Alexiuslied

Das Alexiuslied (französisch Vie de Saint Alexis) ist ein gegen 1050 entstandenes altfranzösisches literarisches Werk.

Diese Nachdichtung einer ursprünglich lateinisch verfassten Heiligenlegende gilt als der erste erhaltene französische Text, der über seine religiösen Intentionen hinaus deutlichen künstlerischen Ehrgeiz zeigt. In Form und Stil ist das Alexiuslied (wie das Werk in Tradition der deutschen Romanistik heißt) beeinflusst von der Gattung Heldenepos (chanson de geste), die zu seiner Entstehungszeit schon florierte. Es besteht aus 125 Strophen von je 5 assonierenden Zehnsilblern mit Zäsur nach der 4. Silbe, den ersten Versen dieses Typs, die in der französischen Literatur bekannt sind.

Erzählt wird die Geschichte einer vermutlich realen Person vom Anfang des 5. Jh.: Alexius ist zu Beginn der „Handlung“ der lang ersehnte, spät geborene einzige Sohn römischer Adeliger, der sich vom Vater in eine schöne Karriere einführen und standesgemäß verloben lassen hat, aber seiner Braut am Vorabend der Hochzeit erklärt, dass er nicht heiraten, sondern Gott dienen wolle. Er verlässt sie und seine Eltern ohne Abschied und wird über Zwischenstationen nach Edessa (heute Griechenland) geführt, wo er 17 Jahre als frommer Asket von Almosen lebt und sich z.B. Bediensteten seiner Familie, die auf der Suche nach ihm sind, nicht zu erkennen gibt. Als man ihn in Edessa als Heiligen zu verehren beginnt und eine himmlische Stimme seine Heiligkeit bestätigt, entzieht er sich der Verehrung und geht erneut auf Wanderschaft, bis er von einem Sturm zurück nach Rom geführt wird. Dort bittet er auf der Straße unerkannt seinen Vater, ihm aus Liebe zu seinem verschollenen Sohn einen Platz unter der Treppe in seinem Haus zu gewähren. Hier lebt er nochmals 17 Jahre in Armut von den Küchenresten und lässt sich vom Hauspersonal demütigen. Bevor er stirbt, verfasst er ein Schriftstück, dank dem er vom Papst im Beisein seiner Eltern, seiner Braut und des Kaisers als der Sohn des Hauses und als heilige Person erkannt wird. Danach wird er mit großem Pomp und starker Anteilnahme der Bevölkerung bestattet, was zeigt, das ihm ein Platz im Himmel sicher ist.

Die Alexius-Legende, die zu einer bedingungslosen „imitatio Christi“ (Nachahmung Christus’) aufruft, war in Mittelalter und früher Neuzeit in vielen europäischen Sprachen verbreitet. Die französische Version, die in fünf zum Teil unvollständigen Abschriften aus dem 12. und 13. Jh. erhalten ist, stammt vermutlich aus dem Nordosten des französischen Sprachgebietes. Sie ist jedoch überliefert in einer Sprache, die anglonormannisch gefärbt ist, d.h. Elemente desjenigen französischen Dialekts enthält, den die normannischen Eroberer 1066 aus der Normandie nach England mitgenommen hatten und als herrschende Schicht mehrere Generationen lang dort sprachen.