Novellen um Claudia

Novellen um Claudia ist ein Roman von Arnold Zweig, mit dem er 1912 literarisch debütierte.

Inhalt

Das Postpaket

Nach einer Aufführung des Götz von Berlichingen begleitet der mittellose Privatdozent Dr. Walter Rohme die von ihm geliebte Claudia Eggeling heim und spürt, dass der Zeitpunkt für eine Liebeserklärung oder eine Trennung unausweichlich gekommen ist. Sein Problem ist nicht nur der krasse Unterschied in den Vermögensverhältnissen – Claudia ist reiche Erbin und Besitzerin einer Villa mit mehreren Hausangestellten –, sondern auch das Wissen um die eigene Unattraktivität. In Claudias Wagen entwickelt sich zuerst ein Gespräch über das soeben gesehene Stück, wobei sich Rohme mit dem “unmännlichen” Weislingen identifiziert, dann muss er sich Vorwürfe gefallen lassen, dass er nur widerstrebend einer Einladung in die Eggelingsche Loge gefolgt ist. Beim Abendessen zu zweit hält Rohme es für notwendig, Claudia die Geschichte von der Aufgabe eines Postpakets zu schildern, bei der er sich besonders umständlich und ungeschickt verhalten hat. Nach dieser Erzählung hat er das Gefühl, dass er ihr nun endgültig die Augen über seine Inferiorität geöffnet hat, in Wahrheit aber ist sie sich erst dadurch seines liebenswerten Charakters und ihrer Zuneigung zu ihm bewusst geworden.

Das dreizehnte Blatt

Bereits verlobt, besuchen Claudia (die Ich-Erzählerin dieser Novelle) und Walter den gemeinsamen Freund Klaus Manth, einen Maler, dessen radierter Zyklus „Der Künstler und sein Leben“ vor allem Claudia viel bedeutet, vor allem das dreizehnte Blatt – die Göttin Aphrodite schwebt über einem Kranz nackter, sich liebender Menschen. Noch auf der Fahrt zu Manth kommt die Rede auf ein weiteres Meisterwerk des Künstlers, ein Porträt seines Lehrers von Nottebohm, den er nach Vollendung des Bildes aus unbekannten Gründen nie wieder aufgesucht hat. Bald merken die beiden, dass Manth verstimmt ist, und als Claudia die geniale Mappe erwähnt, bricht es aus dem Maler heraus: Er zeigt seine Originalfassung des dreizehnten Blattes, auf dem statt Aphrodite der Gekreuzigte zu sehen ist, und den er auf Anraten eines mächtigen Kunstverlegers und schließlich auch seines Lehrers, aber vor allem aus kommerziellen Gründen, entsprechend abänderte. Diesen Entschluss bereut Manth bis zum heutigen Tage. Claudias Lieblingswerk ist ihr durch dieses Geständnis – man behelligt niemanden mit seinem Intimleben – entrückt und “neufremd” geworden.

Der Stern

Ich-Erzähler ist Walter. Die Sonate seines verstorbenen Freundes Oswald Saach ist ihm gewidmet und wird nun von Claudia (Klavier), dem Dichter Alexander Sirmisch (Cello) und Walter (Geige) mit Claudias Mutter und Klaus Manth als Publikum aufgeführt. Der Selbstmord Saachs wegen einer beendeten Beziehung zu einer Gattin und Mutter wird von niemandem verstanden, und man ist nur allzu bereit, der Dame die Schuld am verzweifelten Schritt des Musikers zu geben, als Claudia Informationen zu haben vorgibt, die den Charakter des Toten in einem anderen Licht erscheinen lassen soll. Die Ungewissheit lässt Walter das Schlimmste vermuten: eine Beziehung Oswalds zu seiner Musikschülerin Claudia. Ihr Bericht bezieht sich aber auf die Geliebte Oswalds, eine Lisbeth Olsen, die seinerzeit als Mädchen nach einer Affäre mit diesem wegen moralischer Bedenken ein Ende herbeiführte. Beide litten unter dieser Trennung. Während einer nächtlichen Aussprache im Park jedoch sieht der abergläubische Saach eine Sternschnuppe fallen, und was er sich sogleich wünscht, ist Ruhm, nicht Liebe. Seit diesem Geständnis Saachs Claudia gegenüber hatte diese Zweifel an der Redlichkeit seines Künstlertums.

Das Album

Claudia und Walter sind auf Hochzeitsreise, und Claudias Mutter Eva Eggeling ist alleine in der Wohnung, die sie bis vor kurzem mit Claudia geteilt hat. Die plötzliche Einsamkeit lässt sie über Gott und den Sinn des Lebens nachdenken. Sie merkt, dass Erinnerung sie den Trennungsschmerz vergessen lässt und greift zum Fotoalbum. Von hinten bei den neueren Aufnahmen beginnend blättert sie das Album durch, sieht ihre Tochter beim Tennisspiel, zu Pferd und im Auto, als Abiturientin und gelangt über Claudias Kinderbilder zu Aufnahmen von sich selbst. Diese Dokumente ihres vergangenen Lebens lassen sie an den eigenen Tod denken. Der Besuch von Sirmisch verschafft ihr für kurze Zeit Ablenkung, doch ihre Reaktion auf seine unüberlegte Bemerkung über das am Tisch liegende Album zeigt ihm, wie es um die alte Dame steht.

Die keusche Nacht

Im Hotel verspricht Walter seiner nervösen jungen Gattin, die folgenden Nächte nur neben ihr zu liegen, um ihr Zeit zu geben, sich an die neue Situation zu gewöhnen. Während Claudia sich für die Nacht zurechtmacht, wartet er im Vorraum, und als auch er endlich ins Bett kommt, erzählt er ihr, um sie abzulenken, wie er mit einer Studienkollegin eine Nacht in einer Berghütte verbracht und mit dieser wie Bruder und Schwester in einem Bett geschlafen habe. Claudia fühlt sich darauf verschmäht, und als er sich tröstend über sie beugt, „schlägt sie die Arme auseinander und wie eine Welle über ihm zusammen, als er auf sie herabfällt“.

Die Passion

Walter und Claudia wohnen einer Aufführung der Matthäus-Passion bei. Tief ergriffen folgt Walter, der das Werk auswendig kann, dem dramatischen und musikalischen Ablauf und hofft, dass das Publikum nach Ende des ersten Teils der Passion nicht gleich zu applaudieren beginnt, sondern zumindest einige Sekunden des Schweigens einhält. Zu seiner Überraschung wird gar nicht geklatscht, die Zuhörer verlassen stumm und ergriffen den Saal. Erst jetzt entdeckt Walter, dass Claudia eingeschlafen ist. Er verzichtet auf den zweiten Teil und geht mit seiner Frau ins Hotel zurück. Claudia spürt Walters Gereiztheit und Enttäuschung am Heimweg. Erst im Zimmer begreift Walter den Grund für die Müdigkeit Claudias, „das unzugängliche Geheimnis, … das sich in der schlafenden Frau da drinnen vollzieht“.

Die Sonatine

Zurück im eigenen Heim bittet Walter Claudia eines Tages, Schuberts Sonatinen op. 137 mit ihm zu spielen. Dieses Werk hat er schon als Jugendlicher geübt und er fühlt sich gedrängt, die nun aufkommenden Erinnerungen seiner Frau mitzuteilen. Wie einem Beichtvater vertraut er ihr zuerst kleinere Verfehlungen an und schließlich auch seine homoerotischen Erfahrungen im Schwimmbad mit einem Gleichaltrigen. Geschockt wendet sich Claudia von ihm ab, schließt sich in ihrem Zimmer ein und braucht einige Zeit, das Gehörte zu verarbeiten. Sie fühlt, dass sie diejenige ist, die im Begriff ist, eine Mauer zwischen sich und Walter aufzurichten. Als sie ihre Tür entriegelt, findet sie Walter auf der Türschwelle liegend vor. Sie verzeihen einander im Bewusstsein, dass „das Heutige nur ein Anfang“ ist.

Form

Novellen um Claudia besteht aus einem Zyklus von sieben Novellen, die sich um die Verlobung und Ehe von Claudia und Walter ranken. Die Episoden werden jeweils aus unterschiedlicher Perspektive berichtet. Insbesondere die erste Episode Das Postpaket besitzt einen ausgeprägten Novellencharakter. Dennoch nähern sich die Novellen in ihrer Gesamtheit den Kapiteln eines „fortlaufenden Seelen-Romans“ an, der die Entwicklung der Beziehung der beiden Protagonisten verfolgt. Daher wurde Novellen um Claudia schon bald nach Erscheinen als Roman klassifiziert.[1]

Weblinks

Literatur

  • Gabriella Rácz: "Kunstvolle Maskerade". Modernität und Epigonalität in Arnold Zweigs "Die Novellen um Claudia", Untersuchungen zur Erzählstruktur. Veszprém 2005, ISBN 963-9495-69-7.
  • Gabriella Rácz: "Zehnmal widerrufen und dennoch nicht aus dem Tatwerden gedrängt". Integration von Kunstzitaten als intertextuelle Zeichen in Arnold Zweigs "Die Novellen um Claudia". In: Deutschdidaktik und germanistische Literaturwissenschaft in Ostmitteleuropa. Edition Praesens, Wien 2002, ISBN 3-7069-0173-0, S. 111–120.
  • Gabriella Rácz: Zitierte Welten und erzählte Welt. Kunstzitate und Handlungsstruktur in Arnold Zweigs "Die Novellen um Claudia". In: Jahrbuch der ungarischen Germanistik. 2001, S. 33–46.
  • Birgit Lönne: Die "Novellen um Claudia" (1912). Zu Intention und Poetik. In: Arnold Zweig: Psyche, Politik und Literatur. Lang, Berlin u. a. 1993, ISBN 3-261-04548-5, S. 19–31.

Einzelnachweise

  1. Vgl. zum Abschnitt: Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur, 1900–1918. C. H. Beck, München 2004, ISBN 3-406-52178-9, S. 173.