Benutzer Diskussion:1falt

„Das Ergreifen des Gemeinsamen im Widersprechenden ist wichtiger als die voreilige Fixierung von sich ausschließenden Standpunkten, mit denen man die Unterhaltung als aussichtslos beendet.“

Karl Jaspers: Die Schuldfrage. Von der politischen Haftung Deutschlands

Produktions- und Reproduktionsarbeit in der Wikipedia

Hallöchen 1falt, ich habe diesen Diskussionsbeitrag von dir auf der Grillenwaage gelesen und bin darüber etwas ins Grübeln gekommen, möchte mich aber in die dortige Diskussion nicht einmischen, zumal es mir um einen Aspekt geht, der die meisten eher nicht interessieren dürfte, deswegen schreibe ich dir hier. Du schriebst, dich erinnere »die arrogante Sicht auf die hiesige Korrekturarbeit sehr an die Geringschätzung reproduktiver Leistungen in unserer Gesellschaft«, und einerseits kann ich diese Assoziation im Hinblick auf diejenigen Tätigkeiten in der WP nachvollziehen, die man als „putzen“ beschreiben könnte, andererseits störe ich mich an zwei Implikationen. Die eine ist, dass reproduktive Leistungen auch und zentral (gerade wenn man sich auf ihre ökonomischen Kernfunktionen bezieht) Gebären, Kinderpflege und -erziehung sowie die Sorge um Alte und Kranke umfassen. Gerade diese besonders wichtigen Care-Tätigkeiten finden aber kein Analogon unter den „Putztätigkeiten“ (wie Tippfehler- und Syntaxkorrekturen, Vorlagenverbreitung und -wartung usw.) in der Wikipedia. Zum einen dienen sie gerade nicht der Reproduktion der Autorinnen und Autoren (also der Produktivkraft, um im Bild zu bleiben), zum anderen geht ihnen gerade der für solche Care-Tätigkeiten wesentliche Charakter als Beziehungsarbeit gänzlich ab – es ist ja gerade der kalte und entfremdete Modus der Abarbeitung, der von Autorenseite als entfremdend erfahren wird. Der zweite Punkt ist, dass du Korrektorinnen und Korrektoren in dem Kontext der »wirklich (also produktiv) arbeitenden Elite« gegenübergestellt beschreibst. Ich verstehe schon, dass du damit eine vorgefundene Denkschablone kritisch aufgreifen willst, aber mit dem zusätzlichen Schritt, den du in der Gegenüberstellung machst, von „produktiv Arbeitenden“ zu einer so arbeitenden „Elite“, machst du zwar den Punkt der „Abwertung“ rhetorisch deutlicher, verundeutlichst aber, dass sowohl produktiv als auch reproduktiv Arbeitende zur gleichen Klasse gehören und nicht die einen eine „Elite“ bilden. Klar gibt es auch innere Widersprüche und ich finde es gut, dass dieser Konflikt adressiert wird, aber mir wäre es im Sinne der Solidarität unter Kolleginnen und Kollegen wichtig, dass dabei der größere Rahmen der wikipedianischen Re-/Produktionsverhältnisse nicht verlorengeht. Liebe Grüße, --GardiniRC 💞 RM 16:15, 6. Apr. 2022 (CEST)Beantworten

Du hast absolut recht, dass meine Beiträge unterkomplex und polemisch zugespitzt waren. Das ist eigentlich nicht meine Art, und ich bin froh und dankbar, dass Du nachhakst und mir die Chance gibst, sie nachträglich einzuordnen. Dass ich häufig die Unterscheidung produktiv/reproduktiv nutze, liegt daran, dass man nicht sofort unter Geschlechterklischees begraben wird. Aber natürlich kann man sich nicht davon frei machen. Also hab ich es überzeichnet. Zur Care-Arbeit in der Wikipedia zählt für mich auch die Vandalismusbekämpfung, das Mentorenprogramm, das Supportteam, die Löschdiskussionen, bestimmte Bereiche der Admintätigkeit und das unspektakuläre Kümmern, Intervenieren, Schlichten, Vermitteln und Deeskalieren im sozialen Miteinander. Es sind Aufgaben, die schnell unsichtbar und als selbstverständlich genommen werden. Ich halte das für einen systemischen Nachteil, den ich niemandem persönlich ankreide. Ungemütlich werde ich, wenn ich den Eindruck habe, dass mit Herablassung nachgewürzt wird. Das hat mich gestört. Und das stört mich SEHR oft in sehr vielen Zusammenhängen. Darum brauchte es nicht viel Anstoß. Als eine, die noch nicht so lange Einblick in dieses Projekt hat, liest sich der Anspruch, "kollaborativ" arbeiten zu wollen, einigermaßen absurd. Ich wäre schon begeistert, wenn sich so manche hier mit der Koexistenz von Personen abfinden könnten, die (oder deren Arbeitsweise) ihnen ein Dorn im Auge sind. Aber das ist eine andere Geschichte :) 1falt (Post) 20:10, 6. Apr. 2022 (CEST)Beantworten
Mich stört halt, um mal Gardini zu sekundieren, gerade die Achtlosigkeit, mit der manche Wartungslistenabarbeitende den Produkten begegnen, die sie bearbeiten. Das kann ich nicht unter Care-Work fassen. Es trifft eigentlich weniger auf Aka und seine Listen zu (der extrem unglücklich verlaufene Fall hier war eher eine Ausnahme, die vor allem darum so prominent wurde, weil ein Eingeständnis, dass das unglücklich gelaufen ist, völlig ausblieb) als auf Leute, die beispielsweise unbekümmert um das, was sie anrichten, alle Biografien nach Schema F umorganisieren oder IP- und Neulingsedits postwendend zurücksetzen. Das scheint mir auch eher auf eine Haltung hinzudeuten als auf eine geringere Qualifikation. "So wird das hier gemacht." Mit dieser Haltung hab ich durchaus ein Problem. Ich wünsche mir, dass die Leute die Produkte, die sie bearbeiten, pfleglich behandeln und auch mit denen, die sie geschaffen haben (unabhängg von deren Status), pfleglich umgehen. Das geschieht nach meinem Eindruck sehr oft nicht. Mich regt das oft sehr auf und ich will nicht ausschließen, dass mit dieser Aufregung auch Herablassung verbunden sein kann.--Mautpreller (Diskussion) 21:44, 6. Apr. 2022 (CEST)Beantworten
Ich hatte diese Haltung mal als "plebejisch" beschrieben. Das hat sympathische Züge (bei uns gelten Titel und Orden aus dem "wirklichen Leben" nichts, wir sind Gleiche), aber eben manchmal auch Züge des Ressentiments ("Du bist auch nichts Besseres", "da kann ja jeder kommen"). --Mautpreller (Diskussion) 22:33, 6. Apr. 2022 (CEST)Beantworten
Achtlosigkeit stört mich auch. Da sind wir uns einig. Aber ich befürchte, dass sich das Fehleraufkommen nicht ohne ein gerüttelt Maß selektive Wahrnehmung bewältigen lässt. Hinzu kommt, dass formale Einheitlichkeit ein Qualitätskriterium darstellt, das mein innerer Monk sehr feiern kann. Für mich hat sie weit mehr mit Ästhetik als mit Besserwisserei zu tun. Ermutigender Weise lässt sich die Diskussion in der Grillenwaage übrigens nicht nur als verstimmtes Luftmachen lesen, sondern auch als Einblick in die Motivation sehr unterschiedlicher Betätigungsfelder. Das finde ich ziemlich großartig. Die Sache mit der Sichtbarkeit und der Wertschätzung ist ja keine Einbahnstraße, sondern verbindet hier alle Beteiligten.--1falt (Post) 23:51, 6. Apr. 2022 (CEST)Beantworten
Zur Differenz in der Überschrift möchte ich ein Beispiel nachreichen. Mein Großvater unterstrich die absolute Verbindlichkeit seiner Regeln gern mit dem Verweis auf "sein Dach", unter dem die Familie wohnte. Schließlich hatte er das Haus aus Trümmern mit eigenen Händen und nur einem Bein erbaut. Darum war es sein Haus. Ein Haus, das Jahrzehnte von "den Frauen" geputzt, von meinen Onkel ausgebaut wie repariert und von meinen Cousins in den Ferien gestrichen wurde. All dieser Einsatz für das Zuhause meiner Familie war weder mit Eigentumsrechten verknüpft noch erzeugte es ein Mitspracherecht. Noch 20 Jahre nach dem Tod meines Opas ist das Gebäude in unseren Köpfen noch immer "sein Haus" und es sind "seine Regeln", die es zu befolgen gilt. Diese Denkweise entspricht einfach nicht der Realität - weder im Hinblick auf den geleisteten Aufwand noch unter Berücksichtigung des fachlichen Anspruchs der erbrachten Leistungen. Sie ist lediglich eine Verklärung der "Schaffenskraft", die in einer Zeit, die nichts so wenig braucht wie Wachstum und Innovation, dringend auf dem Boden der Tatsachen geholt werden darf. --1falt (Post) 10:42, 7. Apr. 2022 (CEST)Beantworten
Aber wieso sollte der Opa (solange er am Leben ist) nicht seinen Schuppen oder sein Reich im Keller behalten können, wo seine Regeln gelten? Das wäre ein klassischer Kompromiss: Über das Haus bestimmen die Leute gemeinsam, die es nutzen und pflegen, aber es gibt auch Autonomieräume darin. --Mautpreller (Diskussion) 11:03, 7. Apr. 2022 (CEST)Beantworten
Ich wollte niemanden enteignen ;-) nur verdeutlichen wie unterschiedlich eigentlich ebenbürtige Leistungen bewertet werden. Das Prinzip "Schöpfungshöhe" greift in der Wikipedia ja ohnehin nicht, da wir es (zumindest programmatisch) nicht mit originären Werken zu tun haben, sondern hier ausschließlich paraphrasiert werden sollte, was Dritte erdacht, erforscht und niedergeschrieben haben. Trotzdem habe ich vollstes Verständnis für das individuelle Bedürfnis, die Ergebnisse eigener Anstrengung als geistiges Eigentum zu betrachten und berücksichtige dies im Umgang mit den Artikeln ebenso wie ich meinem Großvater sein patriarchales Selbstverständnis zugestanden habe. Nur ist es eben das, was es ist: Verständnis und Rücksichtnahme. Angemessen finde ich eine solche Anspruchshaltung nicht. Erst recht nicht, wenn ich erlebe, dass man im Umgang mit der Leistung Anderer den Respekt vermissen lässt und nicht zugesteht, was man selbst so vehement einfordert. Wir haben es offensichtlich mit einer Stellvertreterdiskussion zu tun. Es geht nicht um Punkt oder Komma, sondern um eine grundsätzliche Haltung, über die wir uns schon lange ärgern. Eigentlich wissen wir, dass Regeln und Reden da nicht viel ausrichten können. Aber irgendwann ist es eben auch mal gut mit der Langmut und dem Nachgeben der vermeintlich Klügeren. Ich war und bin sehr froh über die Gelegenheit, ausgerechnet auf Dich als Sparringspartner zu treffen. Insofern: Herzlichen Dank dafür! Es ist mir wie immer ein außerordentliches Vergnügen :) --1falt (Post) 13:21, 7. Apr. 2022 (CEST)Beantworten