Attentat von Sarajevo

Das Attentat von Sarajevo, bei dem am 28. Juni 1914 der Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie Chotek, Herzogin von Hohenberg, starben, war Anlass für die Julikrise von 1914, die in ihrem Verlauf den Ersten Weltkrieg auslöste.

Vorgeschichte

Gründe für den Besuch

Der Erzherzog Franz Ferdinand begab sich von einem Treffen mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II. auf seinem Landsitz Schloss Konopiště (Konopischt) in Benešov (Tschechien) nach Sarajevo, um dem Abschluss der Manöver des k. u. k. XVI Korps in Bosnien beizuwohnen. Der Besuch geschah auf Bitte des Landesbefehlshabers von Bosnien-Herzegowina, Oskar Potiorek.

Der Besuch sollte am 28. Juni, dem Veitstag (Vidovdan), stattfinden. Zugleich war an diesem Tag der 525. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld, ein symbolisches Datum für viele Serben. Das Datum des Besuchs soll allerdings nicht als Provokation gedacht gewesen sei, vielmehr soll der Zufall hereingespielt haben: der Frühsommer war eine übliche Jahreszeit für Manöver. Der Besuch eines Manövers bot sich an, da der Thronfolger bereits seit 1909 als Generalinspektor anstelle des Kaisers derartige Truppenbesuche vornahm. Potiorek war der Meinung, dass man das Ansehen der Monarchie, das seit der Bosnischen Annexionskrise des Jahres 1908 nicht sehr hoch stand, mit einem Besuch des Thronfolgers pflegen sollte, wozu eine gezielte Provokation kaum beigetragen hätte. Auch machte der für Bosnien und die Herzegowina zuständige Finanzminister Leon Ritter von Biliński zu keiner Zeit Einwendungen gegen den Besuch. „Lediglich in der Interpretation der Nachwelt und vor allem beim Herausarbeiten der besonderen Zielstrebigkeit und Symbolträchtigkeit kam es dann dazu, dass der [...] 28. Juni, der Vidovdan (= Veitstag), der Jahrestag der serbischen Niederlage gegen die Osmanen auf dem Amselfeld 1389, als besondere Provokation hingestellt worden [ist]. Doch auch dabei regierte der Zufall und nicht die langfristige oder gar subtile Planung. Denn als man den Zeitpunkt für die Manöver des XVI. Korps festlegte, waren dabei lediglich die Jahreszeit, der Ausbildungsstand der Truppen und die Übungsannahme ausschlaggebend.[1]

Die von Rauchensteiner angesprochenen „Interpretationen der Nachwelt“, welche nach dem Weltkrieg aufkamen, besagten, dass der Vidovdan selbst in Wien hinreichend als „heiliger Tag“ der Serben bekannt gewesen sei und der Besuch in der erst unlängst annektierten Provinz an diesem Tage, sogar wenn er nicht als Provokation gedacht gewesen sei, doch deshalb als besondere Demütigung - oder im Gegenteil als eine sich besonders anbietende Gelegenheit für einen Schlag gegen die Fremdherrschaft - aufgefasst habe werden müssen. Allerdings hatte es bereits früher Attentate auf hochstehende Repräsentanten der Doppelmonarchie gegeben, welche nicht vom Erscheinen dieser Personen an einem besonderen Datum abhingen, und vermutlich hätten die Attentäter - in Hinblick auf die sorgfältige Planung des Attentats - auch an einem anderen, weniger symbolträchtigen Datum losgeschlagen, so dass es auf die Provokation, wenn es denn eine war, für den Ablauf der Ereignisse wohl ohnehin nicht ankam.

Viele serbische Nationalisten riefen angesichts der Gelegenheit, das verhasste Österreich-Ungarn im eigenen Land zu treffen, zu einem Anschlag auf. Drei Mitglieder der proserbischen bosniakischen Jugendorganisation Mlada Bosna (Junges Bosnien) lasen in österreichischen Zeitungen über den bevorstehenden Besuch Franz Ferdinands und entschlossen sich zu einem Attentat auf ihn: Gavrilo Princip, ein 20jähriger Gymnasiast, Nedeljko Čabrinović, ein 19jähriger Druckergeselle, und Trifun „Trifko“ Grabež, ein 18jähriger Schulabbrecher.

Die Warnung

Bereits früher war es in Bosnien und der Herzegowina zu Attentaten auf hochstehende Persönlichkeiten gekommen. Der Student Bogdan Cerajić hatte bereits 1910 ein Attentat auf den Kaiser Franz Joseph geplant, hatte aber aufgrund des hohen Alters des Monarchen vom Anschlag Abstand genommen. Stattdessen schoss er im selben Jahr bei der Eröffnung des bosnisch-herzegowinischen Landtags auf den General Marijan Varečanin, den er jedoch verfehlte, woraufhin er sich selbst in den Kopf schoss. Cerajić wurde zum Vorbild für jungbosnische Revolutionäre und sein Grab zu einer Pilgerstätte, an welcher auch der spätere Attentäter Princip angeblich feierlich gelobt haben soll, Cerajić zu rächen.

Auch vor dem Besuch Franz Ferdinands in Bosnien waren Warnungen ausgesprochen worden, doch war keine davon so konkret, dass sich der Erzherzog vom Besuch hätte abhalten lassen. „Unter einen Glassturz“, hatte er bei einer anderen Gelegenheit gesagt, „lasse ich mich nicht stellen. In Lebensgefahr sind wir immer. Man muss nur auf Gott vertrauen.“ Da niemand mit Gefahr rechnete, fielen die Sicherheitsvorkehrungen entsprechend lasch aus. Der Zeitplan und die Fahrtroute wurden Wochen vor dem Besuch in den Zeitungen öffentlich bekannt gegeben, wahrscheinlich auch, um möglichst viele jubelnde Zuschauer anzulocken.

Als der serbische Regierungschef Nikola Pašić vorab vom Mordplan erfuhr, befand er sich in einer delikaten Situation. Wenn er den Plan zur Ausführung gelangen ließ, riskierte er wegen der Verbindung zur Geheimorganisation „Ujedinjenje ili Smrt“ („Vereinigung oder Tod“ oder auch „Schwarze Hand“) einen Krieg mit Österreich-Ungarn; wenn er den Plan verriet, riskierte er, von seinen Landsleuten als Verräter hingestellt zu werden. Pašić versuchte, Österreich-Ungarn mit vagen diplomatischen Aussagen vor dem Anschlag zu warnen, und betraute Jovan Jovanović, den serbischen Gesandten in Wien, mit dieser Aufgabe. Jovanović, der als Nationalist galt und in Wien selten herzlich empfangen wurde, konnte den als offen und umgänglich bekannten k. u. k. Finanzminister von Biliński in ein Gespräch verwickeln und offenbarte ihm bei dieser Gelegenheit, dass es gut und vernünftig wäre, wenn Franz Ferdinand nicht nach Sarajevo reiste, weil sonst „irgendein junger Serbe statt einer Platzpatrone eine scharfe Kugel nehmen und sie abschießen könnte“. Biliński war sich der Bedeutung dieser Worte nicht bewusst, erwiderte lachend, „lassen Sie uns hoffen, dass sowas niemals passiert“ und behielt den Inhalt des Gesprächs für sich.

Vorbereitungen für den Anschlag

Gavrilo Princip fasste im Frühling 1914 in Belgrad den Entschluss, Franz Ferdinand zu töten, nachdem sein Freund Vido Pušcara ihn durch Übersendung eines Zeitungsausschnitts auf den bevorstehenden Besuch des Thronfolgers aufmerksam gemacht hatte, wenngleich dessen Erscheinen aufgrund einer ernsten Erkrankung des Kaisers Franz Joseph zunächst eine zeitlang noch fraglich blieb. Princip weihte Čabrinović und Grabež in den Plan ein und sicherte sich ihre Unterstützung. Da Princip bewusst war, dass er den Plan nicht ohne fremde Hilfe in die Tat umsetzen konnte, kontaktierte er Milan Ciganović, einen serbischen Geheimdienstler und bekannten Volkshelden, der offiziell als Finanzbeamter arbeitete und im selben Haus wohnte. Ciganović stand mit Major Vojin P. Tankosić in Verbindung, den Princip von seinen erfolglosen Versuchen, als Freiwilliger an den Balkankriegen teilzunehmen, schon kannte. Was Princip nicht wusste, war, dass Ciganović und Tankosić führende Mitglieder der „Schwarzen Hand“ waren.

Ciganović gab den militärisch unerfahrenen Jugendlichen in Topčider Schießunterricht und übergab ihnen am 27. Mai 1914 vier Pistolen mit Munition und sechs Bomben aus serbischen Armeebeständen. Weiter bekamen sie Zyankali-Fläschchen, um sich im Fall einer Gefangennahme zu töten, und etwas Geld für die Reisekosten.

Die drei ursprünglich angeworbenen Attentäter reisten einen Monat vor dem Anschlag über Tuzla nach Sarajevo. Ciganović half ihnen, unter Mitwirkung von einigen Mitarbeitern des serbischen Geheimdienstes unbemerkt mit Waffen nach Bosnien zu gelangen. In Sarajevo schloss sich ihnen als viertes Mitglied Danilo Ilić, ein 23jähriger Lehrer, an. Ilić warb drei weitere Mitglieder von Mlada Bosna an, Vaso Čubrilović und Cvetko Popović, zwei 17jährige Gymnasiasten, sowie Muhamed Mehmedbašić, einen 27jährigen Schreiner und muslimischen Bosniaken.

An der Verschwörung waren auch andere Mitglieder von Mlada Bosna beteiligt, die nicht unmittelbar oder bewaffnet in Erscheinung getreten sind: Veljko Čubrilović, Vasos Bruder und Lehrer aus Priboj, Miško Jovanović, Kaufmann und Bankdirektor aus Tuzla, Mladen Stojaković, Arzt und später Volksheld im Zweiten Weltkrieg, sein Bruder Sreten, Bildhauer; Jezdimir Dangić, Gendarmerie-Oberstleutnant und später Tschetnik-Woiwode, Mitar Kerović und sein Sohn Neđa, und schließlich Jakov Milović, ein Landwirt aus Ostbosnien.

Als die Vorbereitungen zum Anschlag so gut wie abgeschlossen waren, bekam Ilić von Belgrad die Order, das Attentat abzublasen. Die Führung der Schwarzen Hand hatte es sich inzwischen anders überlegt und befürchtete ernsthafte Konsequenzen im Falle eines Erfolges. Dragutin Dimitrijević Apis, der Chef des serbischen Geheimdienstes und einer der Anführer der Schwarzen Hand, sandte einen Agenten nach Sarajevo, der sich mit Ilić traf, um ihm die Order zu übergeben. Doch Princip wollte davon nichts wissen und überredete Ilić schließlich dazu, den Plan trotzdem auszuführen.

Mehmedbašić und Čabrinović sollten als erste handeln und nahmen bei der Ćumurija-Brücke Aufstellung, während sich die anderen fünf Attentäter als Reserve weiter hinten, bis hin zur Kaiser-Brücke, postierten. Ilić pendelte unbewaffnet zwischen den Attentäter-Gruppen und sah zu, dass sie alles richtig machten. Pušcara schließlich wurde für den Fall, dass der Thronfolger den Besuch in Sarajevo überlebte, mit einer Pistole in der Tasche an der Eisenbahnstation Visoko postiert.

Der Anschlag von Nedeljko Čabrinović

Der Wagen, in welchem Franz Ferdinand und Sophie Chotek durch Sarajevo gefahren wurden - ein Exponat des Heeresgeschichtlichen Museums zu Wien

Am 28. Juni kam der Erzherzog am Bahnhof von Sarajevo an, wo er mit seiner Frau Sophie in ein Fahrzeug mit offenem Verdeck einstieg. Er war auf dem Weg von einer Truppenbesichtigung zum Rathaus und fuhr in einer Kolonne aus sechs Autos auf dem Appell-Kai entlang des Miljacka-Flusses. Im ersten Fahrzeug saßen der Bürgermeister, Efendi Fehim Ćurčić, und der Polizeichef Dr. Gerde. Im zweiten Fahrzeug saßen Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie, ihnen gegenüber Landeschef Feldzeugmeister Oskar Potiorek. Vorne saßen der Chauffeur Leopold Lojka und Franz Graf Harrach, der Besitzer des Wagens. Im dritten Fahrzeug saßen Sophies Kammerfrau, Graf Boos-Waldeck und der Flügeladjutant des Landeschefs, Oberstleutnant Merizzi, der den Wagen fuhr. Im vierten und fünften Fahrzeug saßen andere Mitglieder von Franz Ferdinands Gefolgschaft und bosnische Beamte. Das sechste Fahrzeug war leer und wurde als Reserve mitgeführt.

Gegen 10 Uhr fuhr die Kolonne an Mehmedbašić vorbei, der eine Bombe werfen sollte, aber nichts unternahm. Er erklärte seine Untätigkeit später damit, dass er von Ilić die Anweisung bekommen habe, die Bombe nur dann zu werfen, wenn er den Wagen des Thronfolgers erkannte, was er aber nicht tat. Als nächstes fragte Čabrinović einen Polizisten nach dem Wagen, in dem Franz Ferdinand saß, schlug die Sicherung seiner Bombe an einem Laternenmasten ab und warf anschließend seine Bombe in Richtung des Wagens. Der Fahrer bemerkte das herbeifliegende dunkle Objekt und gab Gas, während Franz Ferdinand den Arm hob, um seine Frau vor dem Objekt zu schützen. Die Bombe prallte von Franz Ferdinands Arm ab, fiel über das zurückgelegte Verdeck des Wagens nach hinten und explodierte kurz vor dem dritten Automobil, wobei Oberstleutnant Merizzi und Graf Boos-Waldeck verletzt wurden, außerdem noch ein halbes Dutzend Schaulustiger.

Čabrinović schluckte das von der Schwarzen Hand zur Verfügung gestellte Zyankali und sprang in die Miljacka. Das Gift war jedoch alt und wirkte nicht, so dass er nur erbrach. Außerdem war der Fluss an der betreffenden Stelle nicht sehr tief. Čabrinović wurde von der Menge gefasst, wobei er fast gelyncht worden wäre, und verhaftet.

Nachdem Oberstleutnant Merizzi nach ersten Informationen nur leicht verletzt war und in das Garnisonsspital gebracht wurde, befahl der Thronfolger, dass die Fahrt fortgesetzt werde. Auf dem Weg zum Rathaus fuhr die Kolonne an den anderen Attentätern vorbei, die aber nichts unternahmen. Vaso Čubrilović sagte später aus, dass er nicht schoss, weil ihm die Herzogin leid getan hätte, Cvetko Popović sagte aus, dass er Angst gehabt habe und in diesem Augenblick nicht wusste, was mit ihm geschah.

Im Rathaus angekommen, setzte der Bürgermeister vor vielen lokalen Würdenträgern zu einer vorbereiteten Begrüßungsrede an, wurde jedoch sofort von Franz Ferdinand unterbrochen: „Warten Sie einen Augenblick! Ich komme nach Sarajewo als Gast und man empfängt mich hier mit Bomben! Jetzt können Sie reden.“ Er konnte sich aber schließlich beruhigen. Nach seinem Besuch im Rathaus verfügte er eine Änderung der Route. Er wollte nicht wie geplant direkt zum Museum fahren, sondern auch den beim ersten Anschlag am Hals verletzten Oberstleutnant Merizzi im Krankenhaus besuchen.

Der Anschlag von Gavrilo Princip

Die Lateinerbrücke - der Attentäter stand an der Ecke des Hauses links im Bild.

Entgegen den Anweisungen bog die Wagenkolonne auf Höhe der über die Miljacka führenden Lateinerbrücke aber in die ursprünglich geplante Route ein. Der Fahrer, der dies noch rechtzeitig bemerkte, wollte gerade zurückschieben, um zurück auf den Kai zu gelangen, als Princip, der sich enttäuscht vom Schauplatz entfernt und im Café Schiller ein Sandwich gekauft hatte, zu seiner großen Überraschung sah, wie das Fahrzeug des Thronfolgers vor dem Café anhielt. Er ergriff die Gelegenheit, ging aus dem Café, zog seine Pistole und gab sofort aus etwa drei Metern Entfernung zwei Schüsse auf das sich nur sehr langsam bewegende Ziel ab. Franz Ferdinand wurde in die Halsschlagader getroffen, Sophie von Hohenberg in den Unterleib. Princip sagte später aus, dass er Sophie gar nicht treffen wollte, die Schüsse galten Franz Ferdinand und Potiorek.

Sofort schluckte Princip sein Zyankali, erbrach es aber, woraufhin er sich mit der Pistole zu erschießen versuchte. Die Pistole wurde ihm jedoch aus der Hand gerissen und die wütende Menge wollte ihn lynchen. Während Princip sofort verhaftet und zunächst in das Café Schiller gebracht wurde, drehte der Fahrer um und fuhr schnell zu Potioreks Residenz, dem Konak. Franz Ferdinand sprach zu seiner Frau: „Sopherl! Sopherl! Sterbe nicht! Bleibe am Leben für unsere Kinder!“ Sophie verblutete jedoch noch während der Fahrt, Franz Ferdinand erlag kurz darauf im Konak seinen Verletzungen.

Reaktionen auf das Attentat

Obwohl in der Monarchie Trauer und Empörung sicherlich die vorherrschenden Reaktionen auf das Attentat waren, verspürten nicht alle in Österreich-Ungarn Trauer bei der Nachricht vom Tod des Thronfolgers. Der Gesandte in Bukarest und spätere Außenminister Ottokar Graf Czernin erinnerte sich später, in Wien und Budapest habe es mehr Erfreute als Trauernde gegeben. Franz Ferdinand und seine Vertrauten (in Wien in konservativen Kreisen vielfach als „Belvedere-Bagage“ bezeichnet) hatten keineswegs nur Freunde gehabt; an seinen Plänen einer - den Südslawen einen eigenen Reichsteil einräumenden - trialistischen anstelle der bisherigen dualistischen Reichsverfassung hatten sich zahlreiche Zeitgenossen gestört, insbesondere lehnte der ungarische Reichsteil diese Pläne kategorisch ab. Gerüchte machten die Runde, welche wissen wollten, dass ein illegitimer Sohn des Kronprinzen Rudolf die Waffe geführt habe, oder dass die Freimaurerei oder der ungarische Ministerpräsident Graf István Tisza hinter dem Attentat stecke - und zwar ungeachtet des Umstands, dass gerade Graf Tisza sich zunächst entschieden gegen ein entschlossenes Vorgehen gegen Serbien stellte.[2]

Die politischen Folgen des Attentats

Die Schüsse von Sarajevo setzten keineswegs einen Automatismus in Gang, der zwangsläufig in einen Krieg führen musste. Dass sie zu einem Krieg, zumal zu einem europäischen Krieg, führen würden, war im Gegenteil zunächst eine unwahrscheinliche Option. Anschläge auf Staatsoberhäupter und andere hochstehende Persönlichkeiten waren bereits in der damaligen Zeit nichts Außergewöhnliches, aber sie waren bisher noch nie als Anlass zu Krisen aufgefasst worden. Kaum etwas hob das Attentat von Sarajevo von früheren derartigen Vorfällen ab, und zwar auch nicht der Verdacht, dass eine ausländische Regierung in das Attentat verwickelt sein könnte. Denn an eine Mitschuld der serbischen Regierung glaubte man selbst am Wiener Hof nicht. Der österreich-ungarische Sektionsrat Friedrich von Wiesner leitete die Ermittlungen und schrieb in seinem Bericht vom 13. Juli 1914 an das k. u. k. Außenministerium: „Mitwissenschaft serbischer Regierung an der Leitung des Attentats oder dessen Vorbereitung und Beistellung der Waffen durch nichts erwiesen oder auch nur zu vermuten. Es bestehen vielmehr Anhaltspunkte, dies als ausgeschlossen anzusehen.“ [3]

Das Attentat von Sarajevo diente daher nicht als solches als Anlass zu weiteren Schritten Wiens, sondern wurde von Österreich-Ungarn - wenngleich nach einigem Zögern der Hofburg und Konsultationen in Berlin - als Anlass verwendet, im Rahmen eines (wie man dachte) regional begrenzbaren Militärschlages gegen Serbien vorzugehen. Persönlichkeiten am Wiener Hof, wie vor allem Conrad von Hötzendorf, hatten etwas Derartiges bereits seit Jahren vorgeschlagen, während andererseits die „Friedenspartei“ gerade mit dem Thronfolger einen ihrer wichtigsten Fürsprecher verloren hatte. Die serbische Regierung, welcher diese Haltung der Kriegspartei des Wiener Hofs bekannt war und die sich der möglichen Weiterungen bewusst war, bedauerte den Vorfall und bestritt eine Verbindung mit dem Attentat. Sie wies darauf hin, dass alle Täter aus dem annektierten Bosnien stammten und formell Österreicher seien. Außerdem gäbe es keine Beweise, die auf ein offizielles serbisches Engagement hindeuteten. Dagegen wurde in Österreich-Ungarn die serbische Organisation Narodna Odbrana (Volksverteidigung) als Anstifter des Attentats bekannt gegeben.

Österreich-Ungarn stieß sich auch an der als feindlich erachteten kritischen serbischen Presse, welche für die aufgeheizte politische Stimmung verantwortlich gewesen sei, die den Mord am österreichischen Thronfolger begünstigt habe. Serbien berief sich dagegen auf die verfassungsrechtlich garantierte Pressefreiheit von privaten Medien und sah in der amtlich gelenkten und nationalistischen österreichisch-ungarischen Presse den wahren Problemherd.

Als Reaktion auf das Attentat stellte Österreich-Ungarn Serbien am 23. Juli 1914 ein äußerst scharf gefasstes, auf 48 Stunden befristetes Ultimatum. Das „Ultimatum“ war offiziell eine Démarche - eine förmliche, an eine andere Regierung gerichtete Erklärung oder Aufforderung -, weil darin trotz der Befristung auf 48 Stunden nicht direkt mit Krieg, sondern lediglich mit einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen gedroht wurde.[4] Serbien wurde in der Note aufgefordert, alle irredentistischen Bestrebungen, die auf Abtrennung von österreich-ungarischem Territorium abzielten, zu verurteilen und künftig hiergegen mit äußerster Strenge vorzugehen. Hierzu sollte Serbien unter anderem erklären, künftig jede antiösterreichische Propaganda zu unterdrücken, sofort Schritte gegen Narodna Obrana einzuleiten, Beteiligte aus dem Staatsdienst zu entfernen, und vor allem

5. einzuwilligen, dass in Serbien Organe der k. u. k. Regierung bei der Unterdrückung der gegen die territoriale Integrität der Monarchie gerichteten subversiven Bewegung mitwirken;
6. eine gerichtliche Untersuchung gegen jene Teilnehmer des Komplottes vom 28. Juni einzuleiten, die sich auf serbischem Territorium befinden; von der k. und k. Regierung hiezu delegierte Organe werden an den bezüglichen Erhebungen teilnehmen; (...)

Serbien akzeptierte das Ultimatum nicht bedingungslos, indem in Hinblick auf das Tätigwerden der österreichischen Organe auf serbischem Boden die folgende Erklärung abgegeben wurde:

„Die königliche Regierung hält es selbstverständlich für ihre Pflicht, gegen alle jene Personen eine Untersuchung einzuleiten, die an dem Komplotte vom 15./28. Juni beteiligt waren oder beteiligt gewesen sein sollen, und die sich auf ihrem Gebiete befinden. Was die Mitwirkung von hiezu speziell delegierten Organen der k. u. k.. Regierung an dieser Untersuchung anbelangt, so kann sie eine solche nicht annehmen, da dies eine Verletzung der Verfassung und des Strafprozeßgesetzes wäre. Doch könnte den österreichisch-ungarischen Organen in einzelnen Fällen Mitteilung von dem Ergebnisse der Untersuchung gemacht werden.“[5]

Rauchensteiner führt allerdings aus, dass es in Punkt 6 - anders als die serbische Regierung dies in ihrer Antwortnote anklingen gelassen habe - um eine Teilnahme der österreichischen Organe an der Untersuchung, nicht an der serbischen Rechtsprechung gegangen sei und dass es für Ermittlungen auf dem Territorium des jeweils anderen Staates auch Präzedenzfälle gegeben habe[6]. Dagegen kann eingewendet werden, dass Wien, wie aus zahlreichen Äußerungen der Zeitgenossen an der Hofburg hervorgeht, zu einem Krieg entschlossen und an einem serbischen Einlenken nicht interessiert war[7], und dass der Wortlaut der betreffenden Passage die Interpretation durchaus zuließ, die die serbische Regierung ihr beilegte. Auch das Ausland fasste die Démarche nicht anders auf als die serbische Regierung. Der schockierte britische Außenminister Sir Edward Grey etwa sprach von dem übelsten Schriftstück, das ihm zeitlebens in die Hände geraten sei.

Zugleich begann Serbien mit einer Mobilmachung. In Folge erklärte Österreich-Ungarn Serbien wie erwartet am 28. Juli 1914 den Krieg, womit der Erste Weltkrieg begann.

Der Prozess gegen die Attentäter

Čabrinović, Princip und die anderen Attentäter mit Ausnahme von Mehmedbašić wurden nach und nach festgenommen. Während der Verhöre schwiegen sie zunächst beharrlich, bis sie auf Wunsch von Princip aufgaben und alles gestanden, woraufhin auch die meisten anderen Verschwörer verhaftet wurden.

Vom 12. Oktober bis 23. Oktober 1914 fand in Sarajevo der Gerichtsprozess gegen insgesamt 25 Angeklagte wegen Hochverrats und Mordes statt. Im Prozess bestritten die meisten Angeklagten jede Verbindung mit dem offiziellen Serbien.

Gavrilo Princip sagte aus, dass er die Tat nicht bereue und sich auch nicht als Verbrecher betrachte, er habe bloß einen Tyrannen ermordet. Er sagte, dass er ein Revolutionär sei, Österreich-Ungarn hasse und dessen Untergang wünsche. Niemand habe ihn zur Tat angestiftet, er bestritt jede offizielle Verbindung zu Serbien. Zur Bekräftigung behauptete er, dass ihn Ciganović warnte, dass die serbischen Behörden sie verhaften würden, wenn sie von ihrem Plan erfuhren. Er sagte auch, dass es ihm Leid täte, die Frau des Erzherzogs, eine Tschechin, getötet zu haben, und dass jener Schuss für Potiorek bestimmt gewesen sei.

Princip wurde vom Gericht des Hochverrats und Mordes für schuldig befunden und zu 20 Jahren Haft verurteilt. Für das Urteil war sein junges Alter zum Tatzeitpunkt entscheidend, das ihn vor der Todesstrafe bewahrte. Er starb jedoch schließlich unter miserablen Haftbedingungen 1918 im Theresienstädter Gefängnislazarett an Knochentuberkulose.

Nedeljko Čabrinović gab als Grund für seine Tat an, dass Franz Ferdinand ein Feind der Slawen, und besonders der Serben, gewesen sei. Er sagte weiters aus, dass in Österreich-Ungarn die Deutschen und die Ungarn das Sagen hätten, während die Slawen unterdrückt würden. Da er zum Tatzeitpunkt minderjährig war, wurde er vom Gericht zu 20 Jahren Haft verurteilt und starb 1916 an Tuberkulose.

Trifun „Trifko“ Grabež nannte die Tat „den größten revolutionären Akt in der Geschichte“. Er wurde vom Gericht zu 20 Jahren Haft verurteilt, auch er war zu jung für ein Todesurteil. Er starb 1918 an Tuberkulose.

Danilo Ilić wurde vom Gericht für schuldig befunden und zum Tode verurteilt, er war zum Tatzeitpunkt volljährig. Er wurde schließlich 1915 gemeinsam mit Miško Jovanović und Veljko Čubrilović durch Erhängen in einem Gefängnis in Sarajevo hingerichtet.

Vaso Čubrilović wurde zu 16 Jahren Haft verurteilt, er war zum Tatzeitpunkt minderjährig und konnte deswegen nicht zum Tode verurteilt werden. Nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie kam er frei. Er arbeitete später als Lehrer und Universitätsprofessor und wurde unter Tito Minister für Forstwirtschaft. Hingegen wurde sein Vertrauter Ivo Krančjević verhaftet und verurteilt, der nach dem Attentat Čubrilović' Waffen versteckt hatte.

Cvetko Popović wurde wegen Hochverrats zu 13 Jahren Haft verurteilt und kam nach dem Zerfall der Donaumonarchie frei. Auch er war zum Tatzeitpunkt minderjährig. Er wurde später Kustos in der Ethnografischen Abteilung des Museums von Sarajevo.

Muhamed Mehmedbašić wurde als einziger Beteiligter nicht verhaftet und setzte sich nach Montenegro ab, wo er mit seiner Teilnahme am Attentat öffentlich prahlte, so dass ihn die Montenegriner schließlich verhaften mussten. Österreich-Ungarn verlangte seine Auslieferung, was Montenegro in einen unangenehmen Zwiespalt brachte. Einerseits war das Land aufgrund von Abkommen an eine Zusammenarbeit mit Österreich-Ungarn gebunden, andererseits wollte man die zahlenstarke serbische Bevölkerung Montenegros nicht mit der Auslieferung gegen sich aufbringen. Wie durch Zufall konnte Mehmedbašić jedoch aus dem Gefängnis ausbrechen und entkommen, das Problem war somit aus montenegrinischer Sicht gelöst. Nach diesem Vorfall tauchte er unter und verhielt sich zunächst unauffällig. 1917 wurde er gemeinsam mit Dragutin Dimitrijević Apis, dem Anführer der Schwarzen Hand, wegen eines Mordkomplotts gegen den serbischen Prinzregenten Aleksandar Karađorđević verhaftet und zu 15 Jahren Haft verurteilt. Er wurde schließlich 1919 amnestiert und kehrte nach Sarajevo zurück, wo er ein bescheidenes Leben als Gärtner und Tischler führte. Er starb während des Zweiten Weltkriegs.

Miško Jovanović transportierte die Waffen, die beim Anschlag benutzt wurden, von Tuzla nach Sarajevo. Um bei einer eventuellen Kontrolle auf dem Weg nach Sarajevo nicht aufzufallen, übergab Princip Jovanović die Waffen in Tuzla und bekam sie von ihm in Sarajevo wieder. Jovanović wurde vom Gericht der Beihilfe zum Mord für schuldig befunden und 1915 gemeinsam mit Danilo Ilić und Veljko Čubrilović durch Erhängen in einem Gefängnis in Sarajevo hingerichtet.

Veljko Čubrilović, Vasos Bruder, wurde der Beihilfe zum Mord für schuldig befunden und 1915 gemeinsam mit Miško Jovanović und Danilo Ilić durch Erhängen in einem Gefängnis in Sarajevo hingerichtet.

Die Anschlagsstätte in Sarajevo

Inschrift am Schauplatz des Attentats

In Sarajevo ist an der Stelle, von der Princip seine Schüsse abgab, eine Marmortafel mit einer Inschrift zu finden, die auf das Geschehen am 28. Juni 1914 verweist. Am Geländer der Lateinerbrücke, die diesen Namen trägt, weil sie die kürzeste Verbindung zur katholischen Kirche darstellt, ist außerdem eine Steinbank zu finden – der letzte Rest eines Mahnmals, das den Passanten um ein kurzes Gebet für die Opfer des Anschlags bat. Der gegenüberliegende Altar wurde 1919 gesprengt.

Die von Princip verwendete Waffe war eine Browning M 1910, eine halbautomatische Pistole vom Kaliber 7,65×17 mm. Sie wird im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien gezeigt, zusammen mit der blutbefleckten Uniform des Thronfolgers und dem Wagen der Marke Gräf & Stift, in dem er durch Sarajevo gefahren wurde. Die nach dem Anschlag aus Gips angefertigten Totenmasken des Erzherzogs und der Gräfin sind ein Ausstellungsstück in Schloss Konopiště.

Quellen

  1. Manfred Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg, S. 64
  2. Vgl. den Vortrag des ungarischen Ministerpräsidenten Grafen Tisza vom 8. Juli 1914
  3. vgl. Telegramm des Sektionsrats von Wiesner an das k. u. k. Ministerium des Äußern
  4. Vgl. dazu das Telegramm von Graf Berchtold an Freiherrn von Giesl in Belgrad vom 23. Juli 1914
  5. [http://www.lib.byu.edu/~rdh/wwi/1914/austdocs/2047.html Note der königlich serbischen Regierung vom 12./25. Juli 1914]
  6. Österreich-Ungarn gestattete Serbien 1868 nach dem Mord am serbischen Fürsten Mihailo Vorerhebungen auf österreichisch-ungarischem Territorium. (Rauchensteiner, S. 78)
  7. „Einig war man darüber, die Begehrnote an Serbien zum frühestmöglichen Zeitpunkt abzusenden und sie so zu redigieren, dass sie von Belgrad abgelehnt werden musste.“ (Rauchensteiner, S. 79). Der Außenminister Graf Berchtold instruierte den österreichischen Gesandten in Belgrad bereits am 7. Juli wie folgt: „Wie immer die Serben reagieren - Sie müssen die Beziehungen abbrechen und abreisen; es muss zum Krieg kommen“ (Rauchensteiner, S. 75). Berchtold zeigte sich später zudem besorgt, dass eine „schwächliche Haltung unsere Stellung Deutschland gegenüber diskreditieren könnte“. Der Ministerrat ließ an seiner Sitzung vom 19. Juli offen, ob Serbien - wie der Diplomat Graf Hoyos überlegte - zwischen anderen Balkanstaaten aufgeteilt werden sollte, da Graf Tisza der Absendung der Démarche an Serbien zustimmte und sich hierbei lediglich ausbedingte, dass von Serbien nur keine oder nur kleine strategisch wichtige Gebietsabtretungen verlangt wurden. Der österreichische Ministerpräsident Karl Graf Stürgkh sprach von der Absetzung des serbischen Königshauses. (alle: Rauchensteiner, S. 79)

Literatur

  • Milo Dor, Die Schüsse von Sarajewo, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1989 (Eine literarische Bearbeitung der Geschehnisse unter Berücksichtigung der serbischen Sicht)
  • Vladimir Dedijer, Sarajevo 1914, Prosveta, Beograd 1966
  • Manfred Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers, Styria Verlag, Graz/Wien/Köln 1997
  • Ernst Trost, Das blieb vom Doppeladler. Auf den Spuren der versunkenen Donaumonarchie, Verlag Fritz Molden, 1966

Weblinks