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Baberowski hat sich in mehreren Beiträgen zur [[Flüchtlingskrise in Europa 2015]] geäußert. Dabei kritisierte er die Politik [[Angela Merkel]]s und eine einseitige Fokussierung auf die [[Willkommenskultur]] der deutschen [[Zivilgesellschaft]]. Er forderte eine restriktivere [[Asyl]]politik.<ref>Jörg Baberowski: ''Ungesteuerte Einwanderung: Europa ist gar keine Wertegemeinschaft''. In: [[Frankfurter Allgemeine Zeitung|FAZ.net]], 14. September 2015 ([http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/joerg-baberowski-ueber-ungesteuerte-einwanderung-13800909.html online]). Simon Strauss: ''Jörg Baberowski über Gewalt „Natürlich kann auch ein Analphabet einen Asylgrund haben“'', In: FAZ.Net, 20. September 2015 ([http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/historiker-joerg-baberowski-im-interview-ueber-asyl-13810824.html online]). Jörg Baberowski: ''[http://www.nzz.ch/nzzas/nzz-am-sonntag/deutschland-verwandelt-sich-in-eine-tugend-republik-ld.2198 Der externe Standpunkt. Deutschland verwandelt sich in eine Tugend-Republik].'' In: ''[[Neue Zürcher Zeitung]]'' vom 27. September 2015; [http://bazonline.ch/ausland/terror-in-berlin/die-saetze-die-den-bann-brechen/story/10120130 ''Die Sätze, die den Bann brechen'']. In ''[[Basler Zeitung]]'' vom 24. Dezember 2016.</ref>
Baberowski hat sich in mehreren Beiträgen zur [[Flüchtlingskrise in Europa 2015]] geäußert. Dabei kritisierte er die Politik [[Angela Merkel]]s und eine einseitige Fokussierung auf die [[Willkommenskultur]] der deutschen [[Zivilgesellschaft]]. Er forderte eine restriktivere [[Asyl]]politik.<ref>Jörg Baberowski: ''Ungesteuerte Einwanderung: Europa ist gar keine Wertegemeinschaft''. In: [[Frankfurter Allgemeine Zeitung|FAZ.net]], 14. September 2015 ([http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/joerg-baberowski-ueber-ungesteuerte-einwanderung-13800909.html online]). Simon Strauss: ''Jörg Baberowski über Gewalt „Natürlich kann auch ein Analphabet einen Asylgrund haben“'', In: FAZ.Net, 20. September 2015 ([http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/historiker-joerg-baberowski-im-interview-ueber-asyl-13810824.html online]). Jörg Baberowski: ''[http://www.nzz.ch/nzzas/nzz-am-sonntag/deutschland-verwandelt-sich-in-eine-tugend-republik-ld.2198 Der externe Standpunkt. Deutschland verwandelt sich in eine Tugend-Republik].'' In: ''[[Neue Zürcher Zeitung]]'' vom 27. September 2015; [http://bazonline.ch/ausland/terror-in-berlin/die-saetze-die-den-bann-brechen/story/10120130 ''Die Sätze, die den Bann brechen'']. In ''[[Basler Zeitung]]'' vom 24. Dezember 2016.</ref>


Seit Baberowski 2014 den britischen Historiker und [[Leo Trotzki|Trotzki]]-Biografen [[Robert Service (Historiker)|Robert Service]] zu einem Vortrag an seinen Lehrstuhl eingeladen hatte, befindet er sich in einem Konflikt mit einer kleinen Gruppe [[Trotzkismus|trotzkistischer]] Aktivisten in Berlin, die ihn ausdauernd mit Flugblättern und verschiedenen Aktionen attackieren.<ref>{{Literatur|Autor=[[Mariam Lau]]|Titel=[http://www.zeit.de/2017/16/joerg-baberowski-humboldt-universitaet-studenten-streit-rechtsextremismus Diese radikalen Studenten: Im Streit um den Historiker Jörg Baberowski spiegelt sich die Geschichte der Bundesrepublik. Über die erstaunliche Begegnung mit einem Gejagten]|TitelErg=Feuilleton|Sammelwerk=[[Die Zeit]]|Datum=2017-04-12|Nummer=16|Seiten=37}}; {{Literatur|Autor=Katrin Schmermund|Titel=„Niemand wil mehr gegen den Strom schwimmen“: Ein Professor wehrt sich gegen den Vorwurf, rechtsradikal zu sein|TitelErg=Ein Interview mit Jörg Baberowski|Sammelwerk=[[Forschung & Lehre]]|Datum=2017-05|Nummer=5|Band=24. Jahrgang|Seiten=398–400|Online=[http://www.forschung-und-lehre.de/wordpress/?p=23568 Online]|Zugriff=2017-05-20}}</ref>
Seit Baberowski 2014 den britischen Historiker und umstrittenen [[Leo Trotzki|Trotzki]]-Biografen [[Robert Service (Historiker)|Robert Service]] zu einem Vortrag an seinen Lehrstuhl eingeladen hatte, befindet er sich in einem Konflikt mit der [[Trotzkismus|trotzkistischen]] IYSSE, der Jugendorganisation der [[Sozialistische Gleichheitspartei]]. Diese wirft ihm, wie viele andere <ref>[[Alan Posener]]: ''[https://www.welt.de/print/wams/kultur/article150814231/Der-Raum-unter-der-Schaedeldecke.html ]''. In: ''[[Die Welt]].'' 10. Januar 2016; [[Mario Kessler]]: ''[https://www.pressreader.com/germany/der-tagesspiegel/20170514/281788513983962 „Mangel an Gefühl für die Opfer“]''. In: ''[[Tagesspiegel]''. 14. Mai 2017; Fachschaftsräte- und -initiativenversammlung der HU Berlin: ''[https://genderini.files.wordpress.com/2017/02/stellungnahme-gegen-rechte-positionen-in-der-lehre.pdf]''.</ref> , u.a. [[Revisionismus|revisionistische]] und rechtsextreme Standpunkte vor.<ref>{{Literatur|Autor=[[Mariam Lau]]|Titel=[http://www.zeit.de/2017/16/joerg-baberowski-humboldt-universitaet-studenten-streit-rechtsextremismus Diese radikalen Studenten: Im Streit um den Historiker Jörg Baberowski spiegelt sich die Geschichte der Bundesrepublik. Über die erstaunliche Begegnung mit einem Gejagten]|TitelErg=Feuilleton|Sammelwerk=[[Die Zeit]]|Datum=2017-04-12|Nummer=16|Seiten=37}}; {{Literatur|Autor=Katrin Schmermund|Titel=„Niemand wil mehr gegen den Strom schwimmen“: Ein Professor wehrt sich gegen den Vorwurf, rechtsradikal zu sein|TitelErg=Ein Interview mit Jörg Baberowski|Sammelwerk=[[Forschung & Lehre]]|Datum=2017-05|Nummer=5|Band=24. Jahrgang|Seiten=398–400|Online=[http://www.forschung-und-lehre.de/wordpress/?p=23568 Online]|Zugriff=2017-05-20}}</ref>


Medial breit berichtet wurde im März und April 2017 über einen Konflikt zwischen Jörg Baberowski und Vertretern des [[Allgemeiner Studierendenausschuss|Allgemeinen Studierendenausschusses]] (AStA) der [[Universität Bremen]]. Nachdem der AstA gegen einen Vortrag Baberowskis an der Universität Bremen protestiert hatte,<ref>{{Literatur|Autor=Karolina Meyer-Schilf|Titel=[http://www.taz.de/!5347388/ Bremer Asta kontra Debattenkultur: Keiner will mehr reden]|TitelErg=Bremen Aktuell|Sammelwerk=[[Die Tageszeitung|taz.die tageszeitung]]|Datum=2016-10-20|Seiten=45}}; {{Literatur|Autor=Karolina Meyer-Schilf|Titel=Volkskommissare für Wissenschaft: Der Asta holt sich trotzkistische Rückendeckung für den Kampf gegen den Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski|TitelErg=Bremen Aktuell|Sammelwerk=[[Die Tageszeitung|taz.die tageszeitung]]|Datum=2017-02-04|Seiten=62}}</ref> klagte Baberowski gegen einige der vom AStA verbreiteten Behauptungen. Vor dem [[Landgericht Köln]] erhielt Baberowski in mehreren Fällen recht; laut Gerichtsentscheidung darf der AStA einige aus dem Kontext gerissene Zitate und Behauptungen nicht mehr verbreiten, da sie unhaltbar seien und gegen das [[Persönlichkeitsrecht]] verstießen.<ref>{{Literatur|Autor=Jean-Philipp Baeck|Titel=Baberowski im rechten Licht: Laut Landgericht Köln darf der Bremer Asta den Historiker Jörg Baberowski „rechtsradikal“ nennen, nicht aber „rassistisch“. Auch verkürzte Zitate seien nicht okay|TitelErg=Bremen Aktuell|Sammelwerk=[[Die Tageszeitung|taz.die tageszeitung]]|Datum=2017-03-23|Seiten=45}}</ref> Aus Gründen der [[Meinungsfreiheit]] wurde dem AStA jedoch nicht verboten, Baberowski als „rechtsradikal“ zu bezeichnen. Auf die Frage, ob eine solche Bewertung zutreffend sei, komme es dabei rein rechtlich nicht an. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.<ref>[http://www.berliner-zeitung.de/berlin/urteil-berliner-historiker-joerg-baberowski-darf-als--rechtsradikal--bezeichnet-werden-26242038 ''Urteil Berliner Historiker Jörg Baberowski darf als „rechtsradikal“ bezeichnet werden.''] In: ''[[Berliner Zeitung]]'', 22. März 2017.</ref> Die Universitätsleitung der Humboldt-Universität stellte allerdings klar: „Die wissenschaftlichen Äußerungen von Jörg Baberowski – insbesondere in ihren Kontexten – sind nicht rechtsradikal.“<ref>{{Internetquelle|url=https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/pm1703/nr_170330_01|titel=HU-Stellungnahme zum Urteil des Landgerichts Köln — Presseportal|autor=Benjamin Binkle|sprache=de|zugriff=2017-05-29}}</ref>
Medial breit berichtet wurde im März und April 2017 über einen Konflikt zwischen Jörg Baberowski und Vertretern des [[Allgemeiner Studierendenausschuss|Allgemeinen Studierendenausschusses]] (AStA) der [[Universität Bremen]]. Nachdem der AstA gegen einen Vortrag Baberowskis an der Universität Bremen protestiert hatte,<ref>{{Literatur|Autor=Karolina Meyer-Schilf|Titel=[http://www.taz.de/!5347388/ Bremer Asta kontra Debattenkultur: Keiner will mehr reden]|TitelErg=Bremen Aktuell|Sammelwerk=[[Die Tageszeitung|taz.die tageszeitung]]|Datum=2016-10-20|Seiten=45}}; {{Literatur|Autor=Karolina Meyer-Schilf|Titel=Volkskommissare für Wissenschaft: Der Asta holt sich trotzkistische Rückendeckung für den Kampf gegen den Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski|TitelErg=Bremen Aktuell|Sammelwerk=[[Die Tageszeitung|taz.die tageszeitung]]|Datum=2017-02-04|Seiten=62}}</ref> klagte Baberowski gegen einige der vom AStA verbreiteten Behauptungen. In der ersten Instanz vor dem [[Landgericht Köln]] erhielt Baberowski in mehreren Fällen recht; laut Gerichtsentscheidung darf der AStA einige aus dem Kontext gerissene Zitate und Behauptungen nicht mehr verbreiten, da sie unhaltbar seien und gegen das [[Persönlichkeitsrecht]] verstießen.<ref>{{Literatur|Autor=Jean-Philipp Baeck|Titel=Baberowski im rechten Licht: Laut Landgericht Köln darf der Bremer Asta den Historiker Jörg Baberowski „rechtsradikal“ nennen, nicht aber „rassistisch“. Auch verkürzte Zitate seien nicht okay|TitelErg=Bremen Aktuell|Sammelwerk=[[Die Tageszeitung|taz.die tageszeitung]]|Datum=2017-03-23|Seiten=45}}</ref> Aus Gründen der [[Meinungsfreiheit]] wurde dem AStA jedoch nicht verboten, Baberowski als „rechtsradikal“ zu bezeichnen. Das Gericht sah in seiner Begründung zwar ''hinreichende tatsächliche Anknüpfungspunkte'' für diese Wertungen. <ref>[https://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/koeln/lg_koeln/j2017/28_O_324_16_Urteil_20170315.html ''Landgericht Köln, 28 O 324/16 - Entscheidungsgründe]</ref> Auf die Frage, ob eine solche Bewertung zutreffend sei, komme es dabei rein rechtlich nicht an.<ref>[http://www.berliner-zeitung.de/berlin/urteil-berliner-historiker-joerg-baberowski-darf-als--rechtsradikal--bezeichnet-werden-26242038 ''Urteil Berliner Historiker Jörg Baberowski darf als „rechtsradikal“ bezeichnet werden.''] In: ''[[Berliner Zeitung]]'', 22. März 2017.</ref> Die Universitätsleitung der Humboldt-Universität begrüßte das Urteil und nahm ihren Mitarbeiter in Schutz: „Die wissenschaftlichen Äußerungen von Jörg Baberowski – insbesondere in ihren Kontexten – sind nicht rechtsradikal.“<ref>{{Internetquelle|url=https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/pm1703/nr_170330_01|titel=HU-Stellungnahme zum Urteil des Landgerichts Köln — Presseportal|autor=Benjamin Binkle|sprache=de|zugriff=2017-05-29}}</ref> Das Studierenden Parlament der HU kritisierte diese Stellungnahme und bekräftigte wiederholt das Recht auf studentische Kritik. <ref>{{Internetquelle|url= https://vertretungen.hu-berlin.de/de/stupa/sitzungen/2017/04-27/01_antrag_iysse_baberowski.pdf|titel=HU-StuPa-1. Sitzung des 25. Parlaments - Antrag der IYSSE|autor=Sven Wurm|sprache=de|zugriff=2017-06-04}}</ref>

Der Asta ging darauf hin in Berufung. Als ein Scheitern vor dem Oberlandesgericht absehbar war, zog der Anwalt von Baberowski den Antrag auf einstweilige Verfügung zurück. <ref>[http://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-asta-siegt-gegen-baberowski-_arid,1608365.html ''Oberlandesgericht billigt Kritik - Asta siegt gegen Baberowski''] In: ''[[Weser Kurier]]'', 03. Juni 2017.</ref>
<ref>[http://www.wsws.org/de/articles/2017/06/02/babe-j02.html ''Jörg Baberowski verliert in allen Punkten gegen Bremer Studierende''] In: ''[[world socialist web site]]'', 02. Juni 2017.</ref>


== Auszeichnungen ==
== Auszeichnungen ==

Version vom 4. Juni 2017, 15:39 Uhr

Jörg Baberowski auf der Leipziger Buchmesse 2014

Jörg Baberowski (* 24. März 1961 in Radolfzell am Bodensee) ist ein deutscher Historiker und Gewaltforscher. Er ist Professor für Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Leben

Als Schüler engagierte sich Jörg Baberowski im Kommunistischen Bund Westdeutschland.[1] Nach dem Abitur am Campe-Gymnasium Holzminden studierte Jörg Baberowski von 1982 bis 1988 in Göttingen Geschichte und Philosophie, unter anderen bei dem Osteuropa-Historiker Manfred Hildermeier. Russisch brachte sich Baberowski im Selbststudium bei. Das Thema seiner Magisterarbeit war „Politische Justiz im ausgehenden Zarenreich“.

Ab 1989 war Baberowski wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Osteuropäische Geschichte der Goethe-Universität in Frankfurt. Dort wurde er im Winter 1993 mit einer von Dietrich Beyrau und Manfred Hildermeier betreuten Arbeit über Autokratie und Justiz im Zarenreich promoviert. Zum Wintersemester 1993 wechselte er an das Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde der Universität Tübingen, wo er sich im Juli 2000 mit der Arbeit Auf der Suche nach Eindeutigkeit (Buchtitel: Der Feind ist überall. Stalinismus im Kaukasus) habilitierte. Darüber hinaus absolvierte er diverse Forschungsaufenthalte und betrieb Archivstudien, unter anderem in Aserbaidschan, Finnland und Russland.

Im April 2001 übernahm Jörg Baberowski vertretungsweise einen Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Universität Leipzig. Seit Oktober 2002 ist er Lehrstuhlinhaber für Geschichte Osteuropas am Institut für Geschichtswissenschaften (IfG) der Humboldt-Universität zu Berlin, dessen Leitung er von 2004 bis Februar 2006 als Geschäftsführender Direktor innehatte.

Baberowski schreibt eine Kolumne in der Basler Zeitung.

Werk

Von der Theorie der Moderne...

Jörg Baberowskis wissenschaftliches Hauptthema ist die stalinistische Gewaltherrschaft in der Sowjetunion. Hierzu legte er zunächst – in seiner als Der Feind ist überall veröffentlichten Habilitationsschrift über den Stalinismus im Kaukasus ebenso wie in seiner ersten Gesamtinterpretation der Geschichte des Stalinismus, Der rote Terror (beide 2003) – eine vor allem an Zygmunt Baumans Theorie der Moderne orientierte Interpretation vor. Bauman hatte in seinem einflussreichen Buch Moderne und Ambivalenz die Gewaltexzesse des 20. Jahrhunderts, insbesondere den Holocaust, auf eine Tendenz der Moderne zurückgeführt, Eindeutigkeit in einer sozialen Welt herstellen zu wollen, die grundsätzlich ambivalent, komplex, vielfältig sei. Entgegen früheren Modernisierungstheorien begriff Bauman die Moderne nicht grundsätzlich als positive Fortschrittsgeschichte und die in ihr um sich greifende Gewalt folglich als Rückfall oder Abirrung. Gewalt und Intoleranz seien vielmehr die logische Konsequenz einer Moderne, die radikal eindeutige Ordnungen herbeiführen wolle.[2]

Unter anderem mit diesem Ansatz erklärte Baberowski die stalinistische Terrorherrschaft: „Die stalinistische Gewalt kam aus dem Verlangen, Eindeutigkeit herzustellen und Ambivalenz zu überwinden. Wie die aufgeklärten Modernisierer in den zarischen Ministerien auch, träumten die Bolschewiki von übersichtlichen Ordnungen, aus denen jede Uneindeutigkeit ausgebrannt war. Für sie war der Staat ein Gärtner, der wilde Landschaften in symmetrisch angelegte Parks verwandelte. [...] Der Sozialismus hatte am Projekt der Moderne nichts auszusetzen, er hielt sich im Gegenteil für seine eigentliche Vollendung.“[3]

In diesem Erklärungsrahmen spielte notwendig auch die hier als betont modern interpretierte Ideologie des Kommunismus eine starke Rolle. Die Gewaltexzesse des Stalinismus resultierten demzufolge gerade aus der kommunistischen Ideologie der Bolschewiki. Allerdings betonte Baberowski auch die Herkunft vieler wichtiger Machthaber – nicht zuletzt Stalins selbst – aus einer Kultur der Gewalt sowie die beständige Perpetuierung dieser Kultur in Lebenswelt, Symbolik und Herrschaftsstil der Machthaber.[4] Er wies auch in Abgrenzung von Stéphane Courtois darauf hin, dass „nicht jede Form kommunistischer Herrschaft [...] terroristisch“ gewesen sei.[5]

... zur Gewalttheorie

In den Jahren nach diesen Annäherungen lässt sich eine grundlegende Umakzentuierung von Baberowskis Erklärungen der stalinistischen Gewalt feststellen. Der Fokus rückte von der kommunistischen Ideologie ab und wandte sich stärker als zuvor einer Theorie der Gewalt zu. Baberowski betonte nun verstärkt die Rolle des Raums bei der Ausübung von Gewalt und verortete die stalinistische Gewalt in staatsfernen Räumen.[6] Diese Gewalträume aber, so betonte Baberowski jetzt, seien gerade „nicht modern“ gewesen: „Stalin und Mao träumten nicht nur von der schönen neuen Welt, sie kamen aus der alten Welt und sie handelten so, wie man es von vormodernen Herrschern erwarten konnte. Ihre Herrschaft war weder bürokratisch noch ordentlich. Man könnte auch sagen, dass die monumentalen Fassaden, die den totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts ein ‚ordentliches‘ Gesicht gaben, nur verdeckten, dass hinter diesen Fassaden vormoderne Kriege geführt wurden“.[7]

Die Gewalttheorie, die Baberowski nun entfaltete, ging mit Wolfgang Sofsky und anderen Gewalttheoretikern davon aus, dass Gewalt als Handlungsmöglichkeit Menschen immer zur Verfügung steht – als eine anthropologische Konstante. Ideologien – und damit auch die Ideologie der Moderne – erschienen nun als (nachträgliche) Rechtfertigungsstrategien für Gewalt, nicht mehr als deren Motiv oder Auslöser. In den Blick gerieten nun vielmehr konkrete Gewaltsituationen, -dynamiken und Handlungsräume; als Methode der Gewaltforschung erhoffte sich Baberowski nicht zuletzt dichte Beschreibungen.[8]

2012 veröffentlichte Baberowski die Studie Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt, die er explizit als Revision seines Buches Der rote Terror verstanden wissen wollte.[9] Statt der kommunistischen Ideologie unterstrich er nun die Bedeutung der psychopathischen Persönlichkeit Stalins sowie von physischer Gewalt für die stalinistische Herrschaftspraxis. Das Buch wurde vielfach besprochen, auch in einer breiteren Öffentlichkeit, und trug Baberowski den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch ein. Wissenschaftlich wurde es kontrovers diskutiert, z. B. von den Autoren einer Sonderausgabe der Fachzeitschrift Osteuropa.[10]

Kontroversen

Baberowski hat sich in mehreren Beiträgen zur Flüchtlingskrise in Europa 2015 geäußert. Dabei kritisierte er die Politik Angela Merkels und eine einseitige Fokussierung auf die Willkommenskultur der deutschen Zivilgesellschaft. Er forderte eine restriktivere Asylpolitik.[11]

Seit Baberowski 2014 den britischen Historiker und umstrittenen Trotzki-Biografen Robert Service zu einem Vortrag an seinen Lehrstuhl eingeladen hatte, befindet er sich in einem Konflikt mit der trotzkistischen IYSSE, der Jugendorganisation der Sozialistische Gleichheitspartei. Diese wirft ihm, wie viele andere [12] , u.a. revisionistische und rechtsextreme Standpunkte vor.[13]

Medial breit berichtet wurde im März und April 2017 über einen Konflikt zwischen Jörg Baberowski und Vertretern des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Universität Bremen. Nachdem der AstA gegen einen Vortrag Baberowskis an der Universität Bremen protestiert hatte,[14] klagte Baberowski gegen einige der vom AStA verbreiteten Behauptungen. In der ersten Instanz vor dem Landgericht Köln erhielt Baberowski in mehreren Fällen recht; laut Gerichtsentscheidung darf der AStA einige aus dem Kontext gerissene Zitate und Behauptungen nicht mehr verbreiten, da sie unhaltbar seien und gegen das Persönlichkeitsrecht verstießen.[15] Aus Gründen der Meinungsfreiheit wurde dem AStA jedoch nicht verboten, Baberowski als „rechtsradikal“ zu bezeichnen. Das Gericht sah in seiner Begründung zwar hinreichende tatsächliche Anknüpfungspunkte für diese Wertungen. [16] Auf die Frage, ob eine solche Bewertung zutreffend sei, komme es dabei rein rechtlich nicht an.[17] Die Universitätsleitung der Humboldt-Universität begrüßte das Urteil und nahm ihren Mitarbeiter in Schutz: „Die wissenschaftlichen Äußerungen von Jörg Baberowski – insbesondere in ihren Kontexten – sind nicht rechtsradikal.“[18] Das Studierenden Parlament der HU kritisierte diese Stellungnahme und bekräftigte wiederholt das Recht auf studentische Kritik. [19]

Der Asta ging darauf hin in Berufung. Als ein Scheitern vor dem Oberlandesgericht absehbar war, zog der Anwalt von Baberowski den Antrag auf einstweilige Verfügung zurück. [20] [21]

Auszeichnungen

Schriften

  • Autokratie und Justiz. Zum Verhältnis von Rechtsstaatlichkeit und Rückständigkeit im ausgehenden Zarenreich 1864–1914. Klostermann, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-465-02832-5.
  • Der Feind ist überall. Stalinismus im Kaukasus. DVA, München 2003, ISBN 3-421-05622-6.
  • Der rote Terror. Die Geschichte des Stalinismus. DVA, München 2003, ISBN 3-421-05486-X.
  • Zivilisation der Gewalt. Die kulturellen Ursprünge des Stalinismus. Berlin 2005 (Humboldt-Universität zu Berlin: Antrittsvorlesung am 10. Juli 2003; PDF; 731 kB)
  • Der Sinn der Geschichte. Geschichtstheorien von Hegel bis Foucault. C.H. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52793-0.
  • mit Anselm Doering-Manteuffel: Ordnung durch Terror. Gewaltexzesse und Vernichtung im nationalsozialistischen und im stalinistischen Imperium. Dietz, Bonn 2006, ISBN 3-8012-0368-9.
  • mit Robert Kindler und Christian Teichmann: Revolution in Rußland 1917–1921. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2007 (60 S.).
  • Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt. C.H. Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-63254-9.[23]
  • Räume der Gewalt. S. Fischer, Frankfurt am Main 2015, ISBN 978-3-10-004818-9.
als Herausgeber
  • Moderne Zeiten? Krieg, Revolution und Gewalt im 20. Jahrhundert, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2006, ISBN 3-525-36735-X.
  • Arbeit an der Geschichte. Wie viel Theorie braucht die Geschichtswissenschaft?. Frankfurt am Main 2009.
  • Was ist Vertrauen? Ein interdisziplinäres Gespräch. Frankfurt am Main 2014.

Audio und Video

  • Zwischentöne. Gespräch im Deutschlandfunk vom 6. Januar 2013.
  • Radiofeuilleton – Im Gespräch. Gespräch im Deutschlandradio Kultur vom 15. März 2014.
  • Peter Voß fragt Wohin steuert Russland? Gespräch bei 3Sat vom 18. Mai 2015, 23:10 Uhr, 45 min., abgerufen am 3. Dezember 2016

Einzelnachweise

  1. Dirk Kurbjuweit: Der Wandel der Vergangenheit. In: Spiegel Online. 10. Februar 2014; Simon Strauss: „Natürlich kann auch ein Analphabet einen Asylgrund haben“. In: FAZ.NET. 20. September 2015.
  2. Zygmunt Bauman: Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit. Junius, Hamburg 1992.
  3. Jörg Baberowski: Der rote Terror. Die Geschichte des Stalinismus. Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2007, S. 12 f.
  4. Vgl. etwa Jörg Baberowski: Zivilisation der Gewalt. Die kulturellen Ursprünge des Stalinismus. Berlin 2005 (Humboldt-Universität zu Berlin: Antrittsvorlesung am 10. Juli 2003; PDF; 731 kB).
  5. Jörg Baberowski: Der rote Terror. Die Geschichte des Stalinismus. Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2007, S. 8.
  6. Jörg Baberowski: Kriege in staatsfernen Räumen: Rußland und die Sowjetunion 1905-1950. In: Dietrich Beyrau, Michael Hochgeschwender, Dieter Langewiesche (Hrsg.): Formen des Krieges. Von der Antike bis zur Gegenwart. Paderborn 2007, S. 291–310.
  7. Jörg Baberowski: Moderne Zeiten? Einführende Bemerkungen. In: Jörg Baberowski (Hrsg.): Moderne Zeiten? Krieg, Revolution und Gewalt im 20. Jahrhundert, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2006, S. 7–11, hier S. 8f.
  8. Jörg Baberowski: Gewalt verstehen. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 5, 2008, H. 1, S. 5–17.
  9. Jörg Baberowski: Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt. München 2012, S. 9–11.
  10. Osteuropa, 62. Jahrgang, Heft 4, April 2012. Inhaltsverzeichnis hier (PDF; 41 kB). Insgesamt enthält dieses Heft acht Rezensionen seiner Stalin-Biografie, von denen sieben sich grundsätzlich kritisch äußern.
  11. Jörg Baberowski: Ungesteuerte Einwanderung: Europa ist gar keine Wertegemeinschaft. In: FAZ.net, 14. September 2015 (online). Simon Strauss: Jörg Baberowski über Gewalt „Natürlich kann auch ein Analphabet einen Asylgrund haben“, In: FAZ.Net, 20. September 2015 (online). Jörg Baberowski: Der externe Standpunkt. Deutschland verwandelt sich in eine Tugend-Republik. In: Neue Zürcher Zeitung vom 27. September 2015; Die Sätze, die den Bann brechen. In Basler Zeitung vom 24. Dezember 2016.
  12. Alan Posener: [1]. In: Die Welt. 10. Januar 2016; Mario Kessler: „Mangel an Gefühl für die Opfer“. In: [[Tagesspiegel]. 14. Mai 2017; Fachschaftsräte- und -initiativenversammlung der HU Berlin: [2].
  13. Mariam Lau: Diese radikalen Studenten: Im Streit um den Historiker Jörg Baberowski spiegelt sich die Geschichte der Bundesrepublik. Über die erstaunliche Begegnung mit einem Gejagten. Feuilleton. In: Die Zeit. Nr. 16, 12. April 2017, S. 37.; Katrin Schmermund: „Niemand wil mehr gegen den Strom schwimmen“: Ein Professor wehrt sich gegen den Vorwurf, rechtsradikal zu sein. Ein Interview mit Jörg Baberowski. In: Forschung & Lehre. 24. Jahrgang, Nr. 5, Mai 2017, S. 398–400 (Online [abgerufen am 20. Mai 2017]).
  14. Karolina Meyer-Schilf: Bremer Asta kontra Debattenkultur: Keiner will mehr reden. Bremen Aktuell. In: taz.die tageszeitung. 20. Oktober 2016, S. 45.; Karolina Meyer-Schilf: Volkskommissare für Wissenschaft: Der Asta holt sich trotzkistische Rückendeckung für den Kampf gegen den Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski. Bremen Aktuell. In: taz.die tageszeitung. 4. Februar 2017, S. 62.
  15. Jean-Philipp Baeck: Baberowski im rechten Licht: Laut Landgericht Köln darf der Bremer Asta den Historiker Jörg Baberowski „rechtsradikal“ nennen, nicht aber „rassistisch“. Auch verkürzte Zitate seien nicht okay. Bremen Aktuell. In: taz.die tageszeitung. 23. März 2017, S. 45.
  16. Landgericht Köln, 28 O 324/16 - Entscheidungsgründe
  17. Urteil Berliner Historiker Jörg Baberowski darf als „rechtsradikal“ bezeichnet werden. In: Berliner Zeitung, 22. März 2017.
  18. Benjamin Binkle: HU-Stellungnahme zum Urteil des Landgerichts Köln — Presseportal. Abgerufen am 29. Mai 2017.
  19. Sven Wurm: HU-StuPa-1. Sitzung des 25. Parlaments - Antrag der IYSSE. Abgerufen am 4. Juni 2017.
  20. Oberlandesgericht billigt Kritik - Asta siegt gegen Baberowski In: Weser Kurier, 03. Juni 2017.
  21. Jörg Baberowski verliert in allen Punkten gegen Bremer Studierende In: world socialist web site, 02. Juni 2017.
  22. Humboldt-Universität Pressemitteilung, Jörg Baberowski erhält Preis der Leipziger Buchmesse.
  23. Rezension etwa Harald Welzer, Alltag des Vernichters, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 11. März 2012, Seite 59. Welzer nennt das Buch ein "Schlüsselwerk über die Rolle, die Gewalt als soziale Praxis im 20. Jahrhundert gespielt hat"