Geometrische Reihe

Die geometrische Reihe für , oder konvergiert

Eine geometrische Reihe ist die Reihe einer geometrischen Folge . Bei einer geometrischen Folge ist der (formale) Quotient zweier benachbarter Folgenglieder konstant, es gilt also stets

.

Explizit ausgedrückt gibt es also eine Konstante , sodass für alle . Das bedeutet, dass die Folgenglieder bezüglich des Summenindex einen exponentiellen Verlauf annehmen. Da der Fall trivial und in vielen Anwendungen auch nicht sinnvoll ist, und zugleich nur ein gemeinsamer Faktor aller Summanden der Reihe ist, wird in der Literatur meistens schlicht gesetzt. Die geometrische Reihe hat dann die vereinfachte Gestalt

.

Aufgrund der einfachen Gestalt der Summanden ist es möglich die Partialsummen der zugehörigen geometrischen Reihe explizit zu berechnen. Durch die Rekursion für ergibt sich

und durch Auflösen schließlich für

.

Eine wichtige Folgerung daraus ist, dass die geometrische Reihe genau dann konvergiert, falls gilt. Dabei ist es unerheblich, ob es sich bei um eine reelle oder allgemeiner komplexe Zahl handelt.

Die geometrische Reihe zählt zu den wichtigsten Reihen überhaupt. Anwendungen hat sie als Majorante (etwa beim Beweis von Konvergenzkriterien, wie dem Quotientenkriterium), im Bereich der Potenzreihenentwicklungen rationaler Funktionen und in der analytischen Kombinatorik.

Definition

Für reelle (oder komplexe) Zahlen definiert man die geometrische Reihe als[1]

Ihre Partialsummen sind also gegeben durch , und die ersten Glieder sind

In allgemeinerer Form wird für reelle (oder komplexe) Zahlen die Reihe

auch als geometrische Reihe bezeichnet. Diese ist jedoch bis auf einen skalaren Faktor gleich der geometrischen Reihe , weshalb meistens diese studiert wird.

Konvergenzkriterium

Konvergenz der geometrischen Reihe für
Konvergenz der geometrischen Reihe auf der Zahlengeraden
()

Für konvergiert die geometrische Reihe hingegen; es gilt in diesem Fall

.

Bewiesen werden kann dies über Betrachtung der Partialsummen:

,

und die letzte Gleichheit folgt aus

Es ist für eine Nullfolge, also gilt

.

Es ist also hinreichend für die Konvergenz der geometrischen Reihe. Zugleich ist dies jedoch auch notwendig: Für folgt die Divergenz der Reihe aus dem Nullfolgenkriterium, da in diesem Fall für nicht gegen 0 strebt.[2]

Ein Quotient mit ergibt eine divergente geometrische Reihe, z. B. für und Startwert

zusammengefasst also

Im Falle der hier abgebildeten Zweierpotenzen erscheinen stets die Mersenneschen Zahlen als Werte der Summe.

Zahlenbeispiel

Gegeben sei die geometrische Folge

mit und Die zugehörige geometrische Reihe ist

Die zugehörige Folge von Partialsummen ergibt sich zu

usw.

Geometrische Veranschaulichungen

Figur 1
Figur 2

Zur Summenformel

Das große gleichseitige Dreieck , dessen Flächeninhalt ohne Beschränkung der Allgemeinheit als angenommen wird, setzt sich aus drei flächengleichen unendlichen Folgen gleichseitiger Dreiecke (rot, gelb, blau) zusammen, deren Grenzwerte jeweils mal so groß sind wie das Dreieck (Figur 1). Wegen der Selbstähnlichkeit der Dreiecke , , , … und ihrer Mittendreieck-Eigenschaften besitzt jede der drei Dreiecksfolgen den Grenzwert

.

Also gilt[3][4]

.

Zu einer verwandten Summenformel

In Figur 2 gilt:

.

Dies bestätigt die Partialsummenformel

für , und .[5][6]

Anwendungen

Rentenrechnung

Angenommen, man zahlt am Anfang eines jeden Jahres 2000 € bei einer Bank ein und die Zinsen liegen bei 5 % [d. h. der Zinsfaktor ist: ]. Wie viel Geld hat man am Ende des fünften Jahres?

Das im ersten Jahr eingezahlte Geld wird fünf Jahre lang verzinst, man erhält dafür am Ende inklusive Zinseszins  €. Das im zweiten Jahr eingezahlte Geld wird nur noch vier Jahre verzinst und so weiter. Insgesamt ergibt sich dann durch die Rentenrechnung nach fünf Jahren ein angesparter Betrag von

Durch Zinsen hat sich das Kapital somit um 1603,83 € erhöht. Beim Nachrechnen von Kontoauszügen ist zu bedenken, dass im Bankenwesen nicht mathematisch gerundet wird.

Zum Vergleich: Würden nicht Jahr für Jahr je 2000 € eingezahlt, sondern gleich von Beginn an die ganzen 10000 € über 5 Jahre bei 5 % Zinsen angelegt, so wäre der Endbetrag

also ein Kapitalertrag von 2762,82 €.

Allgemein gilt: Beträgt die Einlage am Anfang jedes Jahres , der Zinsfaktor und die Laufzeit Jahre, dann ist der Endwert

.

Periodische Dezimalbrüche

Periodische Dezimalbruchentwicklungen enthalten eine geometrische Reihe, welche mit den obigen Formeln wieder in einen Bruch umgewandelt werden kann.[7]

Beispiel 1:

Beispiel 2:

Verallgemeinern lässt sich dies auf sog. g-ale Entwicklungen: Ist eine ganze Zahl fest gewählt, und eine Folge, so heißt

die g-ale Entwicklung der reellen Zahl . Wegen der Abschätzung,

welche die geometrische Reihe nutzt, gilt zudem .[8] Dies kann dazu verwendet werden, die Überabzählbarkeit der reellen Zahlen zu zeigen.[9]

Wahrscheinlichkeitstheorie

Die geometrische Reihe spielt auch beim sog. Ruin des Spielers eine zentrale Rolle. Ausgangspunkt ist ein Spiel zwischen einem Spieler und der Bank, das in mehreren Runden ausgetragen wird. Jede Runde läuft unabhängig von der vorherigen ab, und mit Wahrscheinlichkeit gewinnt der Spieler einen Euro in einer Runde. Entsprechend verliert der Spieler mit der Gegenwahrscheinlichkeit einen Euro in einer Runde gegen die Bank. Angenommen wird, dass der Spieler mit einem Kapital von Euro startet und die Bank an Kapital besitzt. Die Frage ist, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Spieler verlieren wird, also sein Kapital komplett verbraucht (die Bank verliert, wenn der Spieler irgendwann Euro besitzt, ohne davor pleitegegangen zu sein).[10] Über die geometrische Reihe kann man diese Wahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von , und ausdrücken:[11]

Als Majorante

In der Theorie der Potenzreihen nimmt die geometrische Reihe die Rolle einer Majorante ein. Grob gesagt ist die Idee, eine allgemeine Potenzreihe durch die geometrische Reihe zu „imitieren“. Eine wichtige Aussage in diesem Kontext ist die Existenz eines Konvergenzradius für Potenzreihen: Für jede formale Potenzreihe existiert eine eindeutig bestimmte Zahl , so dass für alle konvergiert und für alle divergiert. Dabei ist die Menge der mit bzw. per definitionem leer. Setzt man

so existiert für alle eine Abschätzung für :

für eine nur von (und natürlich der Potenzreihe als ganze) abhängigen Konstanten . Damit hat man

also muss die Potenzreihe in letzter Konsequenz für alle nach dem Majorantenkriterium konvergieren. Wegen des Nullfolgenkriteriums ist sie ferner nach Konstruktion für alle divergent. Damit zeigt sich, dass allgemeine Potenzreihen stets auf Kreisscheiben konvergieren, gerade weil die spezielle geometrische Reihe dies als Potenzreihe tut.[12]

Cauchyscher Entwicklungssatz

Ein zentrales Resultat der Funktionentheorie ist, dass holomorphe Funktionen analytisch sind. Das bedeutet, dass sie in jedem Punkt ihres (offenen) Definitionsbereichs in eine Potenzreihe entwickelt werden können, die in einer offenen Kreisscheibe konvergiert und dort die Funktion darstellt.[13] Präziser gilt der Cauchysche Entwicklungssatz: Ist mit offenem , die größte Kreisscheibe um in und holomorph, so ist um in eine Taylorreihe entwickelbar, die in auf kompakten Teilmengen absolut und gleichmäßig konvergiert. Die Koeffizienten sind gegeben durch[13]

, wobei

Dabei wird der Integrationsweg in mathematisch positiver Richtung einfach durchlaufen (siehe auch komplexes Kurvenintegral). Bemerkenswert ist die Tatsache, dass für den Beweis des Entwicklungssatzes lediglich die Reihenentwicklungen der Funktionen im Inneren des Integrals benötigt werden, was allgemein durch Ableitungen der geometrischen Reihe ausgedrückt werden kann, sowie Vertauschbarkeit von Summation und Integration. Für den Fall wurde dies bereits 1831 von Cauchy durchgeführt.[14]

Zahlentheorie

Im Umfeld der analytischen Zahlentheorie gehört das Euler-Produkt

der Riemannschen Zeta-Funktion zu den bedeutendsten Formeln, da sie die Folge der Primzahlen mit einer vergleichsweise „einfach strukturierten“ analytischen Funktion in Verbindung bringt. Dabei gelten die angegebenen Formeln jedoch nur im eingeschränkten Bereich , wobei sich dies auf den Realteil der komplexen Zahl bezieht. Durch Ausmultiplizieren und Anwendung der geometrischen Reihe

mit erkennt man für die ersten Primzahlen

Nun kann man in dieser Formel gegen Unendlich laufen lassen, und erhält

da jede Zahl nach dem Fundamentalsatz der Arithmetik genau eine Zerlegung besitzt. Somit folgt das Euler-Produkt im Bereich der absoluten Konvergenz der Reihe zu .

Achilles und die Schildkröte

Ein sehr anschauliches Beispiel für die Anwendung (und sogar Herleitung des Grenzwerts) der geometrischen Reihe ist Geschichte von Achilles und der Schildkröte.[15]

Der für seine Schnelligkeit bekannte Athlet Achilles tritt in einem Wettlauf gegen eine langsame Schildkröte an. Beide starten zum selben Zeitpunkt, aber die Schildkröte erhält anfangs einen Vorsprung von, zum Beispiel . Obwohl Achilles mit einer um den Faktor , mit , höheren Geschwindigkeit als die der Schildkröte läuft, kann er sie scheinbar niemals einholen. Denn: Sobald Achilles weit gelaufen ist, also den Punkt erreicht hat, an dem die Schildkröte gestartet ist, ist eine gewisse Zeit verstrichen. In dieser Zeit hat die Schildkröte die Strecke zurückgelegt. Achilles muss also die entsprechende Strecke weiterlaufen, um die Schildkröte einzuholen. Derweil hat die Schildkröte jedoch weitere zurückgelegt. Achilles hat die Schildkröte immer noch nicht eingeholt. Er läuft entsprechend weiter, muss nun allerdings feststellen, dass die Schildkröte in der Zwischenzeit abermals eine gewisse Strecke zusätzlich zurückgelegt hat; dieses Mal sind es . Dieses Spiel setzt sich unendlich oft fort.

Der Punkt , an welchem Achilles die Schildkröte endlich einholen wird, ist gegeben durch die unendliche Summe

Alternativ kann durch das Aufstellen zweier linearer Gleichungen bestimmt werden. Es seien

die Bewegungsgleichungen der Schildkröte bzw. von Achilles, wobei die Geschwindigkeit der Schildkröte und die verstrichene Zeit ist. Es wird die -Koordinate des Schnittpunkts von und gesucht. Durch Gleichsetzen beider Gleichungen, Umformung auf und Einsetzen von in eine der beiden Gleichungen erhält man . Der Wert ist endlich; Achilles wird die Schildkröte also doch einholen (womit sich das scheinbare Paradoxon auflöst). Wird diese Lösung mit derjenigen von oben verglichen, so findet man

wobei im letzten Schritt auf beiden Seiten durch geteilt und die Variable , mit , eingeführt wurde.

Verallgemeinerungen und Varianten

Endliche Summenformeln

  • Die Partialsumme
hat für das Ergebnis
und für (vgl. Gaußsche Summenformel)
.
Die so entstehenden Werte werden Dreieckszahlen genannt. Diese Formel ergibt sich auch aus der Formel für (mit zweifacher Anwendung der Regel von de L’Hospital) als deren Grenzwert für .
  • Die Partialsumme
hat für das Ergebnis
und für (vgl. Potenzsummen)
Die auf die nun genannte Weise entstehenden Werte werden Quadratische Pyramidalzahlen genannt.

Die Dreieckszahlen und die Quadratischen Pyramidalzahlen bilden die ersten Spezialfälle zu den Faulhabersche Formeln, welche von Johannes Faulhaber entdeckt wurden.

Verwandte Potenzreihen und spezielle Funktionen

Mittels der Euler-Polynome kann die Reihe auch für beliebige direkt angegeben werden.

Allgemein stellt diese Variante für die Definition des Polylogarithmus dar:

Banach-Algebren

Die geometrische Summenformel ist sogar in jeder Banach-Algebra gültig, solange die Norm von kleiner als Eins ist; im Kontext linearer Operatoren spricht man auch von der Neumann-Reihe.

Siehe auch

Literatur

Commons: Geometric series – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis 1. 3. Auflage. Basel/Boston/Berlin 2006, S. 196.
  2. Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis 1. 3. Auflage. Basel/Boston/Berlin 2006, S. 196–197.
  3. Roger B. Nelsen: Beweise ohne Worte, Deutschsprachige Ausgabe herausgegeben von Nicola Oswald, Springer Spektrum, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016, ISBN 978-3-662-50330-0, Seite 180
  4. Mathematics Magazine, vol. 72, no. 1 (Feb. 1999), S. 63
  5. Roger B. Nelsen: Beweise ohne Worte, Deutschsprachige Ausgabe herausgegeben von Nicola Oswald, Springer Spektrum, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016, ISBN 978-3-662-50330-0, Seite 186
  6. Mathematics Magazine, vol. 62, no. 5 (Dec. 1989), S. 332–333.
  7. vgl. Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis 1. 3. Auflage. Basel/Boston/Berlin 2006, S. 200.
  8. Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis 1. 3. Auflage. Basel/Boston/Berlin 2006, S. 200–201.
  9. Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis 1. 3. Auflage. Basel/Boston/Berlin 2006, S. 204.
  10. Richard Isaac: The Pleasures of Probability. New York 1995, S. 104.
  11. Richard Isaac: The Pleasures of Probability. New York 1995, S. 107.
  12. Eberhard Freitag, Rolf Busam: Funktionentheorie 1, 4. Auflage, Berlin Heidelberg 2006, S. 104.
  13. a b Reinhold Remmert, Georg Schumacher: Funktionentheorie 1, 5. Auflage, Springer, S. 189.
  14. Reinhold Remmert, Georg Schumacher: Funktionentheorie 1, 5. Auflage, Springer, S. 190.
  15. Tilo Arens, Frank Hettich, Christian Karpfinger, Ulrich Kockelhorn, Klaus Lichtenegger, Hellmuth Stachel: Mathematik. 5. Auflage, Berlin/Heidelberg 2022, S. 180–181.