„Frühbürgerliche Revolution“ – Versionsunterschied

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In einzelnen Ländern Europas griffen [[Volksbewegung|Volksbewegungen]] bereits in der zweiten Hälfte des 14. und im 15. Jh. über die lokalen Grenzen hinaus und wuchsen zu bedeutenden Bauernkriegen und Stadtaufständen aus:
In einzelnen Ländern Europas griffen [[Volksbewegung|Volksbewegungen]] bereits in der zweiten Hälfte des 14. und im 15. Jh. über die lokalen Grenzen hinaus und wuchsen zu bedeutenden Bauernkriegen und Stadtaufständen aus:
* in Frankreich die [[Jacquerie]] (1358) und die Hirtenbewegung (1382-1384)
* in Frankreich die [[Jacquerie]] (1358) und die Hirtenbewegung (1382-1384)
* in England der Bauernkrieg unter der Führung Wat Tylers (1381)
* in England die [[Peasants’ Revolt]] unter der Führung Wat Tylers (1381)
* in Italien die von [[Fra Dolcino]] geführte Bewegung (1300-1304) sowie der Aufstand der Tuchini im [[Canavese]] in [[Piemont]] (1382-1387),
* in Italien die von [[Fra Dolcino]] geführte Bewegung (1300-1304) sowie der Aufstand der Tuchini im [[Canavese]] in [[Piemont]] (1382-1387),
* in Böhmen die Hussitenkriege (1419-1434),
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Die großflächige Bauernbewegung der Hussiten hatte trotz ihrer Niederlage eine beachtliche internationale Resonanz. Das Auftreten der englischen [[Lollarden]] und vor allem die Hussitenkriege unterstützten die Reformationsbewegung und den [[Klassenkampf]] im Europa des 15. und 16. Jahrhunderts.<ref>Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas, Band 21,Ausgabe 2, Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1977, S.127</ref>
Die großflächige Bauernbewegung der Hussiten hatte trotz ihrer Niederlage eine beachtliche internationale Resonanz. Das Auftreten der englischen [[Lollarden]] und vor allem die Hussitenkriege unterstützten die Reformationsbewegung und den [[Klassenkampf]] im Europa des 15. und 16. Jahrhunderts.<ref>Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas, Band 21,Ausgabe 2, Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1977, S.127</ref>

== Englische frühbürgerliche Revolutionen==
== Englische frühbürgerliche Revolutionen==
Englische Revolutionsführer waren [[John Ball (Priester)|John Ball]] über William Parmenter (Nachfolger von Jack Cade) bis [[Gerrard Winstanley]], [[Robert Ket]], [[Jack Straw (Rebellenführer)|Jack Straw]], [[Wat Tyler]], [[Jack Cade]].
Englische Revolutionsführer waren [[John Ball (Priester)|John Ball]] über William Parmenter (Nachfolger von Jack Cade) bis [[Gerrard Winstanley]], [[Robert Ket]], [[Jack Straw (Rebellenführer)|Jack Straw]], [[Wat Tyler]], [[Jack Cade]].

Version vom 30. Dezember 2019, 23:10 Uhr

Frühbürgerliche Revolution ist ein Begriff aus der marxistischen Wirtschaftssoziologie und Geschichtswissenschaft. Damit sollen revolutionäre Bewegungen vom Ende des Mittelalters an (ab etwa 1450) beschrieben werden, die durch folgende Konfliktlinien gekennzeichnet sind:

Durch die Integration der Agrarfrage in die Revolutionsprogrammatik wurden die Interessen des Bauernstands berücksichtigt und es gelang in England, in den Niederlanden und in Deutschland ein gemeinsames Vorgehen bürgerlicher und bäuerlicher Gruppierungen.[1]

Aus der Sicht des Marxismus hatten diese gesellschaftspolitischen Kräfte beziehungsweise Strömungen das Ziel, ihre ökonomische und politische Zersplitterung zu überwinden. Dazu gehörten Forderungen der Bauern nach:

  • höherer Anteil an der Rendite der Produktion
  • Lockerung der feudalen Ordnung
  • verbesserter Zugang zur Allmende.

Da die um 1500 sich ausbildenden Kapitalkräfte, wie die Fugger unreif und aufgespalten waren, verbanden sie sich nach Adolf Laube mit den Feudalkräften und bildeten kein eigenes Klassenbewusstsein im deutschen Kulturraum aus. [2]

Beispiele für frühbürgerliche Revolutionserscheinungen waren die Hussiten-Bewegung, die Reformation und der Bauernkrieg in Deutschland. Auch der niederländische Freiheitskampf mit der 1566/67 beginnenden Revolution war geprägt von den Kämpfen der bürgerlichen Klasse gegen den Adelsstand. Dort waren allerdings die Städte und nicht die Bauern im Zentrum der revolutionären Bewegung. Im Vergleich zu den deutschen Erhebungen war die niederländische Bauernbewegung schwächer ausgebildet.[3] Gleiches vollzog sich ebenso im Königreich England im Zuge der Glorious Revolution. Während am nord-westlichen Kontinentalrand Europas sich die bürgerliche Klasse schließlich im 17. Jahrhundert gegen die Adelsklasse behaupten konnte, wurden als Folgeauswirkung der spätmittelalterlichen Agrarkrise[4] die östlichen und zentralen Kontinentgebiete bis nach der Mitte des 19. Jahrhunderts einer erneuten Refeudalisierung unterworfen, und auch die Leibeigenschaft der Bauern dauerte an. Dies betraf vor allem die ostelbischen Gebiete, Polen (Adelsrepublik) und weitere östlich gelegene Länder Europas.

Die frühbürgerlichen Revolutionen in den Niederlanden und dem Heiligen Römischen Reich fielen in eine Zeit, in der in diesen Staatswesen anders als später in England und Frankreich die ökonomische und staatliche Zentralisierung nur gering entwickelt war.[5]

Im Vergleich

Während in den deutschen Staaten um 1500 und auch noch im Ancien Regime um 1789 im agrarischen Bereich feudale Produktionsverhältnisse dominierten, präsentierten sich die Niederlande und England im Vorfeld ihrer eigenen Revolutionen als weiter Fortgeschritten, sichtbar in dem erreichten Stand der Proto-Akkumulation des Kapitals, im Grad der Ausbildung von Pachtverhältnissen, dem Entstehen eines verbürgerlichten Adels, dessen Interessen denen der städtischen Bourgeoisie angenähert waren, so dass eine sozial-politische Grundlage für Kompromisse gegeben war.[6] Einen solchen Neuen Adel gab es in den deutschen Staaten und in Frankreich nicht in nennenswertem Umfang. Die Konfrontation Bauernschaft und Feudaladel fiel daher dort ausgeprägter aus.[7]

Voraussetzungen

Als voraussetzende Merkmale einer frühbürgerlichen Revolution gilt:[8]

  • Akkumulation von Kapital
  • Formierung des Weltmarkts
  • Vorhandensein zentralisierter Monarchien
  • Existenz bürgerlicher Kulturen und Ideologien.

Nach Günter Vogler geriet Deutschland und Europa Ende des 15. Jahrhunderts in die Epoche des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus, wodurch die konstituierenden Merkmale für den Typus frühbürgerliche Revolutionen erreicht wurden.

Liste von Volksbewegungen an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit

In einzelnen Ländern Europas griffen Volksbewegungen bereits in der zweiten Hälfte des 14. und im 15. Jh. über die lokalen Grenzen hinaus und wuchsen zu bedeutenden Bauernkriegen und Stadtaufständen aus:

  • in Frankreich die Jacquerie (1358) und die Hirtenbewegung (1382-1384)
  • in England die Peasants’ Revolt unter der Führung Wat Tylers (1381)
  • in Italien die von Fra Dolcino geführte Bewegung (1300-1304) sowie der Aufstand der Tuchini im Canavese in Piemont (1382-1387),
  • in Böhmen die Hussitenkriege (1419-1434),
  • in Spanien die Aufstände in Kastilien (1437), auf den Balearen (1450/51) und in Katalonien (1462-1472)[9]
  • der Aufstand unter György Dózsa in Ungarn[10]
  • Bauernunruhen in Spanien 1505
  • Bauernunruhen in England 1536 bis 1539, 1549

Damit beginnt die Geschichte der Frühbürgerlichen Revolution in Europa. Es folgten die Umwälzungen in den Niederlanden und in England.

Die großflächige Bauernbewegung der Hussiten hatte trotz ihrer Niederlage eine beachtliche internationale Resonanz. Das Auftreten der englischen Lollarden und vor allem die Hussitenkriege unterstützten die Reformationsbewegung und den Klassenkampf im Europa des 15. und 16. Jahrhunderts.[11]

Englische frühbürgerliche Revolutionen

Englische Revolutionsführer waren John Ball über William Parmenter (Nachfolger von Jack Cade) bis Gerrard Winstanley, Robert Ket, Jack Straw, Wat Tyler, Jack Cade.

Zu den traditionellen mittelalterlichen Oppositionsformen wie den lokalen Bauernerhebungen gegen Hörigkeit und Leibeigenschaft traten ab der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Aktionen der armen Bauern und Kleinpächter gegen die zu wirtschaftlicher Macht gelangenden burgeoisen Kreise und besonders gegen die Einhegungen. Ausgehend davon, dass die Kapitalisierung in England vom Lande ausging, waren die städtischen Oppositionsformen – mit Ausnahme der Ereignisse in London – gegenüber den ländlichen zurückgeblieben.[12] Seit 1381 kam es zur Herausbildung gemäßigter und radikaler Kräftegruppierungen in den revolutionären Bewegungen, die ihre spezifischen Klasseninteressen zum Ausdruck brachten. Im Bauernkrieg von 1381 trat die gemäßigte und radikale Fraktion nebeneinander auf.[13]

Bedeutender Vorläufer der späteren frühbürgerlichen Revolutionen waren die Ereignisse von 1450/51 in Südostengland. Der Aufstand bildete aber noch keine geschlossene Ideologie der unteren Schichten. Jack Cade führte 1450 den Aufstand in Kent an. Eigentlicher Träger der das England des 15. Jh. prägenden revolutionären Bewegung von 1450/51 war nicht die breite Schicht freier, selbstwirtschaftender Bauern. Die entscheidende Triebkraft bildeten vor allem verarmte oder durch die Einhegungen landlos gewordene Bauern, die Unterschicht der Pächter, Lohnarbeiter in Landwirtschaft und Textilgewerbe sowie Matrosen.[14] Sicher ist, dass es in der revolutionären Bewegung von 1450/51 Kräfte gab, denen die „gemäßigte" Zielstellung Cades nicht genügte. Die politischen Ansprüche des antifeudalen Lagers waren gegenüber 1381 gewachsen.

Begriffsgeschichte

Die damaligen Gesellschaften waren noch keine bürgerlichen Gesellschaften, auch die Niederländische nicht. Zur Lösung dieses begrifflichen Problems haben namentlich die osteuropäischen Historiker eine Unterscheidung zwischen bürgerlichen und frühbürgerlichen Revolutionen in den Begriffsapparat der Geschichtswissenschaften eingeführt.[15] Der Begriff frühbürgerliche Revolution stammt vom tschechischen Historiker Josef Macek (1958) und hat in der neueren marxistischen Soziologie den von Karl Marx und Friedrich Engels benutzten Begriff der bürgerlichen Revolution für diese Art der revolutionären Bewegungen teilweise abgelöst. Künstlerisch wurde das Thema im Bauernkriegspanorama von Werner Tübke dargestellt.

Literatur

  • Josef Foschepoth: Reformation und Bauernkrieg im Geschichtsbild der DDR. Zur Methodologie eines gewandelten Geschichtsverständnisses. Duncker und Humblot, Berlin 1976
  • Ines Jachomowski: Bauernkrieg und Frühbürgerliche Revolution im Geschichtsbild der DDR, GRIN Verlag, 2007, ISBN 9783638801041
  • Klaus Vetter: Die niederländische frühbürgerliche Revolution 1566–1588, Berlin 1989.

Einzelnachweise

  1. Laurenz Müller: Diktatur und Revolution: Reformation und Bauernkrieg in der Geschichtsschreibung des Dritten Reichs und der DDR, Lucius & Lucius Verlag, Stuttgart 2004, S.255
  2. Alexander Fischer, Günther Heydemann: Geschichtswissenschaft in der DDR: Vor- und Frühgeschichte bis neueste Geschichte, Band 2 von Geschichtswissenschaft in der DDR, Duncker & Humblot, 1990, S.203
  3. Manfred Kossok, Werner Loch: Bauern und bürgerliche Revolution - Studien zur Revolutionsgeschichte, Topos, 1985, S.50
  4. Manfred Kossok, Werner Loch: Bauern und bürgerliche Revolution - Studien zur Revolutionsgeschichte, Topos, 1985, S.44
  5. Peter Heinz Feist, Ernst Ulmann, Gerhard Brendler: Lucas Cranach : Künstler U. Gesellschaft: Referate D. Colloquiums Mit Internat. Beteiligg. Zum 500. Geburtstag Lucas Cranachs D. Ä., Staatl. Lutherhalle Wittenberg 1.-3. Oktober 1972, Staatliche Kunsthalle, 1973, S.50
  6. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Band 28,Ausgaben 7-12, Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1980, S.1070
  7. Manfred Kossok, Werner Loch: Bauern und bürgerliche Revolution - Studien zur Revolutionsgeschichte, Topos, 1985, S.53
  8. Laurenz Müller: Diktatur und Revolution: Reformation und Bauernkrieg in der Geschichtsschreibung des Dritten Reichs und der DDR, Lucius & Lucius Verlag, Stuttgart 2004, S.240
  9. Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas, Band 21,Ausgabe 2, Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1977, S.140
  10. Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas, Band 21,Ausgabe 2, Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1977, S.118
  11. Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas, Band 21,Ausgabe 2, Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1977, S.127
  12. Manfred Kossok, Werner Loch: Bauern und bürgerliche Revolution - Studien zur Revolutionsgeschichte, Topos, 1985, S.75
  13. Manfred Kossok, Werner Loch: Bauern und bürgerliche Revolution - Studien zur Revolutionsgeschichte, Topos, 1985, S.77
  14. Manfred Kossok, Werner Loch: Bauern und bürgerliche Revolution - Studien zur Revolutionsgeschichte, Topos, 1985, S.74
  15. Marcel van der Linden, Bert Altena: Die Rezeption der Marxschen Theorie in den Niederlanden, Band 45 der Schriften aus dem Karl-Marx-Haus, Karl-Marx-Haus, Trier 1992, S.40