Altstrelitzer Gefängnis

Ehem. Altstrelitzer Gefängnis

Das ehemalige Altstrelitzer Gefängnis liegt am Ortsausgang des Neustrelitzer Stadtteils Strelitz-Alt. 2001 wurde der Gefängniskomplex leergezogen und zwei Gebäude – Hafthaus I mit Anbau – sowie das – Verwaltungsgebäude – unter Denkmalschutz gestellt.[1][2]

Geschichte

Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz (1701–1918), Deutsches Kaiserreich (1871–1933) und Weimarer Republik (1918–1933)

Ehem. Hafthaus I
Ehem. Verwaltungsgebäude

1805 ließ der regierende Herzog Karl II. von Mecklenburg-Strelitz das – Landarbeits- auch Zucht- und Irrenhaus – auf dem Gelände des 1712 abgebrannten ehemaligen Residenzschlosses der mecklenburg-strelitzschen Herzöge errichten. Die psychisch Kranken wurden 1902 in die am Domjüchsee neuerbaute, eigenständige Mecklenburg-Strelitzsche Landesirrenanstalt Domjüch verlegt, während das Gefängnis weiter als Landarbeits- und Landarmenhaus, Zuchthaus und Gefängnis genutzt wurde.[3] Am 31. Dezember 1902 waren hier 32 Männer und 4 Frauen in Haft.[3][1]

Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945)

Nach dem Zusammenschluss der Länder Mecklenburg–Strelitz und Mecklenburg–Schwerin zum Land Mecklenburg (1934) wurde das Altstrelitzer Gefängnis als Landesanstalt Neustrelitz–Strelitz[3] bezeichnet. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden hier Gegner nationalsozialistischer Willkür inhaftiert, misshandelt und auch ermordet.[3]

Während der Novemberpogrome 1938 veranlassten die Nationalsozialisten mit dem Reichsbürgergesetz, dass Juden in Deutschland – „insbesondere wohlhabende“[4] – in Schutzhaft genommen wurden.[4][5] Abweichend von der Weisung der Berliner Gestapo–Zentrale wurden in Neustrelitz auch Frauen inhaftiert.[6][4] Nicht nur Neustrelitzer waren betroffen, sondern auch Einwohner der Städte Rostock, Feldberg, Friedland, Woldegk und Neubrandenburg – insgesamt etwa 200 Personen. Bis März 1939 wurden alle wieder entlassen.[5] Die jüdischen Bürger waren vor der Entlassung „eingehend verwarnt und darüber belehrt worden [...], daß sie sich unmittelbar nach ihrem Wohnort zu begeben und daselbst sofort bei der Polizei zu melden hätten.[...] Auch ist ihnen vor der Entlassung aufgegeben, daß sie unmittelbar nach der Entlassung ihre Auswanderung zu fördern hätten. Anderenfalls würde ihre Verhaftung abermals erfolgen.“(Auszug aus einer Mitteilung des Verwaltungsoberinspektors Tamm der Landesanstalt Neustrelitz-Strelitz vom 23. Dezember 1938).[5]

Noch vor dem Zweiten Weltkrieg erfolgte der Umbau des „großen Hauses“ (Hafthaus I). Das I. Obergeschoss wurde zur Station für „männliche asoziale Lungenkranke“[3] und das 2. Obergeschoss für den Maßregelvollzug zur Unterbringung von „unzurechnungsfähigen bzw. beschränkt zurechnungsfähigen Rechtsbrechern“[3] umgebaut. Das gesamte Gebäude wurde als „Abteilung Heil- und Pflegeanstalt“[3] oder kurz als „Abteilung III“[3] bezeichnet.[3]

Sowjetische Besatzungszone (1945–1949)

Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Osten Deutschlands Sowjetische Besatzungszone. Im Mai 1945 übernahm der sowjetische NKWD das Altstrelitzer Gefängnis als – Gefängnis Nr.5 Strelitz – der Abteilung Speziallager. Hier waren Sowjetbürger vor der Repatriierung, Wlassow-Soldaten, SMT-Verurteilte und Internierte in Haft – bis über 1000 Personen darunter Jugendliche und Frauen. Viele starben infolge von Krankheiten bedingt durch mangelnde Hygiene und Prügel. 1946 wurden alle Häftlinge in das Speziallager Nr. 7 Sachsenhausen und in das Speziallager Nr. 9 Fünfeichen verlegt.[7][8]

Deutsche Demokratische Republik (1949–1990)

Das Gefängnis kam am 7. August 1947 wieder in deutsche Hände und wurde bis zur Schließung 2001 als Strafvollzugseinrichtung – StVE Neustrelitz – bzw. JustizvollzugsanstaltJVA Neustrelitz – genutzt. Nach der Wende in der DDR wurden die Elektrozäune abgebaut und die Wachhunde abgeschafft. Mehrere Ausbruchsversuche waren die Folge. Darüber hinaus kam es auch zu Häftlingsrevolten, die jedoch durch die Häftlinge selbst beigelegt werden konnten.[9]

Bundesrepublik Deutschland (seit 1990)

1991 konnten bei einem spektakulären Massenausbruch elf Häftlinge fliehen. Nur zwei wurden sofort wieder gefasst. Möglich wurde der Ausbruch durch die ungenügenden Sicherungssysteme. Ein Umbau entsprechend dem in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Standards − wie die Erhöhung der Mauer von vier auf sechs Meter − war noch nicht erfolgt.[9]

2001 wurde das Gebäude leergezogen und Hafthaus I mit Anbau sowie das Verwaltungsgebäude unter Denkmalschutz gestellt. Für die Immobilie wird ein Käufer gesucht.[1][2]

Bereits 1999 wurde für die neue Jugendanstalt Neustrelitz an der Wesenberger Chaussee der Grundstein gelegt. Diese nahm am 1. April 2001 ihren Betrieb auf. 297 Haftplätze stehen in dieser modernen JVA für die Unterbringung jugendlicher Straftäter zur Verfügung.[3][1]

Schicksale bekannter Häftlinge

Bernhard Schwentner

Die Schicksale bekannter Häftlinge zeigen wie verschiedene politischen Systeme den Gefängniskomplex zur Ausübung staatlicher Macht nutzten.

  • 1943 wurde hier Gustav Melkert – Arbeiter in einer Munitionsfabrik und Gewerkschaftssekretär im damaligen Landkreis Waren – zu Tode geprügelt.
  • Der Schriftsteller Hans Fallada wurde am 4. September 1944 in den Maßregelvollzug − im 2. Obergeschoss der „Abteilung Heil- und Pflegeanstalt“ (Hafthaus I)[3] − zur Beobachtung eingewiesen. Er schrieb hier das „Trinkermanuskript“ – eine Reihe von Kurzgeschichten, den später verfilmten Roman Der Trinker und einen Erfahrungsbericht über den NS-Staat. Am 13. Dezember 1944 wurde er wieder entlassen.[12][3][1][13][14]
  • 1945 wurde der Greifswalder Bürgermeister Richard Schmidt hier inhaftiert. Er wurde dann ins Speziallager Nr. 9 Fünfeichen gebracht und starb dort 1946.
  • Vom 10. April bis 22. Mai 1974 saß der Autor Jürgen Landt als Jugendlicher in einem sechswöchigen Strafvollzug wegen „Rowdytums“ im Zuchthaus Alt-Strelitz ein. Er verarbeitete seine Erfahrung in dem autobiografischen Roman Der Sonnenküsser.

Literatur

  • Hans Fallada: In meinem fremden Land. Gefängnistagebuch 1944. Hrsg.: Jenny Williams und Sabine Lange. Aufbau Verlag, 1. Auflage (21. April 2009), ISBN 3-351-02800-8, (Rezension).
  • Anne Kaminsky: Orte des Erinnerns. Forschungen zur DDR-Gesellschaft, Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR. Reihe: Forschungen zur DDR-Gesellschaft, Links Christoph Verlag 2007, ISBN 3-86153-443-6.
  • Jürgen Landt: Der Sonnenküsser. Roman. Bibliothek Mecklenburg-Vorpommern, Band 5. Edition M, Weimar & Rostock 2007, ISBN 978-3-933713-27-8, S. 196–237.
  • Elke Fein u. a.: Von Potsdam nach Workuta. Das NKGB/MGB/KGB-Gefängnis Potsdam-Neuer Garten im Spiegel der Erinnerung deutscher und russischer Häftlinge. Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung als Buch: ISBN 3-932502-19-1 oder PDF

Weblinks

Commons: Altstrelitzer Gefängnis – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e Harald Lachmann: Finanzstarke Liebhaber von Denkmälern gesucht. In: Nordkurier. Strelitzer Zeitung.
  2. a b Internet-Redaktion des Landkreises Mecklenburg-Strelitz: Denkmalliste (Stand Juni 1997) In: www.mecklenburg-strelitz.de.
  3. a b c d e f g h i j k l Chronik der JA Neustrelitz (Memento vom 27. Juli 2012 im Internet Archive)
  4. a b c Fernschreiben von Reinhard Heydrich zur Reichspogromnacht ("Reichskristallnacht") v. 10. November 1938 In: NS-Archiv, Dokumente zum Nationalsozialismus (19. März 2012)
  5. a b c Anett Wieking: Fast 30 Strelitzer Juden wurden verhaftet, Vor 60 Jahren wurden etwa 200 Mecklenburger in die Landesanstalt gebracht – in Neustrelitz viele Frauen festgenommen. In: Nordkurier, 1998. Auszug aus einem geheimen Fernschreiben „an alle Stapo-Stellen Und Stapo–Leitstellen“
  6. Anett Wieking: Fast 30 Strelitzer Juden wurden verhaftet, Vor 60 Jahren wurden etwa 200 Mecklenburger in die Landesanstalt gebracht, in Neustrelitz viele Frauen festgenommen. In: Nordkurier, 1998. unter Bezug auf Unterlagen des Vereins für Jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg-Vorpommern (Memento vom 19. Oktober 2013 im Internet Archive)
  7. A. Kaminsky: Orte des Erinnerns. Bonn 2007, S. 259 f.
  8. Charlotte Linke: Augenzeugen benennen einen Erschießungsort. In: Nordkurier, Strelitzer Zeitung. 4. April 1996, S. 17.
  9. a b Dieter Schulz: Wie einst beim Grafen von Monte Christo, Am Laken über die Mauer In: Nordkurier
  10. Geschichten aus der Josef-Jakubowski-Straße. In: Nordkurier. Strelitzer Zeitung,13. Januar 2004, S. 12.
  11. Peter Martell: Der Fall Jakubowski: Das Beil des Henkers traf einen Unschuldigen In: Nordkurier–Geschichte,24. Februar 1996, S. 6.
  12. Jenny William In: Mehr Leben als eins, Biographie Hans Fallada. Berlin 2011, ISBN 978-3-7466-7089-8, S. 315 ff.
  13. Hans-Fallada-Gesellschaft e. V.: Hans Fallada – Leben & Werk (Memento vom 23. Juli 2012 im Internet Archive)
  14. Pressemitteilung und Laudatio zur Auszeichnung von Christiane Witzke mit dem Annalise-Wagner-Preis.

Koordinaten: 53° 19′ 46,3″ N, 13° 5′ 50,1″ O