Peter Tschentscher

Peter Tschentscher (2019)

Peter Tschentscher (* 20. Januar 1966 in Bremen) ist ein deutscher Politiker (SPD). Seit dem 28. März 2018 ist er Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg; er war in dieser Funktion turnusgemäß von Oktober 2018 bis September 2019 Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. Vom 1. November 2022 bis zum 31. Oktober 2023 war er turnusgemäß Präsident des Bundesrates und ist seit dem 1. November 2023 dessen Erster Vizepräsident. Von März 2011 bis März 2018 war er Finanzsenator in den Senaten Scholz I und II.

Herkunft, beruflicher Werdegang und Privates

Tschentscher wurde als zweiter von vier Söhnen eines Holzkaufmanns und einer Schneidermeisterin in Bremen geboren und wuchs im niedersächsischen Oldenburg auf. Im Jahre 1985 legte er sein Abitur am Gymnasium Eversten Oldenburg[1] ab und absolvierte anschließend seinen Zivildienst im Rettungsdienst in Wittmund (Ostfriesland). Es folgte ein Studium der Humanmedizin und ein Aufbaustudium der Molekularbiologie an der Universität Hamburg. Tschentscher bekam 1990 ein Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung. 1994 schloss er sein Studium mit einem Staatsexamen in Medizin ab, 1995 wurde er mit einer Arbeit zur Immunchemischen Unterscheidung hochhomologer Proteinstrukturen am Beispiel der schwangerschaftspezifischen Glykoproteine zum Doktor der Medizin promoviert.

Von 1994 bis 2006 arbeitete Tschentscher als Assistenzarzt in den Bereichen Laboratoriumsmedizin, Innere Medizin, Transfusionsmedizin und Medizinische Mikrobiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). 2003 erhielt er die Anerkennung als Klinischer Chemiker und 2006 als Facharzt für Laboratoriumsmedizin. 2008 erteilte ihm die Medizinische Fakultät der Universität Hamburg die Habilitation und verlieh ihm die Venia legendi als Privatdozent für das Fach Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin. Am 14. November 2008 hielt er seine Antrittsvorlesung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Von 2008 bis zu seiner Berufung als Senator im März 2011 arbeitete er als Oberarzt und Privatdozent im Zentrum für Diagnostik des UKE.

Peter Tschentscher ist evangelisch, verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn. Seine Frau, mit der er im Hamburger Stadtteil Barmbek-Nord lebt, ist römisch-katholisch.[2]

Politik

Partei- und Kommunalpolitiker

Tschentscher ist seit 1989 Mitglied der SPD und war von 2007 bis 2018 Vorsitzender des SPD-Kreisverbandes Hamburg-Nord, einer seiner Vorgänger dort war Helmut Schmidt.[3][4] Von 1991 bis 2008 war er Mitglied der Bezirksversammlung Hamburg-Nord und ab 1999 Vorsitzender der SPD-Fraktion. Dort saß er unter anderem im Haushalts- und Wirtschaftsausschuss sowie im Jugendhilfeausschuss, dem er auch vorsaß.[5]

Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (2008 bis 2011)

Im Februar 2008 zog er bei der Bürgerschaftswahl über die Landesliste der SPD in die Hamburgische Bürgerschaft ein. Innerhalb der Bürgerschaft war er Mitglied im Haushaltsausschuss und Fachsprecher für Haushaltsfragen seiner Fraktion.[6] Zudem amtierte er als einer der drei stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden.

Am 12. Mai 2010 wurde Tschentscher als Vorsitzender des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Elbphilharmonie“ eingesetzt und gab dazu seine Mitgliedschaft im Untersuchungsausschuss „HSH-Nordbank“ auf.[7]

Finanzsenator (2011 bis 2018)

Peter Tschentscher als Finanzsenator in der Hamburger Bürgerschaft (2011)

Am 23. März 2011 wurde er zum Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg ernannt und von der Bürgerschaft bestätigt (Senat Scholz I).[8][9] Sein Bürgerschaftsmandat ruht seitdem gemäß Artikel 39 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg. Auch im Senat Scholz II blieb er als Senator und Präses der Finanzbehörde im Amt. Der Schuldenstand Hamburgs erreichte 2012 zwar mit 24,5 Mrd. Euro den niedrigsten Wert, stieg aber bis 2018 auf 32,7 Mrd. Euro – also um etwa ein Drittel an.[10][11]

Erster Bürgermeister (seit 28. März 2018)

Am 10. März 2018 schlug ihn der SPD-Landesvorstand als Nachfolger von Olaf Scholz im Amt des Ersten Bürgermeisters vor. Scholz wechselte als Bundesfinanzminister ins Kabinett Merkel IV. Auf dem außerordentlichen Landesparteitag der SPD Hamburg am 24. März 2018 wurde Peter Tschentscher von den anwesenden Delegierten mit 95,2 % der abgegebenen Stimmen als Kandidat zur Wahl des Ersten Bürgermeisters nominiert.[12][13] Er wurde am 28. März 2018 mit 71 von 121 Stimmen durch die Hamburgische Bürgerschaft gewählt (Senat Tschentscher I).[14] In dieser Funktion war er von Oktober 2018 bis September 2019 Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz.[15]

2018 war er zudem Bevollmächtigter der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrags über die deutsch-französische Zusammenarbeit.

Bei der Bürgerschaftswahl 2020 erhielt er erneut ein Mandat (Senat Tschentscher II).[16]

Vom 1. November 2022 bis 31. Oktober 2023 war Tschentscher turnusgemäß Präsident des Bundesrates,[17] er übergab das Amt an die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig.[18]

Cum-Ex-Kontroverse (seit 2020)

Kurz vor der Bürgerschaftswahl berichteten im Februar 2020 das Fernsehmagazin Panorama und die Wochenzeitung Die Zeit, dass die Hamburger Finanzbehörde 2016 während Tschentschers Amtszeit als Finanzsenator im Senat Scholz II darauf verzichtet hätte, unrechtmäßige Steuererstattungen in Höhe von 47 Millionen Euro wegen Cum-Ex-Geschäften von der Privatbank M.M.Warburg & CO zurückzufordern. Weiterhin wurde berichtet, dass die Senatskanzlei im November 2019, nach Tschentschers Amtsübernahme als Bürgermeister, Gespräche zwischen der Bank und Ex-Bürgermeister Olaf Scholz abgestritten habe.[19] Die zitierte Antwort „Nein“ des Senats bezog sich jedoch nur auf die Frage, ob Gespräche im Zusammenhang mit dem Steuerverfahren um die Cum-Ex-Affäre geführt worden seien.[20] Nachdem Scholz im Februar 2020 ein Treffen mit dem damaligen Warburg-Aufsichtsratsvorsitzenden Christian Olearius eingeräumt hatte und eine Spende der Bank an den SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte bekannt geworden war, stellte Tschentscher dar, dass die Steuererstattungen bei den Gesprächen kein Thema gewesen sei.[21] Scholz und Tschentscher erklärten jeweils, dass es zu keinem Zeitpunkt politischen Einfluss auf den Fall gegeben habe.[22] Laut Panorama widersprechen die Tagebuchaufzeichnungen von Olearius jedoch dieser Darstellung.[23] Im Zuge der Debatte wurde daraufhin der entsprechende Tagebuch-Auszug veröffentlicht, in dem Olearius schrieb, dass er selbst über das Thema berichtete und zu der Einschätzung kam, Olaf Scholz’ „zurückhaltendes Verhalten so auslegen zu können, dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen.“[24] Auch der Leiter der Hamburger Steuerverwaltung widersprach dem Vorwurf jeglicher politischen Einflussnahme.[25]

Corona-Politik (2020–2021)

Peter Tschentscher (2021)

In der Corona-Politik gilt Tschentscher als Verfechter einer harten Linie.[26][27] Tschentscher sprach sich früh für einen harten Lockdown aus und kritisierte angesichts der damit einhergehenden Geschäftsschließungen in der Hansestadt „Shopping-Tourismus“ der Hamburger Bürger ins Umland.[28] Zudem führte er eine Ausgangssperre (21.00 bis 5.00 Uhr) in der Hansestadt ein, die der Hamburger Senat mit Wirkung zum Karfreitag 2021 beschloss. Die Gesellschaft für Aerosolforschung kritisierte diese wie auch die Maskenpflicht unter freiem Himmel, die an vielen Orten in Hamburg herrschte. Die Gefahr lauere drinnen, derartige Maßnahmen hätten „keinen nennenswerten Einfluss auf das Infektionsgeschehen.“[29] Auch aus der Hamburger Opposition gab es Kritik an den Maßnahmen, etwa an der geplanten und gescheiterten „Osterruhe“, die Tschentscher in der Bund-Länder-Konferenz mit beschlossen hatte. Anders als die Maskenpflicht hatte das Hamburgische Oberverwaltungsgericht etwa ein flächendeckendes Alkoholverbot in Hamburg allerdings für rechtswidrig erklärt.[30] Auch am Lockdown selbst und den im Vergleich zum übrigen Deutschland schärferen Kontaktregeln in Hamburg gab es Kritik der Opposition.[31]

Schriften

  • Reformmodell der Finanzministerkonferenz führt zu extremen Grundsteuerbewertungen und übermäßigen Belastungen in Metropolregionen. In: ifo Schnelldienst. 18/2016, München
  • Immunchemische Unterscheidung hochhomologer Proteinstrukturen am Beispiel der Schwangerschaft-spezifischen Glykoproteine. Dissertation. Hamburg 1994.
  • mit C. Wagener und M. Neumaier: Distinction of highly homologous pregnancy-specific glycoprotein (PSG) isoforms by differential absorption of antisera with recombinant PSG fusion protein domains. In: Journal of Immunological Methods. 170(2), 1994, S. 247–254.
  • mit C. Wagener und M. Neumaier: Sensitive and specific cytokeratin 18 reverse transcription-polymerase chain reaction that excludes amplification of processed pseudogenes from contaminating genomic DNA. In: Clinical Chemistry. 43(12), 1997, S. 2244–2250.
  • mit C. Wagener und M. Neumaier: Patentschrift: Verfahren zum Nachweis von Cytokeratinen. Deutsches Patentamt 1998. DE19716346 C 19981119.
  • mit P. Nollau, C. Fischer und C. Wagener: Enrichment of mutant alleles by chromatographic removal of wild type alleles: a new principle for the detection of alleles with unknown point mutations at excess of wild type alleles. In: Clinical Chemistry and Laboratory Medicine. 37(9), 1999, S. 877–881.
  • mit C. Heeschen, C. Hamm und C. Wagener: High background levels compromise the use of cardiac troponin I RNA detection in peripheral blood as a diagnostic tool in cardiology. In: International Journal of Clinical and Laboratory Research. 30(1), 2000, S. 13–15.
  • mit C. Fischer, J. Büthe, P. Nollau, S. Hollerbach, K. Schulmann, W. Schmiegel und C. Wagener: Enrichment of mutant KRAS alleles in pancreatic juice by subtractive iterative polymerase chain reaction. In: Laboratory Investigation 81(6), 2001, S. 827–831.
  • mit S. Spethmann, C. Fischer, C. Wagener und T. Streichert: Nucleic acids from intact epithelial cells as a target for stool-based molecular diagnosis of colorectal cancer. In: International Journal of Molecular Medicine. 13(3), 2004, S. 451–454.
  • mit C. Wagener: Kolorektales Karzinom: Frühdiagnose durch Nachweis von Tumor-DNA im Stuhl. In: Deutsches Ärzteblatt. 103(10), 2006, S. A 623-628.
  • mit F. Klebig, C. Fischer, S. Petri, H. Gerull und C. Wagener: Limitations in molecular detection of lymph node micrometastasis from colorectal cancer. In: Diagnostic Molecular Pathology. 16(2), 2007, S. 91–95.
  • Molekulare Diagnostik zur Früherkennung von Tumorerkrankungen – Nachweis tumorspezifischer Nukleinsäuren am Beispiel des kolorektalen Karzinoms. Habilitationsschrift. Hamburg 2008.

Literatur

  • Heike Korzilius: Peter Tschentscher. Laborarzt, der Wahlen gewinnt. In: Deutsches Ärzteblatt. Band 117, Heft 10, 6. März 2020, S. B 439.

Weblinks

Commons: Peter Tschentscher – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Fußnoten

  1. Hans Begerow: Ein Oldenburger regiert Hamburg. In: nwzonline.de. 18. August 2018, abgerufen am 26. Februar 2024.
  2. Weihnachts-Erinnerungen: „Die Berliner von Oma habe ich geliebt“ auf bild.de, abgerufen am 16. Februar 2020.
  3. Andreas Dey: Peter Tschentscher: Der Aufklärer. Abgerufen am 19. April 2018.
  4. Jens Meyer-Wellmann: SPD Hamburg-Nord wird jetzt von einem Ehepaar geführt. Abgerufen am 23. Juli 2018.
  5. spd-fraktion-hamburg.de (Memento vom 7. August 2010 im Internet Archive)Vorlage:Webarchiv/Wartung/Linktext_fehlt
  6. spd-fraktion-hamburg.de (Memento vom 7. August 2010 im Internet Archive)Vorlage:Webarchiv/Wartung/Linktext_fehlt
  7. dpa/lno: Elbphilharmonie-Ausschuss nimmt Arbeit auf. In: Die Welt. 12. Mai 2010, abgerufen am 15. Mai 2010.
  8. Meldung auf NDR 90.3 am 23. März 2011.
  9. Jetzt live: Hamburg hat einen neuen Bürgermeister. In: NDR.de. Abgerufen am 28. März 2018.
  10. Schulden der Bundesländer in Deutschland am 30.06.2018
  11. Zahlen für 2010-2017, nur Kreditmarkt
  12. Hamburger SPD kürt Leonhard und Tschentscher. Abgerufen am 23. Juli 2018.
  13. Marco Carini und Katja Kutter: Der Einwechselspieler. In: taz nord. 10. März 2018, S. 44.
  14. Tschentscher zum neuen Bürgermeister gewählt. In: faz.net. 28. März 2018, abgerufen am 18. März 2018.
  15. Hamburg übernimmt Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz. Abgerufen am 17. Mai 2019.
  16. Vorläufiges Ergebnis der Bürgerschaftswahl 2020: Gewählte Abgeordnete der 22. Hamburgischen Bürgerschaft. Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein - Anstalt des öffentlichen Rechts - (Statistikamt Nord)., 24. Februar 2020, abgerufen am 10. März 2020.
  17. NDR: Hamburgs Bürgermeister Tschentscher zum Bundesratspräsidenten gewählt. Abgerufen am 1. November 2023.
  18. NDR: Tschentscher übergibt Amt des Bundesratspräsidenten an Schwesig. Abgerufen am 1. November 2023.
  19. Cum-Ex-Skandal: Vorwürfe gegen Hamburger SPD, taz.de vom 13. Februar 2020
  20. Schriftliche kleine Anfrage und Antwort des Senats: Cum-Ex und Cum-Cum in Hamburg, hier: Bankhaus M.M.Warburg, Parlamentsdatenbank der Hamburgischen Bürgerschaft, 12. November 2019
  21. Spende der Warburg-Bank bringt die SPD in Erklärungsnot Tagesspiegel, 18. Februar 2020
  22. Cum-Ex-Debatte: Neue Zweifel an den Vorwürfen Hamburger Abendblatt, 19. Februar 2020
  23. Cum Ex: Hamburg verzichtete auf 47 Millionen von Warburg Bank NDR, 13. Februar 2020
  24. Cum-Ex-Zoff - Das soll der Skandal sein? Bild.de, 19. Februar 2020
  25. Erklärung der Hamburger Steuerverwaltung hamburg.de, 19. Februar 2020
  26. „Am Montag und Dienstag nicht die Geschäfte stürmen“, welt.de, 13. Dezember 2020, abgerufen am 14. April 2021
  27. „Maybrit Illner“: Virologin Brinkmann sauer über Öffnungen im Saarland, web.de, 9. April 2021, abgerufen am 14. April 2021
  28. Plötzlich lächelt Tschentscher und sagt: „Bleiben Sie vorsichtig“, welt.de, 10. März 2021, abgerufen am 14. April 2021
  29. Ausgangssperre in Hamburg: Tschentscher betont Wirkung, ndr.de, 12. April 2021, abgerufen am 14. April 2021
  30. „Das kann eigentlich nur beschließen, wer lange nicht selbst einkaufen war“, welt.de, 23. März 2021, abgerufen am 14. April 2021
  31. „Machen Sie zumindest Ostern von den Kontaktregeln Gebrauch, die der Bund geschaffen hat“, welt.de, 24. März 2021, abgerufen am 14. April 2021