Feldenkrais-Methode

Moshé Feldenkrais (1978)

Die Feldenkrais-Methode ist ein körperorientiertes, pädagogisches Verfahren, welches nach seinem Begründer Moshé Feldenkrais (1904–1984) benannt ist. Feldenkrais nahm an, dass sich durch die Schulung der kinästhetischen und propriozeptiven Selbstwahrnehmung grundlegende menschliche Funktionen verbessern und Schmerzen reduzieren lassen würden, und dies allgemein zu als leichter und angenehmer empfundenen Bewegungen führen würde. Dabei orientiert sich die Feldenkrais-Methode am so genannten „organischen Lernen“ wie es in der Entwicklung vom Baby zum Kleinkind stattfindet und von dem Feldenkrais aufgrund seiner Beobachtungen und Studien annahm, dass sich dieses Lernen auch über die Kindheit hinaus fortsetzen lässt. (Siehe auch „Neuronale Plastizität“).

Feldenkrais entwickelte seine Methode in zwei unterschiedlichen Techniken, die er „Funktionale Integration“ (engl. Functional Integration) und „Bewusstheit durch Bewegung“ (engl. Awareness through Movement) nannte. Funktionale Integration kann als eine Interaktion zwischen „Lehrer“ und „Schüler“ beschrieben werden, die häufig nonverbal auf der körperlichen Ebene stattfindet. „Bewusstheit durch Bewegung“ wird dagegen in Gruppen unterrichtet, wobei der „Lehrer“ die „Schüler“ verbal durch strukturierte Bewegungsexperimente führt und deren Aufmerksamkeit durch Wahrnehmungsfragen lenkt.

Der Begründer

Moshé Feldenkrais hatte einen Abschluss als Ingénieur. Im Anschluss daran studierte er im ersten Jahrgang, der erstmals auch zu einem Ingénieur Docteur führen sollte. Diesen Abschnitt seines Studiums konnte er kriegsbedingt nicht vollenden, da er aus Frankreich fliehen musste. Erst nach Kriegsende in den Jahren 1946/1947 erlangte er den Grad eines Ingénieur Docteur der Universität Sorbonne. Daneben war er 20 Jahre lang auch Judolehrer. Er war Mitbegründer des Jiu-Jitsu Club de France, des ersten Judo-Clubs in Europa. Feldenkrais schrieb mehrere Bücher über Judo und Jiu-Jitsu, wovon das letzte,[1] – so sein Lehrer Koizumi – bereits zeigt, dass er Judo als Wissenschaftler begriff. Koizumi schreibt: „He has studied and analysed Judo as a scientist in the light of the laws of physics, physiology and psychology […] and he reports the results to the scientific mind of our time.“ (S. vii).

Nach der Kriegserklärung Frankreichs an Deutschland im Jahr 1939 war Feldenkrais Teil der Mannschaft, welche 1940 Forschungsunterlagen und Schwerwasservorräte der französischen Atomforschung von Frankreich nach England verbrachte, um sie in Sicherheit zu bringen. In Schottland arbeitete er während des Krieges als Ingenieur mit anderen für die Entwicklung von Militärtechnik der britischen Admiralität. Um sich die Zeit zu vertreiben, informierten die Mitarbeiter einander in Vortragsabenden über die Themen, mit denen sie sich beschäftigten. In diesem Rahmen hielt auch Feldenkrais Vorträge, in denen er „einen neuen Ansatz [propagiert], das menschliche Gehirn anzuregen und weiterzuentwickeln und zwar durch Arbeit und Selbsterfahrung mittels dem Experimentieren mit langsam aufeinander aufbauenden Abfolgen von Bewegungsmustern. er begründete seine Thesen mit neurophysiologischen Forschungsergebnissen. Seine Beispiele reichen vom menschlichen Lernen, über die Rolle der Schwerkraft, der Entstehung der Angst, von menschlicher Sexualität bis zur besonderen Rolle des Gleichgewichtsorgans und zu einem neuen Begriff menschlicher Reife.“[2] Diese Vorträge veröffentlichte Feldenkrais 1949 unter dem Titel Body and Mature Behavior. A Study of Anxiety, Sex, Gravitation, and Learning. Spätestens ab diesem Zeitpunkt begann Feldenkrais, seine eigene Methode systematisch zu entwickeln. Der Vergleich zwischen Higher Judo: Groundwork und Body and Mature Behavior zeigt deutlich den Bezug der Methode zum Judo, offenbart aber auch den Grad an Generalisierung, mit dem Feldenkrais dieses aus seinem spezifischen Kontext loslöste und verallgemeinerte.

Feldenkrais nahm drei Wochen Unterricht bei Heinrich Jacoby, der über ihn notierte: „Trotz großer körperlicher Gewandtheit, Kraft, Courage repräsentiert Dr. F. weder in seiner Sprechweise noch in seiner Bewegungsqualität das, was er ‘theoretisch’ als wünschenswert formuliert. (…) Aber er ist sehr bereit, das selber zuzugestehen, bereit, zu probieren und infrage zu stellen.“ Feldenkrais beschrieb seine Begegnung mit Jacoby ähnlich offen: „Ich war ein Athlet von einigem Ruf und kräftig gebaut. Jacoby war ein kleiner, beinahe schmächtiger Mann, der, wie er mir erzählte, erst im Alter von sieben Jahren gehen gelernt hatte. Er war bucklig, bewegte sich aber mit großer Anmut.“[3]

Methode

Die Methode basiert auf Judo, auf der künstlerischen Körperschulung der 1920er Jahre sowie auf Erkenntnissen der manuellen Medizin. Im Mittelpunkt stehen Bewegungsmuster, die den Lebensalltag eines Menschen prägen, und die Möglichkeiten, diese angemessen zu variieren. Sie soll den Menschen befähigen, über die Wahrnehmung von Bewegungsabläufen seine Bewusstheit zu erweitern und größere sensomotorische Differenziertheit zu erlangen. Nachteilige Bewegungsmuster sollen gelöst und neue Bewegungsalternativen aufgezeigt werden. Auf diese Weise soll er schließlich besser erkennen und verstehen können, wie er sich selbst wahrnimmt und im täglichen Leben organisiert. Beschwerden werden zu entsprechenden Bewegungsmustern zurückverfolgt und Defizite möglichst durch andere, neu erkannte Bewegungsmöglichkeiten überbrückt. Indem sich der Lernende über das eigene Tun bewusst wird, entsteht neue Beweglichkeit für Körper und Geist.

Die Methode findet insbesondere zur Wiedererlangung der vollen Mobilität nach Verletzungen in der Rehabilitation und beim Abbau von fehlhaltungsbedingten Schmerzen Anwendung. Ihrem Konzept nach können jedoch Menschen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen von ihren Möglichkeiten profitieren. Sie soll geistige und körperliche Frische bis ins hohe Alter erhalten helfen. Auch kann sie beispielsweise für Musiker, Tänzer, Sportler und andere an Bewegung Interessierte von Nutzen sein.[4]

Moshé Feldenkrais ging davon aus, dass menschliches Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Bewegen niemals isoliert anzutreffen sind, sondern gemeinsame „Zutaten“ menschlichen Handelns seien. Entscheidende Idee für ihn war die menschliche Fähigkeit zur Selbsterziehung, einer Erziehung, die nicht durch äußere gesellschaftliche Umstände bedingt ist, sondern von den Wünschen und Möglichkeiten des Individuums ausgeht. Die Fähigkeit des Menschen der Selbstreflexion, also sich über das, was man tut, bewusst zu sein, bezeichnete M. Feldenkrais als Bewusstheit. Bewusstsein wäre demzufolge die Wahrnehmung seiner Selbst in zeitlicher und räumlicher Orientierung, der Schlaf hingegen das Lösen des Bewusstseins aus der räumlichen und zeitlichen Struktur.

Moshé Feldenkrais ging davon aus, dass ein Mensch nach dem Bild handelt, das er sich von sich macht und dass dieses Bild essentiell mit seiner Bewegungserfahrung verknüpft sei. Er sagt, dass dieses Bild („self image“) teils ererbt, teils anerzogen und zu einem dritten Teil durch Selbsterziehung zustande kommt. Wenn nun jemand das Bedürfnis hat, sein Handeln zu ändern, z. B. um größere sportliche oder künstlerische Leistungen zu erzielen oder auch, um schmerzerzeugende oder sonst wie schädliche Handlungsmuster zu ändern bzw. alternative Handlungsmuster zu finden, dann muss dieses Bild von sich selbst geändert bzw. erweitert werden.

Um das erzielen zu können, entwickelte Moshé Feldenkrais, aufbauend aus seiner jahrzehntelangen Arbeit als Judolehrer, ein pädagogisches Konzept des Lernens durch Selbstbeobachtung und Veränderung von Bewegung. Dabei handelt es sich nicht um Körperübungen im herkömmlichen Sinn, sondern um langsam und ruhig ausgeführte Bewegungsabfolgen, die in kleinen Schritten aufeinander aufbauen und zum Ausprobieren und Lernen einladen.

In der Praxis kann das auf zwei verschiedene Arten unterrichtet werden: Als Anleitung von Gruppen verbal („Bewusstheit durch Bewegung“) und als Einzelarbeit eher nonverbal, mittels Berührung ausgeführter Bewegungsfolgen. Diese Einzelarbeit betont den Aspekt der Erfahrbarkeit, des Verständnisses, der Veränderbarkeit und Integration lokaler, regionaler und globaler Bewegungsmuster (funktionale Integration). Er erarbeitete eine umfangreiche Sammlung von Lektionen (über 1000), die er selbst ständig neu ausprobierte und überarbeitete, da er sich selbst immer als Lernender im Dialog mit seinen Klienten begriffen hat.

Sein Credo war die Vorstellung, dass es nicht darauf ankomme, was man tue, sondern wie man etwas tue. Dieses "wie" kann erfahrbar gemacht, hinterfragt und verändert werden. Als Methode der Selbstbefähigung ist dies ein offenes Lernkonzept, das in allen Lebensbereichen angewandt werden kann. Im Bereich der Körperarbeit war ihm wichtig, dass Sprache weitgehend zurückgenommen oder gar nicht eingesetzt wird, damit der Körper in seiner eigenen Sprache, nämlich der Selbstwahrnehmung von Bewegung, sich verstehen, mit sich experimentieren und lernen kann. Da die Methode ein offenes Lernkonzept für alle Beteiligten darstellt, gilt der Lernprozess immer sowohl für den Klienten, wie auch den Lehrer. Die durch Mitschriften und Videoaufzeichnungen dokumentierten Lektionen und Fallbeispiele sind daher keine Blaupausen, sondern die Vorgehensweise muss immer an die Bedürfnisse der Klienten und die eigene Erfahrung des Lehrers angepasst werden.

Ziel ist es, die Elemente Bewegung, Sinnesempfindung, Gefühl und Denken über das Element Bewegung zu verändern und zu entwickeln.

Varianten

Die Methode wird von ausgebildeten Feldenkrais-Lehrern in Gruppen- und Einzelunterricht gelehrt.

  • Der Gruppenunterricht (Bewusstheit durch Bewegung genannt) führt dabei verbal angeleitet durch eine Folge von einzelnen oft kleinen, einfachen Bewegungen, die von Wahrnehmungshinweisen auf einzelne Details der Bewegung begleitet werden. Häufig fügen sich die einzelnen Details zum Ende einer Lektion zu einer größeren Bewegung zusammen, die üblicherweise dadurch mit mehr Leichtigkeit und weniger Anstrengung ausgeführt werden kann.
  • Die Einzelarbeit (Funktionale Integration) bedient sich leichter, präziser Berührung als Mittel der unmittelbaren körperlichen Kommunikation anstelle der Sprache und ermöglicht das Erspüren von Bewegungszusammenhängen und das effizientere Zusammenspiel der an einer Bewegung beteiligten Einzelkomponenten. Eine solche Unterrichtseinheit kann gezielt auf einzelne, vom Lernenden eingebrachte Aspekte ausgerichtet sein, oder ein umfassenderes Ziel verfolgen.

Feldenkraisunterricht wird in vielen Bereichen verwendet:

  • Gesundheitsvorsorge, Verletzungsvorbeugung, Schmerzbewältigung
  • Arbeit mit Behinderten
  • Rehabilitation (z. B. nach Unfällen, Knochenbrüchen, Tinnitus, neurologischen Erkrankungen)
  • Tanz, Theater, Musik, Kunst
  • Kampfkünste, Sport.

Kontext

Bei der Entwicklung seiner Methode wurde Feldenkrais unter anderem von Gustav Fechner, Frederick Matthias Alexander, Gerda Alexander, Georges I. Gurdjieff, Émile Coué, Milton Erickson, William Bates, Milton Trager, Heinrich Jacoby, Kanō Jigorō und Mikinosuke Kawaishi beeinflusst. Neuere Bewegungs- und Wahrnehmungskonzepte wie Semota basieren ebenfalls auf theoretischen Grundlagen der Feldenkraispädagogik.

Da sich die Methode nur teilweise als Therapierichtung begreift und ein komplexes Menschenbild zugrunde legt, stellt sich zudem die Frage nach angemessenen Beurteilungskriterien und einer entsprechenden Methodologie. In verschiedenen medizinischen Feldern (z. B. in der Rehabilitation, in psychosomatischen Kliniken wie auch in der Traumatherapie) unterstützen Feldenkrais-Pädagogen die Heilung. Sensomotorisches Lernen geschieht hierbei durch Bewusstwerden von Bewegungsabläufen.

Wissenschaftliche Untersuchungen konnten die therapeutisch vorhergesagten Wirkungen nur teilweise belegen.[5][6]

Studienlage

  • S. Hillier, A. Worley: The effectiveness of the feldenkrais method: a systematic review of the evidence. In: Evidence-based Complementary and Alternative Medicine. Band 2015, 2015, S. 752160, doi:10.1155/2015/752160, PMID 25949266, PMC 4408630 (freier Volltext) (Review).

Primärliteratur

  • Moshé Feldenkrais: Higher Judo. Groundwork. 1952, 2010, ISBN 978-1-55643-927-8.
  • Moshé Feldenkrais: Bewusstheit durch Bewegung. 1968, ISBN 3-518-06929-2.
  • Moshé Feldenkrais: Abenteuer im Dschungel des Gehirns. Der Fall Doris. 1977, ISBN 3-518-37163-0.
  • Moshé Feldenkrais: Die Entdeckung des Selbstverständlichen. 1981, ISBN 3-518-37940-2.
  • Moshé Feldenkrais: Das starke Selbst. 1985.
  • Moshé Feldenkrais: Der Weg zum reifen Selbst. Phänomene menschlichen Verhaltens. 1995, ISBN 3-87387-126-2.
  • Moshé Feldenkrais: Verkörperte Weisheit. Gesammelte Schriften. 2013, ISBN 978-3-456-85268-3.

Sekundärliteratur

  • Jeremy Krauss: Einfach bewegen: Feldenkrais – Der Weg zur Verbesserung von Bewegung und Beweglichkeit. Junfermann 1996.
  • Roger Russell (Hrsg.): Feldenkrais im Überblick. Junfermann, 2004.
  • Norbert Klinkenberg: Feldenkrais-Pädagogik und Körperverhaltenstherapie. Loeper, 2005.
  • Roger Russell: Dem Schmerz den Rücken kehren: Die kluge Lösung für Rückenschmerzen. Die Feldenkrais-Methode in der Praxis. Junfermann, 2005.
  • Carl Ginsburg: The Intelligence of Moving Bodies: A Somatic View of Life and its Consequences. AWAREing Press, 2010.
  • Carola Bleis: Feldenkrais. BLV, 2011, ISBN 978-3-8354-0741-1.
  • Wolfgang Busch: Feldenkrais und Psychosomatik. Auswirkungen der Feldenkraismethode -- Bewusstheit durch Bewegung -- unter besonderer Berücksichtigung psychosomatischer Aspekte. Dissertation. BoD, 2011, ISBN 978-3-8423-4606-2.
  • Christian Buckard: Moshé Feldenkrais. Der Mensch hinter der Methode. Berlin Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-8270-1238-8.

Einzelnachweise

  1. Higher Judo: Groundwork (Memento vom 11. November 2013 im Internet Archive), North Atlantic Books, 2010.
  2. Zitiert nach Robert Schleip: somatics.de Vorwort zu M. Feldenkrais: Der Weg zum reifen Selbst (orig. Body and Mature Behavior)
  3. Die Entdeckung des Selbstverständlichen, S. 34.
  4. Vgl. Arnd Krüger: Geschichte der Bewegungstherapie. In: Präventivmedizin. Springer Loseblatt Sammlung, Heidelberg 1999, 07.06, S. 1–22.
  5. G. M. Gutman, C. P. Herbert, S. R. Brown: Feldenkrais versus conventional exercises for the elderly. In: J Gerontol. 32, 1977, S. 562–572.
  6. M. James, G. Kolt, J. McConville, P. Bate: The effects of a Feldenkrais program and relaxation procedures on hamstring length. In: Aust J Physiother. 44, 1998, S. 49–54.