Jahre einen einschlägigen Beruf (z. B. Richter, Staatsanwalt, Rechtsanwalt, Universitätsprofessor) ausgeübt hat. Die Ernennung erfolgt durch den Bundespräsidenten. Dieser ist dabei an die Vorschläge bestimmter anderer Staatsorgane gebunden, muss sie aber nicht annehmen:

  • Der Präsident, der Vizepräsident, sechs weitere Mitglieder und drei Ersatzmitglieder werden von der Bundesregierung vorgeschlagen. Diese Mitglieder dürfen, anders als die von National- und Bundesrat vorgeschlagenen Mitglieder, nur den Berufsgruppen der Richter, Verwaltungsbeamten und Rechtsprofessoren entstammen (Art. 147 Abs. 2 erster Satz B-VG).
  • Drei Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder werden vom Nationalrat vorgeschlagen.
  • Drei Mitglieder und ein Ersatzmitglied werden vom Bundesrat vorgeschlagen.[57]

Bestimmte (politische) Staatsfunktionen und Tätigkeiten als Funktionäre oder Angestellte politischer Parteien schließen eine Mitgliedschaft oder Ersatzmitgliedschaft im Verfassungsgerichtshof aus (Grundsatz der Inkompatibilität; siehe näher Artikel Art. 147 Abs. 4 u. 5 B-VG). Eine auch nach Beendigung der politischen Tätigkeit bestehende „Cooling-off-Periode“ von 5 Jahren besteht allerdings momentan nur für den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Verfassungsgerichtshofes. Im Juni 2024 brachten die Koalitionsfraktionen ÖVP und Die Grünen einen Gesetzesvorschlag im Nationalrat ein, durch den auch die Ernennung zum Mitglied und Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofs eine vorhergehende mindestens dreijährige Periode ohne politische Ämter oder Tätigkeiten voraussetzen würde.[58][59]

Anders als die Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes sind die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Verfassungsgerichtshofes keine Berufsrichter, sondern üben ihre Funktion als „Nebenamt“ aus, sind dabei aber mit denselben richterlichen Garantien wie Berufsrichter ausgestattet. Das bedeutet insbesondere, dass sie ihr Amt unabhängig ausüben können und grundsätzlich weder ab- noch versetzbar sind. Die Mitglieder erhalten für die Ausübung ihrer Funktion monatliche Bezüge. Ihre Amtszeit endet prinzipiell mit Ablauf jenes Jahres, in dem sie ihr 70. Lebensjahr vollendet haben.[57] Vorzeitig ihres Amtes enthoben werden können Mitglieder des VfGH nur durch einen Beschluss des Gerichtshofs selbst, wenn einer der Gründe des § 10 VfGG vorliegt: Wenn nachträglich eine Inkompatibilität aufgrund der Annahme eines politischen Amtes eintritt, wenn das Mitglied bei drei aufeinanderfolgenden Verhandlungen des VfGH unentschuldigt gefehlt hat, wenn es sich durch sein Verhalten der Achtung und des Vertrauens des Amtes unwürdig gezeigt oder seine Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit gröblich verletzt hat sowie wenn körperliche oder geistige Einschränkungen des Mitglieds die Erfüllung der Amtspflichten unmöglich erscheinen lassen.[60]

Aktuelle Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs
Bild Name Position Bestellung Vorschlag
Christoph Grabenwarter Christoph Grabenwarter Präsident 2. Juni 2005
Präsident seit 19. Februar 2020
Bundesregierung
Verena Madner Verena Madner Vizepräsidentin 24. Apr. 2020 Bundesregierung
Markus Achatz Markus Achatz Mitglied 9. Jan. 2013 Nationalrat
Sieglinde Gahleitner Sieglinde Gahleitner Mitglied 22. Dez. 2009
Amtsantritt am 1. Jänner 2010
Bundesrat
Andreas Hauer Andreas Hauer Mitglied 7. März 2018 Nationalrat
Christoph Herbst Christoph Herbst Mitglied 7. Juni 2011 Bundesrat
Michael Holoubek Michael Holoubek Mitglied 10. Jan. 2011 Nationalrat
Helmut Hörtenhuber Helmut Hörtenhuber Mitglied 5. Juni 2008 Bundesregierung
Claudia Kahr Claudia Kahr Mitglied 22. März 1999 Bundesregierung
Georg Lienbacher Georg Lienbacher Mitglied 10. Jan. 2011 Bundesregierung
Michael Mayrhofer Michael Mayrhofer Mitglied 22. Sep. 2021 Bundesregierung
Michael Rami Michael Rami Mitglied 11. Apr. 2018 Bundesrat
Johannes Schnizer Johannes Schnizer Mitglied 22. Dez. 2009
Amtsantritt am 1. Jänner 2010
Bundesregierung
Ingrid Siess-Scherz Ingrid Siess-Scherz Mitglied 20. Juni 2012 Bundesregierung
Aktuelle Ersatzmitglieder des Verfassungsgerichtshofs
Bild Name Position Bestellung Vorschlag
Nikolaus Bachler Nikolaus Bachler Ersatzmitglied 4. Feb. 2009 Bundesregierung
Daniel Ennöckl Daniel Ennöckl Ersatzmitglied 22. Jan. 2022 Bundesregierung
Angela Julcher Angela Julcher Ersatzmitglied 5. Okt. 2015 Nationalrat
Barbara Leitl-Staudinger Barbara Leitl-Staudinger Ersatzmitglied 10. Jan. 2011 Bundesregierung
Robert Schick Robert Schick Ersatzmitglied 17. Dez. 1998
Amtsantritt am 1. Jänner 1999
Nationalrat
Werner Suppan Werner Suppan Ersatzmitglied 1. Feb. 2017 Bundesrat

Arbeitsweise und Verfahren

Beratung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs im Plenum

Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist im Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG) und in der vom VfGH selbst auf Grundlage des VfGG erlassenen Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofes näher geregelt (Art. 148 B-VG). Subsidiär (ersatzweise) kommt die Zivilprozessordnung (ZPO) überall dort zur Anwendung, wo durch das VfGG und die Geschäftsordnung keine näheren Bestimmungen zum Verfahrensablauf getroffen werden (§ 35 VfGG). Die Angelegenheiten der Justizverwaltung, wie etwa die Ausübung Diensthoheit über die Bediensteten des Gerichtshofs, werden vom Präsidenten besorgt.

Alle Eingaben an den Verfassungsgerichtshof haben grundsätzlich schriftlich eingebracht zu werden und unterliegen einem Anwaltszwang (§ 17 Abs. 2 VfGG). Einzelne Anträge, die vonseiten von Körperschaften öffentlichen Rechts (Bund, Ländern, Gemeinden, aber hier ausnahmsweise auch einige weitere) eingebracht werden oder von Mitgliedern von Nationalrat, Bundesrat oder Landtagen gestellt werden, sind von dieser Anwaltspflicht ausgenommen. Ebenfalls grundsätzlich sind alle Anträge an den Verfassungsgerichtshof mit einer Eingabegebühr (240 Euro) belastet, von der es wiederum diverse Ausnahmen gibt. Rechtsanwälte sind gemäß § 14a Abs. 4 VfGG verpflichtet, Schriftsätze an den VfGH auf elektronischem Wege – in aller Regel via elektronischem Rechtsverkehr – einzubringen, allen anderen Personen steht dies frei. Bereits seit 2013 ist die komplette interne und externe Aktenverwaltung des VfGH auf den Elektronischen Akt umgestellt, was unter anderem auch die Erkenntniszustellung auf elektronischem Weg ermöglicht.

Nach dem Einlagen des sogenannten „verfahrenseinleitenden Schriftsatzes“ teilt der Präsident des Verfassungsgerichtshofs die Rechtssache einem der ständigen Referenten zu. Diese werden vom Plenum des VfGH aus dessen Mitgliedern gewählt und befassen sich permanent mit der Behandlung der eingetroffenen Rechtssachen. Den Referenten sind sogenannte „verfassungsrechtliche Mitarbeiter“, das sind Juristen, die sie bei ihrer Arbeit unterstützen, beigegeben. Der jeweils zuständige Referent führt in der Folge ein Vorverfahren durch, in dem er sämtliche Vorerhebungen, wie etwa die Prüfung der Zulässigkeit, Erhebungen zum Sachverhalt, eventuelle Zeugeneinvernahmen oder das Anfordern von Stellungnahmen der Verfahrensparteien vornimmt. Am Ende dieses Vorverfahrens bereitet der ständige Referent einen Entwurf vor, der entweder auf Zurückweisung mittels Beschluss, auf Abweisung der Beschwerdebehandlung oder als inhaltlicher Erledigungsentwurf ausgestaltet sein kann. Diesen Entwurf leitet der Referent dann an die restlichen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs zur Beschlussfassung weiter.[61][57]

Die Beschlussfassung durch die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs erfolgt in viermal jährlich stattfindenden, jeweils drei- bis vierwöchigen Sessionen. Dies sind intensive Sitzungswochen, in denen die zur Erledigung vorbereiteten Fälle beraten werden. Im Gegensatz zum deutschen Bundesverfassungsgericht, welches zwei Senate als Spruchkörper eingerichtet hat, entscheidet der Verfassungsgerichtshof in der Regel im Plenum aller 14 Mitglieder. Für die Beschlussfähigkeit ist die Anwesenheit des Vorsitzenden (also des Präsidenten oder Vizepräsidenten) und mindestens acht stimmführender Mitglieder erforderlich. In bestimmten Fällen, in denen die Rechtsfrage durch die bisherige Rechtsprechung des VfGH bereits genügend klargestellt ist, genügt auch die Anwesenheit von vier stimmführenden Mitgliedern (sogenannte „kleine Besetzungen“; § 7 Abs. 2 Z 1 VfGG). Die Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofs werden grundsätzlich mit absoluter Stimmenmehrheit gefasst, wobei der Vorsitzende nicht mitstimmt. Dieser gibt seine Stimme nur bei Stimmengleichheit ab und entscheidet dadurch in solchen strittigen Fällen (sogenanntes Dirimierungsrecht). Im Gegensatz zu inhaltlichen Entscheidungen müssen Ablehnungen von Beschwerden allerdings ausnahmsweise einstimmig beschlossen werden.[62][57]

Inhaltliche Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs werden grundsätzlich als „Erkenntnis“ bezeichnet (die einleitende Wortfolge jedes Erkenntnisses ist daher auch „Im Namen der Republik! Der Verfassungsgerichtshof hat […] zu Recht erkannt:“) und schriftlich ausgefertigt. Aus dem jeweiligen Erkenntnis ist nicht ersichtlich, welche Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs für und welche gegen die Entscheidung gestimmt haben. Auch die Einführung der Möglichkeit von dissenting opinions, wie sie etwa das deutsche Bundesverfassungsgericht oder der US-Supreme Court kennen, wurde zwar immer wieder diskutiert (etwa bei einer parlamentarischen Enquete zu diesem Thema im Jahr 1998[63] und beim Österreich-Konvent in den Jahren 2003–2005[64]), bislang aber überwiegend abgelehnt und bis 2021 durch den Gesetzgeber nicht aufgegriffen.[65] Im Rahmen der von der Bundesregierung Kurz II im Februar 2021 vorgestellten Regierungsvorlage eines Informationsfreiheitsgesetzes sollte erstmals die Möglichkeit eingeführt werden, dass Verfassungsrichter abweichende Meinungen schriftlich mit Ausfertigung des Erkenntnisses äußern dürfen.[66][67] Das Präsidium des Verfassungsgerichtshofs selbst lehnte dieses gesetzgeberische Vorhaben der Einführung von Sondervoten in einer Stellungnahme zum Ministerialentwurf vom April 2021 ab.[68] In dem im Jahr 2023 von der Bundesregierung Nehammer wieder aufgegriffenen Regierungsvorhaben zum Informationsfreiheitsgesetz war die Einführung der Veröffentlichung abweichender Meinungen am VfGH nicht mehr enthalten.[69][70]

Kompetenzen

Die dem Verfassungsgerichtshof zukommenden Kompetenzen sind bereits im Bundes-Verfassungsgesetz, und damit verfassungsgesetzlich abgesichert, abschließend aufgezählt. Im Wesentlichen werden neun unterschiedliche Kompetenzfelder unterschieden, wobei vier davon eine besondere Bedeutung zukommt, weshalb auf diese in der Folge in eigenen Unterabschnitten näher eingegangen wird und die anderen fünf unter Sonstige Kompetenzen zusammengefasst sind.[71][72][73][74]

Normenkontrolle

Die Normenkontrolle oder eigentliche Verfassungsgerichtsbarkeit geht auf das Konzept des Stufenbaus der Rechtsordnung zurück und umfasst:

  • die Gesetzesprüfung (Art. 140 B-VG), bei der die Vereinbarkeit von Bundesgesetzen mit der Bundesverfassung und die Vereinbarkeit von Landesgesetzen mit Bundes- und Landesverfassungen geprüft wird,
  • die Verordnungsprüfung (Art. 139 B-VG), bei der die Vereinbarkeit von Verordnungen mit Gesetzen und der Verfassung geprüft wird,
  • die Staatsvertragsprüfung (Art. 140a B-VG), bei der Staatsverträge auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin geprüft werden,
  • die Wiederverlautbarungsprüfung (Art. 139a B-VG), die einen Sonderfall darstellt und bei der geprüft wird, ob der wiederverlautbarte Gesetzestext dem ursprünglichen Gesetzestext entspricht.

In der Normenkontrolle wird zwischen der konkreten Normenkontrolle und der abstrakten Normenkontrolle unterschieden. Im Bereich der abstrakten Normenkontrolle sind – je nach Art der Rechtsvorschrift – Bundes- und Landesregierungen oder Mitglieder des Nationalrates, des Bundesrates oder der Landtage antragsberechtigt. Ein Verfahren auf konkrete Normenkontrolle wird insbesondere eingeleitet:

  • von Amts wegen, wenn beim Verfassungsgerichtshof selbst ein Verfahren anhängig ist, in dem die fragliche Rechtsvorschrift anzuwenden ist;
  • auf Antrag eines Gerichts, das die fragliche Rechtsvorschrift anzuwenden hat, das sie aber für gesetz- bzw. verfassungswidrig hält (Gerichtsantrag);
  • auf Antrag einer Person, die als Partei eines Verfahrens vor einem ordentlichen Gericht nach Beendigung des Verfahrens in erster Instanz den Antrag stellt (Parteiantrag);
  • auf Antrag einer Person, für die die Rechtsvorschrift ohne gerichtliche Entscheidung und ohne Bescheid unmittelbar wirksam wurde (Individualantrag).

Im Bereich der Verwaltung steht ein Parteiantrag nicht offen, da hier gegen die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte selbst eine Beschwerde zum Verfassungsgerichtshof offensteht.

Der Verfassungsgerichtshof prüft die Vereinbarkeit der jeweils genannten Rechtsvorschriften anhand der im Stufenbau höher stehenden Rechtsvorschriften (zum Beispiel eines Bundesgesetzes mit der Bundesverfassung). Stellt er fest, dass ein Gesetz verfassungswidrig ist, dann hebt er das Gesetz (oder die betroffenen Teile) auf. Dabei kommt es immer wieder vor, dass der Verfassungsgerichtshof auch nur einzelne Satzteile oder Worte aufhebt. Wenn der Verfassungsgerichtshof frühere geltende gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft setzt (oder nicht wieder in Kraft setzen kann), kann dadurch eine Gesetzeslücke entstehen, weil die Einfügung von neuen Bestimmungen in den Gesetzestext oder die Schaffung von Ersatzregelungen dem Verfassungsgerichtshof nicht zusteht. Dies ist Aufgabe des Gesetzgebers. Damit für eine Neuregelung durch den Gesetzgeber die notwendige Zeit zur Verfügung steht, kann der Verfassungsgerichtshof den Zeitpunkt bestimmen, an dem die Aufhebung in Kraft tritt. Bis zu diesem Zeitpunkt darf sich niemand mehr auf die (bereits festgestellte) Verfassungswidrigkeit des aufgehobenen, aber noch weiter geltenden, Gesetzes berufen.

Wahlgerichtsbarkeit

Gemäß Art. 141 B-VG in Verbindung mit §§ 67 bis 71a VfGG entscheidet der VfGH über die Anfechtung bestimmter Wahlen wegen deren behaupteter Rechtswidrigkeit. Dem Wortlaut nach hat der VfGH einer Wahlanfechtung stattzugeben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit eines Wahlverfahrens erwiesen wurde und diese auf das Wahlergebnis von Einfluss war. Die Anfechtung wiederum muss sich bereits auf die Behauptung der Rechtswidrigkeit der Wahl gründen.[75] Der Begriff der Rechtswidrigkeit umfasst einerseits gesetzwidrige Handlungen und Entscheidungen der Wahlbehörde (z. B. das Fehlen einer Wahlzelle), wobei die Bestimmungen der Wahlordnungen (z. B. der NRWO) streng nach ihrem Wortlaut auszulegen und die Wahlbehörden durch diese Formalvorschriften streng gebunden sind.[76] Auf diese Weise kann somit eine Verletzung von Wahlrechtsgrundsätzen geltend gemacht werden. Andererseits umfasst der Rechtswidrigkeitsbegriff auch die von den (Wahl-)Behörden angewendeten Rechtsgrundlagen. So wurde etwa von der KPÖ die Nationalratswahl 2006 – im Ergebnis erfolglos – mit der Behauptung angefochten, die Vier-Prozent-Hürde (§§ 100, 107 NRWO) sei verfassungswidrig.[77]

Folgende Wahlen können – meist nur von den Wahlwerbern selbst – angefochten werden (Art 141 Abs 1 B-VG):

  • Wahl des Bundespräsidenten,
  • Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern (Nationalrat, Bundesrat, Landtage, Gemeinderäte, Bezirksvertretungen in Wien),
  • Wahlen zum Europäischen Parlament,
  • Wahlen zu den satzungsgebenden Organen (Vertretungskörpern) der gesetzlichen beruflichen Vertretungen,
  • Wahlen in die Landesregierung,
  • Wahlen in die mit der Vollziehung betrauten Organe einer Gemeinde (Bürgermeister, Gemeindevorstand, Bezirksvorsteher in Wien).

Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit

In Ausübung der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit (Art. 144 B-VG) erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen Erkenntnisse und Beschlüsse der Verwaltungsgerichte erster Instanz. Hierfür muss der Beschwerdeführer behaupten, durch das Erkenntnis oder den Beschluss in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt zu sein. Alternativ kann er auch behaupten, durch das angefochtene Erkenntnis oder den Beschluss wegen der Anwendung entweder einer gesetzwidrigen Verordnung, einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (oder Staatsvertrages), eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt zu sein.

Gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss kann sowohl vor dem Verwaltungsgerichtshof Revision erhoben als auch vor dem Verfassungsgerichtshof Beschwerde geführt werden. Erhebt eine Partei zuerst nur Beschwerde vor dem VfGH, so hat dieser, wenn er der Beschwerde nicht stattgibt, die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof zur weiteren Prüfung abzutreten. Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet in diesem Fall wie über eine Revision.

Bevor mit 1. Jänner 2014 die im Jahr 2012 beschlossene Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 in Kraft trat, übte der Verfassungsgerichtshof die Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit direkt gegenüber den Verwaltungsbehörden aus: eine Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof konnte demnach direkt gegen den in letzter Instanz ergangenen Bescheid erhoben werden. Die im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 gewählte Lösung der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit sah bereits seit 2008 der im Zuge der Schaffung des Asylgerichtshofes eingeführte Art. 144a B-VG vor: Auch hier entschied der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen Entscheidungen (Erkenntnisse und Beschlüsse) des Asylgerichtshofes.

Im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit besteht kein der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit entsprechendes Rechtsmittel.

Kompetenzgerichtsbarkeit und Kompetenzfeststellungen

  • Entscheidung von Kompetenzkonflikten in der Vollziehung und zwar zwischen Verwaltung und Gerichtsbarkeit, zwischen den verschiedenen Zweigen der Gerichtsbarkeit und zwischen Bund und Ländern (Art. 138 Abs. 1 B-VG)
  • Entscheidung, ob ein Akt der Gesetzgebung oder Vollziehung in die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder fällt (Art. 138 Abs. 2 B-VG)
  • Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, die die Zuständigkeit des Rechnungshofes oder einer dem Rechnungshof gleichartigen Einrichtung eines Landes regeln (Art. 126a und Art. 127c Z 1 B-VG)
  • Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, die die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft oder eines Landesvolksanwalts regeln (Art. 148f und Art. 148i B-VG)

Sonstige Kompetenzen

  • Kausalgerichtsbarkeit (Art. 137 B-VG): Im Rahmen dieser Kompetenz entscheidet der VfGH über vermögensrechtliche Ansprüche gegenüber Gebietskörperschaften, wenn dafür nicht die Kompetenz der ordentlichen Gerichte (z. B. Amtshaftung oder zivilrechtliche Ansprüche) oder einer Verwaltungsbehörde gegeben ist.
  • Gliedstaatsvertragsstreitigkeiten (Art. 138a B-VG): Der VfGH stellt auf Antrag fest, ob eine Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und einzelnen Bundesländern oder zwischen den Ländern vorliegt und ob die daraus folgenden Verpflichtungen erfüllt wurden. Dies gilt nicht, wenn es sich um vermögensrechtliche Ansprüche handelt, da dann die Kausalgerichtsbarkeit maßgeblich ist.
  • Staatsgerichtsbarkeit (Art. 142 und Art. 143 B-VG): Im Rahmen dieser Kompetenz entscheidet der VfGH über die Anklage von obersten Organen des Bundes oder der Länder wegen Verletzung der Bundesverfassung. Die Sanktionen reichen von der Ermahnung bis zur Amtsenthebung und dem zeitlich befristeten Entzug der politischen Rechte. Wird durch die Verletzung der Bundesverfassung auch ein strafrechtlicher Tatbestand erfüllt, dann hat der VfGH auch über die strafrechtliche Verurteilung zu entscheiden.
  • Völkerrechtsgerichtsbarkeit (Art. 145 B-VG): Grundsätzlich wäre der VfGH im Rahmen dieser Kompetenz ermächtigt, über Verletzungen des Völkerrechts zu erkennen. Diese Kompetenz kann aber mangels eines entsprechenden Ausführungsgesetzes durch den VfGH nicht ausgeübt werden.
  • Entscheidungen im Zusammenhang mit der Einsetzung und Tätigkeit von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen (Art. 138b B-VG): Seit der Neugestaltung der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Österreich im Jahr 2014 ist der Verfassungsgerichtshof dazu berufen, über Streitigkeit unter den Parteien im Zusammenhang mit der Einsetzung oder der Tätigkeit solcher Untersuchungsausschüsse zu entscheiden. Dazu zählen etwa die Zulässigkeit der Einsetzung und von Informationsbegehren oder Beschwerden von Personen, die eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte durch den Untersuchungsausschuss behaupten.

Literatur

Der Verfassungsgerichtshof (1928)
Zum Verfassungsgerichtshof selbst und zur österreichischen Verfassungsgerichtsbarkeit
Zum österreichischen Verfassungsrecht (Lehrbücher mit ausführlichen Abschnitten zum VfGH)

Einzelnachweise

  1. Bericht des Verfassungsgerichtshofes über seine Tätigkeit im Jahr 2018. (PDF) Verfassungsgerichtshof, 12. März 2019, S. 15, abgerufen am 30. August 2019.
  2. Bundesfinanzgesetz 2022. (PDF) Bundesministerium der Finanzen, abgerufen am 5. März 2022 (Seite 15).
  3. Nach wie vor ist unter Verfassungsjuristen umstritten, ob der tschechoslowakische oder der österreichische Verfassungsgerichtshof das älteste ausschließliche Verfassungsgericht der Welt ist. Eine historische Darstellung der (weitgehend parallelen) Entwicklung beider Verfassungsgerichte findet sich etwa in Heller: Der Verfassungsgerichtshof, S. 188.
  4. Johann von Spaun: Das Reichsgericht. Die auf dasselbe sich beziehenden Gesetze und Verordnungen samt Gesetzesmaterialien sowie Übersicht der einschlägigen Judikatur und Literatur. Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien 1904, S. 25.
  5. RGBl. 143/1867 Staatsgrundgesetz über die Einsetzung eines Reichsgerichtes. In: Reichsgesetzblatt für das Kaiserthum Österreich, Jahrgang 1867, S. 397 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/rgb
  6. a b Karl Heinrich Hugelmann: Das österreichische Reichsgericht. In: Zeitschrift für öffentliches Recht. Nr. IV. Wien 1925, S. 499.
  7. Kurt Heller: Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart. Verlag Österreich, Wien 2010, ISBN 978-3-7046-5495-3, Kapitel: Das Reichsgericht, S. 99–113.
  8. a b Karl Heinrich Hugelmann, Anton Hye von Glunek: Sammlung der Erkenntnisse des Reichsgerichtes. Band 1, XVII. Teil, Drittes Heft. Wien 1918.
  9. Wilhelm Brauneder: Deutsch-Österreich 1918. Die Republik entsteht. Amalthea Signum Verlag, Wien 2000, ISBN 978-3-85002-433-4, S. 45 ff.
  10. StGBl. 1/1918 Beschluß der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich vom 30. Oktober 1918 über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt. In: Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich, Jahrgang 1918, S. 24 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/sgb
  11. a b Robert Walter: Hans Kelsen als Verfassungsrichter (= Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts. Band 27). Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien 2005, ISBN 3-214-07673-6, S. 4, Fußnote 11.
  12. StGBl. 48/1919 Gesetz vom 25. Jänner 1919 über die Errichtung eines deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshofes. In: Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich, Jahrgang 1919, S. 154 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/sgb
  13. a b Georg Schmitz: Die Vorentwürfe Hans Kelsens für die österreichische Bundesverfassung (= Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts. Band 6). Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien 1981, ISBN 978-3-214-06506-5, S. 308–310.
  14. Slg. 6/1919 Erkenntnis über Ansprüche von Angestellten der ehemaligen öst.-ung. Militärverwaltung. Zuständigkeit. Verhältnis des Verfassungsgerichtshofs zum vormaligen Reichsgericht. In: Sammlung der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes, Jahrgang 0001, S. 18 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/vfa
  15. StGBl. 179/1919 Gesetz vom 14. März 1919 über die Volksvertretung. In: Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich, Jahrgang 1919, S. 483 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/sgb
  16. Robert Walter: Hans Kelsen als Verfassungsrichter (= Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts. Band 27). Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien 2005, ISBN 3-214-07673-6, S. 4, Fußnoten 14 & 16.
  17. StGBl. 212/1919 Gesetz vom 3. April 1919, womit die Aufgabe des ehemaligen Staatsgerichtshofes auf den Deutschösterreichischen Verfassungsgerichtshof übertragen [... ] wird. In: Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich, Jahrgang 1919, S. 591 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/sgb
  18. Ewald Wiederin: Der österreichische Verfassungsgerichtshof als Schöpfung Hans Kelsens und sein Modellcharakter als eigenständiges Verfassungsgericht. In: Thomas Simon/Johannes Kalwoda (Hrsg.): Schutz der Verfassung. Normen, Institutionen, Höchst und Verfassungsgerichte. Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 12. bis 14. März 2012 (= Beihefte zu „Der Staat. Band 22). Berlin 2014, S. 283–315.
  19. Kurt Heller: Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart. Verlag Österreich, Wien 2010, ISBN 978-3-7046-5495-3, Kapitel: Die Verhandlung und Beschlussfassung in der Konstituierenden Nationalversammlung, S. 178.
  20. BGBl. 1/1920 Gesetz vom 1. Oktober 1920, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (B-VG). In: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Jahrgang 1920, S. 15 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/bgb
  21. a b c Robert Walter: Hans Kelsen als Verfassungsrichter (= Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts. Band 27). Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien 2005, ISBN 3-214-07673-6, Kapitel Die Errichtung des Verfassungsgerichtshofes, S. 21–22.
  22. Kurt Heller: Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart. Verlag Österreich, Wien 2010, ISBN 978-3-7046-5495-3, Kapitel: Die Unterbringung des Verfassungsgerichtshofes und seine Bibliothek, S. 185–186.
  23. BGBl. 364/1921 Bundesgesetz vom 13. Juli 1921 über die Organisation und über das Verfahren des Verfassungsgerichtshofes. In: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Jahrgang 1921, S. 1353 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/bgb
  24. Kurt Heller: Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart. Verlag Österreich, Wien 2010, ISBN 978-3-7046-5495-3, Kapitel: Das Verfassungsgerichtshofgesetz 1921, S. 192–194.
  25. a b Kurt Heller: Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart. Verlag Österreich, Wien 2010, ISBN 978-3-7046-5495-3, Kapitel: Die B-VG-Novelle 1929, S. 198–208.
  26. Klaus Berchtold (Hrsg.): Die Verfassungsreform von 1929. Dokumente und Materialien zur Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle von 1929 (= Österreichische Schriftenreihe für Rechts- und Politikwissenschaft. Bände 3/1, 3/2). Wilhelm Braumüller Universitäts-Verlagsbuchhandlung, Wien 1979.
  27. a b Adolf Julius Merkl: Der „entpolitisierte“ Verfassungsgerichtshof. In: Der österreichische Volkswirt. Wien 1930.
  28. Robert Walter: Hans Kelsen als Verfassungsrichter (= Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts. Band 27). Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien 2005, ISBN 3-214-07673-6, Kapitel Die Bestellung Kelsens zum Mitglied des Verfassungsgerichtshofes; Ende seines Amtes, S. 25.
  29. Klaus Berchtold: Verfassungsgeschichte der Republik Österreich. Band I: 1918–1933. Springer-Verlag, Wien 1998, ISBN 978-3-211-83188-5, S. 712.
  30. a b c Thomas Zavadil: Die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs 1933. Wien 1997 (Geisteswissenschaftliche Diplomarbeit an der Universität Wien).
  31. a b Peter Huemer: Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich. Verlag für Geschichte und Politik, Wien 1975, ISBN 3-7028-0084-0, Kapitel: Die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofes, S. 178–192.
  32. BGBl. 191/1933 Verordnung der Bundesregierung vom 23. Mai 1933, betreffend Abänderungen des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1930. In: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Jahrgang 1933, S. 553 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/bgb
  33. Adolf WanschuraIst die Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofes noch zeitgemäß?. In: Reichspost, 23. Mai 1933, S. 1 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/rpt
  34. Adolf Julius Merkl: Die ständisch-autoritäre Verfassung Österreichs. Ein kritisch-systematischer Grundriß. Springer-Verlag, Wien 1935.
  35. Kurt Heller: Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart. Verlag Österreich, Wien 2010, ISBN 978-3-7046-5495-3, Kapitel: Das Ende des Bundesgerichtshofs, S. 294–296.
  36. Thomas Olechowski: Die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich (= Österreichische Rechtswissenschaftliche Studien. Band 52). Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien 1999, ISBN 3-214-07952-2, Kapitel: Vom Bundesgerichtshof zum Reichsverwaltungsgericht, S. 247–249.
  37. Ewald Wiederin: Die Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich 1919–1939. In: Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs. Band 2 / 2022. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2022, S. 276–286, doi:10.1553/BRGOE2022-2s276 (Online abrufbar auf austriaca.at [PDF]).
  38. a b Leopold Werner: Das Wiedererstehen Österreichs als Rechtsproblem. In: Juristische Blätter 1946. Verlag Österreich, Wien 1946, S. 85.
  39. Egon Loebenstein: Der Verfassungsgerichtshof seit seiner Wiedererrichtung im Jahre 1945. In: Österreichische Juristen-Zeitung 1950. Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien 1950, S. 173.
  40. a b Kurt Heller: Der Verfassungsgerichtshof. Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart. Verlag Österreich, Wien 2010, ISBN 978-3-7046-5495-3, Kapitel: Die Wiedereinsetzung des Verfassungsgerichtshofs, S. 312 ff.
  41. Verfassungsgerichtshof zieht bei Benko ein. In: derStandard.at. 20. August 2012, abgerufen am 29. Juli 2016.
  42. Gebäudebeschreibung auf der Website des Verfassungsgerichtshofs
  43. Bierlein wird VfGH-Präsidentin, Brandstetter rückt nach. In: diePresse.com. 21. Februar 2018, abgerufen am 16. August 2018.
  44. Benedikt Kommenda: Grabenwarter übernimmt interimistisch den VfGH. In: DiePresse.com. 30. Mai 2019, abgerufen am 3. Juni 2019.
  45. Josef Pauser: Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) im österreichischen Rechtsinformationssystem (RIS) nun für die Zeit 1919 bis 1979 ergänzt. In: Blog der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VÖBBLOG). 11. Juni 2018, abgerufen am 23. August 2018.
  46. Rechtsprechung im Wandel. Ausgewählte Entscheidungen und ihr gesellschaftliches und politisches Umfeld. In: Website des VfGH. Abgerufen am 23. August 2018.
  47. Peter Techet: Reigen um Kompetenzen. Arthur Schnitzlers „Reigen“ vor dem Verfassungsgerichtshof im Jahre 1921. In: Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs. Band 1 / 2022. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2022, S. 135–154, doi:10.1553/BRGOE2022-1s135 (Online abrufbar auf austriaca.at [PDF]).
  48. Erkenntnis vom 24. April 1921, Nr. 8 (= S. 22), Sammlung der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge. 1. Heft, Jahr 1921, Druck der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1923
  49. Erkenntnis vom 27. März 1923, Nr. 206 (= S. 38), Sammlung der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge. 3. Heft, Jahr 1923, Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1924
  50. Erkenntnis vom 5. November 1927, Nr. 878 (= S. 193), Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge. 7. Heft, Jahr 1927, Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1928
  51. Erkenntnis vom 27. Februar 1928, Nr. 951 (= S. 51), Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge. 8. Heft, Jahr 1928, Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1929
  52. a b Erkenntnis W I 6/2016-125 des Verfassungsgerichtshofs vom 1. Juli 2016 (= VfSlg. 20071/2016).
  53. VfGH hebt Hofburg-Wahl auf: Stichwahl wird komplett wiederholt. In: Kurier. 1. Juli 2016, abgerufen am 16. August 2018.
  54. Erkenntnis G 258-259/2017-9 des Verfassungsgerichtshofs vom 4. Dezember 2017.
  55. Ehe für Homosexuelle kommt 2019. In: diePresse.com. 5. Dezember 2017, abgerufen am 16. August 2018.
  56. Unterscheidung zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft verletzt Diskriminierungsverbot. In: Website des VfGH. 5. Dezember 2017, abgerufen am 16. August 2018.
  57. a b c d Gerhart Holzinger: Die Organisation des Verfassungsgerichtshofes (Plenum, „Kleine Besetzung“, Zuständigkeiten des Präsidenten). In: Michael Holoubek, Michael Lang (Hrsg.): Das verfassungsgerichtliche Verfahren in Steuersachen. Linde Verlag, Wien 2010, ISBN 978-3-7073-1618-6, S. 15–26.
  58. Sebastian Fellner: Regierung plant Cooling-off-Phase für alle Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs. In: DerStandard.at. 14. Juni 2024, abgerufen am 14. Juni 2024.
  59. Regierung plant Cooling-off-Phase für Verfassungsrichter. In: ORF.at. 14. Juni 2024, abgerufen am 14. Juni 2024.
  60. Kurt Heller: Die Enthebung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes. In: Bernd-Christian Funk, Gerhart Holzinger, Hans Klecatsky, Karl Korinek, Wolfgang Mantl, Peter Pernthaler (Hrsg.): Der Rechtsstaat vor neuen Herausforderungen. Festschrift für Ludwig Adamovich zum 70. Geburtstag. Verlag Österreich, Wien 2002, ISBN 3-7046-3861-7, S. 155–168.
  61. Walter Berka: Verfassungsrecht. Grundzüge des österreichischen Verfassungsrechts für das juristische Studium. 7. Auflage. Verlag Österreich, Wien 2018, ISBN 978-3-7046-8039-6, Kapitel: 40.3. Das Verfahren vor dem VfGH, S. 344–347.
  62. Walter Berka: Verfassungsrecht. Grundzüge des österreichischen Verfassungsrechts für das juristische Studium. 7. Auflage. Verlag Österreich, Wien 2018, ISBN 978-3-7046-8039-6, Kapitel: 40.2.2. Die Arbeitsweise des VfGH, S. 343–344.
  63. Enquete: Die Referenten und ihre Meinung zu dissenting opinion. In: Parlamentskorrespondenz Nr. 660. Österreichisches Parlament, 16. Oktober 1998, abgerufen am 5. September 2016.
  64. Protokoll über die 11. Sitzung des Ausschusses 9 am 1. September 2004. (PDF) Österreich-Konvent, 2. August 2004, abgerufen am 5. September 2016.
  65. Martin Hiesel: Von inneren Freiheiten, subjektiven Wahrnehmungen und objektiven Fakten. Skizzenhafte Beiträge zur aktuellen Diskussion betreffend die Einführung einer „dissenting opinion“ am VfGH. In: Journal für Rechtspolitik (JRP). Jahrgang 25, Heft 4, 2017, S. 201–205.
  66. Daniel Bischof: Wenn sich Höchstrichter uneins sind. In: Wiener Zeitung. 23. Februar 2021, abgerufen am 23. Februar 2021.
  67. Philipp Aichinger: Wie man zur Auskunft kommen kann. In: DiePresse.com. 23. Februar 2021, abgerufen am 23. Februar 2021.
  68. Verfassungsgerichtshof: Stellungnahme zum Entwurf für ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, das Rechnungshofgesetz 1948 und das Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 geändert werden und ein Informationsfreiheitsgesetz erlassen wird. (PDF) In: Website des österreichischen Parlaments. 13. April 2021, abgerufen am 14. April 2021.
  69. Sebastian Fellner: Warum die Abschaffung des Amtsgeheimnisses unwahrscheinlicher wird. In: derStandard.at. 5. Juli 2023, abgerufen am 25. August 2023.
  70. Jürgen Klatzer: „Dissenting Opinion“ am VfGH: Politik hält sich bedeckt. In: ORF.at. 16. September 2023, abgerufen am 1. Dezember 2023.
  71. Heinz Mayer, Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Karl Stöger: Bundesverfassungsrecht. 11. Auflage. Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien 2015, ISBN 978-3-214-08890-3, Kapitel: IV. Die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofes, S. 552–611.
  72. Walter Berka: Verfassungsrecht. Grundzüge des österreichischen Verfassungsrechts für das juristische Studium. 6., aktualisierte Auflage. Verlag Österreich, Wien 2016, ISBN 978-3-7046-7281-0, S. 345–393.
  73. Theo Öhlinger, Harald Eberhard: Verfassungsrecht. 10., überarbeitete Auflage. Facultas, Wien 2014, ISBN 978-3-7089-1111-3, Kapitel: 2. Kompetenzen, S. 464–502.
  74. Rudolf Machacek (Hrsg.): Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und vor dem Verwaltungsgerichtshof. 6., gänzlich überarbeitete Auflage. Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien 2008, ISBN 978-3-214-06194-4, Kapitel: II. B. Die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofes, S. 20–24.
  75. Theo Öhlinger, Harald Eberhard: Verfassungsrecht. 10., überarbeitete Auflage. Facultas, Wien 2014, ISBN 978-3-7089-1111-3, S. 494, Rz 1043.
  76. VfGH Slg. 15.375/1998
  77. VfGH Slg. 18.036/2006

Koordinaten: 48° 12′ 41,4″ N, 16° 21′ 57,6″ O