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'''Islamischer Fundamentalismus''' oft auch '''Islamismus''' bezeichnet eine politisch-religiöse Bewegung innerhalb der [[Islamische Welt|islamischen Welt]], die eine radikale Interpretation des Islam auf der Basis des Staates durchsetzen will. Sie versteht sich als ein kritischer Moment am vermeintlichen Niedergang des Islam in der islamischen Welt und der [[Diaspora]]. Das Ziel extrem ausgeprägten islamischen Fundamentalismus ist zumeist die Errichtung einer [[Islam|islamische]]n [[Theokratie]], die Einführung der [[Schari'a]] (islamisches Recht) und die Besinnung auf die Normen des islamischen Propheten [[Mohammed]] und der ersten vier [[Kalif]]en ([[Sunna]]).
'''Islamischer Fundamentalismus''' oft auch '''Islamismus''' bezeichnet eine politisch-religiöse Bewegung innerhalb der [[Islamische Welt|islamischen Welt]], die eine radikale Interpretation des Islam auf der Basis des Staates durchsetzen will. Sie versteht sich als ein kritischer Moment am vermeintlichen Niedergang des Islam in der islamischen Welt und der [[Diaspora]]. Das Ziel extrem ausgeprägten islamischen Fundamentalismus ist zumeist die Errichtung einer [[Islam|islamische]]n [[Theokratie]], die Einführung der [[Schari'a]] (islamisches Recht) und die Besinnung auf die Normen des islamischen Propheten [[Mohammed]] und der ersten vier [[Kalif]]en ([[Sunna]]).

Der Begriff ''islamischer Fundamentalismus'' ist aber irreführend, weil er eine Begriffsbildung aus islamischer und westlicher Welt ist, die zu Missverständnissen führt. Denn fundamentalistisch ist der Islam allemal gewesen - im Unterschied zu der Bewegung des [[Fundamentalismus]] im Christentum des 19. Jahrhunderts. Anders ausgedrückt: der Islam ist von seinem ersten Tag fundamentalistisch gewesen, denn der [[Koran]] ist für den Muslim Gottes Wort. Wer daran zweifelt, fällt aus dem Rahmen des Islams heraus. Dies ist die Meinung aller Glaubensschulen - [[Sunniten|sunnitische]], [[Schiiten|schiitische]], [[Wahhabiten|wahhabitische]] genauso wie [[Charidschiten|charidschitische]] Richtungen sind dieser Meinung.


==Islamismus==
==Islamismus==

Version vom 26. September 2006, 13:08 Uhr

Islamischer Fundamentalismus oft auch Islamismus bezeichnet eine politisch-religiöse Bewegung innerhalb der islamischen Welt, die eine radikale Interpretation des Islam auf der Basis des Staates durchsetzen will. Sie versteht sich als ein kritischer Moment am vermeintlichen Niedergang des Islam in der islamischen Welt und der Diaspora. Das Ziel extrem ausgeprägten islamischen Fundamentalismus ist zumeist die Errichtung einer islamischen Theokratie, die Einführung der Schari'a (islamisches Recht) und die Besinnung auf die Normen des islamischen Propheten Mohammed und der ersten vier Kalifen (Sunna).

Der Begriff islamischer Fundamentalismus ist aber irreführend, weil er eine Begriffsbildung aus islamischer und westlicher Welt ist, die zu Missverständnissen führt. Denn fundamentalistisch ist der Islam allemal gewesen - im Unterschied zu der Bewegung des Fundamentalismus im Christentum des 19. Jahrhunderts. Anders ausgedrückt: der Islam ist von seinem ersten Tag fundamentalistisch gewesen, denn der Koran ist für den Muslim Gottes Wort. Wer daran zweifelt, fällt aus dem Rahmen des Islams heraus. Dies ist die Meinung aller Glaubensschulen - sunnitische, schiitische, wahhabitische genauso wie charidschitische Richtungen sind dieser Meinung.

Islamismus

Sowohl im Glaubenssystem als auch in den Handlungsanweisungen stellt der Islamismus keine Abweichung von den wörtlich verstandenen Texten aus Koran und Hadith fest, und macht sie als ideen- und sozialkritische Bewegung für Unmoral, Korruption und andere politische Übel der islamischen Länder ihre "Verwestlichung" verantwortlich. Sayyid Qutb (1906 - 1966), Mitglied und Vordenker der Muslimbruderschaft, später von den Gedanken der Muslimbruderschaft abgewichen, propagierte einen islamischen Staat als Garant sozialer Gerechtigkeit. Hierbei unterscheiden sich Fundamentalisten von "Konservativen" in der Verwerfung der historischen, bis an die Gegenwart gewachsenen islamischen Traditionen als "degeneriert".

Der islamische Fundamentalismus ist eine Reaktion auf den Identitätsverlust, den viele arabische Länder durch die Kolonisierung erlebten, und auf eine durch den Westen dominierte Globalisierung, die westliche Werte wie individuelle Freiheit und Säkularismus idealisiert und traditionelle orientalische Werte verdrängen wolle (Wertewandel).

Die islamischen Fundamentalisten opponieren dem säkularen Staatsmodell und fordern die Einführung des islamischen Rechts, da in ihrem Verständnis die Einheit von Religion, Gesellschaft, Familie, und Staat integral zum Islam gehört. Die Parallelen ihres Staatsmodells zu totalitären Systemen säkularer Prägung sind offensichtlich. Verschwörungstheorien sind ein zentrales Element der islamisch-fundamentalistischen Ideologie.

Besonderen Zustrom findet der islamische Fundamentalismus durch die soziale Situation: wegen der Landflucht gibt es in den Slums der Riesenstädte von Kairo und Ghaza-Stadt, Jakarta und Islamabad entwurzelte Massen, die beim Islamismus nicht nur einen geistigen Halt sondern auch soziale Hilfe finden. Islamistische Organisationen predigen nicht nur in den Moscheen, sie führen auch Spitäler und Schulen, die den Ärmsten offen stehen - ein wichtiger Faktor in Ländern mit hoher Analphabetenrate. Die Stärke des islamischen Fundamentalismus in Saudi-Arabien und den wohlhabenden Golfstaaten zeigt jedoch, dass die Entstehung des islamischen Fundamentalismus nicht einseitig durch sozio-ökonomische Faktoren erklärt werden kann.

Fundamentalistische Gruppen des Islams werden nicht durch eine hierarchische Organisation zusammengehalten, sondern sie treten quer durch die islamische Welt in einzelnen, hierarchisch strukturierten Gruppen auf. Viele davon erhalten finanzielle Unterstützung vom Staat Saudi-Arabien beziehungsweise Iran.

Problemlage

Als erklärtes Ziel von Islamisten wird nach übereinstimmender Lehre die Herrschaft des Islam über die ganze Welt betrachtet. Der Islam ist für Islamisten nicht einfach nur eine Religion; er ist auch eine Form politisch-geistlicher Herrschaft unter der einzigen Autorität des Koran. Diese Auffassung wird auch bei vielen Muslimen geteilt, die nicht im engeren Sinne dem politisch-fundamentalistischen Islam anhängen.

Der Islam lehrt, dass Gott die einzige Autorität sei - der Koran sei sein Wort und enthalte alle nötigen Regelungen für das Zusammenleben. Darum müssten sich politische Systeme auf Gottes Lehren gründen und auf nichts anderes. Islamische Fundamentalisten gründen ihre Weltanschauung auf diese angeblich einzig "richtige" Auslegung des Korans. Deswegen wird von ihnen das Voranschreiten der Säkularisierung (Trennung von Staat und Kirche) im muslimischen Raum als Existenzbedrohung für ihre Kultur wahrgenommen, weil man glaubt, sich der westlichen Idee des Staates anpassen zu müssen. Gemäß Bassam Tibi ist das Ziel der Islamisten die "Entwestlichung" der islamischen Zivilisation. Die Überzeugung der Islamisten stützt sich auf eine besonders rigide Auslegung des Korans (der für alle Muslime die offenbarte göttliche Wahrheit darstellt) und der Hadithen (Überlieferte Sprüche und Handlungen des Propheten Mohammed).

Folgend sind beispielhaft einige Suren aufgelistet, die (so der Vorwurf aus liberalen Kreisen des Islam) meist willkürlich aus dem Koran ausgewählt und gedeutet, von den Islamisten zur Stützung ihrer Argumentation herangezogen werden:

Sure 3:4 "Die Allahs Zeichen leugnen, ihnen wird strenge Strafe; und Allah ist allmächtig, Besitzer der Vergeltungsgewalt."

Sure 8:12,13 "Da dein Herr den Engeln offenbarte: «Ich bin mit euch; so festiget denn die Gläubigen. In die Herzen der Ungläubigen werde Ich Schrecken werfen. Treffet (sie) oberhalb des Nackens und schlagt ihnen die Fingerspitzen ab!»" Dies, weil sie Allah Trotz boten und Seinem Gesandten. Wer aber Allah und Seinem Gesandten Trotz bietet - wahrlich, Allah ist streng im Strafen."

Sure 47:4 "Wenn ihr (in der Schlacht) auf die stoßet, die ungläubig sind, trefft (ihre) Nacken; und wenn ihr sie so überwältigt habt, dann schnüret die Bande fest. Hernach dann entweder Gnade oder Lösegeld, bis der Krieg seine Waffen niederlegt. Das ist so. Und hätte Allah es gewollt, Er hätte sie Selbst strafen können, aber Er wollte die einen von euch durch die andern prüfen. Und diejenigen, die auf Allahs Weg getötet werden - nie wird Er ihre Werke zunichte machen."

Die Islamisten leiten aus diesen und anderen Teilen des Korans Folgendes ab:

Laut den islamischen Fundamentalisten akzeptiert der Islam keine andere Glaubensrichtung außer dem Islam. Andersgläubige seien demnach "ungläubig" und müssten deswegen entweder den Islam als bestimmende gesellschaftliche Ordnung akzeptieren (im Sinne von sich zu ihm bekehren) oder sie würden von Allah selbst oder seinen Anhängern gerichtet. Hieraus leiten einige Fundamentalisten ihre Pflicht zum "Dschihad" (in der Interpretation der Fundamentalisten der Kampf gegen die Ungläubigen mit der Waffe) ab, der von noch radikaleren Gruppe als Terrorismus interpretiert wird. Die Definition von "Ungläubigen" ist nach dem westlichen Rechtsverständnis sehr willkürlich (z. B. werden teilweise auch Moslems, die gegen die islamischen Fundamentalisten sind als "Ungläubige" eingestuft) und unterschlägt z. B. auch die Anerkennung des klassischen Islams für die ebenfalls monotheistischen Religionen der Juden und Christen. Allerdings muss man auch sagen, dass die Auslegung des Korans von Islamistengruppe zu Islamistengruppe teilweise verschieden ist.

Kritiker behaupten, dass das islamistische Menschenbild mit dem Konzept westlicher Freiheit und den Idealen und Werten, die im Zuge von Aufklärung und Französischer Revolution entstanden sind, unvereinbar sei. Toleranz dagegen sei seit der griechischen Antike mit dem Begriff der offenen Wahrheitssuche und dem Respekt vor den unterschiedlichen Stadien und Ergebnissen dieses offenen Prozesses verbunden. Im aufgeklärten, vom Hellenismus beeinflussten Denken früher islamischer Gelehrter im arabisch beherrschten Spanien (u.a. Averroës (Ibn Rushd), Avicenna) sei diese dem westlichen und islamischen Denken gemeinsame Wurzel noch erkennbar. Der radikale Islamismus sei ein extremer Widerpart des den Westen und den Islam ursprünglich gemeinsam umschließenden geistigen Bandes.

Die objektive Trennung zwischen politischen und nicht-politischen Ideen im Islam ist schwierig. Die Trennung von Kirche und Staat ist eine westliche Idee, entstanden in jahrhundertelangen Kämpfen der europäischen Völker gegen den weltlichen Machtanspruch der geistlichen Mächte, insbesondere des vielfach als "verdorben" wahrgenommenen (politischen) Papsttums (vgl. Luthers Anklage gegen Rom und für eine neue theologisch-religiöse Begründung des Christentums). Das islamistische Weltideal beruht dagegen auf einer religiösen Führung, die die Anwendung der islamischen Schari'a beaufsichtigt und sicherstellt.

Beim explizit politischen Islam handelt es sich ursprünglich um eine Melange aus Islam und westlichen Ideen wie den Kommunismus, die jedoch nach dem Fall der Sowjetunion an Bedeutung innerhalb des politischen Islam verloren hat. Daher wird islamistischen Parteien in der islamischen Welt oftmals das Fehlen eines praktikablen Programms bzw. konkreter politischer Reformschritte vorgehalten.

Die oft geäußerte Bezeichnung des Islam als eine "Religion des Friedens" stößt bei vielen Kritikern des sogenannten Islamismus auf erhebliche Vorbehalte; sie wird als eine ideologische Verschleierung des Islamismus gesehen, der hinter einer Maske friedfertiger "Harmlosigkeit" in Wahrheit die westliche Kultur erbittert bekämpfe. Viele Muslime auf der anderen Seite identifizieren sich nicht mit den politischen Forderungen des islamischen Fundamentalismus. Die Vorstellungen über eine "richtige" Anwendung des im Koran, der Sunna und der Hadith enthaltenen Verhaltensregeln gehen außerdem auseinander.

Seit den Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA werden Hassprediger und radikale muslimische Gruppen - in Deutschland beispielsweise der "Kalifatstaat" von Metin Kaplan - intensiv von Polizei und Geheimdiensten beobachtet. Ihnen wird vorgeworfen, mit islamistischen Terroristen zu sympathisieren oder in terroristische Aktivitäten verwickelt zu sein.

Als erklärtes Ziel von Islamisten wird nach übereinstimmender Lehre die Herrschaft des Islam über die ganze Welt betrachtet. Der Islam ist für Islamisten nicht einfach nur eine Religion; er ist auch eine Form politisch-geistlicher Herrschaft unter der einzigen Autorität des Koran. Diese Auffassung wird auch bei vielen Muslimen geteilt, die nicht im engeren Sinne dem politisch-terroristischen Islamismus anhängen.

Der Begriff

Den Islamisten war anfangs der ursprünglich westliche Begriff "Fundamentalisten" fremd; heute bezeichnen sie sich selbst als Fundamentalisten. (arab. الأصولية الإسلامية al-uṣūliyya al-islāmiyya, von أصول uṣūl "Wurzeln", "Fundament"). Den Begriff "Fundamentalist" (usuli) gibt es im Islam schon seit Jahrhunderten, das Wort bezeichnet traditionell jedoch die Gelehrten der ilm al-usul, der Wissenschaft, die sich mit dem Studium der Fundamente des islamischen Rechts befasst.

Der angloamerikanische Islamwissenschaftler Bernard Lewis bezeichnet den Begriff des Fundamentalismus, bezogen auf den Islam, als unglücklich und irreführend, da er ursprünglich auf das Christentum angewendet wurde. Dort bezeichnet er zumeist protestantische Strömungen, die den göttlichen Ursprung und die Unfehlbarkeit der Bibel verfechten. Lewis weist darauf hin, dass es im Islam (bisher) niemanden gäbe, der am göttlichen Ursprung des Koran zweifele, und von daher jeder Muslim, also jeder Anhänger des Islam dem Wortsinne nach ein Fundamentalist sei. Der muslimische Fundamentalismus muss also nicht notwendigerweise radikal, d.h. gewaltbereit sein, auch wenn das in der Praxis dann meist der Fall ist.

Das Phänomen des Islamismus entstand im 20. Jahrhundert. 1928 gründete Hasan al-Banna die Muslimbrüder in Ägypten gegen den als "dekadent" geltenden Einfluss des Westens, dem sie durch "islamische Erziehung" und ein "soziales Netz" entgegenzuwirken suchten. Man nahm den Westen als "Kolonialismus", "Kreuzfahrertum", christliche Mission, ein fremdes Erziehungssystem wahr, kurz: als kulturelle Invasion, und vermutete eine wie auch immer geartete "globale Verschwörung" gegen den Islam. Mitunter galten auch liberale Politiker und Machthaber islamischer Länder islamistischen Gruppen als westliche und östliche Agenten des "Imperialismus".

Eine Debatte um die Frage eines islamischen Staates vor allem zwischen Ali Abdarraziq und Rasid Rida endete - wesentlich bedingt durch die Auswirkungen der "Kolonialherrschaft" - zugunsten der Muslimbrüder.

In den 1960er Jahren gewannen radikale Islamisten (z.B. Saiyid Qutb) Einfluss, die die Gegenwart als "Dschahiliya" (Zeit der Unwissenheit) verstanden, welcher durch den Dschihad zur Gottesherrschaft in den islamischen Staaten verholfen werden müsse.

Der Islamismus bedient sich unterschiedlicher Mittel: auch innerhalb der Familie durch ein an islamischen Grundsätzen orientiertes Leben, mittels Werbung für den Islam (da'wa), durch das Streben nach allen rechtlichen Möglichkeiten für den Islam, durch Literaturverbreitung, durch den Unterhalt sozialer Einrichtungen oder den Bau von Moscheen.

Nach dem Niedergang von Sozialismus, Monarchie und des panarabischen Nationalismus entstanden neben den Muslimbrüdern neue islamistische Gruppen.

Der niederländische Schriftsteller Leon de Winter titulierte den Islamismus als den Faschismus des 21. Jahrhunderts, da er dem Totalitarismus der Sowjets und Nazis nahestünde. Solche Thesen, die insbesondere seit den Anschlägen vom 11. September 2001 Verbreitung finden, kommen in dem kontroversen Neologismus Islamfaschismus zum Ausdruck.

Geschichte des islamischen Fundamentalismus

Im Islam bildeten sich fundamentalistische Bewegungen im engeren Sinne in den 1930er Jahren, gleichwohl hatte es in der Geschichte des Islam immer wieder radikale religiöse Bewegungen gegeben, so beispielsweise die Wahhabiten im 18. Jahrhundert, die später den heutigen Staat Saudi-Arabien prägten. Ein wichtiger "geistiger Ahne" ist der Damaszener Rechtsgelehrte Ibn Taimiya (1263-1328). Bis heute maßgeblich ist zum einen die 1928 vom Lehrer Hasan al-Banna (1906-1949) in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft (Al-Ikhwan al-muslimun). Der zweite wichtige Vordenker ist der in Indien und (ab 1947) in Pakistan wirkende Sayyid Abu l-A'la Maududi (1903-1979) mit seiner 1941 gegründeten Kaderpartei Jama'at-e islami. In Iran entstand eine von der schiitischen Imamatslehre geprägte Sonderform des islamischen Fundamentalismus. Unter der Führung des Ayatollah Ruhollah Musawi Khomeini (1906-1989) errang sie in der islamischen Revolution 1979 nach dem Sturz des Schahs die Macht.

Islamischer Fundamentalismus bezeichnet eine Gesinnung die zu einer strengen Anwendung des Korans und des islamischen Sharia-Gesetzes aufruft. Islamismus entwickelte sich als Konsequenz des Reformprozesses des Islam des 19. und 20. Jahrhundert, ausgelöst durch die Publikationen Jamal ad-din al-Afghani (1837-97), Muhammed Abduh (1849-1905) sowie Rashid Rida (1865-1935). Diese forderten eine Revitalisierung und Rückbesinnung auf koranische Werte und Traditionen, sowie die Stärkung islamischer Traditionen und Lebensweisen, als Antwort auf den größer werdenden Einfluss europäischer Großmächte. Hierbei beriefen sie sich auf das Beispiel der religiösen Vorväter (der al-salaf, AD 610-855). Es ist festzuhalten, dass die islamischen Gesellschaften insbesondere in der Zeit des europäischen Mittelalters freiheitlicher und fortschrittlicher waren als die christliche Welt und dass keine bürgerliche oder nationalstaatliche Emanzipation angestrebt wurde.

Gemeinsam ist dem christlichen und dem islamischen Monotheismus das Ideal einer Machtkonzentration ohne Unterdrückung, als Gegenentwurf zu den Herrschaftsstrukturen der spätrömischen Antike. Deshalb sollen die Autoritäten in beiden Religionen ihre Schutzbefohlenen nicht gleich, sondern verschieden behandeln (Gnade). Der spätmittelalterliche Nominalismus setzt sich im Islam aus demselben Grunde durch wie in der christlichen Welt: Zentralisierungen und Vereinheitlichungen sind gnadenlos und haben keinen Wirklichkeitsgehalt. Die Vorstellung einer Gleichheit als gemeinsamer "Identität" steht zu dieser Weltsicht erst einmal in krassem Gegensatz. Im europäischen Nationalismus des 19. Jahrhunderts wurden traditionelle Ungleichheiten durch gemeinsame Frontbildung gegen das "Fremde" zu verdecken oder zu überwinden versucht. Auch der islamische Fundamentalismus versucht sich mit einen paradoxen Ausgleich zwischen moderner Identität (als mediengestütztem Bewusstsein der Gleichheit) und hergebrachter Unterwerfung unter die Gnade. So kann sich eine kollektive Entfesselung der Selbstherrlichkeit als Demut legitimieren.

Abduh und Rida verwarfen die vorherrschenden Vorstellungen der konservativen geistlichen Führung (Ulama) und forderten eine Rückkehr zum Islam der religiösen Vorväter, wobei sie jede Veränderung des Islam nach 855 ablehnten, darunter die verschiedenen islamischen Rechtsschulen (madhhabs). 1928 wurden diese Ideen von der neu gegründeten Muslimbrüderschaft wiederaufgegriffen. Die Muslimbrüderschaft machte es sich zur Aufgabe, die Rückbesinnung auf die islamischen Werte des salafi-Zeit, in abgeänderter Form, an die breite Bevölkerung zu vermitteln. Der neue Islamismus beinhaltete daher auch Opposition zur westlichen politischen und wirtschaftlichen Dominanz sowie dem westlichen Konzept der Säkularisation.

Eine weitere wichtige Phase für die Entwicklung des Islamismus stellt der Sechstagekrieg von 1967 und die Zeit unmittelbar danach dar; Die bis dahin vorherrschende Ideologie des arabischen Nationalismus erschöpfte sich an dem von den arabischen Staaten als demütigende Niederlage betrachteten Krieg gegen Israel. Islamismus wurde eine akzeptable Alternative für viele, die vom arabischen Nationalismus enttäuscht worden waren. Die iranische Revolution 1979, obgleich ausgelöst von Schiiten, wurde zu einem Symbol und Beispiel eines lebensfähigen islamischen Staates. Die folgenden Golf-Kriege schafften ein weiteres politisches Vakuum in zahlreichen arabischen Ländern, die die meist undemokratischen Regierungen mit keiner eigenen Ideologie ausgleichen konnten.

In den 90er Jahren radikalisierten sich zahlreiche Islamistengruppen zusehends. Während in denn 70ern und 80ern arabischer Terror mehr auf den Konflikt in Israel/Besetzte Gebiete konzentriert war, erwuchs der radikale Islamismus der 90er Jahre zur Ideologie radikaler Gruppen, darunter terroristische Gruppierungen wie Al-Qaida („Die Basis“), insbesondere in Afghanistan, Pakistan und Bosnien. Gleichzeitig findet in vielen islamischen Gesellschaften eine graduelle Re-Islamisierung statt, die in Europa zu Disputen wie der Kopftuch-Debatte führte.

Islamischer Fundamentalismus in Deutschland

Eine der bis dahin bekanntesten in Deutschland aktiven radikal-islamischen Vereinigungen war der "Kalifatsstaat", der im Dezember 2001 verboten wurde. Ihr Führer, der selbst ernannte "Kalif von Köln" Metin Kaplan, forderte die Wiedereinführung der islamischen Rechtsordnung in der Türkei. Im Jahr 2000 wurde Metin Kaplan wegen einer (befolgten) Mordanweisung gegen einen Widersacher in Deutschland zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt und am 12. Oktober 2004 nach langer Diskussion in die Türkei abgeschoben, wo er seitdem eine lebenslange Haftstrafe verbüßt.

Häufig werden die Gefahren, die vom übersteigerten nationalreligiösen Verhalten ausgehen, verharmlost oder im direkten Vergleich mit rechtsextremer bzw. anders motivierter Gewalt heruntergespielt. Auch fehlt ein generell sachlicher Ton und eine Ausrichtung der Medien auf Kontextualisierung. Zusammenhänge werden wenig erklärt, der Islam selbst wird von Berichten kaum beleuchtet. Darüberhinaus besteht keine klare Abgrenzung zwischen unterschiedlichen Situationen: Gewalt an Frauen von Muslimen wird mit Islamismus genauso in Verbindung gebracht wie politische Aktivitäten, oder Religionsschulen.

Im Verfassungsschutzbericht 2005 nimmt die Gefahr durch den Islamismus viel Raum ein. Viele Politiker fordern auch deshalb ein schärferes Vorgehen gegen Islamistische Straftäter. Obwohl diese Einstellung von einem Großteil der Bevölkerung geteilt wird werden nur selten Maßnahmen wie die Ausweisung bzw. Abschiebung in das Heimatland des Straftäters angewandt. Schwierig hier ist der Nachweis eindeutiger Absichten sowie das Problem, zwischen Meinungsfreiheit und Gefährdung der Öffentlichkeit zu unterscheiden. Häufig sind islamistische Straftäter zwar nicht-deutscher Herkunft aber haben dennoch aufgrund geltender Gesetze die deutsche Staasbürgerschaft inne.

Restrikiven Maßnahmen stehen auch häufig Menschenrechtsorganisationen oder bestimmte Auslegungen des Grundgesetzes im Weg. Das einklagbare Grundrecht auf Asyl stellt im Zusammenhang mit islamistischen Straftätern, die nicht über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen, ein Hinderniss dar.

Im aktuellen Verfassungsschutzbericht wird berichtet, dass es derzeit 24 aktive islamistische Organisationen im Bundesgebiet gibt. Sie hatten im Jahr 2003 nach Schätzungen der Behörden insgesamt 30 950 Mitglieder. Davon sind 27 300 türkischer und 3300 arabischer Herkunft. Insgesamt entspricht dies nur einem Prozent der über drei Millionen hier lebenden Muslime. Deutschland gilt vor allem als "Ruheraum" für potenzielle islamische Terroristen.

Die wichtigsten islamistischen Gruppierungen in Deutschland im Überblick:

  • Die türkische "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) ist mit rund 26 500 Mitgliedern die größte islamistische Organisation in Deutschland. Der 1985 in Köln gegründete Verein steht islamistischen Parteien in der Türkei nahe, z.B. der "Partei der Glückseligkeit" (SP). Bundesweit unterhält die Vereinigung mehr als 300 Einrichtungen. Sie fördert laut Verfassungsschutz "die Entstehung und Ausbreitung islamistischer Milieus in Deutschland".
  • Extrem gewaltbereit sind die 200 Mitglieder der Islamisten-Partei "Hisb el Tahrir el Islami" (Partei der islamischen Befreiung). Die straff organisierte Gruppe strebt eine Vereinigung aller Moslems in einem Gottesstaat an. Hauptfeind ist Israel. 2003 wurde die Organisation in Deutschland verboten.
  • Die 800 Mitglieder starke libanesische "Hisbollah" und die 300 Anhänger der palästinensischen "Islamische Widerstandsbewegung" (Hamas) sind gewaltbereit und unterstützen von Deutschland aus den Terror im Libanon und in Palästina.
  • Die rund 800 Anhänger des Ende 2001 verbotenen "Kalifatstaats" von Metin Kaplan bekämpfen die freiheitlich demokratische Grundordnung und streben die weltweite Herrschaft des Islam an.

Der Anteil der vor religiös motivierter Gewalt besorgter Deutscher lag in einer Umfrage 2006 bei 40 %.[1]

Islamischer Fundamentalismus in Großbritannien

Bei einer Gesamtbevölkerung von 60 Millionen Einwohnern stellte ein muslimischer Anteil von ca. 2 Millionen an sich kein gesellschaftliches Problem dar, wenn nicht der geringere Teil bevorzugt in bestimmten Ballungsgebieten des Nordens (Bradford, Oldham, Burnley) und den Midlands (Birmingham), der bei weitem größte Teil (1,6 Millionen muslimische Einwohner) jedoch in der britischen Hauptstadt London angesiedelt wäre.

Die Behörden praktizieren traditionell große Toleranz in Fragen der Freiheit der Meinungsäußerung, auch wenn diese als Aufforderung zu Fanatismus und Hass daherkommt. Der islamistische Radikalismus profitiert davon beständig.

So empfiehlt beispielsweise der Londoner Imam Omar Bakri, Anführer der radikalen Sekte Al Muhajiroum als einzige Auseinandersetzungsart mit nichtmuslimischen Gesellschaften weiterhin den Dschihad. Lange Zeit durfte auch der an der Nord-Finsbury-Park-Moschee predigende Scheich Abu Hamza al-Masri etlichen später als Terroristen und Al-Kaida-Kader entlarvten Islamisten Anweisungen für ihre Missionen geben. Später wurde er auf Druck der USA hin festgenommen.

Nach den Anschlägen des 11. September und des 7. Juli 2005 hat sich das Klima in England stetig geändert hin zu stärkeren polizeilichen Maßnahmen und Gesetzesänderungen.

Islamischer Fundamentalismus in Frankreich

Siehe Hauptartikel: Islam in Frankreich

Frankreich musste ab 2000 wieder einige Erfahrungen mit antisemitischen Übergriffen, Grabschändungen, Bombenanschlägen und terroristischen Verschwörungen machen, nicht allein aus der muslimischen Gemeinschaft. In Frankreich leben annähernd sechs Millionen überwiegend aus Nordafrika stammende Moslems, von denen die große Mehrheit sich friedlich verhält und radikal-islamistische Ideen ablehnt. Der französische Verfassungsschutz geht jedoch davon aus, dass in sozial explosiven Ballungsgebieten wie im Großraum Paris radikale Moslems auf dem Vormarsch sind. Besonders gefährdet seien "aus dem Gleichgewicht geratene Jugendliche", die leicht von Extremisten radikalisiert werden könnten.

Ende 2005 bekam die Diskussion um den islamischen Fundamentalismus durch die Unruhen in Frankreich eine neue Brisanz. Das Problem der Ungleichbehandlung von schwarzen Franzosen, oftmals aber nicht immer muslimischer Herkunft, mischt dort mit.

Islamischer Fundamentalismus in Italien

Siehe Hauptartikel: Islam in Italien

Italien und der Vatikan gehören nach Ansicht der Geheimdienste seit langem zu den Hauptzielen islamistischer Terroristen. In Italien leben mindestens 800.000 Muslime. Dem aus Libyen stammenden italienischen Journalisten Fahrid Adli zufolge besuchen etwa fünf Prozent davon regelmäßig Moscheen; nur ein Bruchteil dieser Gruppe sei zu religiös motivierter Gewalt bereit. Ex-Innenminister Enzo Bianco berichtete Anfang 2004, dass bereits 1997, 2000 und 2001 moslemische Gruppen ausgehoben worden seien, die in Verbindung mit islamischen Terroristen gestanden hätten. Seit den Madrid-Attentaten vom März 2004 und der Ermordung von zwei italienischen Geiseln im September 2004 im Irak ist ein wachsendes Misstrauen der Bevölkerung gegen die moslemische Minderheit spürbar. Angesichts dieser Entwicklung hat sich Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi besorgt über das antiislamische Klima in Italien geäußert. Innenminister Giuseppe Pisanu hat zum Dialog mit den Moslems Italiens aufgerufen.

Islamischer Fundamentalismus in Spanien

Von den etwa drei Millionen Ausländern in Spanien sind knapp 15 Prozent Marokkaner, weitere fünf Prozent stammen aus Algerien, Tunesien oder anderen moslemischen Ländern Afrikas. Obwohl in dem durch jahrzehntelangen Terror baskischer Extremisten gezeichneten Land nur ein geringer Teil der Immigranten gewaltbereit ist, nehmen die spanischen Behörden das Problem islamistischer Bedrohung besonders nach den Anschlägen von Madrid (März 2004) sehr ernst. Ende 2004 gab es eine Verhaftungswelle und eine terrorverdächtige Gruppe wurde ausgehoben, die möglicherweise einen Anschlag auf Richter Baltasar Garzón verüben wollte. Ende 2004 wurde bekannt gegeben, dass sich mehr als 100 radikale Islamisten und Terrorverdächtige im Gefängnis befänden - in keinem anderen EU-Land wurden 2004 so viele Extremisten festgenommen. Die Haftanstalten sind hoffnungslos überfüllt, was Europol-Direktor Mariano Simancas als "Nährboden des Extremismus" bezeichnete. Untersuchungen zeigen, dass gewaltbereite Islamisten ihre Anhänger unter kleinkriminellen Glaubensbrüdern rekrutieren. In Spaniens Haftanstalten sitzen etwa 6000 Nordafrikaner, zumeist aus Marokko und Algerien.

Islamistische Gruppen und Organisationen

Militante islamistische Bewegungen

Siehe auch

Mohammed-Karikaturen, Kampf der Kulturen, Eurabien, Islamistischer Terrorismus, Achse des Bösen, Radikalismus und Extremismus, Islamfaschismus, Christlicher Fundamentalismus, Arabischer Antisemitismus, Terroranschläge am 11. September 2001

Literatur

  • Henryk M. Broder: Hurra, wir kapitulieren! -Von der Politik des Einknickens. Berlin 2006, wjs-Verlag, ISBN 3-937989-20-X
  • Alice Schwarzer: Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz. (Autorensammlung) Kiepenheuer & Witsch 2004 ISBN 3-462-03105-8
  • Elmar Theveßen: Terroralarm. Deutschland und die islamistische Bedrohung. Berlin: Rowohlt, Oktober 2005. - ISBN 3-87134-548-2
  • Gilles Kepel: Die neuen Kreuzzüge. Die arabische Welt und die Zukunft des Westens. München: Piper, September 2005. - ISBN 3-49224-533-1
  • Robert Dreyfuss: Devil's Game: How the United States Helped Unleash Fundamentalist Islam. Henry Holt/Metropolitan Books, November 2005. - ISBN 0-80507-652-2
  • Berlin, Senatsverwaltung für Inneres, Abteilung Verfassungsschutz: Islamismus - Diskussion eines vielschichtigen Phänomens, Berlin 2005
  • Dan Diner: Versiegelte Zeit. Über den Stillstand in der islamischen Welt. Berlin: Propyläen, 2005. - 1. Aufl. - ISBN 3-54907-244-9
  • Gisbert J. Gemein, Hartmut Redmer: Islamischer Fundamentalismus. Aschendorff Verlag, März 2005. - 1. Auflage. - ISBN 3-40206-556-8
  • Albrecht Metzger: Islamismus. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt, 2005. - 1. Aufl. - ISBN 3-43446-238-4
  • Bernhard Schmid: Algerien - Frontstaat im globalen Krieg? Neoliberalismus, soziale Bewegungen und islamistische Ideologie in einem nordafrikanischen Land. Münster: Unrast, 2005. - ISBN 3-89771-019-6
  • Mark A. Gabriel: Islam und Terrorismus - Was der Koran wirklich über Christentum, Gewalt und die Ziele des Djihad lehrt. Dr. Ingo Resch GmbH, 2004. - ISBN 3-935197-39-X
Wiktionary: Islamismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Berlin, Senatsverwaltung für Inneres, Abteilung Verfassungsschutz:25.01.2006: Neue Publikation "Info Islamismus" erschienen http://www.berlin.de/sen/inneres/verfassungsschutz/e2_publikationen.html#info PDF ]]

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  1. http://derstandard.at/?url=/?id=2508165