Tacoma-Narrows-Brücke

Die Tacoma-Narrows-Brücke von Norden. Links die Brücke von 1950, daneben die mittlerweile fertiggestellte neue Brücke.
Die ursprüngliche Brücke nach dem Einsturz

Die Tacoma-Narrows-Brücke, scherzhaft 'Galoppierende Gertie' genannt (englisch Tacoma Narrows Bridge bzw. 'Galloping Gertie'), ist eine Hängebrücke im US-Bundesstaat Washington. Sie führt über die Tacoma Narrows, einen Seitenarm des Puget Sounds und verbindet damit Tacoma im Osten mit Gig Harbor im Westen.

Insgesamt muss man drei verschiedene Bauwerke unterscheiden. Die erste, 1940 gebaute Brücke ist wenige Monate nach ihrer Eröffnung eingestürzt und wurde 1950 durch einen Neubau ersetzt. Parallel zu dieser zweiten Brücke wurde eine dritte Brücke gebaut, die dem gewachsenen Verkehrsaufkommen Rechnung tragen soll. Sie wurde im Juli 2007 fertiggestellt.

Die Brücke von 1940

Mit einer Mittelspannweite von 853 Metern war die erste Tacoma-Narrows-Brücke zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung die drittgrößte Hängebrücke der Welt. Sie wurde am 1. Juli 1940 eröffnet, stürzte jedoch vier Monate später am 7. November 1940 spektakulär ein.

Die Brücke wurde von dem Ingenieur Leon Moisseiff entworfen. Moisseiff sah eine äußerst schlanke Konstruktion des Fahrbahnträgers als Stahl-Vollwandträger vor – extrem niedrig und mit nur zwei Fahrbahnen und zwei Fußwegen auch sehr schmal. Grund dafür war das geringe erwartete Verkehrsaufkommen. Diese Entwicklung hatte Fritz Leonhardt mit der Planung der Rodenkirchener Brücke in Köln angestoßen. Bis dahin waren Hängebrücken immer mit wesentlich höheren und steiferen Fachwerkträgern ausgeführt worden. Das neue Konzept war noch vor Baubeginn an der Rodenkirchener Brücke von Othmar Ammann für die Bronx-Whitestone-Brücke in New York City übernommen und weitergeführt worden, an der auch Moisseiff mitgearbeitet hatte. Moisseiff ging diesen Weg bei der Tacoma-Narrows-Brücke noch weiter.

Vergleich der ersten Hängebrücken mit Vollwandträgern
Spannweite l Tragwerkshöhe h Tragwerksbreite b Schlankheit h/l Schlankheit b/l
Tacoma-Narrows-Brücke 853 m 2,4 m 11,9 m 1:350 1:72
Bronx-Whitestone-Brücke 701 m 3,4 m 22,6 m 1:209 1:31
Rodenkirchener Brücke 378 m 3,3 m 22,6 m 1:114 1:17

Diese Schlankheit führte zu einer sehr niedrigen Steifigkeit und einem sehr niedrigen Gewicht. Zusammen mit einer aerodynamisch ungünstigen Form des Trägers machte das die Brücke sehr windempfindlich.

Schon bei leichtem Wind bildete sich hinter dem Träger eine Kármánsche Wirbelstraße, deren Wirbel sich mit annähernd der Eigenfrequenz der Brücke ablösten, so dass die Brücke in Resonanz geriet. Bald erhielt sie wegen ihres Auf- und Abschwingens den Spitznamen „Galloping Gertie“ und wurde zum Touristenmagneten. Manche Autofahrer kamen extra zum „Achterbahnfahren“, andere nahmen lieber weiter den zeitaufwändigen Umweg über Olympia im Süden in Kauf, den die Brücke eigentlich ersparen sollte.

Film des Einsturzes

Am 7. November 1940 schließlich riss bei nur mäßigem Wind (67 km/h, Windstärke 8) ein Hängerseil. Dadurch geriet die Brücke in einen anderen Schwingungsmodus und führte jetzt Torsionsschwingungen aus. Bei diesem Modus handelte es sich um eine so genannte selbsterregte Schwingung. Anders als bei der buckelnden Bewegung, welche durch die Kármánsche Wirbelstraße erzeugt wurde, ist diese Schwingung keine Resonanzschwingung und wurde durch den stetigen Wind immer weiter angeregt. Die Brücke sorgte ohne eine von außen vorgegebene Frequenz selbst dafür, dass sie sich immer weiter aufschaukelte. Nach einer dreiviertel Stunde rissen weitere Seile, und die Fahrbahn stürzte mit zwei verlassenen Autos und einem Cockerspaniel in die Tacoma Narrows. Menschen kamen bei dem Unglück nicht zu Schaden.

Aufgrund der Schwingungen stand die Brücke schon vor dem Einsturz unter ständigen Beobachtungen durch Überwachungs-Kameras, die den Einsturz schließlich filmten. Auf dem Film sind die Markierungen (gestreifte Stangen) zu erkennen, welche zur Auswertung der Schwingungen aus dem Filmmaterial dienten.
Es ist der einzige bekannte Film eines Hängebrückeneinsturzes. Als kulturgeschichtlich bedeutsames Filmdokument wurde dieser Schwarzweißfilm im Jahr 1998 in das National Film Registry der USA aufgenommen.

Nach dem Einsturz

Die Bronx-Whitestone-Brücke wurde im Anschluss mit zusätzlichen Gitterträgern verstärkt, das geschah allerdings mehr aus psychologischen Gründen. Zehn Jahre nach ihrem Einsturz wurde die Tacoma-Narrows-Brücke neu gebaut, diesmal mit einem konventionellen Fachwerkträger. Die neue Brücke wurde (mit neuen Pylonen) auf den Fundamenten der alten Brücke aufgebaut. Die Eröffnung fand am 14. Oktober 1950 statt.

Die Bauweise mit Fachwerkträgern sollte sich weltweit, insbesondere in den USA, sehr lange halten. Obwohl es möglich gewesen wäre, auch bei großen Hängebrücken richtig ausgelegte Vollwand- oder Kastenträger zu verwenden, wurde erst wieder 1963 mit der Severn-Brücke in England eine solche Brücke fertiggestellt.

Der Film des Einsturzes wird häufig als Anschauungsmaterial für die aerodynamischen und schwingungstechnischen Vorgänge verwendet. Er ist heute regelmäßig in Dokumentationen über Brücken im Fernsehen zu sehen und macht den Einsturz der Tacoma-Narrows-Brücke wohl zum berühmtesten Brückeneinsturz überhaupt. Bedeutendste Folge der Katastrophe war, dass seither neben der Statik auch die Dynamik bei der Konstruktion von Brücken berücksichtigt wird und dass sämtliche größeren Brücken als Modell im Windkanal getestet werden.

Die Überreste der abgestürzten Fahrbahn liegen auch heute noch an Ort und Stelle unter Wasser; sie wurden 1992 unter Denkmalschutz gestellt.

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