„Götz Aly“ – Versionsunterschied

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Als Indizien für seine These benennt Aly den anti-[[Bürgertum|bürgerlichen]] Impetus, die Gewaltbereitschaft, den [[Antiamerikanismus]], den latenten [[Antisemitismus]], das Ausblenden von Kritik an linken Despoten. Die 1968er seien als „Spätausläufer” nicht die Lösung des [[Totalitarismus]], sondern ein Teil des Problems selbst. Auch bei der Liberalisierung der Moral und Sitten seien die 68er nicht die Auslöser, sondern lediglich Nutznießer eines Prozesses gewesen, der schon in den [[1950er]] Jahren begonnen habe. ''„Es ist schwer, den eigenen Töchtern und Söhnen zu erklären, was einen damals trieb“''<ref>Zitiert nach [http://www.fischerverlage.de/buch/9783100004215?_buchtext_typ=1 Fischerverlag]</ref>, so Aly angesichts seiner eigenen Biographie.
Als Indizien für seine These benennt Aly den anti-[[Bürgertum|bürgerlichen]] Impetus, die Gewaltbereitschaft, den [[Antiamerikanismus]], den latenten [[Antisemitismus]], das Ausblenden von Kritik an linken Despoten. Die 1968er seien als „Spätausläufer” nicht die Lösung des [[Totalitarismus]], sondern ein Teil des Problems selbst. Auch bei der Liberalisierung der Moral und Sitten seien die 68er nicht die Auslöser, sondern lediglich Nutznießer eines Prozesses gewesen, der schon in den [[1950er]] Jahren begonnen habe. ''„Es ist schwer, den eigenen Töchtern und Söhnen zu erklären, was einen damals trieb“''<ref>Zitiert nach [http://www.fischerverlage.de/buch/9783100004215?_buchtext_typ=1 Fischerverlag]</ref>, so Aly angesichts seiner eigenen Biographie.


Der Historiker [[Norbert Frei]] erklärte zu dem Vergleich zwischen der ''Generation von 1933'' und den 68ern: ''„Ich meine, hier hat sich einer um des medialen Knalleffekts willen zu einer historiographisch völlig überzogenen Darstellung hinreißen lassen.“''<ref>[http://www.freitag.de/2008/12/08121101.php ''Der Sündenstolz auf die eigene Geschichte''], Interview mit Norbert Frei, ''[[Freitag (Zeitung)|Freitag]]'', 20. März 2008.</ref> Alys Buch über die politische Generation der 68er hat sehr schnell zu einer lebhaften Diskussion der Grundlagen der [[68er-Bewegung]] geführt.<ref>Pressestimmen beim [http://www.fischerverlage.de/buch/9783100004215?_buchtext_typ=3 Fischerverlag] und bei [http://www.perlentaucher.de/buch/28912.html Perlentaucher].</ref>
Der Historiker [[Norbert Frei]] erklärte zu dem Vergleich zwischen der von Aly konstruierten ''Generation von 1933'' und den 68ern: ''„Ich meine, hier hat sich einer um des medialen Knalleffekts willen zu einer historiographisch völlig überzogenen Darstellung hinreißen lassen.“''<ref>[http://www.freitag.de/2008/12/08121101.php ''Der Sündenstolz auf die eigene Geschichte''], Interview mit Norbert Frei, ''[[Freitag (Zeitung)|Freitag]]'', 20. März 2008.</ref> Alys Buch über die politische Generation der 68er hat sehr schnell zu einer lebhaften Diskussion der Grundlagen der [[68er-Bewegung]] geführt.<ref>Pressestimmen beim [http://www.fischerverlage.de/buch/9783100004215?_buchtext_typ=3 Fischerverlag] und bei [http://www.perlentaucher.de/buch/28912.html Perlentaucher].</ref>


== Auszeichnungen ==
== Auszeichnungen ==

Version vom 7. September 2008, 17:14 Uhr

Götz Haydar Aly (* 3. Mai 1947 in Heidelberg) ist ein deutscher Historiker und Journalist mit den Themenschwerpunkten Euthanasie, Holocaust und Wirtschaftspolitik der nationalsozialistischen Diktatur.

Leben

Aly entstammt der Familie des königlich-preußischen Kammertürken Friedrich Aly, der 1686 nach Berlin verbracht worden war und dort zum Christentum konvertierte.

Nach seiner Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München studierte Götz Aly von 1968 an Geschichte und politische Wissenschaften in Berlin.

Nach seinem Studium arbeitete er ab 1973 als Heimleiter in Berlin-Spandau, wurde aber 1976 wegen seiner 68er-typischen linken politischen Einstellungen – er war Mitglied der Roten Hilfe – infolge des Radikalenerlasses für ein Jahr suspendiert. 1978 promovierte er über diese Erfahrungen im Fach Politikwissenschaft und schied aus dem Staatsdienst aus. Kurze Zeit später wurde er als Journalist einer der ersten Mitarbeiter der neu gegründeten Tageszeitung taz. Von 1997 bis 2001 war er Redakteur bei der Berliner Zeitung und schrieb ebenfalls für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

1994 habilitierte er sich am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Von 2004 bis 2006 hatte er die auf vier Semester angelegte Gastprofessur für interdisziplinäre Holocaustforschung am Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main inne. 2006 wurde er von Bundespräsident Köhler als Nachfolger von Alexander Gauland für fünf Jahre in den Stiftungsrat des Berliner Jüdischen Museums berufen.

Werk und wissenschaftliches Wirken

NS-Forschung

Hauptthema von Alys wissenschaftlicher Arbeit ist die Geschichte des Holocausts, die er weitgehend außerhalb des etablierten Wissenschaftsbetriebs erforscht. Auslöser für die Beschäftigung mit dem Thema war das bis dahin umfangreichste Ermittlungsverfahren zur Euthanasie während des Dritten Reichs, das 1981 in Hamburg durchgeführt wurde. Aly zieht zu dessen Erklärung weniger das ideologische Moment (Rassenwahn, Antisemitismus) als vielmehr rationale Gründe heran. Hierfür zentral ist das 1991 mit Susanne Heim veröffentlichte Buch Vordenker der Vernichtung, in dem die Autoren pointiert wirtschaftliche und bevölkerungspolitische Motive in der Genese des Holocausts hervorheben. Um dieses Buch entbrannte eine wissenschaftliche Debatte, die sich insbesondere im von Wolfgang Schneider herausgegebenen Sammelband „Vernichtungspolitik“ (ebenfalls 1991) widerspiegelt. Einige Autoren äußerten sich kritisch zu Alys und Heims Thesen und zu ihrer Methodik, insbesondere Forscher wie Ulrich Herbert oder Norbert Frei.

Mit seinem Werk Endlösung (1995), das den Holocaust in die Umsiedlungspolitik der Nationalsozialisten einordnet und etliche neue Quellen auswertet, stieß Aly hingegen auf überwiegende Akzeptanz, so von Hans Mommsen und Raul Hilberg. Sein 2005 erschienenes Buch Hitlers Volksstaat löste in Fachkreisen wiederum eine Kontroverse aus. Er bezeichnete das NS-Regime als eine „Gefälligkeitsdiktatur“, von der die Deutschen seiner Ansicht nach unmittelbar profitierten und die durch soziale Fürsorge egalitäre Prinzipien zu verwirklichen suchte.

Aly ist seit 2007 Mitherausgeber einer auf 16 Bände angelegten Quellenedition zur Verfolgung der Juden in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus, in der private Stimmen ebenso dokumentiert werden sollen wie auch staatliche und parteidienstliche Stellen sowie Verfolgte oder Augenzeugen. Das Langzeitprojekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit rund 250.000 Euro pro Band finanziert und ist damit zur Zeit das aufwendigste geisteswissenschafliche Projekt der DFG.[1]

Kritik an 1968

Im neuen Buch Unser Kampf 1968 – ein irritierter Blick zurück (2008)[2] analysiert Aly die Reaktion der Gegenseite auf die deutschen Studentenbewegung der 1960er Jahre. Er greift dabei auf Akten deutscher Behörden und zeitgenössische Reaktionen, unter anderem von Josef Ratzinger, Ernst Fraenkel und Richard Löwenthal zurück. Aly kommt zu dem Schluss, dass die 68er ihren Eltern – der nationalsozialistischen „Generation von 1933“ – weitaus ähnlicher gewesen seien, als sie dies selbst wahrnehmen wollten.

Als Indizien für seine These benennt Aly den anti-bürgerlichen Impetus, die Gewaltbereitschaft, den Antiamerikanismus, den latenten Antisemitismus, das Ausblenden von Kritik an linken Despoten. Die 1968er seien als „Spätausläufer” nicht die Lösung des Totalitarismus, sondern ein Teil des Problems selbst. Auch bei der Liberalisierung der Moral und Sitten seien die 68er nicht die Auslöser, sondern lediglich Nutznießer eines Prozesses gewesen, der schon in den 1950er Jahren begonnen habe. „Es ist schwer, den eigenen Töchtern und Söhnen zu erklären, was einen damals trieb“[3], so Aly angesichts seiner eigenen Biographie.

Der Historiker Norbert Frei erklärte zu dem Vergleich zwischen der von Aly konstruierten Generation von 1933 und den 68ern: „Ich meine, hier hat sich einer um des medialen Knalleffekts willen zu einer historiographisch völlig überzogenen Darstellung hinreißen lassen.“[4] Alys Buch über die politische Generation der 68er hat sehr schnell zu einer lebhaften Diskussion der Grundlagen der 68er-Bewegung geführt.[5]

Auszeichnungen

Für seine Arbeit ist Aly mehrfach ausgezeichnet worden. 2002 erhielt er den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste in Berlin und 2003 den Marion-Samuel-Preis der „Stiftung Erinnerung Lindau“ der Eheleute Walther Seinsch. Daraufhin recherchierte Aly über die Namensgeberin des Preises und legte 2004 die Biografie Im Tunnel. Das kurze Leben der Marion Samuel 1931–1943 vor.

2007 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.

Zitate

Von Aly

  • Wer sich jedoch den Einzelheiten, den angeblichen Randerscheinungen des Vergangenen aussetzt, gerät in einen menschlichen Irrgarten, der die eigenen Gewissheiten ständig gefährdet. Geschichte erfordert Demut und hält nur die eine Lehre bereit: Niemand steht auf der sicheren Seite. (aus: Rasse und Klasse)
  • Den einfachen Leuten ging es im Nationalsozialismus gut. Sie haben gerne mitgemacht und vom Krieg profitiert.
  • In keinem kriegführenden Land waren die Frauen der Soldaten so gut versorgt wie in Deutschland. Sie hatten Anspruch auf Sicherung ihres Lebensstandards. Und gerade in der Unterschicht haben Frauen im Zweiten Weltkrieg über so viel Geld verfügt wie noch nie zuvor.
  • Das alles [Anmerkung: die „Lebensraum“-Politik] wurde nicht zum Vorteil von Junkern und Monopolisten geplant, sondern als konkrete Utopie für einfache Deutsche.
  • „Wer von den Vorteilen für die Millionen einfacher Deutscher nicht reden will, der sollte vom Nationalsozialismus und vom Holocaust schweigen.“ (aus: „Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus“, S. 362)

Über Aly

Er ist der typische Außenseiter, nur würde ich trotz all seiner Leistungen ein Votum gegen ihn einlegen, wenn es darum ginge, ihm eine Professur anzutragen. So jemanden darf man nicht auf Studenten loslassen. Er ist nicht seriös genug.

Aly über Wehler

Ich sage nur: Wehler lesen! Da wimmelt es nur so von Fehlern! Der Kollege Wehler macht sich in den Archiven nicht die Finger schmutzig!

Götz Aly, 2005 [6]

Werke

  • Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück, 2008, ISBN 978-3-10-000421-5 (Interview)
  • Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 - 1945, Bd. 1: Deutsches Reich 1933-1937, Hrsg.: Götz Aly, Wolf Gruner, Susanne Heim, Ulrich Herbert, Hans Dieter Kreikamp, Horst Möller, Dieter Pohl, Hartmut Weber; Oldenbourg Verlag, München 2007, 811 S., Gebunden, ISBN 3486584804, Rezensionen im Perlentaucher
  • Mit Michael Sontheimer: Fromms – Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2007, 220 S., ISBN 3-10-000422-1
  • Als Hrsg.: Volkes Stimme. Skepsis und Führervertrauen im Nationalsozialismus. Fischer TB Verlag, Frankfurt a. M. 2006; 224 Seiten, ISBN 3-596-16881-3 (Rezension von Harald Welzer in: Die Zeit, Nr. 48, 23. November 2006)
  • Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, 2005, ISBN 3-89331-607-8 (Bundeszentrale für Politische Bildung), ISBN 3-10-000420-5 (Fischer)
  • Im Tunnel. Das kurze Leben der Marion Samuel 1931–1943, 2004, ISBN 3-596-16364-1
  • Mit Christian Gerlach: Das letzte Kapitel. Der Mord an den ungarischen Juden, 2004, ISBN 3-596-15772-2 (Rezensionen)
  • Rasse und Klasse. Nachforschungen zum deutschen Wesen, 2003, ISBN 3-10-000419-1
  • Macht, Geist, Wahn. Kontinuitäten deutschen Denkens, 1999 (zuerst 1997), ISBN 3-596-13991-0
  • „Endlösung“. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden, 1999 (zuerst 1995), ISBN 3-596-50231-4
  • Mit Susanne Heim: Das Zentrale Staatsarchiv in Moskau („Sonderarchiv“). Rekonstruktion und Bestandsverzeichnis verschollen geglaubten Schriftguts aus der NS-Zeit, Düsseldorf 1992
  • Demontage…: Revolutionärer oder restaurativer Bildersturm?, 1992, ISBN 3-87956-183-4
  • Mit Susanne Heim: Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, 2004 (zuerst 1991), ISBN 3-596-11268-0
  • Mit Monika Aly, Morlind Tumler: Kopfkorrektur oder Der Zwang gesund zu sein, 1991, ISBN 3-88022-063-8
  • Aktion T4 1939–1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4, 1989, ISBN 3-926175-66-4
  • Mit Karl Heinz Roth: Die restlose Erfassung. Volkszählen, Identifizieren, Aussondern im Nationalsozialismus, 2000 (zuerst 1984), ISBN 3-596-14767-0

Literatur

  • Wolfgang Schneider (Hrsg.): „Vernichtungspolitik“. Eine Debatte über den Zusammenhang von Sozialpolitik und Genozid im nationalsozialistischen Deutschland, Junius Verlag, Hamburg 1991, ISBN 3-88506-187-2
  • Aly, Götz, in: Munzinger, Internationales Biographisches Archiv, 43/2003 vom 13. Oktober 2003 (sh)
  • Per Leo: Der Narr von eigenen Gnaden. Götz Aly und die deutsche Geschichtswissenschaft, in: Ästhetik und Kommunikation 36 (2005), H. 129/130, S. 184-194.

Zur Diskussion 2008:


Artikel von Aly

Einzelnachweise

  1. „Alltag der Entrechtung“, Tagesspiegel, 25. Januar 2008
  2. Götz Aly, 2008: Unser Kampf. 1968., Fischer-Verlag, Frankfurt 2008, ISBN 978-3-100-00421-5. Leseproben bei Perlentaucher.
  3. Zitiert nach Fischerverlag
  4. Der Sündenstolz auf die eigene Geschichte, Interview mit Norbert Frei, Freitag, 20. März 2008.
  5. Pressestimmen beim Fischerverlag und bei Perlentaucher.
  6. a b „Der Streit-Historiker“, Die Zeit, 19. Mai 2005, Nr. 21