„Belarussische Sprache“ – Versionsunterschied

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Version vom 14. August 2020, 12:56 Uhr

Weißrussisch (auch Belarussisch oder Belarusisch)

Gesprochen in

Belarus Belarus,
Ukraine Ukraine,
Russland Russland,
Polen Polen (in der Umgebung von Białystok),
Lettland Lettland,
Litauen Litauen
Sprecher 7,9 Millionen (2009)
Linguistische
Klassifikation
Offizieller Status
Amtssprache in Belarus Belarus
Auf lokaler Ebene:
Anerkannte Minderheiten-/
Regionalsprache in
Ukraine Ukraine
Litauen Litauen
Russland Russland
Sprachcodes
ISO 639-1

be

ISO 639-2

bel

ISO 639-3

bel

Dialekte

Die weißrussische Sprache (neuere Bezeichnungen Belarussisch[1] oder Belarusisch[2], veraltet Weißruthenisch oder Albaruthenisch; Eigenbezeichnung беларуская мова belaruskaja mowa) ist eine ostslawische Sprache, deren Sprecherzahl sehr unterschiedlich angegeben wird und zwischen etwa 2,5 und etwa 7,9 Millionen Muttersprachler schwankt. Die Mehrheit der Muttersprachler lebt in Weißrussland (Belarus), wo es neben dem Russischen eine der beiden Amtssprachen ist. Eine Minderheit lebt in Russland und der Gegend Białystok in Polen. Die weißrussische Sprache stammt von der ruthenischen Sprache ab und wird mit einer Variante der kyrillischen Schrift geschrieben.

Ursprung

Das Weißrussische ist neben dem Russischen und dem Ukrainischen eine der drei noch lebenden ostslawischen Sprachen, die sich im Mittelalter aus einer gemeinsamen Vorgängersprache der Rus entwickelten, dem Altostslawischen. Direkter Vorgänger der weißrussischen Sprache war die ruthenische Sprache, die vom 15. bis 18. Jahrhundert in den ostslawischen Gebieten des Großfürstentums Litauen und der Adelsrepublik Polen-Litauen gesprochen wurde.

Im Großfürstentum Litauen

Ab dem 14. Jahrhundert entwickelte sich am Hof des litauischen Großfürsten in Vilnius eine eigene, auf dem Ruthenischen (dem Vorläufer des Weißrussischen) basierende Kanzleisprache, die offizielle Verkehrssprache des Großfürstentums Litauen war.

Mit der Ausdehnung des Großfürstentums Litauen auf den gesamten Westen der ehemaligen Kiewer Rus nahm sie auch ukrainische Elemente auf. Nach der litauischen Personalunion mit Polen geriet sie unter sehr starken Einfluss des Polnischen. (Ausführlicher hierzu siehe Ruthenische Sprache.) Nach der Zerschlagung des polnisch-litauischen Staates (1795) kam diese Schriftsprache immer mehr außer Gebrauch.

Allerdings entstanden schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ersten literarischen Werke in einer neuen weißrussischen Schriftsprache, die sich auf die nordöstlichen Dialekte des Weißrussischen stützte (als erstes Werk gilt eine zwischen 1812 und 1830 entstandene anonyme Übersetzung der Aeneis, Eneida nawywarat „Aeneis umgedreht“).

20. Jahrhundert

Erst nach der Revolution von 1905 konnten legal Bücher und Zeitungen gedruckt werden. Von 1903 bis 1911 erschien in Warschau das wichtige Werk Belorussy. Jazyk belorusskowo naroda von Jauchim Karski, in dem die Schriftsprache kodifiziert wurde. Eine wichtige Rolle spielte in dieser Zeit ferner die ab 1906 erschienene Zeitschrift Nascha Niwa („Unsere Flur“).

1917 scheiterte der erste Versuch, einen eigenen weißrussischen Staat zu gründen, danach lebten die meisten Weißrussen in der Sowjetrepublik Weißrussland, ein kleinerer Teil in Polen. In der Sowjetunion konnte sich das Weißrussische bis Ende der 1920er Jahre frei entfalten, danach geriet es wieder unter deutlichen Druck des Russischen. 1933 wurde durch eine Orthografiereform die Annäherung an das Russische erzwungen, auch Wortschatz und Grammatik standen seitdem unter russischem Einfluss. Das gleiche Schicksal ereilte das Weißrussische in den polnischen Gebieten, die 1939 an die Sowjetunion angeschlossen wurden.

Erst unter der Perestroika kam es zu einer Wiederbelebung der weißrussischen Schriftsprache, die im Januar 1990 zur Staatssprache der Sowjetrepublik Weißrussland erklärt wurde. Die darauf folgende kurze Blüte, „Wiedergeburt“ (weißrussisch Adradschenne) genannt, endete aber durch die Einführung des Russischen als weiterer Amtssprache durch Präsident Lukaschenka im Jahre 1994/95 wieder. Es gab auch Bestrebungen, die 1933 abgeschaffte traditionelle Orthografie (nach ihrem Entwickler Branislaŭ Taraschkewitsch unter dem Namen Taraschkewiza, Taraškievica, тарашкевіца,[3][4] oder als die „klassische Variante“[5] bekannt) wiedereinzuführen. Seit dieser Zeit konkurrieren faktisch zwei Systeme, nämlich die Taraškievica (von Emigranten und aktiven Weißrussischsprechern bevorzugt) und die sowjetische Narkomauka (наркомаўка, bis heute immer noch offizieller Standard).

Gegenwärtig wird die weißrussische Schriftsprache nur von einer kleinen intellektuellen Schicht in den Städten gesprochen. Auf dem Land sind weißrussische Dialekte verbreitet sowie eine Übergangsform zwischen dem Weißrussischen und dem Russischen, die abwertend als Trassjanka („Viehfutter“) bezeichnet wird; der größte Teil der Stadtbevölkerung spricht Russisch. Im Bildungssystem ist das Weißrussische nur schwach verankert, im Sommer 2003 wurde gegen starken Widerstand der Schüler und Lehrer das einzige Gymnasium mit weißrussischer Unterrichtssprache geschlossen. Die Prognose ist eher düster, viele Weißrussen befürchten, dass ein völliges Aufgehen des Weißrussischen im Russischen fast nicht mehr zu verhindern sei. Die Lage der weißrussischen Sprache in Weißrussland gleicht der Lage der irischen Sprache in der Republik Irland.[6] Zudem hat sich mit einer Bewegung, die das Westpolessische zu einer eigenen Sprache ausbauen will, eine weitere Zersplitterung ergeben. Allerdings ist nach der Annexion der Krim durch Russland eine stärkere Förderung der weißrussischen Sprache zu beobachten, wodurch eine gewisse inhaltliche Annäherung zwischen Staatsführung und den oft oppositionellen Intellektuellen festzustellen ist.

Schrift und Orthografie

Die heutige weißrussische Schriftsprache wird mit kyrillischer Schrift geschrieben, vgl. die folgende Tabelle:

Buchstabe Transliteration Deutsche Transkription
А а A a A a
Б б B b B b
В в V v W w
Г г H h H h
Ґ ґ (derzeit nicht Teil der offiziellen Orthographie) G g G g
Д д D d D d
Е е E e E e (am Wortanfang Je je, nach Vokalen und nach ь je)
Ё ё Ë ë Jo jo
Ж ж Ž ž Sch sch (weich; wie in Journal)
З з Z z S s (wie in Saft)
І і I i I i
Й й J j J j
К к K k K k
Л л L l L l
М м M m M m
Н н N n N n
О о O o O o
П п P p P p
Р р R r R r
С с S s S s (zwischen Vokalen ss)
Т т T t T t
У у U u U u
Ў ў Ŭ ŭ U u
Ф ф F f F f
Х х Ch ch Ch ch
Ц ц C c Z z
Ч ч Č č Tsch tsch
Ш ш Š š Sch sch
Ы ы Y y Y y
Ь ь ʼ – (vor Vokalen j)
Э э Ė ė E e
Ю ю Ju ju Ju ju
Я я Ja ja Ja ja

Das Buchstabeninventar entspricht etwa dem des Russischen bzw. des Ukrainischen. Typisch weißrussisch ist der Buchstabe ў, der (außer im Dunganischen in Kirgisistan und im Yupik der Tschuktschen-Halbinsel) nur in dieser Sprache vorkommt, ferner ist das Trema bei der Schreibung des ë obligatorisch (anders als im Russischen). Dem Weißrussischen fehlen die russischen Buchstaben и, щ und ъ (dafür hat es zusätzlich і und ў). Im Vergleich mit dem Ukrainischen fehlen ihm die Buchstaben ї und є (dafür hat es zusätzlich ы, э, ë und ў).

Die Rechtschreibung des Weißrussischen ist phonetisch, das heißt sie richtet sich weitgehend nach der Aussprache. Dies bedeutet auch, dass anders als im Russischen an die Stelle des unbetonten o das mit der Aussprache eher korrespondierende a tritt. Dadurch entsteht ein deutlicher Unterschied des Schriftbilds zum Russischen und Ukrainischen, vgl. etwa weißrussisch вада „Wasser“ gegenüber russisch вода – die Wörter werden gleich ausgesprochen.

Die Buchstabenverbindungen дж und дз werden manchmal als eigene Einheiten behandelt, da sie auch nur einen Laut bezeichnen. In diesen Fällen folgen sie im Alphabet als eigene Buchstaben nach д.

Ein Problem der weißrussischen Orthografie besteht darin, dass sowohl der Laut h wie auch der Laut g durch den Buchstaben г wiedergegeben werden. Bis 1933 wurde für g ein eigener Buchstabe ґ verwendet (wie im Ukrainischen), seine Wiedereinführung wird erwogen.

Die Schreibung des Weißrussischen in Lateinschrift (Łacinka) orientiert sich an der polnischen Orthografie, weist aber auch Sonderzeichen mit Diakritika (š, č usw.) auf und verwendet (anders als das Polnische) den Buchstaben v statt w. Charakteristisch ist auch für sie eine phonetische Schreibung („Wasser“ heißt dann also vada).

Grammatik

Die Grammatik des Weißrussischen unterscheidet sich nicht wesentlich von der anderer slawischer Sprachen. Im Einzelnen kann Folgendes gesagt werden:

  • Die Substantive weisen drei Genera auf (Maskulina, Feminina, Neutra), die sich wiederum in belebte und unbelebte aufteilen. Es gibt sechs Kasus und zwei Numeri, Singular und Plural. Auffällig ist, dass die Deklination der Substantive stärker ausgeglichen ist als etwa im Russischen oder im Tschechischen, was dadurch zu erklären ist, dass die weißrussische Standardsprache im 19. Jahrhundert aus der Volkssprache hervorgegangen ist und keine direkte Kontinuität zum Altweißrussischen besteht.
  • Die Adjektive haben die aus anderen slawischen Sprachen bekannten prädikativen Formen (sog. Kurzformen) eingebüßt.
  • Das Verbum weist vier Tempora auf, neben Präsens, Präteritum und Futur auch das in slawischen Sprachen seltene Plusquamperfekt, außerdem die für die slawischen Sprachen charakteristische Kategorie des Aspekts. Das System der Partizipien und Adverbialpartizipien ist weniger entwickelt als in anderen slawischen Sprachen.

Wortschatz

Der Wortschatz des Weißrussischen setzt sich aus verschiedenen Schichten zusammen. Neben dem slawischen Erbwortschatz und einigen Einflüssen des Kirchenslawischen sind vor allem Entlehnungen aus dem Polnischen charakteristisch, die hingegen dem Russischen überwiegend fehlen. Vgl. etwa weißrussisch дзякаваць (Dsjakawaz) „danken“ gegenüber russisch благодарить (Blagodarit) und polnisch dziękować, weißrussisch цікавы (Zikawy) „interessant“ wie polnisch ciekawy usw. In der Zwischenkriegszeit waren weißrussische Linguisten bemüht, statt polnischer (und russischer) Lehnwörter eigene Wörter auf der Grundlage von Dialektwörtern zu bilden, ab 1933 wurde der Fachwortschatz jedoch gezielt russifiziert.

Sprachvergleich

Weißrussisch
(Беларуская мова (Belaruskaja mowa))
Ukrainisch
(Українська мова (Ukrajinska mowa))
Russisch
(Русский язык (Russki jasyk))
Bulgarisch
(Български език (Balgarski esik))
Serbisch
(Српски језик)
Polnisch
(Język polski)
Deutsch
 
Вітаю/Witaju Вітаю/Witaju Здравствуйте/Sdrawstwujte Здравейте/Sdrawejte Здраво/Zdravo Witam Hallo; Guten Tag
Прывітанне/Prywitanne Привіт/Prywit Привет/Priwet Здравей/Sdrawej Ћао/Ćao Cześć Hallo
Так/Tak
Не/Ne
Так/Tak
Ні/Ni
Да/Da
Нет/Net
Да/Da
Не/Ne
Да/Da
Не/Ne
Tak
Nie
Ja
Nein
Дзякуй/Dsjakuj Дякую/Djakuju Спасибо/Spassibo Благодаря ви/Blagodarja wi Хвала/Hvala Dziękuję Danke
Спадар (Пан)/Spadar (Pan)
Спадарыня (Пані)/Spadarynja (Pani)
Спадарычна/Spadarytschna
Пан/Pan
Пані/Pani
Панна/Panna
Господин/Gospodin
Госпожа/Gosposcha
Господин/Gospodin
Госпожа/Gosposcha
Госпожица/Gosposchiza
Господин/Gospodin
Госпођа/Gospođa
Госпођица/Gospođica
Pan
Pani
Panna
Herr
Frau
Frl.
Выдатна/Wydatna; файна/fajna Відмінно/Widminno; файно/fajno Отлично/Otlitschno отличен/Otlitschen Одлично/Odlično Fajnie Vorzüglich; fein; gut

Siehe auch

Literatur

  • Hermann Bieder: Das Weißrussische. In: P. Rehder (Hrsg.): Einführung in die slavischen Sprachen. Darmstadt 1998, ISBN 3-534-13647-0, S. 110–125.
  • Mark Brüggemann: Die weißrussische und die russische Sprache in ihrem Verhältnis zur weißrussischen Gesellschaft und Nation. Ideologisch-programmatische Standpunkte politischer Akteure und Intellektueller 1994–2010. Oldenburg 2014, ISBN 978-3-8142-2304-9.
  • Mark Brüggemann: Unentbehrliches Russisch, entbehrliches Weißrussisch? Russophone zur Sprachgeschichte und Sprachverwendung in Weißrussland. In: S. Kempgen et al. (Hrsg.): Deutsche Beiträge zum 15. Internationalen Slavistenkongress Minsk 2013. München etc., S. 89–98.
  • Mark Brüggemann: Zwischen Anlehnung an Russland und Eigenständigkeit: Zur Sprachpolitik in Belarus. In: Europa ethnica, 3–4 (2014), S. 88–94.
  • Claudia Hurtig: Belarussische Grammatik in Tabellen und Übungen. Hramatyka belaruskai mowy u tablizach i praktykavannjach. München 2003, ISBN 3-87690-850-7.
  • Holger Knauf: Weißrussisch (Belarus). Wort für Wort (= Kauderwelsch. Band 145). 1. Auflage. Reise Know-How Verlag Rump, Bielefeld 2001, ISBN 3-89416-552-9.
  • Ulrich Steltner, Alice Bartsch (Hrsg.): Deutsch-Weißrussischer Sprachführer: Grammatik/Gesprächsbuch/Wörterbücher. Inst. für Slawistik der Friedrich-Schiller-Universität Jena 2006. ISBN 3-9805226-9-5
  • Inna Kalita (Калита И. В. Современная Беларусь): Jazyky i nacional’naja identičnost’ – языки и национальная идентичность. Ústí nad Labem 2010, ISBN 978-80-7414-324-3, S. 112–190
  • Mikalaj Kur’janka: Deutsch-belarussisches Wörterbuch. Vyd. Zmicer Kolas, Minsk 2006, ISBN 985-6783-25-9.
  • Siarhiej Aliaksandraŭ, Halina Mycyk (Сяргей Аляксандраў, Галіна Мыцык): Гавары са мной па-беларуску. Variant, Moskau 2008, ISBN 978-5-903360-13-0, (PDF); Sprachkurs für russischsprachige Studenten auf Basis der „klassischen“ Orthographie

Auch in der Wikipedia stehen zwei weißrussische Versionen nebeneinander:

Wiktionary: Weißrussisch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einführungen

Wörterbücher

Einzelnachweise

  1. Verzeichnis der Staatennamen für den amtlichen Gebrauch in der Bundesrepublik Deutschland (Stand: 18.02.2019) Website des Auswärtiges Amts. (PDF, 429 kB, S. 2)
  2. „Belarusisch“ mit einem „s“ geschrieben, abgeleitet von der Kiewer Rus. Siehe Felix Ackermann: „Die Republik Belarus ist mehr als Weissrussland. Und ihre Eigenständigkeit beginnt mit dem Namen des Landes“, NZZ, 11. Januar 2020.
  3. Marc Stegherr, Kerstin Liesem: Die Medien in Osteuropa: Mediensysteme im Transformationsprozess. Springer, 2010, ISBN 978-3-531-17482-2, S. 362.
  4. Regionale Bewegungen und Regionalismen in europäischen Zwischenräumen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Verlag Herder-Inst., Marburg 2003, ISBN 3-87969-306-4, S. 155.
  5. Hienadź Cychun: Weißrussisch. In: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser, Klagenfurt 2002, ISBN 978-3-85129-510-8 (wwwg.uni-klu.ac.at (Memento vom 11. Oktober 2017 im Internet Archive) [PDF; abgerufen am 2. Februar 2013]).
  6. Рой Медведев: Непрерывное развитие языков: их влияние друг на друга и конкуренция. In: Наука и жизнь. Nr. 3, 2006.