Narges Mohammadi

Narges Mohammadi

Narges Safie Mohammadi (persisch نرگس صفیه محمدی; * 21. April 1972 in Zandschan) ist eine iranische Menschenrechtsaktivistin und Mitglied des iranischen Zentrums für die Verteidigung der Menschenrechte Defenders of Human Rights Center (DHRC). Sie wurde wiederholt verhaftet und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Narges Mohammadi erhielt 2023 den Friedensnobelpreis, während sie seit 2021 in Haft war.

Im Januar 2024 verurteilte ein Revolutionsgericht sie zu einer weiteren Gefängnisstrafe von 15 Monaten. Sie darf sich nach ihrer Entlassung zwei Jahre lang nicht in Teheran niederlassen, Iran nicht verlassen und kein Smartphone benutzen.[1] Ihre Zellengenossin ist die deutsch-iranische Gefangene Nahid Taghavi.[2]

Leben

Narges Mohammadi wurde in der nordiranischen Stadt Zandschan geboren und wuchs in Qorveh (Provinz Kurdistan), Karadsch und Oschnaviyeh auf.[3] Sie besuchte die Imam Khomeini International University, erwarb einen Abschluss in Physik und wurde Ingenieurin. Während ihres Studiums schrieb sie in der Studentenzeitung Artikel, in denen sie sich für die Frauenrechte einsetzte, und wurde bei zwei Treffen der politischen Studentengruppe Tashakkol Daaneshjuyi Roshangaraan („Aufgeklärte Studentengruppe“) verhaftet.[3][4] Sie war auch in einer Bergsteigergruppe aktiv, wurde aber später aufgrund ihrer politischen Aktivitäten von der Teilnahme an Klettertouren ausgeschlossen.[3]

Anschließend arbeitete sie als Journalistin für mehrere reformorientierte Zeitungen und veröffentlichte ein Buch mit politischen Essays unter dem Titel „The Reforms, the Strategy and the Tactics“.[4] Im Jahr 2003 schloss sie sich dem iranischen Zentrum für die Verteidigung der Menschenrechte, Defenders of Human Rights Center (DHRC), an, das von der Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi geleitet wird; später wurde sie Vizepräsidentin der Organisation.[3][5] Im Jahr 1999 heiratete sie den ebenfalls reformorientierten Journalisten Taghi Rahmani, der kurz darauf zum ersten Mal verhaftet wurde. Rahmani zog 2012 nach Frankreich, nachdem er insgesamt 14 Jahre Haft verbüßt hatte, aber Mohammadi blieb, um ihre Menschenrechtsarbeit fortzusetzen. Mohammadi und Rahmani haben Zwillingskinder, Ali und Kiana.[3][5][4]

2023 erhielt Mohammadi „für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und ihren Kampf für die Unterstützung der Menschenrechte und der Freiheit für alle“ den Friedensnobelpreis. Sie saß zu dieser Zeit im Gefängnis.[6][7] Den Preis nahmen stellvertretend ihre 17-jährigen Zwillinge am 10. Dezember 2023 in Oslo entgegen.[8]

Verhaftungen

Mohammadi wurde erstmals 1998 wegen ihrer Kritik an der iranischen Regierung verhaftet und verbrachte ein Jahr im Gefängnis.[4] Im April 2010 wurde sie wegen ihrer Mitgliedschaft im DHRC vor das Islamische Revolutionsgericht geladen. Sie wurde kurzzeitig gegen eine Kaution von 50.000 US-Dollar freigelassen, aber einige Tage später erneut verhaftet und im Evin-Gefängnis inhaftiert.[3][9] Während der Haft verschlechterte sich Mohammadis Gesundheitszustand, und sie entwickelte eine epilepsieähnliche Krankheit, die dazu führte, dass sie regelmäßig die Kontrolle über ihre Muskeln verlor. Nach einem Monat wurde sie entlassen und durfte ins Krankenhaus gehen.[9]

Im Juli 2011 wurde Mohammadi erneut strafrechtlich verfolgt und wegen „Handelns gegen die nationale Sicherheit, Mitgliedschaft im DHRC und Propaganda gegen das Regime“ für schuldig befunden.[9] Im September 2011 wurde sie zu einer Haftstrafe von 11 Jahren verurteilt,[9] im März 2012 wurde das Urteil von einem Berufungsgericht bestätigt, allerdings auf sechs Jahre herabgesetzt.[10] Am 26. April 2012 wurde sie zur Verbüßung der Strafe verhaftet.[5] Das British Foreign Office protestierte gegen das Urteil.[9] Amnesty International forderte ihre sofortige Freilassung.[11] Reporter ohne Grenzen veröffentlichte am neunten Jahrestag des Todes der Fotografin Zahra Kazemi im Evin-Gefängnis einen Appell, in dem es hieß, Mohammadi sei eine Gefangene, deren Leben „in besonderer Gefahr“ sei.[12] Im Juli 2012 forderte eine internationale Gruppe von namhaften Politikern ihre Freilassung.[13] Am 31. Juli 2012 wurde Mohammadi aus der Haft entlassen.[14]

Am 31. Oktober 2014 hielt Mohammadi eine bewegende Rede am Grab von Sattar Beheshti. Das Video hiervon verbreitete sich schnell in den sozialen Netzwerken, was dazu führte, dass sie vor das Evin-Gefängnisgericht geladen wurde.[15] Am 5. Mai 2015 wurde Mohammadi auf der Grundlage neuer Anschuldigungen erneut verhaftet.[16] Die Abteilung 15 des Revolutionsgerichts verurteilte sie zu zehn Jahren Haft wegen „Gründung einer illegalen Gruppe“ für die Kampagne zur Abschaffung der Todesstrafe, fünf Jahren wegen „Versammlung und Kollusion gegen die nationale Sicherheit“ und einem Jahr wegen „Propaganda gegen das System“ für ihre Interviews mit internationalen Medien und ihr Treffen mit der damaligen Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, im März 2014.[17] Im Januar 2019 trat Mohammadi Berichten zufolge zusammen mit der inhaftierten britisch-iranischen Staatsbürgerin Nazanin Zaghari-Ratcliffe im Evin-Gefängnis in einen Hungerstreik, um gegen den verwehrten Zugang zu medizinischer Versorgung zu protestieren.[18] Am 8. Oktober 2020 wurde Mohammadi aus der Haft entlassen.[19]

Am 27. Februar 2021 veröffentlichte sie ein Video in den sozialen Medien. In dem Video erklärt sie, dass sie im Dezember zweimal vor Gericht geladen worden war, und dass sie sich weigere, vor Gericht zu erscheinen. In dem Video beschreibt sie den sexuellen Missbrauch und die Misshandlungen, denen sie selbst und andere Frauen in den Gefängnissen ausgesetzt waren. Das neue Verfahren, das gegen sie eingeleitet wurde, betraf die Sitzblockade von weiblichen politischen Gefangenen im Evin-Gefängnis, mit der sie gegen die Tötung und Verhaftung von Demonstranten durch Sicherheitskräfte im November 2019 protestierten.[20] Im März 2021 verfasste Mohammadi das Vorwort für den Iran Human Rights Annual Report on the Death Penalty in Iran. Darin kritisiert sie die Hinrichtung von Menschen wie Navid Afkari und Ruhollah Zam.[21] Im Mai 2021 verurteilte das zweite Strafgericht in Teheran Mohammadi zu zweieinhalb Jahren Gefängnis, 80 Peitschenhieben und Geldstrafen, unter anderem wegen „Verbreitung von Propaganda gegen das System“. Vier Monate später erhielt sie eine Vorladung zur Verbüßung dieser Strafe, der sie jedoch nicht nachkam, da sie die Verurteilung für ungerecht hielt.[22]

Am 16. November 2021 wurde Mohammadi in Karadsch verhaftet, als sie an einer Gedenkfeier für Ebrahim Ketabdar teilnahm, der bei landesweiten Protesten im November 2019 von iranischen Sicherheitskräften getötet worden war.[22] Im Dezember 2022, während der Proteste, die durch den Tod von Mahsa Amini in der Haft ausgelöst wurden, beschrieb Mohammadi in einem in der Haft verfassten, von der BBC veröffentlichten Bericht die sexuellen und körperlichen Misshandlungen von inhaftierten Frauen.[23] Ab 6. November 2023 trat sie gegen die Haftbedingungen in einen Hungerstreik – kranke Inhaftierte würden vernachlässigt und erhielten nicht die nötige medizinische Behandlung – und zugleich gegen den Kopftuchzwang.[24] Sie erreichte, dass sie mit Herzproblemen in ein Krankenhaus gebracht wurde, ohne ihren Kopf mit einem Tuch zu bedecken. Deshalb beendete sie nach zwei Tagen den Hungerstreik.[25]

Preise und Auszeichnungen

Veröffentlichungen

  • White Torture: inside Iran’s prisons for women. OneWorld Publications, 2022.
    • deutsch: Frauen! Leben! Freiheit! Wie wir unsere Stimmen erheben. Frauen in iranischen Gefängnissen erzählen. Rowohlt, Hamburg 2023, ISBN 978-3-499-01413-0.

Weblinks

Commons: Narges Mohammadi – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. tagesschau.de 15. Januar 2024: Erneute Haftstrafe
  2. Daniela Sepehri: Deutsch-Iranerin Taghavi im Gefängnis: Nach 50 Tagen wieder in den Knast. In: taz.de. 29. Februar 2024, abgerufen am 29. Februar 2024.
  3. a b c d e f Muhammad Sahimi: Nationalist, Religious, and Resolute: Narges Mohammadi. PBS, 10. Mai 2012, abgerufen am 31. Oktober 2012 (englisch).
  4. a b c d e Narges Mohammadi, from Iran, recepient [sic] of the international Alexander Langer award 2009. Alexander Langer Foundation, 18. Juni 2009, abgerufen am 31. Oktober 2012 (englisch).
  5. a b c Saeed Kamali Dehghan: Iranian human rights activist Narges Mohammadi arrested. In: The Guardian. 26. April 2012, abgerufen am 31. Oktober 2012 (englisch).
  6. Pressemitteilung zur Verleihung des Nobelpreises. In: nobelprize.org (abgerufen am 6. Oktober 2023, engl.).
  7. Badische Zeitung: Friedensnobelpreis für iranische Frauenrechtlerin Narges Mohammadi. 6. Oktober 2023, abgerufen am 6. Oktober 2023.
  8. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/friedensnobelpreis-mohammadi-104.html
  9. a b c d e Saeed Kamali Dehghan: Iranian activist Narges Mohammadi jailed for 11 years. In: The Guardian. 28. September 2011, abgerufen am 31. Oktober 2012 (englisch).
  10. Saeed Kamali Dehghan: Iran steps up crackdown on journalists and activists. In: The Guardian. 7. März 2012, abgerufen am 31. Oktober 2012 (englisch).
  11. Urgent Action: human rights Defender imprisoned. Amnesty International, 30. April 2012, abgerufen am 3. Mai 2012 (englisch).
  12. Lives of several imprisoned journalists and netizens in danger. Reporters Without Borders, 10. Juli 2012, abgerufen am 31. Oktober 2012 (englisch).
  13. International Lawmakers Call on Iran to Release Narges Mohammadi. kirk.senate.gov, 26. Juli 2012, archiviert vom Original am 17. Oktober 2012; abgerufen am 31. Oktober 2012 (englisch).
  14. Iran: List of human rights defenders behind bars. In: Worldwide Movement for Human Rights. Abgerufen am 13. Juni 2017 (englisch).
  15. Iran: Judicial Harassment of Human Rights Activist Narges Mohammadi. In: www.gc4hr.org. Abgerufen am 13. Juni 2017 (englisch).
  16. Thomas Erdbrink: Iran Arrests Prominent Rights Activist In: The New York Times, 5. Mai 2015. Abgerufen am 13. Juni 2017 (englisch). 
  17. Iran Human Rights Defenders Report In: Iran Human Rights, 12. November 2020. Abgerufen am 10. März 2021 (englisch). 
  18. Zaghari-Ratcliffe to go on hunger strike in Iranian jail. In: The Irish Times. 3. Januar 2019, abgerufen am 11. Januar 2019 (englisch).
  19. Iran frees prominent rights activist, news agency reports In: Reuters, 8. Oktober 2020 (englisch). 
  20. 2020 Annual Report on the Death Penalty in Iran In: Iran Human Rights, 30. März 2021. Abgerufen am 10. April 2021 (englisch). 
  21. Narges Mohammadi: Violence of Death Penalty is Worse Than War In: Iran Human Rights, 30. März 2021. Abgerufen am 10. April 2021 (englisch). 
  22. a b Iran: Release arbitrarily detained rights activist at imminent risk of flogging. In: Amnesty International. 18. November 2021, abgerufen am 23. November 2021 (englisch).
  23. Iran protests: Activist Narges Mohammadi details 'abuse' of detained women. In: BBC News. 24. Dezember 2022 (bbc.com [abgerufen am 6. Juni 2023]).
  24. Iran: Friedensnobelpreisträgerin Mohammadi im Hungerstreik orf.at, 6. November 2023, abgerufen am 6. November 2023.
  25. Iran: Friedensnobelpreisträgerin bricht Hungerstreik ab orf.at, 10. November 2023, abgerufen am 10. November 2023.
  26. Iranian Nobel Laureate Dedicates Prize To Jailed Colleague In: Radio Free Europe, 16. Juni 2010. Abgerufen am 20. Oktober 2022 (ir). 
  27. BBC 100 Women 2022: Who is on the list this year? 6. Dezember 2022, abgerufen am 7. Dezember 2022 (englisch).
  28. 2023 – Marta Chumalo, Eren Keskin and Narges Mohammade | OLOF PALMES MINNESFOND. Abgerufen am 6. Juni 2023 (sv-SE).
  29. Three imprisoned Iranian women journalists awarded 2023 UNESCO/Guillermo Cano World Press Freedom Prize, UNESCO. Abgerufen am 3. Mai 2023 (ir).