Bildungssystem in Frankreich

Das Bildungssystem in Frankreich umfasst die Schulen und Hochschulen des Landes.

Das Schulsystem wird großteils von der öffentlichen Hand betrieben. Im Hochschulbereich sind nichtstaatliche Träger bei den Grandes écoles stärker vertreten. Das Bildungssystem beruht auf dem Prinzip des Laizismus. Die Verwaltung der Schulen und Hochschulen erfolgt im Wesentlichen durch die 30 „Akademien“. Diese können als Gegenstück zu den Regionen im Bildungswesen angesehen werden.

Schulsystem in Frankreich
Schulsystem in Frankreich

Bildungspflicht und Ganztagsschule

Die Schulpflicht wurde in Frankreich am 28. März 1882 eingeführt. Heute sind durch die Bildungspflicht auch Hausunterricht und Unschooling möglich, (zum Beispiel non-scolarisation genannt). Möchte ein Kind im Einvernehmen mit den Eltern nicht zur Schule gehen, melden die Eltern dies der Stadt, die in diesem Falle in regelmäßigen Abständen die familiären Bedingungen, die Gesundheit und die Lernfortschritte des Kindes überprüft. Etwa 20.000 Kinder in Frankreich besuchen keine Schule.[1]

Schulen in Frankreich sind grundsätzlich Ganztagsschulen. Der Unterricht beginnt in der Regel zwischen 8.30 und 9.00 Uhr und endet um 16:30 bzw. 17:30 Uhr im Collège, gegen 18 Uhr im Lycée. Vor- und Grundschulen bieten zudem noch Betreuungsmöglichkeiten vor und nach dem Unterricht, wenn die Größe der Gemeinde dies zulässt. Allen Kindern wird ein Kantinenessen angeboten, die Kosten hierfür hängen vom Einkommen der Eltern ab. Für Kinder aus kinderreichen Familien mit niedrigem Einkommen ist es gegebenenfalls kostenlos.[2]

Konfessionelle und private Schulen, Religionsunterricht

Schulen der katholischen Kirche (auch écoles libres) und andere private Schulen nehmen inzwischen ca. 30 % der Schüler auf. Dahinter steht ein großer Vertrauensverlust in die Leistungsfähigkeit der staatlichen Schulen. Dabei bezahlt der Staat die Lehrergehälter, während die privaten Träger die Gebäude bereitstellen, Grundlage bildet dafür die Loi Debré von 1959 (benannt nach dem Premierminister Michel Debré; 1959–1962). Der Zulauf auf katholische Schulen ist keineswegs auf ein wachsendes religiöses Interesse zurückzuführen, wie am großen Rückgang an religiösen Akten wie Taufen, kirchlichen Hochzeiten etc. abzulesen ist.[3]

Ein Religionsunterricht findet wegen des traditionellen Laizismus an staatlichen Schulen nur freiwillig im Rahmen der Schulseelsorge (aumônerie scolaire seit 1802) statt, wofür oft ein Nachmittag (früher der Donnerstag, inzwischen der Mittwoch oder Samstag) vom übrigen Unterricht freigehalten wird. Im ehemals deutschen Elsass-Lothringen gibt es anders als im übrigen Frankreich noch staatlichen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen (cours de religion) mit einer staatlichen Lehrerausbildung an der Universität Straßburg. Die Teilnahme geht in den oberen Klassen stark zurück.[4] Ein islamischer Religionsunterricht findet in den öffentlichen Schulen bisher kaum statt, weil die muslimischen Gemeinschaften diesen nicht unter staatlicher Kontrolle ausüben wollen. Private muslimische Schulen entstehen erst.[5]

Vorschule und Grundschule

Die Vorschule (école maternelle) wird von 97 % der Kinder in Frankreich besucht. Sie ist eine staatliche Art von Vorschule, hat aber auch Ähnlichkeiten mit dem deutschen Kindergarten und ist seit 2019 für Kinder ab 3 Jahren Pflicht[6] Aufgerufen 2020-08-21</ref>; ihr Besuch ist in öffentlichen Schulen gratis und der Unterricht ganztägig; optionale Betreuungsangebote für die Randzeiten sowie die mittägliche Verpflegung sind jedoch kostenpflichtig. Alter: 2½–6. Die Vorschule ist eine Einrichtung mit Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsfunktion. Letztere steht stärker im Vordergrund, als dies in den Kindergärten in anderen, zum Beispiel deutschsprachigen, Ländern der Fall ist. Es existiert ein nach nationalen Richtlinien des Bildungsministeriums festgelegtes Curriculum, welches zwar nicht verbindlich ist, wodurch die école maternelle jedoch als vorbereitende Einrichtung für die Grundschule (école élémentaire) gilt. Die Lehrer werden von der staatlichen Schulbehörde Éducation nationale ausgebildet und angestellt. Auch die Schulleiter sind Lehrer.

Die Grundschule (école élémentaire) in Frankreich dauert fünf Jahre; die Schuljahre heißen CP (cours préparatoire), CE1 (cours élémentaire 1), CE2, CM1 (cours moyen 1) und CM2. Alter: 6–11. In der Klasse 1 und 2 findet die Erziehungs-, in Klasse 3–5 eine Übungsphase statt. Schon ab der ersten Klasse wird eine Fremdsprache im Sinne der Europäisierung unterrichtet.

Sekundarstufe I

Im Anschluss an die Grundschule besuchen alle Schüler vier Jahre lang das Collège, eine Mittelschule ohne Leistungsdifferenzierung. Sie erhalten dabei Unterricht in Französisch, Mathematik, zwei modernen Fremdsprachen, Geschichte-Geographie-Gemeinschaftskunde, SVT (Sciences de la vie et de la terre, einer Mischung aus Biologie und Geowissenschaft), Physik-Chemie, Technologie, Bildender Kunst, Musikerziehung und Sport. Es besteht außerdem die Möglichkeit, eine Regionalsprache, Latein oder Griechisch zu erlernen. Am Ende des Collège unterziehen sich die Schüler einer Prüfung, durch die sie ein Abschlusszeugnis bekommen, das diplôme national du brevet.

Die übliche Sprachenfolge an den Schulen ist in der fünften Klasse Englisch (rund 90 Prozent) und als zweite Fremdsprache in der siebten Klasse Spanisch (63 Prozent); Deutsch als zweite Fremdsprache wird von 18 Prozent der Schüler mit fallender Tendenz erlernt.[7]

Die französische Bildungspolitik unter Präsident Hollande strebte eine Reform des Collège an. Diese Reform stößt wegen der befürchteten gravierenden Folgen z. B. für Deutsch als Fremdsprache im französischen Schulsystem auf erheblichen Widerstand unter den französischen Deutschlehrern sowie in Deutschland.

Sekundarstufe II

Im Bereich der Sekundarstufe II besteht die Möglichkeit, drei Jahre lang ein Lycée zu besuchen; unterschieden wird dabei zwischen lycées d’enseignement général et technologiques (allgemeinbildend und technisch) und lycées d’enseignement professionnel (berufsbildend), wobei heutzutage beide Bildungsgänge oftmals in der gleichen Schule, dem Lycée polyvalent, angeboten werden.

Lycée d’enseignement général

Unterricht am Lycée

Nach einem gemeinsamen Unterricht für alle Schüler dieser Schulart im ersten Jahr, der Seconde (10. Schuljahr), entscheiden sich die Schüler für die Première (11. Schuljahr) und die Terminale (12. Schuljahr), die letzten beiden Jahre vor dem Abitur (baccalauréat), für eines von drei Profilen (série): L (littéraire, literarisch), ES (économique et sociale, wirtschafts- und sozialwissenschaftlich) oder S (scientifique, wissenschaftlich). Innerhalb dieser Profile sind zahlreiche weitere Entscheidungsmöglichkeiten gegeben. Für alle Schüler verpflichtend sind folgende Fächer:

  • Französisch und Literatur (Seconde und Première)
  • Philosophie (Terminale)
  • Geschichte-Geographie und Staatsbürgerkunde
  • erste lebende Fremdsprache
  • zweite lebende Fremdsprache
  • Mathematik (nur für S und ES, Wahlfach für L)
  • Sport (2 Stunden)
  • Naturwissenschaften (Enseignement scientifique, Biologie und Physik/Chemie, nur in der Première für ES und L)
  • TPE (Travaux personnels encadrés) Nur in der Première, Semesterarbeit zu einem mehr oder minder frei gewählten Thema

Die einzelnen Profile zeichnen sich durch eigene Pflichtfächer, unterschiedliche Lehrpläne und unterschiedliche Stundenzahlen aus. Die jeweiligen profilspezifischen Pflichtfächer sind:

  • Profil S (Scientifique): Mathematik, Physik-Chemie, SVT (Sciences de la vie et de la terre, eine Mischung aus Biologie und Geowissenschaft) oder SI (Ingenieurswissenschaften)
  • Profil ES (Economique et Sociale): Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Geschichte, Mathematik
  • Profil L (Littéraire): Literatur, Geschichte und in der Terminale Philosophie.

Neben diesen Pflichtfächern müssen alle Schulen im Rahmen des Angebots innerhalb ihres Profils noch ein weiteres Fach wählen; bis zu zwei weitere Fächer können belegt werden, falls gewünscht.

Abiturprüfung (Baccalauréat)

Das Baccalauréat wird in zwölf Fächern abgelegt; eine Reform, die diese Anzahl auf sechs Fächer senken sollte, wurde vorerst verschoben. Die Aufgaben für alle Fächer werden landesweit zum gleichen Termin zentral gestellt. In einem bis drei Fächern findet die Abiturprüfung bereits am Ende der Première statt (in allen Profilen: Französisch; in L und ES: Naturwissenschaft; in L: Mathematik-Informatik). Die übrigen Fächer werden am Ende der Terminale geprüft. Je nach Profil werden die einzelnen Fächer unterschiedlich stark gewichtet, indem sie unterschiedliche Koeffizienten erhalten. Bei der Berechnung der Gesamt-Abiturnote werden nur die Leistungen in diesen Prüfungen herangezogen, die Leistungen der Vorjahre spielen dagegen keine Rolle. Im Jahr 2017 hatte Frankreich eine Abiturquote von 79 %; gleichzeitig brechen 61 % eines Jahrgangs ihr gewähltes Erststudium ab.[8] Mehr Möglichkeiten einer Fächerwahl nach Interessen und Neigungen soll das verbessern.

Die Schuldauer von der Ecole élémentaire an bis zum Erreichen des Abiturs beträgt in Frankreich in der Regel 12 Jahre.

Bildungsreformpläne

Nachdem der damalige BildungsministerXavier Darcos 2008 eine Reform des Lycées angekündigt hatte, stieß diese auf starken Widerstand. Zunächst wurde Richard Descoings, Direktor der Hochschule Sciences Po, damit beauftragt, Schüler, Lehrer und Eltern in Frankreich zu befragen. Nach einer Kabinettsumbildung im Sommer 2009 wurde zu Beginn des Schuljahres vom neuen Bildungsminister Luc Chatel die Reform für das Lycée vorgestellt.[9] Dabei ist die neue Fassung des Lycées sehr viel konservativer gehalten als die von Darcos vorgeschlagene Reform und folgt in großen Zügen dem bereits Anfang 2009 vorgestellten Bericht Apparu,[10] in dem der Abgeordnete Benoist Apparu (UMP) seinen Reformvorschlag vorstellt.

Die Regierung Macrons plant eine umfassende Bildungsreform. So wurden bereits die Grundschulklassen verkleinert und die Schulpflicht mit 3 Jahren eingeführt.[11] Bildungsminister Jean-Michel Blanquer hat sein Reformmodell Für eine Schule des Vertrauens 2019 vorgestellt.[12] Danach sollen die Schulleiter zu Vorgesetzten der Lehrkräfte und die Inklusion eingeführt werden.

Hochschulen

Die akademische Bildung wird von der Koexistenz der Grandes écoles und der Universitäten geprägt. Die Grandes écoles können meist erst nach dem Besuch der classe préparatoire besucht werden, die in der Regel von Lycées angeboten wird. Die Grandes écoles haben gegenüber den Universitäten Frankreichs eine höhere Reputation, niedrigere Studentenzahlen und höhere persönliche Betreuung. Zu den bedeutenderen der Grandes écoles gehören die École polytechnique, die École normale supérieure (ENS), die École des hautes études en sciences sociales (EHESS), die École nationale d’administration (ENA), die École nationale supérieure d’arts et métiers (ENSAM) und die École Centrale Paris. Im Zuge der europaweiten Harmonisierung der Studienabschlüsse im Rahmen des Bologna-Prozess wird auch an französischen Hochschulen das LMD-System eingeführt. LMD bedeutet, dass nacheinander die Licence (entspricht dem Bachelor; nach 3 Jahren), der Master (nach 5 Jahren) und das Doktorat (nach 8 Jahren) erworben werden können. Die traditionellen nationalen Abschlüsse (DEUG, Licence, Maîtrise, DEA und DESS) sollen im Rahmen dieses Prozesses entfallen. Ende 2009 studierten rund 2,25 Mio. Studenten an französischen Hochschulen.

Literatur

  • Annika Blichmann: Schulreform und Reformschule in Frankreich. Die «Ecole élémentaire Vitruve» im Horizont der Geschichte. Jena 2008, ISBN 978-3-938203-68-2

Einzelnachweise

  1. Homeschooling & Co. als Alternative? Abgerufen am 20. Februar 2020 (deutsch).
  2. Mechthild Veil: Ganztagsschule mit Tradition: Frankreich. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B41, 2002 (bpb.de [abgerufen am 26. August 2017]).
  3. Privatschulen in Frankreich: Die Renaissance der Erziehung. Abgerufen am 19. Dezember 2020.
  4. Bernd Schröder: Religion(en) und Schule in Frankreich. 2005 (theo-web.de [PDF]).
  5. Rudolf Balmer: Unterricht und Religion in Frankreich: In die Schule mit Allahs Segen. In: Die Tageszeitung: taz. 5. Mai 2015, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 19. Dezember 2020]).
  6. La loi pour une École de la confiance. Abgerufen am 20. Dezember 2020 (französisch).
  7. Alfred Grosser: Wie anders ist Frankreich? C. H. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52879-1, S. 221.
  8. Martin Villinger: Bildungsreform in Frankreich. In: Deutsch-Französisches Institut (Hrsg.): Aktuelle Frankreich-Analysen. Nr. 33, 2018 (dfi.de [PDF]).
  9. Réforme du lycée (Memento des Originals vom 18. Januar 2010 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/eduscol.education.fr, auf Französisch
  10. Bericht Apparu (PDF; französisch; 1,3 MB)
  11. Martin Villinger: Bildungsreform in Frankreich. In: Deutsch-Französisches Institut (Hrsg.): Aktuelle Frankreich-Analysen. Nr. 33, 2018 (dfi.de [PDF]).
  12. Frankreichs umstrittene Schulreform. Abgerufen am 20. Dezember 2020.