„Sexualitätsdispositiv“ – Versionsunterschied

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'''Sexualitätsdispositiv''' ist ein Begriff aus der Theorie [[Michel Foucault|Michel Foucaults]], der [[Sexualität]] im Zusammenhang mit Macht und Wissen beschreibt. Anhand des Sexualitätsdispositivs untersucht Foucault wie es gelingt, dass die/der Einzelne seine sexuellen Neigungen und seine Lust - seine sexuellen Verhaltensweisen - bestimmten Normen unterwirft, sie kontrolliert, Formen der Sexualität ([[Heterosexualität]], [[Homosexualität]], [[Selbstbefriedigung]] ...) klassifiziert, sie problematisiert, akzeptiert oder ausgrenzt. Das Sexualitätsdispositiv wirkt jedoch nicht nur auf den einzelnen, sondern steuert auch die Bevölkerung, was Foucault mit dem Begriff [[Bio-Macht]] zusammenfasst. Ein [[Dispositiv]] besteht aus vielfältigen Regeln, Aussagen, Praktiken und Institutionen etc. und organisiert und steuert Machtbeziehungen, indem es [[Diskurs]]e anregt, die ein bestimmtes Wissen erzeugen, welches das Denken und Verhalten der einzelnen Menschen (das Individuum) zu sich selbst und der Welt bestimmt und beeinflusst. Dieses Wissen fließt wieder in das Dispositiv zurück (z.B. in der [[Pastoralmacht|Beichte]]), welches dafür sorgt, dass Macht in Wissen und Wissen in Macht umschlagen kann. Ein Dispositiv lässt sich dabei als Komplex von Bedingungen beschreiben, die dazu führen, dass bestimmte Aussagen als falsch oder wahr akzeptiert werden. <ref>Dispositiv [http://ik.euv-frankfurt-o.de/module/modul_I/theorien_perspektiven/foucault/foucault_modell_3.html] - Matthias Rothe und Wojtek Nowak </ref>
'''Sexualitätsdispositiv''' ist ein Begriff aus der Theorie [[Michel Foucault|Michel Foucaults]], der [[Sexualität]] im Zusammenhang mit Macht und Wissen beschreibt. Anhand des Sexualitätsdispositivs untersucht Foucault, wie es gelingt, dass die/der Einzelne seine sexuellen Neigungen und seine Lust - seine sexuellen Verhaltensweisen - bestimmten Normen unterwirft, sie kontrolliert, in Formen der Sexualität ([[Heterosexualität]], [[Homosexualität]], [[Selbstbefriedigung]] usw.) klassifiziert, sie problematisiert, akzeptiert oder ausgrenzt.
Das Sexualitätsdispositiv wirke jedoch nicht nur auf den einzelnen, sondern steuere auch die Bevölkerung, was Foucault mit dem Begriff [[Bio-Macht]] zusammenfasst. Ein [[Dispositiv]] besteht, so Foucault, aus vielfältigen Regeln, Aussagen, Praktiken und Institutionen etc. und organisiert und steuert Machtbeziehungen, indem es [[Diskurs]]e anregt, die ein bestimmtes Wissen erzeugen, welches das Denken und Verhalten der einzelnen Menschen (das Individuum) zu sich selbst und der Welt bestimmt und beeinflusst. Dieses Wissen fließt wieder in das Dispositiv zurück (z.B. in der [[Pastoralmacht|Beichte]]), welches dafür sorgt, dass Macht in Wissen und Wissen in Macht umschlagen kann. Ein Dispositiv lässt sich dabei als Komplex von Bedingungen beschreiben, die dazu führen, dass bestimmte Aussagen als falsch oder wahr akzeptiert werden. <ref>Dispositiv [http://ik.euv-frankfurt-o.de/module/modul_I/theorien_perspektiven/foucault/foucault_modell_3.html] - Matthias Rothe und Wojtek Nowak </ref>


== Disziplinierung der Körper und Regulierung der Bevölkerung==
== Disziplinierung der Körper und Regulierung der Bevölkerung==

Version vom 7. Januar 2009, 00:14 Uhr

Sexualitätsdispositiv ist ein Begriff aus der Theorie Michel Foucaults, der Sexualität im Zusammenhang mit Macht und Wissen beschreibt. Anhand des Sexualitätsdispositivs untersucht Foucault, wie es gelingt, dass die/der Einzelne seine sexuellen Neigungen und seine Lust - seine sexuellen Verhaltensweisen - bestimmten Normen unterwirft, sie kontrolliert, in Formen der Sexualität (Heterosexualität, Homosexualität, Selbstbefriedigung usw.) klassifiziert, sie problematisiert, akzeptiert oder ausgrenzt.

Das Sexualitätsdispositiv wirke jedoch nicht nur auf den einzelnen, sondern steuere auch die Bevölkerung, was Foucault mit dem Begriff Bio-Macht zusammenfasst. Ein Dispositiv besteht, so Foucault, aus vielfältigen Regeln, Aussagen, Praktiken und Institutionen etc. und organisiert und steuert Machtbeziehungen, indem es Diskurse anregt, die ein bestimmtes Wissen erzeugen, welches das Denken und Verhalten der einzelnen Menschen (das Individuum) zu sich selbst und der Welt bestimmt und beeinflusst. Dieses Wissen fließt wieder in das Dispositiv zurück (z.B. in der Beichte), welches dafür sorgt, dass Macht in Wissen und Wissen in Macht umschlagen kann. Ein Dispositiv lässt sich dabei als Komplex von Bedingungen beschreiben, die dazu führen, dass bestimmte Aussagen als falsch oder wahr akzeptiert werden. [1]

Disziplinierung der Körper und Regulierung der Bevölkerung

Der Sexualität dient in diesem Machtdispositiv zum einen der Disziplinierung der Körper und zum anderen der Regulierung der Bevölkerung. Sexualität besitzt hier die Funktion eines Schaniers, bei der sich diese beiden Formen der Bio-Macht (Disziplinierung des Körpers des Einzelnen und Regulierung der Bevölkerung) koppeln. Somit "wird die Sexualität als körperliches Verhalten konstituiert, das Disziplinierungstechniken zugänglich ist, anderseits werden ihr aufgrund der mit ihr in Verbindung gebrachten Zeugung biologische Prozesse der Bevölkerung zugeschrieben." [2] Das Dispositiv bildet dabei ein produktives Zusammenspiel aus diskursiven und Institutionellen (nicht-diskursiven) Elementen, das Machtverhältnisse (Machtbeziehungen) in Form von "soziokulturelle Gegenstände der Erkenntnis und des Wissens, Subjektpositionen und Wahrnehmungsweisen" hervorbringt. [3]

Sprechen über den Sex – Diskursstrategien

Sexualität wird durch diese Machtbeziehungen jedoch nicht unterdrückt und unterliegt trotzdem seit dem klassischen Zeitalter unter Verbote. Foucault betrachtet diese Repression "als taktischen Bestandteil einer Diskursstrategie, den Sex moralisch akzeptierbar und technisch nützlich zu machen". [4] Die Verbote beeinflussen somit das Sprechen über Sex und verleihen ihm einen »Hauch von Revolte, vom Versprechen der Freiheit und vom nahen Zeitalter eines anderen Gesetzes« (Foucault, 1979) . [5] Der Wunsch, über den Sex zu sprechen, wird nach Foucault durch das Suggerieren von Befreiung, beeinflusst. [6]

Sexualität als »pathologisches Gebiet«

Als eine besondere Ausformung (durch Diskusivierung) entsteht Sexualität auch als »pathologisches Gebiet«. Dadurch wird die Sexualität zugänglich für Kontrolle und Regulierung und einer Unterscheidung der Sexualität als "normal" oder "abweichend". Damit ist es möglich, Sexualität für Institutionen wie die Wissenschaft und Medizin und ihren Experten zugänglich zu machen. Zwischen dem Experten und dem Individuum besteht eine Machtbeziehung. Die Differenzierung in "abweichend" bietet die Möglichkeit des Eingriffs – z.B. durch Therapie - auf die Sexualität: "Die Pathologie begründet erstens eine ständige Kontrolle und Regulierung der Sexualität und zweitens eine Differenzierung der Sexualität in eine »normale« und eine »abweichende« Sexualität. Die abweichende Sexualität wird u.a. dem Bereich der Medizin überantwortet, dort von Experten untersucht und schließlich therapeutischen und normalisierenden Interventionen unterzogen." [7]

Interventionen können vom Individuum als Selbstfindungsprozess wahrgenommen werden, wenn die Sexualität nicht nur als Verhalten angesehen wird, sondern auch als ein Wesenskern des Individuums: "Diese Interventionen wirken umso effektiver, je mehr sie mit Selbstfindungsprozessen des Individuums verbunden werden. Diese Verbindung setzt voraus, dass die Sexualität innerhalb der Machtbeziehungen nicht nur als Verhalten des Individuums, sondern insbesondere als dessen Wesenskern betrachtet wird." [8]

Das Sexualitätsdispositiv als Netz von Machtbeziehungen zeigt sich hier beispielsweise im Gespräche mit den medizinischen Experten und der Praxis des Geständnisses, die eine bestimmte Identität herstellt: "Die Gespräche mit den medizinischen Experten sind zum einen Bestandteil der medizinischen Diagnostik und Therapie, zum anderen eine Art Selbstfindungsprozess des Individuums. Wesentlicher Bestandteil dieses Selbstfindungsprozesses ist die Praxis des Geständnisses, in dem es zunächst überwiegend um die sexuellen Begehren der Individuen ging. Dem medizinischen Experten eröffnet sich in der Praxis des Geständnisses ein bis dahin verborgenes Wissen über die sexuellen Begehrlichkeiten, in denen fortan die Ursache für Abweichungen und Krankheiten gesehen werden. Die Individuen meinen weiterhin sich durch ihr Geständnis selbst zu erkennen. Dabei konstituieren sie sich im Prozess des Gestehens eine Identität." [9]

Das Geständnis ist vergleichbar mit den "Mechanismen der Beichte", so wir im "durch den Akt des Sprechens mit einem Experten eine Art Läuterung suggeriert, die zu ihrer Heilung beitragen soll. (...) Durch die Praxis des Geständnisses werden die Technologien der Regulierung und Normierung mit den Machtwirkungen auf die Individuen verbunden; sie dringen quasi in die Individuen ein." [10]

Literatur

  • Foucault, Michel 1978: Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin
  • Foucault, Michel 1979: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit, Frankfurt a. M.
  • Braun, Kathrin 2000: Menschenwürde und Biomedizin. Zum philosophischen Diskurs der Bioethik, Frankfurt, New York (Insbes. zur Bedeutung des Geständnis im Sexualitätsdispositiv)
  • Obermann-Jeschke 2008: Sexualität und Normalitätsgebot. In dieselbe: D. Obermann-Jeschke: Eugenik im Wandel. Kontinuitäten, Brüche und Transformationen. Eine diskursgeschichtliche Analyse. Edition DISS Bd. 19. Münster 2008.
  • Dispositiv [2] - Matthias Rothe und Wojtek Nowak. Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder)

Einzelnachweise

  1. Dispositiv [1] - Matthias Rothe und Wojtek Nowak
  2. Obermann-Jeschke 2008, S. 40
  3. Obermann-Jeschke 2008, S. 40
  4. Obermann-Jeschke 2008, S. 40
  5. Obermann-Jeschke 2008, S. 40
  6. Obermann-Jeschke 2008, S. 40, 41
  7. Obermann-Jeschke 2008, S. 41
  8. Obermann-Jeschke 2008, S. 41
  9. Obermann-Jeschke 2008, S. 41. Zur Praxis des Geständnisses verweist Obermann-Jeschke auf Kathrin Braun, 2000.
  10. Obermann-Jeschke 2008, S. 41