Wilhelm Canaris

Wilhelm Canaris, 1940

Wilhelm Franz Canaris (* 1. Januar 1887 in Aplerbeck bei Dortmund; † 9. April 1945 im KZ Flossenbürg) war ein deutscher Admiral und während der Zeit des Nationalsozialismus von 1935 bis 1944 Leiter des Amtes Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht.

Der aus einer bürgerlichen Familie stammende Canaris kämpfte im Ersten Weltkrieg unter anderem als U-Boot-Kommandant. Während der Zeit der Weimarer Republik arbeitete er eng mit den Freikorps zur Bekämpfung der Spartakisten zusammen und hielt später illegal Kontakt zur rechtsradikalen und republikfeindlichen Terrororganisation Organisation Consul. Canaris war maßgeblich an der Organisation der deutschen Unterstützung für Franco im Spanischen Bürgerkrieg beteiligt. Als Leiter des militärischen Nachrichtendienstes unterstützte Canaris zahlreiche konservative Widerstandskämpfer und war zwischen 1938 und 1940 an Umsturzplänen beteiligt. In das Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler war Canaris nicht involviert. Bei Untersuchungen der Geheimen Staatspolizei wurde Canaris’ Tagebuch gefunden und damit sein Kontakt zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus bekannt. Infolgedessen wurde Canaris verhaftet. Anfang April 1945 wurde er von einem SS-Standgericht im Konzentrationslager Flossenbürg zum Tode verurteilt und gehängt.

Biografie

Herkunft und Familie

Wilhelm Canaris wurde als Sohn des Ingenieurs Carl Canaris und dessen Frau Auguste geborene Popp in Aplerbeck bei Dortmund geboren, wo er zunächst auch aufwuchs. 1892 erfolgte ein Umzug nach Düsseldorf und im gleichen Jahr nach Duisburg, wo sein Vater zunächst als Oberingenieur und später als Vorstandsmitglied bei der Niederrheinischen Hütte, einem Hochofenwerk, arbeitete. Ab 1893 lebte er mit drei Geschwistern in einer Villa mit Park, Gärtnerei, Kutschenhaus und Tennisplatz. Canaris besuchte das Steinbart-Gymnasium, wo er als Schüler ein Außenseiter war. Er wurde als stiller, schweigsamer, reservierter und verschlossener Schüler beschrieben. Bei den Schulausflügen, die im wilhelminischen Deutschland zu Manövern gerieten, assistierte Canaris bereits dem Direktor der Schule bei den Planungen. Schon als Kind experimentierte er mit unsichtbarer Tinte und legte sich falsche Namen zu.

Obwohl vorher niemals ein Mitglied der Familie Berufsoffizier war, wollte Canaris bereits früh diesen Beruf ausüben. Sein kaisertreuer und nationalliberaler Vater Carl war Oberleutnant der Reserve. Er wollte, dass sein Sohn zur Kavallerie ging. Canaris hingegen wollte zur Kaiserlichen Marine. Seit einem Griechenland-Besuch 1902 war er vom griechischen Seeheld und Staatsmann Konstantin Kanaris (1790–1877) begeistert. Um seinen Sohn von der Idee abzubringen, zur Marine zu gehen, bekam Canaris mit 15 Jahren von seinem Vater ein Pferd geschenkt. Der Vater zwang Canaris, sich als Offiziersanwärter beim 1. Königlich Bayerischen Schwere-Reiter-Regiment „Prinz Karl von Bayern“ in München anzumelden. Carl Canaris verstarb 1904 an einem Schlaganfall im Alter von 52 Jahren. Auguste Canaris meldete ihren Sohn Wilhelm 1905 bei der Seekadetten-Annahme-Kommission in Kiel an, noch bevor Wilhelm das Abitur bestand.

Die Herkunft der Familie Canaris lässt sich bis ins 16. Jahrhundert hinein zurückverfolgen und ist in die Gegend von Sala Comacina am Comer See einzuordnen. Von dort zogen Angehörige der Familie Canarisi in verschiedene Teile Europas, unter anderem nach Griechenland, Frankreich und Deutschland. Der Stammvater des griechischen Zweiges war Michael Canaris, unter dessen Nachfahren man unter anderem Konstantin Kanaris findet, der als Seeheld und Staatsmann in die Geschichte Griechenlands einging und wohl als Knotenpunkt für die vermutete griechische Abstammung von Wilhelm Canaris herhalten musste. Eine Ahnengemeinschaft dieses griechischen Zweiges mit Wilhelm Canaris kann nicht ausgeschlossen werden.

Ein weiterer Zweig der Familie lässt sich nach Korsika zurückführen. Unter den Nachfahren dieses Zweiges finden sich angeblich auch Vorfahren von Napoleon Bonaparte. Der entscheidende Familienzweig geht jedoch auf Thomas Canaris zurück, der am 13. Dezember 1659 in Sala Comacina geboren wurde, nach Norden in den heute deutschen Teil des Heiligen Römischen Reich auswanderte und schließlich am 3. November 1735 in Bernkastel verstarb. In der Trierer Gegend gehörte die Familie zum Bürgertum und zog im Zuge der industriellen Revolution ins heutige Nordrhein-Westfalen. Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte die Familie dort zur Managerelite der Montanindustrie.

Wilhelm Canaris war mit der Industriellentochter Erika Waag verheiratet und hatte zwei Töchter, Eva (* 1923) und Brigitte (* 1926). Eva musste wegen einer geistigen Behinderung die Volksschule verlassen und lebte dann in den von Bodelschwinghsche Anstalten Bethel bei Bielefeld. Seine Tochter Brigitte wurde später ins Internat geschickt. Mit seiner kunstsinnigen und musischen Frau soll Canaris keine Gemeinsamkeiten gehabt haben. Selbst zu Festtagen habe er sich in die Arbeit gestürzt.

Laufbahn

Marinezeit bis zum Ersten Weltkrieg (1905–1914)

Wilhelm Canaris, 1905

Canaris trat 1905 als Seekadett in die Kaiserliche Marine ein. Seine Mutter musste vorher den damals üblichen Verpflichtungsschein unterschreiben, in dem sie verbindlich zusagte, 4800 Mark für die ersten vier Jahre der Marinelaufbahn aufzubringen. Mit 50 anderen Seekadetten wurde er auf der Kreuzerfregatte SMS Stein, ausgebildet. Nach einer etwa einjährigen Ausbildung an Bord der Stein folgten 18 Monate Ausbildung des zum Fähnrich zur See beförderten Canaris an der Marineakademie. Ein Ausbilder bescheinigte ihm dort:

„Theoretisch sehr gut begabt, von eisernem Fleiße.“

Im Oktober 1907, nach erfolgtem Fahneneid, wurde Canaris an Bord des Kleinen Kreuzers SMS Bremen versetzt. Der Kommandant der Bremen notierte:

„Er ist von kleiner Figur, sehr bescheiden und zurückhaltend, so daß man einige Zeit braucht, ihn kennen zu lernen. Sehr tüchtig und gewissenhaft. Er verspricht, ein guter Offizier zu werden, sobald er etwas mehr Zuversicht und Selbstvertrauen bekommen hat.“

1908 half Canaris dem Kommandanten der Bremen, ein V-Mann-System in Argentinien und Brasilien auszubauen. Die Bremen gehörte 1909 zur internationalen Blockadeflotte, welche die Küste Venezuelas blockierte. Der Leutnant zur See Canaris und nunmehr Adjutant der Bremen bewährte sich bei den Verhandlungen derart, dass er vom venezolanischen Präsidenten und General Juan Vicente Gómez mit dem Bolivar-Orden V. Klasse ausgezeichnet wurde. Im Januar 1910 wurde Canaris Zweiter Wachoffizier auf dem Torpedoboot V 162. Im Juni 1910 wurde Canaris als Kompanie  und Wachoffizier auf das Torpedoboot S 145 versetzt. Wegen eines Lungenspitzenkatarrhs wurde er für ein halbes Jahr in Erholungsurlaub geschickt. Die Beförderung zum Oberleutnant zur See am 29. August 1910. Nach der Rückkehr an Bord der S 145 urteilte sein Kommandant:

„Für den Spezialdienst auf Torpedobooten hat er Geschick und sicheren Blick bewiesen, er eignet sich zur späteren Verwendung als Kommandant eines Bootes.“

Im Dezember 1911 erfolgte die Versetzung von Canaris auf den Kleinen Kreuzer SMS Dresden. Wegen des Zweiten Balkankrieges wurde die Dresden in das östliche Mittelmeer befohlen. Canaris erhielt den Spezialauftrag, an Land die Bauarbeiten an der Bagdadbahn zu beobachten. Im September 1913 wurde er Adjutant des Kommandanten der Dresden. Ende 1913 wurde die Dresden an die Ostküste Mexikos geschickt, um deutsche Bürger während des dortigen Bürgerkriegs zu schützen. Die Dresden nahm Deutsche und Bürger anderer Staaten an Bord. Zeitweise waren unter anderem 2.000 US-amerikanische Bürger auf der Dresden einquartiert. Am Ende des Bürgerkrieges im Juli 1914, brachte die Dresden den gestürzten Präsidenten und General Victoriano Huerta nach Jamaika. Canaris bewährte sich während dieser Zeit als Dolmetscher. Am 28. Juli 1914, vier Tage vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, erhielt die Dresden im Hafen von Port-au-Prince auf Haiti liegend den Befehl, die Heimat anzulaufen. Drei Tage später wurde der Dresden, sie hatte zuvor noch auf der Insel Saint Thomas Proviant und Kohle aufgenommen, befohlen, einen Kreuzerkrieg im Atlantik zu führen.

Erster Weltkrieg (1914–1918)

Die Dresden steuerte nach Ausbruch des Krieges Argentinien an, um dort Schiffe in Richtung England anzugreifen. Um Argentinien zu erreichen brauchte die Dresden Kohle. Canaris kontaktierte per Funk Kaufleute in Argentinien und Brasilien, die er von früheren Fahrten her kannte, um Kohle zu organisieren. Am 10. August 1914 konnte die Dresden in einer Bucht bei Jericoacoara (Brasilien) 570 Tonnen Kohle vom deutschen Frachtschiff Corrientes übernehmen. Die Dresden versenkte vor Argentinien zwei britische Frachter und hielt drei weitere an. Die letzteren wurden freigegeben da sie Ladung für neutrale Staaten an Bord hatten. Als V-Leute von Canaris meldeten, dass Kriegsschiffe der Royal Navy im Anmarsch seien, wich die Dresden in den Pazifik aus, um sich dort mit dem Geschwader von Vizeadmiral Maximilian von Spee zu treffen. Canaris konnte diesem Geschwader über seine V-Leute in Chile und Argentinien einen feindlichen Flottenaufmarsch melden. Bei Coronel (Chile) konnte das deutsche Geschwader aus einem britischen Schiffsverband zwei von vier britischen Schiffe versenken. Es war die erste Seeschlacht des Ersten Weltkrieges. Canaris wurde für seine Aufklärungsleistungen mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Canaris schrieb seiner Mutter nach der Schlacht:

„Die Friedensaussichten sind wohl noch immer gering. Es wird wohl noch lange dauern, bis England erledigt ist.“

Das deutsche Geschwader steuerte die Falklandinseln an, um den Flottenstützpunkt Port Stanley zu zerstören. Dort kam es am 8. Dezember zur Seeschlacht mit weit überlegenen britischen Verbänden. Bis auf die Dresden wurden alle anderen deutsche Schiffe versenkt. Nach der Schlacht bei den Falklandinseln floh die SMS Dresden in den Pazifik. Die Dresden versteckte sich vor fast der gesamten britischen Flotte im Südatlantik in unzugänglichen Buchten von Südchile. Durch dass von Canaris aufgebaute Netz von V-Leuten wurden ständig Berichte über britische Flottenbewegungen geliefert. Am 18. Januar 1915 konnte die Dresden Kohlen vom Frachter Sierra Cordoba übernehmen. Die Dresden versenkte am 27. Februar das britische Segelschiff Conway Catle. Am 8. März konnte sie noch einmal dem britischen Panzerkreuzer Kent entkommen. Da die Kohle bis auf 80 Tonnen verbraucht war und zudem die Munition verschossen war, fuhr die Dresden am 9. März in die Cumberland-Bucht der Robinson-Crusoe-Insel, Teil des neutralen Chile, um das Schiff zu internieren. Am 14. März wurde die kampfunfähige Dresden von drei britischen Kriegsschiffen, unter Verletzung der Neutralität Chiles, beschossen. Canaris wurde mit einer Barkasse zum Kleinen Kreuzer HMS Glasgow geschickt, um Zeit zu gewinnen, denn der Kommandant bereitete die Selbstversenkung vor.

Nach der Selbstversenkung wurde Canaris mit den anderen Besatzungsmitgliedern auf der Insel Quiriquina bei der mittelchilenischen Stadt Concepción interniert. Am 3. August 1915 floh Canaris aus dem nur schlecht bewachten Internierungslager. Bei der Flucht Richtung Argentinien erhielt er Hilfe von Chilenen deutscher Abstammung. Mit einem Pferd überquerte er allein die Kordilleren. Von Buenos Aires fuhr er, als chilenischer Staatsbürger Reed Rosas getarnt, mit dem niederländischen Frachter Frisia nach Amsterdam. Seine Tarnung war so perfekt, dass Abwehroffiziere der Royal Navy, bei der Kontrolle während der Zwischenstation Plymouth, keinen Verdacht schöpften. Am 4. Oktober 1915 erreichte er Hamburg und erstattete wenig später dem Admiralstab Bericht über die Fahrt der Dresden.

Canaris wurde am 30. November 1915 nach Spanien beordert, um dort ein Nachschuborganisation für die im westlichen Mittelmeer operierenden U-Boote zu schaffen sowie über V-Leute Informationen über feindliche Schiffe zu beschaffen. In Spanien führte er unter seinem Tarnnamen Reed Rosas ein Agentenleben. Canaris baute in den spanischen Küstenstädten ein Netz von V-Leuten für den Marine-Nachrichtendienst auf, wobei ihm die deutschfreundliche Stimmung in Spanien zugute kam. Canaris konnte eine Nachschuborganisation mit spanischen Schiffen aufbauen, die ab Frühjahr 1916 deutsche U-Boote mit Nachschub versorgte. Der unruhige Canaris bat um die Versetzung zur Torpedowaffe. Am 21. Februar 1916 verließ er wieder als Chilene Reed Rosas getarnt Madrid, um über Frankreich und Italien in die Schweiz zu reisen. Kurz vor der Schweizer Grenze wurde er verhaftet, da Funksprüche durch den französischen Geheimdienst entschlüsselt wurden. Scheinbar ist er aus der Haft in Genua entflohen, wobei genaue Belege fehlen. Canaris kehrte nach Spanien zurück. Am 1. September wurde Canaris bei Cartagena unter dramatischen Umständen vom deutschen U-Boot U 35 abgeholt. Canaris konnte mit zwei anderen Offizieren von einem Segelschiff von U 35 aufgenommen werden, obwohl das französische U-Boot Opale und ein Hilfskreuzer in der Bucht nach Canaris und dem U-Boot suchten, da ein französischer V-Mann in der deutschen Botschaft die Information gemeldet hatte.

Am 24. Oktober 1916 wurde er mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse für seinen Einsatz in Spanien ausgezeichnet und der U-Boot-Inspektion zugeteilt. Nach der Ausbildung als U-Boot-Kommandant wurde er am 16. November 1916 zum Kapitänleutnant befördert und dem Führer der Unterseeboote im Mittelmeer als U-Boot-Kommandant zugeteilt. Der Leiter der U-Schule stellte im Gesamturteil fest:

„Eignet sich besonders gut als Kommandant eines großen U-Bootes bzw. U-Kreuzers.“

Im U-Boot-Einsatzstab in Kotor in der Adria wurde er zunächst mit Adjutanten- und Admiralstabsarbeiten betraut. Er erhielt am 28. November 1917 das Kommando über das Transport-U-Boot UC 27. Wenig später erhielt er das stellvertretende Kommando über U 34. Am 19. Januar 1918 lief U 34 in Richtung westliches Mittelmeer aus. Die erste Versenkung eines feindlichen Schiffes erfolgte am 30. Januar. Er versenkte den 7293-BRT-Frachter Maizar und überstand einen Wasserbombenangriff britischer Kriegsschiffe. Bis zur Rückkehr am 16. Februar nach Kotor konnte U 34 zwei weitere Schiffe versenken. Sein Vorgesetzter meldete:

„Die Unternehmung ist sachgemäß und mit gutem Erfolg durchgeführt worden. Die Leistung sind unter Berücksichtigung dessen, daß der Kommandant zum erstenmal ein großes Boot führt, besonders anzuerkennen.“

Im Mai 1918 fuhr er nach Kiel, um dort sein eigenes U-Boot zu übernehmen. Mit UB 128 erreichte er Ende August wieder Kotor. Als der Verbündete Österreich-Ungarn als Staat zusammenbrach, musste die deutsche U-Boot-Flottille ihren Stützpunkt in der Adria räumen. Zehn nicht einsatzfähige U-Boote wurden versenkt und die Anlagen in Pula und Kotor gesprengt. UB 128 fuhr mit 15 anderen U-Booten Richtung Kiel.

Weimarer Republik (1918–1933)

Kurz nach der Ankunft der U-Boote in Kiel hielt der Sozialdemokrat und Gouverneur von Kiel Gustav Noske eine Rede, in der die Marinesoldaten über die Lage im Deutschen Reich informierte. Danach erfolgte die Außerdienststellung der U-Boote. Canaris wurde von der Marine zum Verbindungsoffizier zu Gouverneur Noske ernannt. Er hatte sich schon kurz nach der Ankunft einem Kreis von extrem rechten republikfeindlichen Marineoffizieren um Korvettenkapitän Wilfried von Loewenfeld angeschlossen.

Als es in Berlin zum Spartakusaufstand der Spartakisten kam befand sich Canaris in Berlin, wo Noske inzwischen im Kabinett Volksbeauftragter für Heer und Marine war. Canaris erhielt von Noske den Auftrag Kontakt zum Stab der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, die zu den Freikorps gehörte, zu halten. Bei der Division bekam er Kontakt mit Hauptmann Waldemar Pabst, welcher Erster Generalstabsoffizier der Division war. Bei den nun folgenden Kämpfen ab dem 11. Januar 1919 gegen die Spartakisten in Berlin befand sich Canaris an vorderster Front. Am 15. Januar wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von Freikorpsmitgliedern auf Befehl von Pabst erschossen. Wo sich Canaris zum Zeitpunkt der Morde aufhielt ist nicht feststellbar.

Als die Nationalversammlung in Weimar am 6. Februar die Beratungen aufnahm, befand sich Canaris dort um für die Armee Einfluss zu nehmen. Dabei trat seine chamäleonhafte Begabung zu Tage, mit der er sich jedem Gesprächspartner scheinbar anpassen konnte. Als am 15. Februar das Reichsmarineamt, kurz darauf in Admiralität und 1920 in Marineleitung umbenannt, gegründet wurde, war Canaris einer der Mitarbeiter.

Er wurde, auf Veranlassung von Pabst, im Mai 1919 zum Beisitzer des Kriegsgerichts, vor dem sich die der Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht angeklagten Freikorpsmitglieder verantworten sollten. Canaris probte vorher mit den Angeklagten im Moabiter Gefängnis den Prozess, um die Spuren zu höheren Verantwortlichen wie Pabst zu verschleiern. Ein Großteil der Beschuldigten wurde von diesem Gericht freigesprochen. Nur zwei Angeklagte wurden zu Freiheitsstrafen von 2 Jahren und 4 Monaten verurteilt. Am 17. Mai holte Canaris, als Oberleutnant Lindemann getarnt, den zu 2 Jahren und 4 Monaten verurteilten Oberleutnant Kurt Vogel aus dem Gefängnis und ermöglichte ihm die Flucht. Trotzdem wurde Canaris nur für vier Tage im Moabiter Gefängnis inhaftiert. Seine Haft wurde umgewandelt in eine Ehrenhaft im Berliner Schloss, dem Stabsquartier der 3. Marinebrigade. Wenig später wurde Canaris freigesprochen von Kriegsgerichtsräten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, – also von der Division, die hinter den Morden steckte. Angeblich sei Canaris zur Tatzeit gar nicht in Berlin gewesen.

Reichswehrminister Noske versetzte Canaris nun in seinen persönlichen Stab. Canaris bearbeitete dort ausgerechnet Fragen welche die Marinebrigaden betrafen. Als 1920 die Freikorps aufgelöst werden sollten, planten rechte Kreise um den Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp einen Putsch. Am Vorabend des Kapp-Putsches am 12. März wurde Vizeadmiral Adolf von Trotha mit Canaris ins Lager der Marinebrigade in Dallgow-Döberitz zu deren Kommandanten Hermann Ehrhardt geschickt, um diesen vom Putsch abzuhalten. Obwohl beide die Marinebrigade abmarschbereit antrafen, meldete Canaris Noske „keinerlei Anzeichen für Putschabsichten“. Schon kurz nach Mitternacht begann der Putsch. Canaris schlug sich wie die meisten Marineoffiziere sofort auf die Seite der Putschischten. Durch einen Generalstreik brach der Putsch schnell zusammen. Für wenige Tage befand sich Canaris in einer Zelle des Berliner Polizeipräsidiums. Als eine Kommission im Reichwehrministerium den Putsch untersuchte, blieb Canaris ungeschoren, da eine Teilnahme an den Vorbereitungen des Putsches nicht nachweisbar war. Der neue Reichwehrminister Otto Geßler ließ die meisten Offiziere aus der früheren Umgebung von Noske versetzen.

Am 24. Juni 1920 wurde Canaris Erster Admiralstabsoffizier beim Kommando der Marinestation der Ostsee. Canaris beschaffte Material und Waffen aus versteckten Lagern für die Ausstattung der neuen Marine. Um Geld zu beschaffen, fädelte er den Verkauf überzähliger Waffen und Geräte über Dänemark ein. Canaris war Verbindungsmann zur rechtsradikalen Terrororganisation Organisation Consul (O. C.), die vom untergetauchten Ehrhardt geführt wurde. Die Mitglieder der OC wurden mit Geldern aus den illegalen Waffengeschäften bezahlt. Canaris arbeitete also eng mit einer staatsfeindlichen Organisation zusammen, die von einem wegen Hochverrats gesuchten Ehrhardt geführt wurde. Auch als die O. C. immer mehr politische Morde an Politikern des Reichs durchführte, beendete Canaris die Zusammenarbeit nicht.

Canaris (zweite Reihe, zweiter von rechts) mit anderen Mitarbeitern

Im Juni 1923 wurde Canaris Erster Offizier auf dem Kleinen Kreuzer Berlin unter dem Kommando von Wilfried von Loewenfeld. An Bord der Berlin lernte er den Seekadetten Reinhard Heydrich kennen. Canaris hatte ein Faible für Einzelgänger, und er fand Gefallen an dem bei anderen Marinesoldaten unbeliebten Heydrich. Bald verbrachte Heydrich viel Zeit im Hause von Canaris und musizierte mit Erika Canaris.

Der am 1. Januar 1924 zum Korvettenkapitän ernannte Canaris war in der Marine so unzufrieden, dass er am 15. Januar 1925 den Dienst quittieren wollte. Er schrieb:

„Da ich mich den Anforderungen des Dienstes in der Reichsmarine körperlich nicht mehr gewachsen fühle, bitte ich um meine Verabschiedung mit Ablauf des Monats März mit der gesetzlichen Versorgung nach W. V. G.“

Sein Gesuch wurde indes abgelehnt.

Im Mai 1924 wurde er in geheimer Mission nach Ōsaka in Japan entsandt. Dort sollte er sich über den Stand des dortigen, von deutschen Experten geplanten und durchgeführten U-Boot-Baus informieren.

Am 4. Oktober übernahm er bei der Marineleitung in Berlin als Leiter das Dezernat für Mobilmachungsvorarbeiten. Die Schreibtischarbeit scheint Canaris nicht behagt zu haben, seine Stärke war der persönliche Kontakt zu Menschen. Sein Vorgesetzter notierte:

„Ich hatte den Eindruck, daß ihm diese Art reiner Schreibtischarbeit, die zu einem großen Teil im Sichten und Zusammenfügen besteht, nicht liegt.“

Als im Januar 1925 in Spanien Verhandlungen über den Bau von U-Booten nach deutschen Plänen anstanden, reiste Canaris mit dorthin. Canaris sollte in Spanien auch ein neues Netz von V-Männern aufbauen. In den nächsten Jahren reiste Canaris wiederholt wegen der geheimen Rüstungszusammenarbeit und zum Aufbau eines Agentennetzes nach Spanien. Am 1. Oktober 1926 wurde er Referent beim Stab des Chefs der Marineleitung. Die meiste Zeit verbrachte Canaris in Spanien, um die geheime Rüstungszusammenarbeit zu verstärken. Als 1927 Reichwehrminister Geßler wegen eines Skandals um die geheimen Rüstungsgeschäfte stürzte, rückte Canaris wie während des Prozesses um die Morde an Luxemburg und Liebknecht in den Blickpunkt der linken Presse. Insbesondere Die Weltbühne berichtete über Canaris. Die Weltbühne schrieb im September 1927:

„Wir haben gezeigt, daß es immer ein Mann war, der die Verbindung aufrechterhielt und der vor allen Dingen die Auszahlung von Staatsgeldern an rechtsradikale Organisationen veranlaßte: der Korvettenkapitän Canaris.“

Anfang 1928 handelte er mit General Bazan, dem Chef der spanischen Sicherheitspolizei (Jefe de la Seguridad), ein Geheimabkommen über die Zusammenarbeit der Polizei im Reich und Spanien aus. Dieses Geheimabkommen wurde am 17. Februar 1928 unterschrieben. Um Canaris aus der politischen Schusslinie zu bekommen, wurde er am 22. Juni Erster Offizier auf dem Linienschiff Schlesien. Anfangs durfte Canaris noch weiter geheime Kontakte nach Spanien pflegen. Als dann schwere Fehler bei der Geheimhaltung der geheimen Zusammenarbeit mit Spanien bekannt wurden, verbot der neue Marinechef Erich Raeder jede weitere politische Sonderaufgabe für Canaris. Seine Beförderung zum Fregattenkapitän erfolgte am 1. Juni 1929.

Am 29. September 1930 wurde er zum Chef des Stabes beim Kommando der Marinestation der Nordsee ernannt. Dort erfolgte am 1. Oktober 1931 die Beförderung zum Kapitän zur See. Ab 1932 scheint Canaris immer mehr von Adolf Hitler angezogen worden zu sein. Er galt als begeisterter Nationalsozialist. Am 29. September 1932 wurde er Kommandant des Linienschiffes Schlesien.

Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945)

Am 29. September 1934 erfolgte die Versetzung nach Swinemünde als Festungs-Kommandant. Mit diesem Posten war Canaris in einer Karrieresackgasse gelandet, unter anderem weil der Marinechef Erich Raeder, seit ihrer gemeinsamen Zeit bei Reichswehrminister Noske, ein Gegner von Canaris war. Auf Vorschlag von Kapitän zur See Conrad Patzig, dem Chef der deutschen Abwehr, wurde Canaris am 2. Januar 1935 zu dessen Nachfolger bestimmt. Anfangs hatte es Canaris schwer, sich in der Abwehr und der gesamten Wehrmacht Geltung zu verschaffen. Dabei dürfte seine Größe von etwa 1,60 m, sein unmilitärisches Auftreten, seine zurückhaltende Art, sein leichtes Lispeln und sein müder Blick eine Rolle gespielt haben.

Von Anfang an gab es Probleme mit der SS, genauer mit dem SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich dem Leiter des Geheimen Staatspolizeiamtes und des Sicherheitsdienstes (SD). Die SS wollte von Beginn der Naziherrschaft eine einheitliche Organisation, welche Geheimpolizei und Geheimdienst unter der Führung der SS vereinigte. Canaris und Heydrich wohnten in Berlin-Steglitz beide zunächst in der Doellestraße.[1] Beide hatten sich 12 Jahre nicht gesehen. Beide Familien pflegten in den nächsten Jahren engen gesellschaftlichen Umgang. Später in Berlin-Schlachtensee grenzten beider Grundstücke aneinander. Im Hause Heydrich spielte in einem Streichquartett Heydrich Erste und Erika Canaris Zweite Geige. Lina Heydrich hörte zu, Canaris war hingegen meist abwesend oder kochte. Beide waren Einzelgänger, denen menschliche Beziehungslosigkeit, ja unüberwindbare Distanz zur Umwelt nachgesagt wurde. Morgens kam es häufig zu gemeinsamen Ausritten im Berliner Tiergarten, an denen auch die SS-Offiziere Werner Best und später Walter Schellenberg teilnahmen. Trotz des engen Umgangs miteinander scheinen sich beide regelrecht belauert zu haben. Beide Geheimdienstchefs hatten Zuträger im anderen Dienst. Typisch für Heydrich scheint der folgende Ausspruch über Canaris gegenüber SS-Kollegen gewesen zu sein:

„Der spioniert, der schnüffelt überall herum!“

In einer Vereinbarung vom 17. Januar 1935 zwischen Reichswehr und SS wurde die Militärische Spionage und Gegenspionage, auf Betreiben von Canaris vorerst geregelt. Die Zuständigkeit von Spionage und Gegenspionage blieb bei Abwehr in der Reichswehr. Die Abwehr erhielt auch die Zuständigkeit für die Spionageabwehr in der SS-Verfügungstruppe, deren Abwehrabteilung wurde der Abwehr unterstellt.

Am 1. Mai 1935 erfolgte die Beförderung zum Konteradmiral. Canaris begann einen gewaltigen personellen Aufbau der Abwehr. Unter den neuen Mitarbeitern waren viele ehemalige Freikorpsmitglieder. Es wurden sowohl Nazis als auch Gegner der Nazis rekrutiert. Durch die sehr unterschiedliche Zusammensetzung entstand nie ein richtiger Korpsgeist in der Abwehr. Es wurden zahlreiche V-Männer in Botschaften, Hotels usw. geworben. In Rüstungsbetrieben wurden Abwehrbeauftrage ernannt. Canaris persönlich setzte sich für das Säubern von Rüstungsbetrieben von politisch unzuverlässigen, also politisch links stehenden, Personen ein. Canaris begann sofort eine immer enger werdende Zusammenarbeit mit Geheimdiensten in Italien und anderen, meist politisch rechten Ländern.

Der Kontakt mit Hitler war anfangs sehr intensiv, wie beispielsweise 17 Besprechungen von Dezember 1935 bis März 1936 zeigen. Canaris stand zu dieser Zeit voll hinter Hitler und der Regierung, wie die zwei folgenden Aussprüche zeigen:

„Er ist ansprechbar und sieht etwas ein, wenn man es ihm nur richtig vorträgt.“

„Wer ein wirklich guter Soldat ist, der wird auch ein guter Nationalsozialist sein.“

Nach der Ernennung zum „Abwehrchef“ 1935 nutzte Canaris seine exzellenten Spanischkenntnisse und baute in Spanien ein Spionagenetzwerk auf. Canaris gilt als Hintermann der deutschen militärischen Unterstützung Francos im Spanischen Bürgerkrieg. Als am 17. Juli 1936 der Bürgerkrieg begann, lag der Hauptteil der putschenden Truppen in Spanisch-Marokko. Da die spanische Marine republiktreu war, bat Franco das Reich um zehn Transportflugzeuge, um Truppen nach Spanien zu fliegen. Canaris erreichte nach intensiven Gesprächen vom 25. bis 26. Juli mit Hitler, Hermann Göring und Werner von Blomberg, dass am 28. Juli die Endscheidung fiel, zwanzig Ju 52 der Lufthansa nach Tétouan in Spanisch-Marokko zu entsenden. Später war Canaris mit dafür verantwortlich, dass deutsche Kampfverbände in Form der Legion Condor nach Spanien entsendet wurden.

Da die aufständischen Truppen unter Franco im Süden und Nordwesten von Spanien getrennt waren und über unzureichende Funkanlagen verfügten, liefen Meldungen Anfangs über Canaris bzw. die Abwehr. Canaris nahm zur Unterstützung der Aufständischen Kontakte zum italienischen Geheimdienstchef Roatta auf und traf sich Ende Oktober mit Franco in Salamanca, um über die weitere Zusammenarbeit zu sprechen. Am 6. Dezember 1935 war Canaris in Rom bei der Konferenz der Stabschefs der italienischen Streitkräfte dabei, wobei die Endsendung einer Division beschlossen wurde.

Canaris (links) bei der Beisetzung von Kaiser Wilhelm II. in Doorn, Niederlande, 9. Juni 1941

Canaris war wiederholt in Spanien, um Konflikte zwischen Spaniern, Deutschen und Italienern zu schlichten. Canaris persönlich sorgte für Ablösung des deutschen Botschafters Wilhelm Faupel und des Kommandeurs der Legion Condor Generalmajor Hugo Sperrle, da beide mit ihrer Besserwisserei, ihrem Größenwahn und ihrer herrischen Art die Spanier nervten.

Die Abwehr übernahm die Gegenspionage der Legion Condor. Als Teil der Abwehr wurde die Geheime Feldpolizei (GFP) aus Beamten der Gestapo gegründet. In Spanien wurde eine Einheit der GFP mit 30 Mann und der Bezeichnung „S/88/Ic“ eingesetzt. Diese Einheit arbeitete eng mit dem Geheimdienst der Franco-Truppen (Servicio Informacion Policia Militar) zusammen. Einer der Schwerpunkte der Arbeit in Spanien war die Verfolgung von Deutschen, die in der Internationalen Brigade kämpften. Eine Vereinbarung mit Franco regelte die Übergabe gefangener deutscher Kämpfer der Internationalen Brigade an die GFP. Einige dieser Gefangenen deutschen Kämpfer der Internationalen Brigaden wurden bereits in Spanien ermordet, die meisten wurden mit Einverständnis Spaniens ins Deutsche Reich verschleppt, um dort entweder vor den Volksgerichtshof gestellt zu werden oder sofort im KZ zu landen. Inwieweit Canaris in die Arbeit der GFP in Spanien involviert war, ist unklar.

Zu Jahresbeginn 1938 kam es zur Blomberg-Fritsch-Krise, die zur Entlassung des Reichskriegsministers und Oberbefehlshabers der Wehrmacht, Werner von Blomberg, und des Oberbefehlshabers des Heeres, Werner von Fritsch, führte. Blomberg hatte im Januar 1938 eine Frau geheiratet, die seit 1932 in Polizeiakten als Prostituierte geführt wurde. Fritsch wurde fälschlicherweise als Homosexueller denunziert. Beide Offiziere wurden daraufhin zum Rücktritt gezwungen. Hitler ergriff dabei die Chance, unliebsame, fachlich kompetente Kritiker gegen seine Kriegspläne loszuwerden. Canaris war einer von ganz wenigen hohen Militärs, der sich aktiv für Fritsch einsetzte und bei der Aufkärung der falschen Anschuldigungen gegen Fritsch half. Bei der Aufklärung kam unter anderem heraus, dass die Gestapo frühzeitig die Verwechselung von Fritsch mit einem namensgleichem Mann bemerkt hatte und diese Information nicht weitergab. Die Blomberg-Fritsch-Krise scheint der Wendepunkt von Canaris im Verhältnis zur Regierung, insbesondere zur SS und Gestapo, gewesen zu sein und führte zur Hinwendung zu Widerstandskreisen gegen Hitler im Militär. Canaris ließ nun von der Abwehr Anti-Gestapo-Material sammeln und gab dieses Material an führende Offiziere der Wehrmacht weiter.

Am 4. Februar 1938 wurden 16 Generäle zwangspensoniert und 44 weitere versetzt. Das Kriegsministerium wurde in Oberkommando der Wehrmacht (OKW) unter Generallleutnant Wilhelm Keitel umbenannt. Canaris wurde am 7. Februar Chef der Amtsgruppe Allgemeine Wehrmachtsangelegenheiten (AWA) im OKW, unter Beibehaltung der Funktion als Chef der Abwehr. Canaris war nun für Beziehungen des OKW zu Partei, Polizei, Presse und Öffentlichkeit zuständig.

Bereits vor Kriegsbeginn kamen ihm allerdings Zweifel an Hitlers Politik, die sich rasch mehrten und schließlich zu entschiedenster Gegnerschaft führten. Es wird berichtet, dass er über Klementyna Mankowska und Halina Szymańska Verbindungen zu britischen und anderen alliierten Nachrichtendiensten unterhielt.

Canaris hielt in seiner Position als Chef der Abwehr die Fassade des loyalen Geheimdienstlers aufrecht, bot aber seinen Mitarbeitern Hans Oster und Hans von Dohnanyi Schutz, die ebenfalls Umsturzpläne gegen die Regierung schmiedeten.

Sturz und Hinrichtung
Gedenktafel im KZ Flossenbürg

Am 11. Februar 1944 wurde Canaris seines Amtes als Abwehrchef enthoben. Der Entlassung als Abwehrchef ging eine Reihe von Fehlern der Abwehr voraus. So hatte die Abwehr die Vorbereitungen zur Landung alliierter Truppen bei Anzio in Italien (Operation Shingle) nicht erkannt. Am 5. Februar wurde Hitler das Überlaufen des Abwehr-Mitarbeiters Vermehren in Istanbul zu den Briten gemeldet. Als es am 11. Februar zu einem Sprengstoffanschlag auf einen britischen Frachter für Apfelsinen in Cartagena in Spanien durch von der Abwehr mit Sprengstoff versorgte Francogegner gekommen war, tobte Hitler. Nun schlug SS-Brigadeführer Hermann Fegelein, Verbindungsoffizier der Waffen-SS im Führerhauptquartier, vor, die Abwehr dem Reichsführer–SS Himmler zu übergeben. Hitler bestellte Himmler zu sich und beauftragte ihn, einen vereinigten Geheimdienst zu schaffen. Himmler entwarf einen Befehl, dem Wilhelm Keitel und Jodl für die Wehrmacht zustimmten. Hitler unterzeichnete am 13. Februar einen entsprechenden Befehl. Jodl und Keitel überbrachten Canaris in der Abwehrzentrale Zossen die Nachricht, dass Abwehr und SD zusammengefasst würden. Canaris sollte sich auf die Burg Lauenstein bei Probstzella im Frankenwald begeben. Dort befand sich eine Dienststelle der Abwehr mit Forschungsstelle für Fälschung von Pässen, Geheimtinten, Mikrokameras usw. Hitler würde später über die weitere Verwendung von Canaris entscheiden. Canaris wurde damit unter Hausarrest gestellt. Dazu wurden Dankesworte Hitlers überbracht und die Nachricht von der Verleihung des Deutschen Kreuzes in Silber an Canaris.

Canaris fuhr mit Fahrer und seinen beiden Dackeln zur Burg. Am 10. März wurde die Entlassung von Canaris aus dem Wehrdienst zum 30. Juni verfügt. Die Abwehr wurde am 1. Juni aufgelöst. Schellenberg reiste kurz darauf zu Canaris, um ihn darüber zu informieren. Im Juni wurde Canaris wieder zum Wehrdienst als Admiral z. V. (zur Verfügung) einberufen, und er wurde zum 1. Juli Chef des OKW-Sonderstabs für Handelskrieg und wirtschaftliche Kampfmaßnahmen (HWK) in Eiche bei Potsdam. Canaris hatte einen Adjutanten, ein paar nicht frontfähige Offiziere und einige kriegsverpflichtete Zivilisten zur Verfügung. Diese sollten den Handelskrieg und den Kampf gegen die alliierte Wirtschaftsblockade steuern. Im Jahr 1944 war diese Dienststelle wegen der Kriegslage praktisch ohne Aufgabe. Er lebte mit einem algerischen Diener und einer polnischen Köchin in seinem Haus. Seine Frau lebte wegen der Bombenangriffe bereits seit längerem in Riederau am Ammersee. Canaris nahm russischen Sprachunterricht und sein Nachbar Helmut Maurer, ein Pianist, spielte für ihn zu Hause Klavier.

Am 20. Juli um 17 Uhr wurde Canaris von Generalstabsrichter Karl Sack, einem der Verschwörer des Attentat vom 20. Juli 1944, vom Anschlag unterrichtet. Von seiner Dienststelle in Eiche ließ Canaris sofort eine Ergebenheitsadresse ans Führerhauptquartier senden, in der er Hitler zur wundersamen Rettung beglückwünschte. Der eigentliche Umsturzversuch unter dem Decknahmen Walküre lief erst kurz nach 18 Uhr an. Der Chef des Amtes M (Name der ehemaligen Abwehr im SD) gestand am 22. Juli vor Gestapochef Heinrich Müller seine Teilnahme am Umsturzversuch und nannte Canaris als „geistigen Treiber der Umsturzbewegung“. Am 23. Juli wurde Canaris beim Kaffeetrinken mit zwei Freunden von SD-Chef Schellenberg persönlich verhaftet und zur Grenzpolizeischule in Fürstenberg gebracht. Dort befanden sich weitere 20 Offiziere, die von der Gestapo verdächtigt wurden, in das Attentat vom 20. Juli verwickelt gewesen zu sein. Die Ermittlungen wurden durch SS-Sturmbannführer Walter Huppenkothen und Kriminalkommissar Sonderegger geführt. Canaris wurde wenig später ins Gefängnis des RSHA überführt. Er wurde in einer eineinhalb mal zweieinhalb Meter großen Zelle untergebracht und hatte keinen Hofgang. Der Kontakt zu anderen Häftlingen war verboten. Nur morgens beim Duschen waren Gespräche möglich. Als Verpflegung gab es nur Hungerrationen; während andere Häftlinge Besuch und Esspakete bekamen, fehlte beides bei Canaris.

Bei Vernehmungen sagte Friedrich Wilhelm Heinz, Kommandeur des 4. Jägerregiments „Brandenburg“ aus, dass die gleichnamige Division Brandenburg (Spezialeinheit), die Canaris unterstand, für Umsturzpläne vorgesehen war. Deren Kommandeur Generalmajor Alexander von Pfuhlstein bestätigte dies. Oster bezichtigte Canaris wenig später nach Vorlage der Aussage Puhlsteins der Mitwisserschaft für Umsturzpläne. Canaris bestätigte nur Gespräche über „Änderung der Kriegsführung“, er habe diesen theoretischen Gesprächen keinen Wert zugemessen. Auch bei einer Gegenüberstellung blieb Canaris bei seiner Linie.

Am 19. September wird ein von Karl Dönitz dem Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine unterschriebenes Schreiben aufgesetzt, nachdem Canaris mit Wirkung vom 25. Juli entlassen ist. Am 21. September schreibt Canaris eine Erklärung im Sinn des Regimes. Am gleichen Tag meldet ein Fahrer, dass er früher Geheim-Akten der Abwehr ins Lager Zeppelin in Zossen gefahren hatte. Am 22. September findet die Gestapo das Geheimarchiv der Umsturzversuche von 1938–1940 und auch einige Durchschläge von Canaris’ Tagebuch, Dohnanyi hatte dieses Archiv, entgegen seiner Befehle, nicht vernichtet. Oster verriet nach Aktenfund alles über seine Umsturzpläne an die Gestapo. Canaris hingegen spielte noch immer alles herunter, als habe er nur formal an Komplottgesprächen teilgenommen. Für jeden Vorwurf und jeden Verdacht hielt Canaris eine plausible Erklärung bereit. Die Essensrationen für Canaris wurden auf ein Drittel der normalen Gefängnisration reduziert. Ferner war er Schlafentzug durch ständige Kontrollen ausgesetzt und musste nun die Flure schrubben.

Am 5. Februar 1945 wird Canaris mit anderen ins KZ Flossenbürg transportiert. Im Sondertrakt des KZs hat er Kontakt über Klopfzeichen zum Mithäftling Hans Mathiesen Lunding, einem dänischen Geheimdienstoffizier. Anfang April 1945 entdeckte der General der Infanterie Walter Buhle oder einer seiner Offiziere in einem Panzerschrank in Zossen das seit langem von der Gestapo gesuchte Tagebuch von Canaris. Der nazihörige Buhle ließ dies sofort an die Gestapo übergeben. Am 5. April wurde es von Ernst Kaltenbrunner, dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Hitler persönlich vorgelegt. Hitler befahl die „sofortige Vernichtung der Verschwörer“. Kaltenbrunner ordnet nun ein SS-Standgericht an. Über das im KZ durchgeführte SS-Standgericht gibt es nur Darstellungen vom SS-Richter Otto Thorbeck und Huppenkothen.

Oster bekannte sich vorm SS-Standgericht zum Widerstand. Canaris hingegen bestritt alle Vorwürfe. Oster bestätigte auch bei einer Gegenüberstellung mit Canaris alle Vorwürfe. Nun antwortete Canaris auf die Frage, ob sein ehemaliger Stabschef lüge, mit nein. Die Angeklagten, neben Canaris Dietrich Bonhoeffer, Ludwig Gehre, Hans Oster und Karl Sack, wurden zum Tode verurteilt. Canaris klopfte zur Nachbarzelle eine letzte Nachricht.

„Bei letzter Vernehmung Nase gebrochen. Meine Zeit ist um. War kein Landesverräter. Habe als Deutscher meine Pflicht getan. Sollten sie weiterleben, grüßen sie meine Frau.“

Canaris und vier weitere SS-Opfer müssen sich wenig später nackt ausziehen und werden gehängt. Ein SS-Mann sagte später als Zeuge:

„Bei dem kleinen Admiral hat es sehr lange gedauert. Er ist ein paar Mal rauf und runter gezogen worden.“

Die Toten wurden im Krematorium verbrannt und deren Asche verstreut.

Der SS-Richter Otto Thorbeck wurde vom Bundesgerichtshof 1956 vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord freigesprochen, obwohl es sich um einen reinen Schauprozess handelte. Selbst nach den Gesetzen des NS-Staates war dieses SS-Standgericht rechtswidrig. Nach der Kriegsstrafverfahrensordnung (KStVO) war für die Angeklagten ein Kriegsgericht zuständig, da es sich nicht um SS-Angehörige handelte. Nach Kriegsstrafverfahrensordnung war kein Standgericht möglich, da dieses nur für eben begangene Straftaten zuständig war, deren sofortige Aburteilung zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit der Truppe notwendig war. Ferner lagen noch die folgenden Verfahrensfehler vor: keine militärischen Richter, falscher Gerichtsort, keine Verteidiger, keine Bestätigung und Überprüfung der Urteile.

Haltung gegenüber Juden

Sein Biograph Höhne behauptet, dass Canaris in einer Atmosphäre eines gemäßigten Antisemitismus des Ruhr-Bürgertums und der Marine aufgewachsen bzw. gelebt hat. Er glaubte scheinbar an ein "Judenproblem" im Deutschen Reich. Umstritten ist Canaris Haltung gegenüber dem Holocaust sowie seine Zuordnung zu den Tätern oder den Opfern. Ihm wird nachgesagt, den Judenstern erfunden zu haben.[2] Die Lubawitscher Chassidim befürworten seine Ehrung als Gerechter unter den Völkern, weil er deren Rabbi Yosef Yitzchak Schneersohn im September 1939 und zahlreichen weiteren Juden zur Flucht verholfen habe.[3]

Militärische Laufbahn

Aus heutiger Sicht gesehen

Canaris ist einer der wenigen Widerstandskämpfer gegen Hitler, deren Einordnung in die Geschichte noch Anfang des 21. Jahrhunderts umstritten ist. Direkt nach dem Krieg wurde er von rechten Kreisen vor allem als Verräter gesehen. Seine Frau Erika und Tochter Brigitte lebten deshalb lange in Spanien, um Anfeindungen zu entgehen. In konservativen Kreisen wurde ab den 1950er Jahren sein Widerstand gegen Hitler hervorgehoben. In eher linken Kreisen wurde der Blick auch auf seine Beteiligung am Prozess gegen die Mörder von Luxemburg und Liebknecht gelenkt. Seit der Biografie von Heinz Höhne mit dem Untertitel Patriot im Zwielicht von 1976 ist die ganze Widersprüchlichkeit seines Verhaltens offenbar. Dabei kam auch die Mitverantwortung an Verbrechen der Geheimen Feldpolizei im Krieg zu Tage, da diese Teil der Abwehr war.

Nach Canaris wurde, anders als vielen anderen hohen Offizieren der Nazis, nie eine militärische Einrichtung benannt. Es gibt in Wesel und Lüdinghausen eine Wilhelm-Canaris Straße, ferner in Dortmund-Aplerbeck und Duisburg-Walsum eine Canarisstraße. In Dortmund-Aplerbeck gab es 2009 eine intensive Diskussion um eine Umbenennung der Canarisstraße, insbesondere wegen des an der Straße liegenden alten jüdischen Friedhofs.[2] Der beim ZDF arbeitende Historiker Guido Knopp sprach sich dabei für eine Umbenennung aus. Bisher ist keine, anders als in anderen Fällen umstrittener Namensbenennungen nach Offizieren der Nazizeit, der vier Straßen umbenannt worden.

Auszeichnungen

Verfilmung

Siehe auch

Literatur

Commons: Wilhelm Canaris – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

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Einzelnachweise

  1. heute Sembritzkistraße
  2. a b Jens Ostrowski: Admiral forderte den Judenstern. In: Der Westen. Das Portal der WAZ Mediengruppe 17.07.2009 und Gunter Pirntke: Das wahre Gesicht des Wilhelm Franz Canaris. Undurchsichtiger Abwehrchef von Hitler. Großrosseln: dvg - Digitalverlag 2006 (BoD) Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Mit“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  3. haGalil und Medienspiegel der Deutschen Botschaft Tel Aviv, 04.08.2009
  4. Gunter Pirntke: Das wahre Gesicht des Wilhelm Franz Canaris – Undurchsichtiger Abwehrchef von Hitler. Digitalverlag Großrosseln, Großrosseln 2006, ISBN 978-3-9369-8316-6, S. 7.
  5. a b c d e Rangliste der Deutschen Reichsmarine, Hrsg.: Reichswehrministerium, Mittler & Sohn, Berlin 1929, S.42
  6. Tuompo 1968: 69.