Bildungssystem in Frankreich

Das Bildungssystem in Frankreich umfasst die Schulen und Hochschulen des Landes.

Das Schulsystem wird zu über 90 Prozent von der öffentlichen Hand betrieben. Im Hochschulbereich sind nichtstaatliche Träger bei den sogenannten Grandes écoles stärker vertreten. Die Verwaltung der Schulen und Hochschulen erfolgt im Wesentlichen durch die 30 „Akademien“. Diese können als Gegenstück zu den Regionen im Bildungswesen angesehen werden.

Schulsystem in Frankreich
Schulsystem in Frankreich

Bildungspflicht

Die Schulpflicht wurde in Frankreich am 28. März 1882 eingeführt. Es sind heute auch Hausunterricht oder Unschooling möglich, (zum Beispiel non-scolarisation genannt). Möchte ein Kind im Einvernehmen mit den Eltern nicht zur Schule gehen, melden die Eltern dies der Stadt, die in diesem Falle in regelmäßigen Abständen die familiären Bedingungen, die Gesundheit und die Lernfortschritte des Kindes überprüft. Etwa 20.000 Kinder in Frankreich besuchen keine Schule.

Ganztagsschule

Schulen in Frankreich sind grundsätzlich Ganztagsschulen. Der Unterricht beginnt um 8.30 Uhr und endet um 16:30 bzw. 17:30 Uhr im Collège, gegen 18 Uhr im Lycée. Vor- und Grundschulen bieten zudem noch anschließende Betreuungsmöglichkeiten, wenn die Größe der Gemeinde dies zulässt. Allen Kindern wird ein Kantinenessen angeboten, die Kosten hierfür hängen vom Einkommen der Eltern ab. Für Kinder aus kinderreichen Familien ist es kostenlos.[1]

Vorschule

Die École maternelle wird vom überwiegenden Teil der Kinder in Frankreich besucht. Sie ist eine staatliche Art von Vorschule, hat aber auch Ähnlichkeiten mit dem deutschen Kindergarten. Die école maternelle ist keine Pflicht; ihr Besuch ist jedoch gratis und der Unterricht ganztägig; nur optionale Betreuungsangebote für die Randzeiten sowie die mittägliche Verpflegung sind kostenpflichtig. Alter: 2½–6. Die École maternelle ist eine Einrichtung mit Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsfunktion. Letztere steht stärker im Vordergrund, als dies in den Kindergärten in anderen, zum Beispiel deutschsprachigen, Ländern der Fall ist. Es existiert ein nach nationalen Richtlinien des Bildungsministeriums festgelegtes Curriculum, welches zwar nicht verbindlich ist, wodurch die École maternelle jedoch als vorbereitende Einrichtung für die Grundschule (école élémentaire) gilt. In der École maternelle unterrichten Lehrer, die von der staatlichen Schulbehörde Éducation nationale ausgebildet und angestellt sind. Auch die Schulleiter sind Lehrer.

Grundschule (= l'école élémentaire)

Die Grundschulzeit in Frankreich dauert fünf Jahre; die Schuljahre heißen CP (cours préparatoire), CE1 (cours élémentaire 1), CE2, CM1 (cours moyen 1) und CM2. Alter: 6–11. In der Klasse 1 und 2 findet die Erziehungs-, in Klasse 3-5 eine Übungsphase statt. Schon ab der ersten Klasse wird eine Fremdsprache im Sinne der Europäisierung unterrichtet.

Sekundarstufe I

Im Anschluss an die Grundschule besuchen alle Schüler vier Jahre lang das Collège, eine Mittelschule. Sie erhalten dabei Unterricht in Französisch, Mathematik, zwei modernen Fremdsprachen, Geschichte-Geographie-Gemeinschaftskunde, SVT (Sciences de la vie et de la terre, einer Mischung aus Biologie und Geowissenschaft), Physik-Chemie, Technologie, Bildender Kunst, Musikerziehung und Sport. Es besteht außerdem die Möglichkeit, eine Regionalsprache, Latein oder Griechisch zu erlernen. Am Ende des Collège unterziehen sich die Schüler einer Prüfung, durch die sie ein Abschlusszeugnis bekommen, das diplôme national du brevet.

Die übliche Sprachenfolge an den Schulen ist in der fünften Klasse Englisch (rund 90 Prozent) und als zweite Fremdsprache in der siebten Klasse Spanisch (63 Prozent); Deutsch als zweite Fremdsprache wird von 18 Prozent der Schüler mit fallender Tendenz erlernt.[2]

Die französische Bildungsministerin ist derzeit bestrebt, zum Schuljahr 2016/17 eine Reform des Collège umzusetzen. Diese Reform stößt wegen der befürchteten gravierenden Folgen für Deutsch als Fremdsprache im französischen Schulsystem auf erheblichen Widerstand unter den französischen Deutschlehrern sowie in Deutschland.

Sekundarstufe II

Im Bereich der Sekundarstufe II besteht die Möglichkeit, drei Jahre lang ein Lycée zu besuchen; unterschieden wird dabei zwischen lycées d’enseignement général et technologiques (allgemeinbildend und technisch) und lycées d’enseignement professionnel (berufsbildend), wobei heutzutage beide Bildungsgänge oftmals in der gleichen Schule, dem Lycée polyvalent, angeboten werden.

Lycée d’enseignement général

Unterricht am Lycée

Nach einem gemeinsamen Unterricht für alle Schüler dieser Schulart im ersten Jahr, der Seconde (10. Schuljahr), entscheiden sich die Schüler für die Première (11. Schuljahr) und die Terminale (12. Schuljahr), die letzten beiden Jahre vor dem Abitur (baccalauréat), für eines von drei Profilen (série): L (littéraire, literarisch), ES (économique et sociale, wirtschafts- und sozialwissenschaftlich) oder S (scientifique, wissenschaftlich). Innerhalb dieser Profile sind zahlreiche weitere Entscheidungsmöglichkeiten gegeben. Für alle Schüler verpflichtend sind folgende Fächer:

  • Französisch und Literatur (Seconde und Première)
  • Philosophie (Terminale)
  • Geschichte-Geographie und Staatsbürgerkunde
  • erste lebende Fremdsprache
  • zweite lebende Fremdsprache
  • Mathematik (nur für S und ES, Wahlfach für L)
  • Sport (2 Stunden)
  • Naturwissenschaften (Enseignement scientifique, Biologie und Physik/Chemie, nur in der Première für ES und L)
  • TPE (Travaux personnels encadrés) Nur in der Première, Semesterarbeit zu einem mehr oder minder frei gewählten Thema

Die einzelnen Profile zeichnen sich durch eigene Pflichtfächer, unterschiedliche Lehrpläne und unterschiedliche Stundenzahlen aus. Die jeweiligen profilspezifischen Pflichtfächer sind:

  • Profil S (Scientifique) : Mathematik, Physik-Chemie, SVT (Sciences de la vie et de la terre, eine Mischung aus Biologie und Geowissenschaft) oder SI (Ingenieurswissenschaften)
  • Profil ES (Economique et Sociale) : Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Geschichte, Mathematik
  • Profil L (Littéraire) : Literatur, Geschichte und in der Terminale Philosophie.

Neben diesen Pflichtfächern müssen alle Schulen im Rahmen des Angebots innerhalb ihres Profils noch ein weiteres Fach wählen; bis zu zwei weitere Fächer können belegt werden, falls gewünscht.

Abiturprüfung (Baccalauréat)

Das Baccalauréat wird in zwölf Fächern abgelegt; eine Reform, die diese Anzahl auf sechs Fächer senken sollte, wurde vorerst verschoben. Die Aufgaben für alle Fächer werden landesweit zum gleichen Termin zentral gestellt. In einem bis drei Fächern findet die Abiturprüfung bereits am Ende der Première statt (in allen Profilen: Französisch; in L und ES: Naturwissenschaft; in L: Mathematik-Informatik). Die übrigen Fächer werden am Ende der Terminale geprüft. Je nach Profil werden die einzelnen Fächer unterschiedlich stark gewichtet, indem sie unterschiedliche Koeffizienten erhalten. Bei der Berechnung der Gesamt-Abiturnote werden nur die Leistungen in diesen Prüfungen herangezogen, die Leistungen der Vorjahre spielen dagegen keine Rolle.

Die Besuchsdauer von der Ecole élémentaire an bis zum Erreichen des Abiturs beträgt in Frankreich in der Regel 12 Jahre.

Reform des Lycées

Nachdem Xavier Darcos, damaliger Bildungsminister in Frankreich, 2008 eine Reform des Lycées angekündigt hatte, diese aber auf Widerstand gestoßen war, wurde diese Reform auf Eis gelegt. Zunächst wurde Richard Descoings, Direktor der Hochschule Sciences Po, damit beauftragt, Schüler, Lehrer und Eltern in Frankreich zu befragen. Ein Teil der Ergebnisse wurde auf seinem Blog festgehalten (Lycée pour tous[3]). Dann, nachdem es im Sommer 2009 zu einer Kabinettsumbildung gekommen war, wurde zu Beginn des Schuljahres vom neuen Bildungsminister Luc Chatel die Reform des Lycées vorgestellt.[4] Dabei ist die neue Fassung des Lycées sehr viel konservativer gehalten als die von Darcos vorgeschlagene Reform und folgt in großen Zügen dem bereits Anfang 2009 vorgestellten Bericht Apparu,[5] in dem der Abgeordnete Benoist Apparu (UMP) seinen Reformvorschlag vorstellt.

Hochschulen

Die akademische Bildung wird von der Koexistenz der Grandes écoles und der Universitäten geprägt. Die Grandes écoles können meist erst nach dem Besuch der classe préparatoire besucht werden, die in der Regel von Lycées angeboten wird. Die Grandes écoles haben gegenüber den Universitäten Frankreichs eine höhere Reputation, niedrigere Studentenzahlen und höhere persönliche Betreuung. Zu den bedeutenderen der Grandes écoles gehören die École polytechnique, die École normale supérieure, die École nationale d’administration (ENA), die École nationale supérieure d’arts et métiers (ENSAM) und die École Centrale Paris. Im Zuge der europaweiten Harmonisierung der Studienabschlüsse im Rahmen des Bologna-Prozess wird auch an französischen Hochschulen das LMD-System eingeführt. LMD bedeutet, dass nacheinander die Licence (entspricht dem Bachelor; nach 3 Jahren), der Master (nach 5 Jahren) und das Doktorat (nach 8 Jahren) erworben werden können. Die traditionellen nationalen Abschlüsse (DEUG, Licence, Maîtrise, DEA und DESS) sollen im Rahmen dieses Prozesses entfallen. Ende 2009 studierten rund 2,25 Mio. Studenten an französischen Hochschulen.

Literatur

  • Annika Blichmann: Schulreform und Reformschule in Frankreich. Die «Ecole élémentaire Vitruve» im Horizont der Geschichte. Jena 2008, ISBN 978-3-938203-68-2

Einzelnachweise

  1. Mechthild Veil: Ganztagsschule mit Tradition: Frankreich. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B41, 2002
  2. Alfred Grosser: Wie anders ist Frankreich? C. H. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52879-1, S. 221.
  3. blog.lyceepourtous.fr
  4. Réforme du lycée, auf Französisch
  5. Bericht Apparu (PDF; französisch; 1,3 MB)