Benutzer:Isa.Oberlaender/Pyroskop

Das Wort Pyroskop kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet "Feuerschauer". Es handelt es sich um eine Art der Camera Lucida und ist ein wissenschaftliches Instrument zur genauen Bestimmung von Brandherden. Ein Beispiel für ein Pyroskop ist das von Carl August von Steinheit gefertigte Objekt, das sich in Verbindung einer zwölfteiligen Panoramazeichnung Gustav Seebergers in den Jahren 1841–1848 auf dem Turm von St. Peter in München montiert befand.

Aktueller Forschungsstand und Literaturbericht

Um den aktuellen Stand der Forschung zum Pyroskop von Carl August von Steinheil zu beschreiben, muss zunächst auf die derzeitige Literatursituation eingegangen werden. Vorab lässt sich sagen, dass Forschern nur wenige Hinweise auf das Instrument sowie zur zugehörigen Panoramazeichnung Gustav Seebergers zur Verfügung stehen. Lediglich zu Steinheils Vita in Bezug auf seine Erfindungen sind Details bekannt, wobei jedoch dem Pyroskop eine untergeordnete Rolle zugeteilt wird. Eine weitere Literaturquelle stellt der Ausstellungskatalog des Münchner Stadtmuseums dar, in welchem das Gerät und zwei dazugehörige Panoramazeichnungen auf Steinplatten ausgestellt sind. Allerdings lässt die visuelle Darstellungsweise des Arrangements vor Ort auf eine mangelhafte Forschungssituation schließen. Zwar befindet sich die Peterskirche, der einstige Wirkungsort des Pyroskops, seit jeher im Epizentrum des städtischen Treibens Münchens, in Bezug auf die Situierung des Gerätes und der Panoramasteinplatten in der Ausstellung „Typisch München“ trifft dies dementgegen nicht zu: Zusammengeballt mit einigen weiteren Objekten zum Thema „Brandschutz in München durch visuelle Mittel“ befindet sich das Original im hinteren Eck des vierten Raumes der Ausstellungsfläche, wo es leicht übersehen wird.  Bei genauerer Erforschung der jeweiligen bereitgestellten Audiokommentare für Kinder sowie für Erwachsene, fällt auf, dass es sich um eine vorgelesene Version des Textes des Ausstellungskatalogs handelt, anstatt Zusatzinformationen zu geben. Dies verdeutlicht die Dringlichkeit, weitere Nachforschungen zu dieser Erfindung Steinheils anzuleiten und somit diese einzigartige Verschränkung von damals neuartigen Erkenntnissen aus den Bereichen Kunst und Naturwissenschaft aus seinem Dornröschenschlaf zu erwecken.

Aufgrund der unzureichenden Quellensituation wurden für diesen Artikel Dokumente aus erster Hand in Form von Archivalien zu Rate gezogen. Diese Art der Recherche erfordert zwar neben Geduld viel Zeit und einiges an Feingefühl, im besten Falle erfolgt jedoch nach Wochen der Beharrlichkeit die Belohnung in Form von neuen, bisher unbeachteten Informationen. Als Hauptquelle und gleichsam als Schlüsselwerk dient das Originaldokument einer Schrift Steinheils für die bayerische Akademie der Wissenschaften aus dem Jahre 1848. Jene „Beschreibung des Steinheil’schen Pyroskops zur Ermittlung des Ortes einer Brandstätte, wie es für die Feuerwehr auf dem St. Petersthurme in München ausgeführt ist“ unterstreicht mit einer Fülle an Informationen die technisch- kunstvolle Raffinesse des Gerätes, welche anhand dieses Artikels wieder in den wissenschaftlichen Fokus gesetzt werden soll.

Wie genau funktionierte das Pyroskop und inwiefern wirkte sich diese neu entdeckte Kunstform der Panoramazeichnung auf seine Präzision aus? Bot sie möglicherweise eine neuartige visuelle Erlebbarkeit des in der frühen Neuzeit viel beschriebenen Turmerlebnisses, sprich Landschaft durch eine erhöhte Position für die Sinne erfahrbar zu machen?

Die Quellenforschung zu Gustav Seeberger und seinem Schaffen als Panoramazeichner erweist sich als noch schwieriger. Ungeachtet seiner zentralen Bedeutung für die Funktionsweise des Pyroskops, findet sich lediglich im seit über 30 Jahren nicht aktualisierten Werk „Münchner Malerei im 19. Jahrhundert“ von Ludwig Horst u. a. ein kurzer Eintrag zu Seeberger. Sowohl online als auch in sämtlichen Archiven der Stadt fristet der Künstler ein Dasein als unbekanntes Genie ohne Spur. Die bestärkt die Annahme, dass das Pyroskop mit seiner Entfernung vom Petersturm ebenfalls aus dem kulturellem Gedächtnis Münchens gelöscht wurde. Es gilt, jene beschriebenen schwarzen Flecken kunsthistorischer Forschung zu beleuchten.

Im Gegensatz dazu findet sich eine Reihe von Werken zum Erforschen fotografischer Panoramaformen. Um einen visuellen Vergleich zu ermöglichen, wurden im Münchner Stadtmuseum vor Ort das Pyroskop sowie die benachbarten Originale des ersten Fotopanoramas der Stadt München und Seebergers Zeichnungen präzise unter die Lupe genommen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Stadt München in der Literatur nur als Gastgeber verschiedener Panoramaausstellungen fungierte, sodass die im Stadtmuseum zu besichtigende fotografisch hergestellte 360 Grad Ansicht weder archivarisch noch in der Literatur beschrieben wird.

Aus dem beschriebenen aktuellen Forschungsstand und den grundsätzlichen genannten Fragen zum Thema Carl August von Steinheils Pyroskop generiert sich die Frage nach der visuellen Effizienz des aus Gerät und Panoramazeichnung bestehenden Ensembles. Des Weiteren wird die Gegenüberstellung des gezeichneten Panoramas mit jenem aus dem Bereich Fotografie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser beiden Kunstformen aufzeigen.

Das Pyroskop von Steinheil als visuelles effizientes Optikinstrument: Seebergers Panoramazeichnung im Vergleich zur ersten fotografischen Panoramaaufnahme Münchens

Ein elementares Hilfsmittel zur Flächenbrandverhütung: Steinheils Pyroskop

Bereits seit seiner Gründung im Jahre 1158 sind Brände ein schwerwiegender Einschnitt in die Stadtgeschichte Münchens.[1] Der rasche Bevölkerungszuwachs war neben der engen Bebauung mit Holzhäusern nur einer der Risikofaktoren für großflächige Feuer. Ab dem Jahre 1319 versuchte die Stadtverwaltung anhand der Platzierung von Spähern auf erhöhten Bauwerken wie Kirchtürmen, Feuerstellen schnell zu erkennen und somit Flächenbrände zu verhüten. Ab dem ausgehenden 17. Jahrhundert verfasste die Verwaltung Münchens regelmäßig aktualisierte Feuerlöschordnungen, in welcher sich unter anderem spezifische Bestimmungen für den Turmwächter des Alten Peters finden lassen. Ab 1805 musste der Türmer beispielsweise seine Anwesenheit und Wachsamkeit bekunden, indem er zweimal täglich mit zweierlei Hörnern gen drei Seiten der Stadt verschiedene Musikstücke blies. Sobald der Späher einen Brand gesichtet hatte, brachte er nachts eine Laterne in Richtung des Feuers an der Turmbrüstung an. Tagsüber erfüllten rote Feuerfahnen für links der Isar lokalisierte Brände sowie grüne Banner für die rechte Flussseite diesen Signalzweck. Im Falle eines Infernos in der königlichen Residenz war dies in doppelter Version auszuführen, um die Dringlichkeit der Lage weithin sichtbar zu machen. Anschließend läutete der Türmer Sturm und blies in späteren Jahren durch ein Feuerrohr, um die Brandwache zu verständigen, welche am Fuße des Petersturms situiert war.[2]

Die neue Stadtplanung des Kurfürsten Carl Theodor hatte ein massives Bevölkerungswachstum sowie eine rasche Ausdehnung der Stadt zur Folge. München wuchs weit über die Stadtmauern hinaus und entwickelte sich zu einem der größten Ballungsräume Europas.[3] Diese Verhältnisse stellten neue Ansprüche an den Personenschutz und den damit einhergehenden Brandschutz. Es drängten sich Fragen nach neuen Mitteln des Feuermeldens auf, welche die Optik vor nie dagewesene Herausforderungen stellte. Der Alte Peter sollte, ebenso wie der Türmer, auch in diesem Zeitabschnitt eine zentrale Rolle in der Geschichte der Flächenbrandverhütung einnehmen.[4]

Der 1801 in Rappoltsweiler im Elsass geborene Physiker und Optiker Dr. Carl August von Steinheil nahm sich der Aufgabe an, ein Instrument für diesen Zweck auszutüfteln. Seine Erfahrungen als Astronom und Professor für Physik an der technischen Universität in München sollten ihm dabei von immensem Nutzen sein. Spätestens die Entwicklung einer neuen Abbildungsmethode durch Steinheil ließ ihn zum Genie aufsteigen. Bereits vier Monate vor Daguerre veröffentlichte er eine Schrift zum fotographischen Verfahren und fertigte mit Hilfe der Camera Obscura, einem Vorläufer der heutigen Fotokamera, erste Aufnahmen Münchens an.

Die Entwicklung der Fotografie durch Steinheil ist ein erstes Beispiel für das Zusammenspiel von Kunst und Wissenschaft, da sich das Verfahren optischer Mittel bedient, um eine künstlerische Darstellung zu erzeugen und inspirierte den Wissenschaftler ebenso wie die Camera Lucida von Wollaston zum Entwerfen naturgetreuer Umrisse.[5]

Im Jahre 1841 gelang Steinheil anhand der genannten Grundlagen im Auftrag Ludwigs I. die Konstruktion des nach dem aus dem Altgriechischen "Feuerschauer" benannten Pyroskops, eines Ensembles der Rubriken Kunst und physikalischer Optik, welches der Forscher zwei Jahre später Rahmen der Abhandlungen der Mathematisch-Physikalischen Klasse der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften vorstellte.[6] In seinem Aufsatz beschrieb von Steinheil jedes noch so kleine Detail von der Konstruktion bis zur Anfertigung des Gerätes, mit welchem Feuerherde auf weite Distanz hin bestimmt werden konnten, selbst in der weitläufigen Umgebung der Großstadt München.[7] Die Meinung über den Beruf des Türmers war ein zentraler Aspekt der Entwicklung des Pyroskops. Die Artikels, erstellt von Gustav Seeberger, zeigt den Wächter aus einer idealisiert-kitschigen Perspektive. Es sind die visualisierten Kindheitserinnerungen Ferdinand von Millers, welcher den Turmwächter Sonnenhofer als braven, klugen alten Mann beschreibt, mit welchem Miller Zeit in der Wachstube verbringt, um den aufsteigenden Rauch zu beobachten. In seiner Schrift schildert Steinheil jedoch ein anderes, weitaus geläufigeres Bild dieser Berufsgruppe: Nachdem er eine Idee zur Brandherdbestimmung aus der Astronomie und Mechanik schildert, welche in Österreich bereits praktiziert wurden, winkt er die Umsetzung dieser Einfälle in München aufgrund der vermeintlichen Unfähigkeit der Türmer mit folgendem Zitat ab:[8]

„Alle diese Lösungen wären im Grunde gleich gut, wenn nicht die Aufgabe mit einer ganz eigenthümlichen Schwierigkeit zu kämpfen hätte: Diese Schwierigkeit liegt nicht etwa im Problem, sondern in der geringen Intelligenz und Geschicklichkeit, die man bei dem Beobachter- dem Feuerwächter- voraussetzen darf.“[9]

Dies beweist die mangelnde Anerkennung und das Misstrauen der breiten Bevölkerung gegenüber den Türmern, obwohl die Wachposten seit jeher nicht nur metaphorisch im übertragenen Sinne, sondern buchstäblich an der Spitze des Katastrophenschutzes standen. Es handelte sich den Quellen zufolge oftmals um Webergesellen mit schlechtem Orientierungsvermögen.[10] Auf diese Eigenschaft zielt von Steinheil im genannten Aufsatz ab. Das Zitat beschreibt sie als unterbelichtete (unzurechnungsfähige) Stümper, welche sich nicht zur Arbeit mit komplizierter Apparatur eignen. Um dem entgegenzuwirken, musste die neue Einrichtung zur Feuererkennung möglichst bequem zu bedienen und dabei trotzdem genau sein, damit Geschicklichkeit zu einer unnötigen Tugend gemacht wird.[11]

All diese Bedingungen wurden vom Pyroskop erfüllt indem es einfach zu bedienen war und eine hohe Trefferquote aufwies.[12] Wie auf der Abbildung zu erkennen ist, hatte der Erfinder bei der Konstruktion sämtliche Eventualitäten bedacht. Beim Pyroskop handelt sich um eine Camera Lucida, bestehend aus einer Art verkürztem Fernrohr, also einem Kasten zum hindurchsehen, welches eine bifokale Linse und ein vierseitiges Glasprisma enthält. Diese Bestandteile sollten möglichst nah beieinanderliegen, um eine verzerrte Wahrnehmung auszuschließen, jedoch nicht so nah, dass sie sich berühren und somit gegenseitig beschädigen könnten. Das Prisma ist durch ein durch Drehung verstellbares Brillenglas geschützt, damit auch Personen mit Sehschwäche das Gerät bedienen können. Der gesamte Kasten ist auf einem unregelmäßig, also asymmetrisch pyramidal zusammengesetztem belastbarem Eisenblechgestell montiert, welcher wiederum auf der rechten Seite eine rechteckige Aussparung aufweist. Linkerhand findet sich hingegen eine Hebelvorrichtung zum Justieren des bifokalen Glasprismas. An der hinteren Seite verleiht ein bogenförmiges Verbindungsstück zusätzlich Stabilität. Für einen sicheren Stand sorgen vier zylindrische Metallabschlüsse. Damit das Gerät auch nachts verwendet werden kann, verfügt das Pyroskop über eine Lampe mit einem Reflektor, welcher eine optimale Lichtstreuung garantiert.[13]

Von Steinheil beschreibt des Weiteren einen Ring aus Messing, welcher den runden Guckdeckel des Apparates umschlossen hatte. Dieser war mit schwarzem Samt bespannt, wobei der Flor des Stoffes nach innen zeigen sollte, um eine Verzerrung des bifokalen Bildes durch Lichteinfall von außen zu eliminieren.[14] Der Überzug ist jedoch aus konservatorischen Gründen nicht mehr am Objekt vorhanden.

Das Gerät ruhte sicher auf einer exakten deckungsgleichen Panoramaansicht Münchens auf Stein. Die Anwendung des Pyroskops erwies sich als unkompliziert und einwandfrei praktikabel. Sah der Wächter durch das Loch im Deckel, bot sich ihm ein bifokales Bild, das heißt eine Ansicht mit zwei Brennpunkten, ähnlich dem einer Gleitsichtbrille. Im oberen Teil der Linse konnte nun das Feuer vom Auge anvisiert werden, welches nun als Lichtprojektion im unteren Teil auf den Steinplatten exakt zu verorten war.[15]

Aufgrund der hohen technischen sowie künstlerischen Ansprüche an die Panoramaansicht der Stadt München plädiert Steinheil für einen Künstler mit beachtlicher Erfahrung in dieser Kunstform. Die Wahl fällt auf Gustav Seeberger, einen am 1812 in Marktredwitz geborenen Lithographen und Maler. Nach seiner Ausbildung an der Kunstschule in Nürnberg bei dem Kupferstecher Albert Reindel besuchte er die Malklasse der Akademie Münchens bis 1835, um dort 5 Jahre Später eine Lehrstelle anzutreten. Bis zu seinem Ruhestand übte er an der Akademie der bildenden Künste eine Professur für Perspektive aus.[16] Seine kleinformatigen und perspektivisch hochkomplexen Öl- und Aquarellgemälde, bevorzugt architektonische Darstellungen, qualifizierten Seeberger für die Anfertigung des Münchenpanoramas für von Steinheils Pyroskop.[17]

Seebergers Panoramazeichnung

Bevor die zuvor entworfene Panoramazeichnung auf den zwei Zoll, also etwa fünf Zentimeter starken Platten aus Solnhofener Kalkstein angebracht werden konnte, wurden diese geschliffen, damit sie eine vollständig ebene Fläche boten und keinerlei Unebenheiten aufwiesen. Anschließend wurde jeweils an den Seitenrändern eine schmale Wasserrinne ausgefräst, um ein Abfließen eventuellen Niederschlags von der Zeichnung zu garantieren, falls diese draußen an der Brüstung angebracht würde. Nachdem das Naturmaterial durch Einölen oder Grundieren optimal auf den nächsten Schritt vorbereitet worden war, konnte Gustav Seeberger mit der Übertragung seiner Entwurfszeichnung beginnen.[18]

Nach der Kolorierung der Zeichnungen wurden die Steinplatten mit vier Löchern versehen, in welche das Pyroskop in stets exakt derselben Position fest anzubringen war. Dadurch wurde nur ein einziges Exemplar des Pyroskops benötigt, um sämtliche Himmelsrichtungen beobachten zu können: Das geringe Gewicht des Instrumentes garantierte seine Mobilität, sodass der Türmer es nur in die jeweiligen Löcher der gewünschten Panoramaansicht stecken musste, um ein Feuer zu orten. [19] Die Löcher sind auf der Abbildung zu erkennen, welche die Originalsteinplatte mit der fertigen Zeichnung darstellt.

Wie auf dem Grundriss der Wächterstube zu sehen ist, bestand die Lokalität auf dem Petersturm aus einer Wohnstube mit vier Fenstern sowie zwei kleinen Kammern zur Aufbewahrung der Brandmelderequisiten wie Fahnen, Horn und Feuerrohr. Von außen wird der gesamte Bereich von einer Galerie umschlossen.

Zum Schutz vor zerstörerischer Witterung rät Steinheil von der Anbringung der Einrichtung an der äußeren Brüstung ab und plädiert stattdessen für eine Befestigung der Panoramakalksteinplatten auf den Fensterbrettern im Inneren, wobei sich wiederum die Wohnstube aufgrund der Beheizung und des umständlich zu öffnenden Doppelfensters als ungeeignet herausstellte.[20] Diese durften beim Hindurchsehen durch die Apparatur auf keinen Fall geschlossen bleiben, da eine Glasscheibe zwischen Ansicht und Auge zu Unkenntlichkeit des Brandherdes zur Folge gehabt hätte.[21] Um die Einrichtung auch bei Wind und Wetter nutzen zu können, wird ein Großteil der Panoramazeichnungen in den Nebenkammern platziert. Um jedoch eine Rundumsicht zu gewährleisten, war die Anbringung zweier Ansichten in der Wohnstube des Türmers unumgänglich.[22]

Die Sicht durch das Pyroskop umspannte diese Camera Lucida etwa 1/6 bis 1/8 der Rundumsicht Münchens, weshalb Steinheil der Genauigkeit halber acht Platten anfertigen ließ. Jede der vier Himmelsrichtungen sollte paarweise mit Panoramaplatten versehen sein, welche sich in einem Winkel von 45 Grad trafen und jeweils einen Abschnitt der Nachbarsequenz mit aufnahmen, um eine lückenlose Ansicht zu garantieren. Somit wird je Paarzeichnung ein Winkel von 60 Grad abgedeckt.[23] Die exakte Ausrichtung der Panoramazeichnungen war von großer Wichtigkeit für die Genauigkeit der Brandherdbestimmung. Nach der sorgfältigen Justierung wurden die Platten mit Blei unterkeilt und anschließend mithilfe von Gips und Kalk fest eingemauert, um eine Verminderung der Deckungsgleichheit von Abbildung und Stadtansicht durch ein Verziehen des Holzfensterbrettes zu verhindern.[24]

Die unbedingt zu erfüllende Eigenschaft der Deckungsgleichheit durch eine präzise Arbeitsweise wird von Steinheil mehrmals betont, sodass auch seine Mahnung nicht überrascht, die Zeichnung solle unbedingt mit einem hervorragend gespitzten Bleistift ausgeführt werden.[25] So könnten zu Fehlern in der späteren Brandherdbestimmung führende Abweichungen zwischen den gezeichneten Sektionen und der Wirklichkeit bereits im Keim erstickt werden. Eine weitere Empfehlung des Wissenschaftlers für die Garantie der Präzision stellte ein Abwechselndes Durchführen der Zeichnungen dar: Er wies den Maler an, stets an jener Stelle die jeweilige Ansicht weiter zu zeichnen, die sich zu einer bestimmten Tageszeit am deutlichsten abzeichnet, zum Beispiel die Ostansicht in der Frühe. Ebenso auf durch hohe Bäume oder andere Gegenstände verdeckte Gebäude war zu achten. Durch den sie im Brandfall umgebenen Lichtkegel sind diese zwar dennoch gut durch das Pyroskop auszumachen, doch durften sie in der Beschriftung der Panoramazeichnung nicht außer Acht gelassen werden.[26]

Nachdem die Panoramazeichnungen auf den Kalksteinplatten mit Hilfe von Ölfarben koloriert worden waren, ging es an die Beschriftung der jeweiligen Ortschaften. Auch hierbei mahnte von Steinheil zu absoluter Präzision, um eine absolute Deckungsgleichheit von Zeichnung und Realität zu garantieren. Demnach ist es kaum verwunderlich, dass der genaueste Atlas der damaligen Zeit, der topographische Atlas des General- Quartiermeister- Stabes für Bayern als Orientierungshilfe diente.[27]

Wie auf den Abbildungen zu erkennen ist, kann man auf der Panoramazeichnung, ähnlich einer Landkarte, alle im Umkreis liegenden Gemeinden und ihre jeweilige Horizontlänge, also Ausdehnung, bestimmen. Auch die Distanz des Stadtteils oder des Dorfes können erkannt werden. Hierfür wurden dafür von Seeberger zuerst horizontale Linien gezogen, welche jeweils einen Abstand von 0,5 Zoll, also circa 1,25 Zentimeter Abstand zueinander aufwiesen und anschließend mit den Ziffern 0-6 beschriftet wurden. Anhand dieser Nummern konnte der Türmer die Abstände in Wegstunden vom Petersturm aus ablesen,[28] wobei der Abstand zwischen zwei Zahlen eine Wegstunde, das heißt eine Strecke von 3,7 km betrug.[29]

Die Striche in senkrechter Richtung weisen auf die jeweilige Ortschaft Münchens, genauer gesagt auf ihren Kirchturm als Zentrum. Nach ausdrücklichem Wunsch Steinheils wurden jedoch auch die nicht mehr zum Stadtgebiet gehörenden Dörfer um München mit aufgenommen, um auch dort Brände erkennen zu können. Ähnlich eines Koordinatensystems konnte anhand des Schnittpunktes der betreffenden Vertikallinie mit der, dem Ortsnamen an nächsten liegenden Horizontallinie, links die Wegestunden abgelesen werden, die für die Ankunft an der Brandstelle benötigt werden. Hierbei wurden alle Beschriftungen im Luftraum der Zeichnung angebracht, um diese nicht zu stören. Unter den Ortsnamen finden sich Horizontlinien mit dickerer Strichstärke, welche die Ausdehnung der Siedlung bezeichnen.[30] Um ein Beispiel zu nennen, ist aus der Zeichnung zu entnehmen, dass der in Sektion VIII (siehe Abb. 15) befindliche Ortsteil Ramersdorf 1 1/6 Wegstunden vom Münchner Stadtzentrum entfernt ist und eine weniger große Ausdehnung aufweist als das sich rechts davon befindliche Perlach.

Ein weiterer wichtiger Punkt war die Darstellung des Isarverlaufs auf der Panoramaansicht, damit die Männer der Feuerwehr nicht durch einen Ablesefehler oder eine Fehleinschätzung des Türmers versehentlich am falschen Flussufer anrückten und somit dem Brand noch mehr Zeit für Zerstörungen gaben.[31] In Sektion II wird die ausgeprägte Krümmung des Wasserlaufes deutlich. Da sich der geschriebene Ortsname Groß- Hesselohe rechts des kaligraphischen Gewässers befindet, ist auch die tatsächliche Siedlung auf jener Isarseite, um nur ein Beispiel zu nennen. Das heißt, das Löschpersonal hatte in jedem Fall eine Brücke zu überqueren, um das Feuer löschen zu können.

Diese Erklärungen unterstreichen wie exakt die Panoramazeichnung auf das Pyroskop und seine Umgebung abgestimmt sein musste. Außerdem wird nun klar, wieso das Instrument asymmetrisch angefertigt wurde und eine Aussparung an der rechten Seite aufweist: Die Bauweise diente dazu, dem rechtshändigen Gustav Seeberger genug Platz zum Zeichnen zu verschaffen, da die Anfertigung im Wechsel mit Kontrollblicken durch das Pyroskop ausgeführt worden war.  Durch diese Camera Lucida wurden die Umrisse aller in der Stadt befindlichen Gebäude und Gegenstände als Projektion angezeigt bevor der Maler sie nachzeichnete.

Seebergers Panorama versus die erste fotografische Rundumsicht Münchens im Hinblick auf die visuelle Effizienz

Wie Steinheil in seiner Danksagung an Seeberger betont, hätte kein geeigneterer Künstler für dieses Projekt gefunden werden können:

„In Bezug auf Sorgfalt in der Ausführung, auf Vollständigkeit und Richtigkeit, endlich auf malerische Schönheit in Darstellung und Haltung verdient der Künstler Herr Seeberger das ihm hier öffentlich ausgesprochene Lob, und gewiss hat diese meisterhafte Ausführung den wesentlichsten Antheil an dem ausgezeichneten Erfolge, welchen die hiesige Vorrichtung bei vielen Gelegenheiten beurkundet hat.“[32]

Dieses Zitat bestätigt die herausragende visuelle Effizienz Seebergers Panoramazeichnung durch akribische Detailtreue und Maßstabskorrektheit. Es wird gelobt, dass die Zeichnungen lückenlos ineinander übergehen, ohne störende perspektivische Umbrüche an den Bildgrenzen zu hinterlassen. Dies ist beim Fotografiepanorama Münchens der Fall, da der Standpunkt des Fotografen nicht angepasst werden kann. Durch die zeichnerische Ausbesserung Seebergers wird die Realität keinesfalls verfälscht. Es handelt sich lediglich um das Ausgleichen optischer Tücken, wie der Erdballkrümmung und die somit leichte stetige Konvexbiegung des Horizonts und beweist umso mehr Seebergers Kunstfertigkeit und Raffinesse im Metier der Architekturmalerei. Nimmt man hier einen ersten Vergleich zum Fotopanorama Münchens auf, fällt jene Konvexbiegung sofort ins Auge, welche eine starke Bildverzerrung und somit eine Verfälschung verursacht.

Auch die, im Gegensatz zur Fotografie, doppelt abgedeckten Schnittbereiche sprechen für die hervorragende Eignung der Zeichnung zur effektiven Brandherdbestimmung, da sie eine Abdeckung von Gebäuden durch andere Gegenstände minimieren. Das bedeutet, selbst wenn Gebäude oder andere Objekte sich in einer Sektion überschneiden, wird das hintere Objekt durch den Perspektivenwechsel in der nächsten Sektion zu sehen sein.

Ein weiterer großer Pluspunkt, nach der technischen Komponente, ist die farbige Ausführung der Panoramazeichnung, welche sehr viel mehr Kontraste sichtbar macht als ein schwarz-weißes Exemplar. Sie führt auch zu einer optisch äußerst ansprechenden Erscheinung mit hohem künstlerischem Wert und immensem Prestige. Hierbei darf der handwerkliche Aspekt nicht vernachlässigt werden, wie die hohe Anzahl an Arbeitsstunden, welche in jedem Pinselstrich stecken. Somit handelt es sich bei Seebergers Panoramazeichnung Münchens nicht nur um ein technisch einwandfreies Werk, sondern auch um ein wertzuschätzendes, unersetzliches Stück Kunstgeschichte.

Trotz allem Lob schlägt Steinheil in seinem Aufsatz vor, für die Zukunft Fotografien statt Zeichnungen für die Brandherdbestimmung mit dem Pyroskop zu verwenden. Diese hätten in einer über die Norm hinausgehenden Größe angefertigt werden sollen und nach ihrer Beschriftung zum Schutz vor schädlichen Umwelteinflüssen vergoldet werden sollen.[33] Damit deutet der Wissenschaftler die Nachteile der gezeichneten Rundumsicht an.

Im Vergleich zur Fotografie ist das Medium Malerei weder zwangsläufig originalgetreu noch schnell reproduzierbar. Das hat zur Folge, dass auch das gezeichnete Panorama über eine vergleichsweise geringe Reichsweite verfügt und somit nicht kommerziell nutzbar ist. Weitere Überlegungen zum Pyroskop hebeln dieses Argument jedoch aus. Steinheil plante zwar Vervielfältigungen für ein solches Ensemble,[34] jedoch hätte durch die spezifische Eignung der Zeichnung für genau einen Standort ohnehin für jedes Pyroskop ein weiteres, standortbezogenes Panorama angefertigt werden müssen. Selbst für einen weiteren Standort, beispielsweise den Turm der Mariahilfkirche in der gleichen Stadt, wäre das Petersturmpanorama nutzlos, da es eine komplett konträre Perspektive anzeigt. Somit spielt der Aspekt der Reproduzierbarkeit zunächst keine große Rolle.

Ein weiterer Aspekt, den Steinheil mit Sicherheit beim Vorschlag, die Malereien durch Fotos zu ersetzen, im Hinterkopf gehabt hatte, war der Zeitfaktor. Obwohl auch die Anfertigung eines „Daguerre’schen Bildes“[35], wie die Fotografie von Steinheil bezeichnet wurde, im 19. Jahrhundert mehrere Stunden in Anspruch nahm,[36] ist dieser Aufwand gering, im Vergleich mit dem Anfertigen einer Panoramazeichnung, die das Produkt monatelanger Arbeit war. Trotz aller Sorgfalt konnte es dabei auch dem besten Maler ein perspektivischer Fehler mit fatalen Folgen unterlaufen.

Ein interessanter Exkurs wäre hierbei die Erforschung Gustav Seebergers mehrteiligen Werks „Grundzüge einer neuen Methode für angewandte Perspektive“, welches seine Erkenntnisse der angewandten Perspektive beinhaltet und für die zukünftige Anfertigung weiterer 360 Grad Ansichten durch andere Maler den Grundstein gelegt hätte.[37]

Demgegenüber stellt sich der erste fotografische Rundumblick Münchens, das sogenannte Böttgerpanorama. 1858 vom Turm des alten Peters aus aufgenommen, umfasst/umspannt es in elf Einzelbildern eine Panoramaansicht von fast viereinhalb Metern Umfang bei 35 Zentimetern Höhe. Es handelt sich um eine Folgeerscheinung der seit den 1820ern angefertigten Panoramazeichnungen Münchens, unter anderem derer Seebergers. Ebenfalls für das Böttgerpanorama spielte von Steinheil eine tragende Rolle, da Georg Böttger den von ihm entwickelten Achromaten für die Aufnahmen verwendet hatte. Bei diesem handelt es sich um ein Weitwinkelobjektiv mit über einem Meter Brennweite, welche für eine hohe Tiefenschärfe sorgt. Als Böttgers Beitrag zum 700jährigen Stadtjubiläum waren die Bilder, edel verpackt, für 30 Reichstaler zu erwerben[38]

Um nun einen optimalen Vergleich mit dem gemalten Panorama zu ermöglichen, soll auf die gemeinsamen Wurzeln eingegangen werden. Erstmals aufgekommen im Jahre 1787 durch Robert Baker in London,[39] wird das Panorama zunächst als Gemälde definiert, welches aus einer Aufreihung von Bildern an der Horizontlinie zusammengesetzt ist und somit eine Rundumsicht abdeckt.[40] Diese fortlaufende und in sich geschlossene Gemäldeserie bedeckte die Innenseite eines nach oben mit einer Kuppel oder einem Dach in Kegelform begrenzten runden Hohlkörpers.[41] Durch die Zusammensetzung von Aufnahmen mit verschiedenen Standpunkten suggeriert das Panorama damals wie heute den Eindruck eines Drehmoments im Bild und schafft die perfekte Illusion.[42] Im 19. Jahrhundert traten auf Jahrmärkten oder im Hause betuchter Bürger Nachfolger der Camera Obscura auf. Die Guckkästen wie beispielsweise das Kaiserpanorama ermöglichten erstmals einer breiten Öffentlichkeit das Erlebnis der optischen Besitznahme von Raum, vergleichbar mit der Virtual Reality Brille des 21.Jahrhunderts. Das heißt beispielsweise, dass sich der Zuschauer, welcher durch die Sehöffnung(en) der Apparatur blickte, seine Wahrnehmungs- und Seh(n)sucht befriedigen konnte, ohne sich tatsächlich zum abgebildeten Ort zu begeben.[43] Besonders beliebt waren Darstellungen exotischer Länder, welche plötzlich durch die suggerierte Räumlichkeit des Guckkastens zum Greifen nah schienen.[44]

Der Guckkasten gilt in der Kunstgeschichte als Vorläufer fotografischer Panoramen.[45] Ähnlich des Pyroskops findet auch bei der Kunstform des Panoramas eine für das 19. Jahrhundert typische Verschränkung von Kunst und Technik statt, welche auf die zahlenden Bürger abzielen.[46] Ebenfalls erfreuten sich in der Kunstrichtung des Fotopanoramas Stadtaufnahmen großer Beliebtheit. Es entstanden Ansichten von Nah und Fern, der Seh-Süchtige flanierte mental von Paris[47] über Jerusalem[48] bis ins australische Outback[49], um nur einige Beispiele zu nennen. Das Fotopanorama simulierte den Blick auf den Horizont detailgetreuer denn je und machte eine Aneignung jeder noch so minimalen Feinheit der Stadtarchitektur oder Landschaft möglich.[50] Wie auf dem Böttgerpanorama zu sehen ist, kann sogar die Uhrzeit der entfernten Kirchtürme abgelesen werden, was ein weiteres Argument für herausragenden Detailreichtum darstellt. Dieser Effekt wird verstärkt, wenn man bedenkt, dass Böttger einen Tag mit klarer Sicht durch Fönwetter für die Erstellung des Fotopanoramas ausgewählt hatte.[51] Es ist zudem die Rede von einem Triumph über die Präzision der Malerei.[52] Weitere Pluspunkte dieses Mediums sind seine Mobilität und Flexibilität durch beispielsweise technisch veränderbare Bildgröße. Die Reproduzierbarkeit der Aufnahmen kann jeweils als Pro und Kontra gesehen werden.[53]

Es finden sich jedoch ebenfalls zahlreiche Kritikpunkte der Fotografie und somit auch des Fotopanoramas. Diese Kunstform instrumentalisiere laut Hick den Blick des Menschen und führe somit durch die zunehmende wissenschaftliche Durchdringung der Welt zu ihrer Entzauberung“.[54] Durch die Zurichtung des photographischen Objektivs würde der auf der ‚künstlichen Netzhaut‘ optisch- chemisch eingefangene Wirklichkeitsausschnitt aus der alltäglichen Fülle der Erscheinungen herausgehoben, stillgestellt, der Vergänglichkeit entrissen und solchermaßen dem besitzergreifenden Blick aus privilegierter Betrachter- Position verfügbar gemacht werden, so die Autorin.[55] Die Camera Obscura wird dem menschlichen Auge gleichgesetzt, die den Augenblick nicht nur einfriert, sondern ihn in gewaltvoller Kolonialmanier[56] von der Distanz aus in Besitz nimmt und in manipulativer Weise auf die Wahrnehmung der Betrachter wirkt.[57]

Bodelaire geht 1859 sogar noch einen Schritt weiter, indem er die Reproduzierbarkeit der Fotografien verteufelt und sie mit dem Untergang der Kunst gleichsetzt, da das Vervielfältigen der Bilder jegliche Schönheit im Keim erstickt.[58]

Anhand der hier erstellten Tabelle soll eine abschließender grafischer Zusammenfassung meiner gewonnen Erkenntnisse über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Münchenpanoramen dargestellt werden.

Seebergers PanoramaBöttgerpanorama
AufnahmeortMünchen, Turm der PeterskircheMünchen, Turm der Peterskirche
Abgebildetes ObjektRundumsicht der Stadt MünchenRundumsicht der Stadt München
Produktionsjahr18411858
Sequenzen811
In Anspruch genommene ZeitUnbekannt, aber mit Sicherheit über 8 Stunden pro Sektionetwa 8 Stunden pro Aufnahme[59]
Art der PräsentationWaagrechte PositionSenkrechte Position
störende Konvexbiegung des Horizonts sichtbarneinja
schnelle und Vergleichswiese einfache Reproduzierbarkeit möglich, also kommerzielle Nutzbarkeitneinja
Verfälschung und Retusche möglichjaja[60]
Sinnliche Erfahrung für den Betrachterjaja[61]
Verwendete HilfsmittelCamera Lucida         (Pyroskop) von SteinheilAchromat von Steinheil
Farbigkeitjanein
Doppelt abgedeckte Schnittbereichejanein
Beschriftungjanein
Mobilität und Flexibilitätneinja

Ursprünglich war das Ensemble aus Pyroskop und Zeichnung in der Tat zur Vervielfältigung bestimmt, um weltweit Flächenbrände zu verhüten.[62] Allerdings kam es aufgrund des, ironischerweise ebenfalls von Carl August von Steinheil erfundenen, Telegrafen im Jahre 1848 zu Ablösung des beiden Objekte. 1901 verließ der letzte Türmer endgültig den damals am höchsten gelegenen Arbeitsplatz Münchens.[63]

Fazit

Zunächst einmal lässt sich betonen, dass sich dem Betrachter beider Panoramaansichten Münchens abgesehen vom in der Einleitung beschriebenen Turmerlebnis eine weitere Erkenntnis auftut. Nämlich ein Blick durch das finestra aperta, das offene Fenster, welches eine Stadtlandschaft in all ihren Details offenbart.[64] Weitere Gemeinsamkeiten stellen den abgebildeten Bereich, den Aufnahmeort sowie die sinnliche Erfahrung dar, welche sich dem Betrachter zeigt. Genau wie das Set aus Zeichnung und Pyroskop handelt es sich bei der Panoramafotografie um eine Kombination, welche sowohl aus dem Bereich der physikalischen Optik (neue Abbildungsmöglichkeiten durch z.B. den Achromaten) sowie der Kunst, mit ihrem wiederentdeckten Medium der Abbildung in Panoramaform, profitierte.

Um einen geteilten Negativaspekt des Fotografiepanoramas sowie der grafischen Version zu nennen, sind beide Arten von Rundumsicht durch Retusche und somit von Verfälschung bedroht.

Obwohl die Panoramafotografie zahlreiche Vorteile wie Zeiteffitienz, Reproduzierbarkeit, Beständigkeit, und eine detailgetreuere Abbildungsmöglichkeit aufweist, als es zeichnerisch jemals möglich wäre, muss aufgrund jener Reproduzierbarkeit aus kunsthistorischer Sicht von einem Massenmedium mit umstrittener künstlerischer Einzigartigkeit gesprochen werden.

Trotz Steinheils Plädoyer für die Verwendung fotografischer Panoramaaufnahmen für das Pyroskop war die Panoramazeichnung Seebergers in vielen Punkten überlegen. Seine Farbigkeit sowie die doppelte Abdeckung der zu beobachtenden gebiete durch teilweise Überlappung der Malereien und das Fehlen störender perspektivischer Umbrüche (wie sie konträr dazu beim Böttgerpanorama auftreten, siehe z.B. Markierung in Abbildung 20) sprechen für sich. Durch Seebergers Geschick sowie durch die Zeichenhilfe Pyroskop mit seinen als Orientierungshilfe nachzuzeichnenden Projektionen der Aussicht entstand ein zur (Stadt-)Landschaft deckungsgleiches beschriftetes Bild. Aufgrund all dieser positiven Eigenschaften wies das Werk eine hochgradige visuelle Effizienz auf und war deshalb unersetzlich zur Brandherdbestimmung- ebenfalls unersetzlich durch eine Fotografie. Auch der künstlerische Aspekt Seebergers harmonisch- akkurater Zeichnungen darf nicht außer Acht gelassen werden. Durch die handwerklich einwandfreie Arbeit des Künstlers entstand eine Serie aus Einzelstücken, welche auch heute noch ihresgleichen sucht.

Durch Buddemeier ergibt sich jedoch ein Einwand philosophischer Natur, anhand dessen der Vergleich der Kunstfertigkeit beider Panoramaformen individuell beantwortet werden kann. Wenn die ideale Schönheit nur in der Natur existiert, muss sie dann nicht ebenfalls in ihrem naturgetreuen, also fotografischen Abbild liegen?[65] Dies wäre ein spannendes Thema für weitere Forschungen im Hinblick auf die künstlerische Effizienz des gezeichneten und fotografischen Rundumblickes.


[1] Till, Wolfgang/ Weichner, Thomas: Typisch München!. Die Ausstellung im Münchner Stadtmuseum, München 2012, S.146.

[2] Till / Weichner 2012, S.146.

[3] Till/ Weichner 2012, S.146.

[4] Pfarrarchiv St. Peter: Aus dem Pfarrarchiv von St. Peter in München, Heft 9: St. Peter. Geschichte- Tradition- Zeitgeist, München 2018, S.3 und 4.

[5] Von Steinheil, Carl August: Beschreibung des Steinheil’schen Pyroskops zur Ermittlung des Ortes einer Brandstätte, wie es für die Feuerwacht auf dem St. Petersthurme in München ausgeführt ist. In: Abhandlungen der mathematisch- Physikalischen classe der königlich bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3, München 1843, S. 565 und S. 566.

[6] Von Steinheil 1843, S. 561.

[7] Pfarrarchiv St. Peter 2018, S. 4.

[8] Till/ Weichner 2012, S.146.

[9] Von Steinheil 1843, S. 563, Zeile. 16-19 und S. 564, Z.1.

[10] Till/ Weichner 2012, S.146.

[11] Von Steinheil 1843, S. 564.

[12] Till/ Weichner 2012, S.146.

[13] Von Steinheil 1843, S. 576 und S. 577.

[14] Von Steinheil 1843, S. 576.

[15] Till/ Weichner 2012, S.146.

[16] Ludwig, Horst u.a.: Münchner Malerei im 19. Jahrhundert. Vierter Band. Saffer- Zwengauer. Mün chen 1983, S.135.

[17] Ludwig, Horst u .a. 1983, S.138.

[18] Von Steinheil 1843, S. 577.

[19] Von Steinheil 1843, S. 573.

[20] Von Steinheil 1843, S. 572.

[21] Von Steinheil 1843, S. 570.

[22] Von Steinheil 1843, S. 572.

[23] Von Steinheil 1843, S. 570.

[24] Von Steinheil 1843, S. 572.

[25] Von Steinheil 1843, S. 578.

[26] Von Steinheil 1843, S. 578.

[27] Von Steinheil 1843, S. 581.

[28] Von Steinheil 1843, S. 579.

[29] Helmut, Franz: Steinheil. Münchner Optik mit Tradition. Lindemann Verlag, Stuttgart 2001, S.36.

[30] Von Steinheil 1843, S. 579.

[31] Von Steinheil 1843, S. 580.

[32] Von Steinheil 1843, S. 582, Z.9- Z.15.

[33] Von Steinheil 1843, S. 565.

[34] Von Steinheil 1843, S. 565 und S. 571.

[35] Von Steinheil 1843, S. 565, Z. 14.

[36] Hick, Ulrike: Geschichte der optischen Medien. Wilhelm Fink Verlag, München 1999, S.269.

[37] Ludwig, Horst u. a. 1983, S.138.

[38] Till/ Weichner 2012, S.148.

[39] Comment, Bernard: Das Panorama. Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH, Berlin      2000, S.7.

[40] Hick 1999, S.241.

[41] Comment 2000, S.7.

[42] Buddemeier, Heinz: Panorama, Diorama, Photographie. Entstehung und Wirkung neuer Medien im               19. Jahrhundert. Siebter Band, Wilhelm Fink Verlag, München 1970, S. 17.

[43] Hick 1999, S.219.

[44] Hick 1999, S.234.

[45] Hick 1999, S.239.

[46] Hick 1999, S.238.

[47] Comment 2000, S.29- S. 43.

[48] Buddemeier 1970, S. 44.

[49] Comment 2000, S.250- S. 253

[50] Hick 1999, S.269 und S.270.

[51] Till/ Weichner 2012, S.148.

[52] Kemp, Wolfgang: Theorie der Fotografie I. 1839-1912, Schirmer/Mosel Verlag, München 1980, S.62.

[53] Hick 1999, S.245.

[54] Hick 1999, S.268, Z.10-13.

[55] Hick 1999, S.268, Z. 13- Z.18.

[56] Schnell, Ralf: Medienästhetik. Zu Geschichte und Theorie audiovisueller Wahrnehmungsformen. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH, Stuttgart 2000, S.41.

[57] Hick 1999, S.263 und S. 278.

[58] Baudelaire, Charles: Das moderne Publikum und die Fotografie (1859). In: Hick (1999).

[59] Hick 1999, S.269.

[60] Hick 1999, S.268 und S. 287.

[61] Hick 1999, S.240.

[62] Von Steinheil 1843, S. 565 und 571.

[63] Piontek, Hans: Auf einsamer Warte die Stadt vor Feuerbrünsten bewahrt, in: Münchner Merkur vom 2.4.1991, Pfarrarchiv St- Peter.

[64] Hick 1999, S.269.

[65] Buddemeier, Heinz: Panorama, Diorama, Photographie. Entstehung und Wirkung neuer Medien im 19. Jahrhundert. Siebter Band, Wilhelm Fink Verlag, München 1970, S. 130 und S.131.