Johanneskirche (Stuttgart-West)

Johanneskirche am Feuersee

Die evangelische Johanneskirche befindet sich in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart im Stadtteil West direkt am Feuersee.

Geschichte

Bereits 1858 wurde ein Stuttgarter Kirchenbau-Verein gegründet, welcher den Bau plante.[1] 1864 bis 1876 wurde die Kirche dann im neugotischen Stil von Oberbaurat Christian Friedrich von Leins erbaut. Sie ist besonders markant durch ihre städtebaulich hervorgehobene Lage. Sie liegt mit dem Chor auf einer extra dafür angelegten Halbinsel im Feuersee (Löschwasserteich), welcher 1701 oder 1707 ausgegraben wurde.[2] Ursprünglich hatte man einen Standort Silberburg- und Marienstraße ins Auge gefasst, welcher dann aber zugunsten des Feuersees verworfen wurde.[3][4] Die Kirche wurde von Christian Friedrich von Leins auf dem Wasser gebaut, sodass er als erstes 660 Pfähle in den See stoßen musste[5]. Die Einturmfassade der Johanneskirche markiert den Beginn der ehemaligen Prachtallee Johannesstraße. Sie war die erste Kirchweihe in Stuttgart nach über 400 Jahren.

Im Oktober 1943 brannte, durch einen durch die Luftangriffe auf Stuttgart entfachten Funkenflug der Dachstuhl ab und das Gewölbe stürzte ein.[6] Im Frühjahr 1944 wurde die Turmspitze zerstört.

Nach Kriegszerstörung wurde die Kirche äußerlich wiederaufgebaut bis auf den Turmhelm, da nicht genügend Geld vorhanden war. Die zerstörten gotischen Gewölbe wurden allerdings durch moderne ersetzt. Der Kirchturm war vor seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg 66 Meter hoch[7], heute ist er rund 45 Meter hoch.[6] Die „Kirche ohne Spitze“ gilt heute als Mahnmal gegen den Krieg.

Baubeschreibung

Die Wahl des gotischen Stils für die Johanneskirche wurde 1864 nicht mehr explizit begründet, da dieser Stil als selbstverständlich galt. Auch Architekt Leins äußerte sich nicht dazu, außer in Bezug auf die drei mittelalterlichen Hauptkirchen Stuttgarts.

Der Entwurf der Johanneskirche basiert stark auf französischen Kathedralen, was Leins nicht thematisiert, da Gotik in Deutschland als „teutscher Styl“ galt. Obwohl die Kirche Elemente französischer Gotik aufweist, wie ein dreischiffiges Langhaus und ein Kapellenkranz, weichen einige Merkmale ab, um den Bedürfnissen des protestantischen Kirchenbaus gerecht zu werden. Beispielsweise dass der vermeintliche Kapellenkranz vom Innenraum der Kirche abgeschnitten ist und als Sakristei dient und die Gedrungenheit der Grundrissproportionen. Außerdem sind die Einturmfassade und die großzügigen Treppen untypisch für französische Vorbilder.

Innen zeigt die Kirche viergeschossige frühgotische Strukturen mit weit geöffneten Arkaden und Emporen. Die Gestaltungselemente entstammen verschiedenen gotischen Bauten, z. B. die Fensterbögen aus der Normandie und Ziergiebel über Portalen und Fenstern aus Amiens und Paris. Dennoch bleibt die Johanneskirche ein eigenständiger Entwurf, der auf praktischen und ästhetischen Anforderungen des 19. Jahrhunderts basiert und nicht nur eine Kopie französischer Kathedralen darstellt. Leins nutzte sowohl seine Erfahrungen in Paris als auch lokale Einflüsse wie das Freiburger Münster, um die Johanneskirche zu gestalten.

Gotischer Dom am Wasser (Schinkel)
Gotischer Dom am Wasser (Schinkel)
Die Kathedrale (Friedrich)
Die Kathedrale (Friedrich)

Die Johanneskirche in Stuttgart wurde städtebaulich besonders hervorgehoben, indem sie auf einer Halbinsel im Feuersee platziert wurde. Dies betont die romantische Idealvorstellung einer erhöhten und freigestellten Kirche, ähnlich den Vorstellungen der Gotik und Romantik, die oft Kirchenbauten in landschaftlich dominanten Lagen oder durch Freistellung von umliegender Bebauung zeigten. Beispiele solcher idealisierter Darstellungen sind Werke von Friedrich Schinkel (Gotischer Dom am Wasser, 1813) und Caspar David Friedrich (Die Kathedrale, um 1818).

Die Kirche besteht aus einem kreuzförmigen Grundriss.[8] Der fünfteilige Chor, wurde aufgrund städtebaulicher Begebenheiten an der Straßenachse ausgerichtet. Die Kirche ist nach Südost ausgerichtet. Das Längs- und Querschiff bilden in der Mitte einen achteckigen Raum, der für die Gottesdienste genutzt wird. Die Chorfenster wurden 1969 durch Rudolf Yelin geschaffen (durch Vandalismus wurden davon bereits welche zerstört[9]).[10][11] Außerdem kamen noch welche von Adolf Saile (1977–1980) hinzu.

Im Feuersee wurde später im Wasser noch eine Fontäne installiert. Das dadurch unruhiges Wasser verzerrt allerdings das ursprünglich beabsichtigtes Spiegelbild der Kirche im Wasser.

Ausstattung

Orgel

Die ursprüngliche Orgel wurde 1876 durch Friedrich Weigle erbaut und kostete damals 35.000 Mark.[12][13] Diese wurde im Krieg beschädigt. 1948 wurde die Orgel mit wesentlichen Bestandteilen, wie die Windladen und Teile des Pfeifenwerks der ursprünglichen Orgel wiederaufgebaut. Die Orgel besitzt 58 Register und 3 Manuale. Sie wurde von dem Orgelbau Mühleisen 2005 erneuert.[14]

Disposition der Orgel (2005)

Hauptwerk, Manual I C–g′′′
01.Prinzipal16′
02.Quintatön 016′
03.Prinzipal08′
04.Gedackt08′
05.Gemshorn08′
06.Salicional08′
07.Oktave04′
08.Nachthorn04′
09.Quinte0223
10.Oktave02′
11.Mixtur 6 f.02′
12.Scharff 3-4 f.01′
13.Kornett 4-5 f.04′
14.Fagott16′
15.Trompete08′
16.Klarine04′
Positiv, Manual II C–g′′′
17.Lieblich Gedackt08′
18.Spitzflöte08′
19.Prinzipal04′
20.Rohrflöte04′
21.Oktave02′
22.Quintflöte 00113
23.Schweizerpfeife01′
24.Scharff 4 f.01′
25.Sesquialter 2 f.0223
26.Klarinette08′
Schwellwerk, Manual III C–g′′′
27.Pommer16′
28.Prinzipal08′
29.Flöte08′
30.Quintatön08′
31.Dulcian08′
32.Oktave04′
33.Blockflöte04′
34.Querflöte04′
35.Nasat0223
36.Oktave02′
37.Gemshorn02′
38.Terzflöte0135
39.Sifflöte01′
40.Schreipfeife 3 f.
41.Mixtur 5 f.
42.Terzzimbel 3 f.0016
43.Dulcian16′
44.Oboe08′
Tremulant
Pedal C–f′
45.Kontrabass32′
46.Prinzipalbass16′
47.Violonbass16′
48.Subbass16′
49.Oktavbass08′
50.Flötenbass08′
51.Oktavbass04′
52.Bauernflöte02′
53.Hintersatz 5 f.04′
54.Posaune16′
55.Trompete08′
56.Klarine04′
57.Cornett02′
58.Basszink 4 f.0513
  • Koppeln:
    • Normalkoppeln: II/I, III/I, III/II, I/P, II/P, III/P
    • Suboktavkoppeln: III/III
    • Superoktavkoppeln: III/P
  • Spielhilfen: Setzerkombination (14336 Kombinationen), Pleno, Tutti, Crescendowalze, Koppeln aus der Walze, Prinzipalchor aus der Walze, Weitchor aus der Walze, Zungen aus der Walze, Zungeneinzelabkommen

Glocken

Das erste Geläut der Kirche hatte die Tonfolge c′ e′ g′ c′′.[15] Im Ersten Weltkrieg wurde die kleinste Glocke abgegeben. Die drei anderen folgten im Zweiten Weltkrieg.

Nr.Name der GlockeSchlagtonGusszeitpunktGießer, GussortGewicht ca.Durchmesser
1Dominikacis′1953Glockengießerei Kurtz, Stuttgart1926 kg1462 mm
2Betglockedis′1953Glockengießerei Kurtz, Stuttgart1352 kg1304 mm
3Schiedglockefis′1953Glockengießerei Kurtz, Stuttgart765 kg1090 mm
4Taufglockegis′1953Glockengießerei Kurtz, Stuttgart548 kg971 mm

Literatur

  • Eva-Maria Seng: Der Evangelische Kirchenbau im 19. Jahrhundert. Die Eisenacher Bewegung und der Architekt Christian Friedrich von Leins, Tübinger Studien zur Archäologie und Kunstgeschichte 15. Tübingen 1995, S. 535–694 (dazu Abbildungen im Anhang S. 97–138).
  • Thomas Schall: Die Johanneskirche am Feuersee Stuttgart. Ein Kirchenführer. Reutlingen 2000.
  • Dr. Norbert Bongartz: Zur Baugeschichte der Johanneskirche, Festvortrag zum 100-jährigen Jubiläum 25.4.1976. Hrsg.: Landesdenkmalamt Stuttgart. 25. April 1976 (kirchen-online.org [PDF]).
Commons: Johanneskirche – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Stuttgart · Johanneskirche. 19. Dezember 2013, abgerufen am 9. Juni 2024.
  2. Stephanie Dewald, Katharina Wagner: Der Feuersee in Stuttgart - Ein Ort voller Geschichte(n). edit - Studierendenmagazin der Hochschule der Medien, 24. Januar 2018, abgerufen am 8. Juni 2024.
  3. Jahresberichte des Stuttgarter Kirchenbau Vereins. Abgerufen am 8. Juni 2024.
  4. Blätter für württembergische Kirchengeschichte. In: 113. Jahrgang 2013. Verlag Chr. Scheufele (Stuttgart), 2013, abgerufen am 8. Juni 2024.
  5. Johanneskirche am Feuersee - Internationale Bachakademie Stuttgart (Memento vom 9. Mai 2021 im Internet Archive)
  6. a b Jürgen Bock: Johanneskirche: Gestutzter Turm gilt als Mahnmal gegen Krieg - Stuttgart. In: stuttgarter-nachrichten.de. 22. Februar 2015, abgerufen am 5. März 2024.
  7. http://www.kirchen-online.org/kirchen--kapellen-in-stuttgart/stuttgart---johanneskirche.php
  8. Johanneskirche. Abgerufen am 2. Juni 2024.
  9. Rüdiger Soldt: Kirchen-Randalierer in Stuttgart festgenommen. FAZ, 6. Dezember 2021, abgerufen am 8. Juni 2024.
  10. Rudolf Yelin: Die Chorfenster im Rahmen christlicher Kunst. 1976, abgerufen am 9. Juni 2024.
  11. Pfarrer Dr. Hans Schönweiss: Theologische Besinnung zu den Chorfenstern. 1976, abgerufen am 9. Juni 2024.
  12. Evang. Johanneskirche, Stuttgart. orgelbau-muehleisen.de, abgerufen am 8. Juni 2024.
  13. Johanneskirche Stuttgart WEIGLE-Orgel, op. 82, 1876 III/P 48, Kegelladen. Abgerufen am 9. Juni 2024.
  14. Stuttgart, Johanneskirche. organindex.de, abgerufen am 8. Juni 2024.
  15. mittagsglocke: Stuttgart-West (D), ev. Johanneskirche – Einzel- und Vollgeläut. 17. Juli 2022, abgerufen am 8. Juni 2024.

Koordinaten: 48° 46′ 24″ N, 9° 9′ 52,7″ O