„Gau“ – Versionsunterschied
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Version vom 6. September 2010, 23:56 Uhr
Gau war die Bezeichnung für eine landschaftlich geschlossene und von natürlichen Grenzen bestimmte politische Siedlungsgemeinschaft der Germanen. Das Wort diente und dient bis heute als allgemeine Bezeichnung von Regionen als Landschaft oder Verwaltungseinheit.
Etymologie
Über die Etymologie des althochdeutschen Wortes gouwe, gouwi (Landstrich) wurde intensiv gearbeitet, ohne dass eine abschließende Deutung, die alle anderen Vorschläge überzeugend widerlegen würde, vorgelegt werden konnte. Das Wort ist im Gotischen, im Althochdeutschen, im Altfriesischen und im Altenglischen als Neutrum bezeugt. Lange Zeit wurde es aus germanisch *ga-agwia das am Wasser gelegene (Land) mit einer Bedeutungserweiterung Offenlandschaft, Ackerbaugegend, Siedlungslandschaft gedeutet. Gegenwärtig stehen zwei neue Vorschläge zur Diskussion:
- die Herleitung von der indoeuropäischen Wurzel *ghew (gähnen, klaffen), was durch Bedeutungserweiterung zu freier Raum, Gegend, Landschaft geworden wäre
- die Rückführung auf urgermanisch *ga-aw-ja als die Gesamtheit der Wohnungen oder Dörfer, eine Kollektivbildung zu germanisch *awja (Wohnung, Dorf) mit einer althochdeutschen Ableitung inouwa für Wohnung, Wohnsitz.
Eine Entscheidung für die Herleitung scheint zurzeit nicht möglich. Der Duden legt das germanische Wort *awjo in der Bedeutung Insel, Au, zum Wasser gehörig zugrunde, aus dem die Kollektivbildung des gemeingermanischen *gaawja, Land am Wasser, hervorging.[1]
Die Bezeichnung der Gau, ohne Umlaut, für eine bestimmte Landschaft ist eine Historikerbildung des 17.-19. Jahrhunderts, die durch ihre Aufnahme in den Wortschatz des Dritten Reiches in Misskredit geriet. In den deutschen Mundarten und somit auch in der Namensüberlieferung ist das, seltener die Gäu gebräuchlich. Der Umlaut erklärt sich durch den alten Lokativ (Ortsfall), ahd. gewi (im Gau). In den bairischen Dialekten gibt es auch die Verwendung ins Gei gehn für aufs Land fahren oder in der ländlichen Gegend herum fahren.
Begriffsgeschichte
Die Gaugrafschaft im Mittelalter
Dafür, dass das Wort Gau schon in germanischer Zeit einer Verwaltungsgliederung entsprochen hätte, gibt es keine Hinweise, es dürfte sich ebenfalls um eine Fehldeutung der historischen Forschung des 18. und 19. Jahrhunderts handeln.[2]
Karl der Große etablierte nach der Niederwerfung der einheimischen Bevölkerung des Südostens seines Reiches dort das Grafschaftsprinzip, übernahm aber wohl vorhandene Regionalkonzepte. Der neue Zentralherrscher setzte Grafen als seine Stellvertreter vor Ort ein. Zur Abstützung seiner Herrschaft führte er das Römische Recht ein, das zentrale Macht und zentrale Gerichtsbarkeit legitimierte. Im Fränkischen Reich bezeichnete der comitatus im Wesentlichen den Amtsbezirk eines Grafen (comes, grafio), des so genannten Gaugrafen. Dieser war gleichzeitig oberster Richter und Führer eines Heerbanns. Dem Gau zugeordnet waren Zentmarken oder Hundertschaften, die oft durch Zentgrafen verwaltet wurden. Im Zent(grafen)gericht fungierten diese als Schöffen. Den süddeutschen Zentgerichten entsprachen in Norddeutschland die Gogerichte, wobei Ähnlichkeit der Benennungen 'Gau' und 'Go' nur zufälliger Natur ist.
Auch die lateinische Bezeichnung pagus, die spätestens mit der Spätantike zu einem festen Bestandteil der römischen Regionalverwaltung geworden ist, wird traditionell mit Gau wiedergegeben. Diese Gleichsetzung geht bereits auf die merowingisch-fränkische Verwaltungspraxis zurück (als Beispiel: 768 pagus Aregaua, heutiger Kanton Aargau).
Der Gau in der NS-Zeit
Die Bezirke der NSDAP im Deutschen Reich 1925–1945 waren in Gaue gegliedert, geführt von einem Gauleiter, siehe Struktur der NSDAP. Auch die Verwaltungsbezirke im Deutschen Reich 1939–1945 lauten entsprechend, die Reichsgaue.
Heutige Verwendung des Begriffs
Ortsnamensbestandteile
- Regau in Oberösterreich, ahd. repagoue Rebengau für Weinbaugebiet
- Gau- ist außerdem ein Präfix im Namen von sieben rheinhessischen Ortschaften: Gau-Algesheim, Gau-Bickelheim, Gau-Bischofsheim, Gau-Heppenheim, Gau-Köngernheim, Gau-Odernheim, Gau-Weinheim
In Flur- und Siedlungsnamen ist die Etymologie eines Wortendes -gau unklar, und kann auch von -au (Aue) mit einem zum vorigen Stamm gehörenden g kommen:
- Burgau, zu Burg-Gau (Verwaltungsraum eines Burgherrn) oder Burg-Aue (dem nahen Burgherrn gehörendes Auland)
- Lengau in Oberösterreich, könnte zu ahd. *bi zuo demo langin/lengin gouue im langgestreckten Gau(ort) oder aber ahd. *bi zuo dero langin/lengin ouwa in der langgestreckten Au stehen[3]
Landschaftsnamen
In folgenden Staaten hat sich -gau, -gäu als Teil von Bezeichnungen für Landschaften erhalten:
- Deutschland: Albgau, Allgäu, Ambergau, Ammergau, Argengau, Bachgau, Bliesgau, Breisgau, Chattengau, Chiemgau, Dreingau, Gäu (Landschaft in Baden-Württemberg), Gäuboden, Gollachgau, Hegau, Hörselgau, Inngau, Keldachgau, Klettgau, Knetzgau, Kraichgau, Linzgau, Lobdengau, Nibelgau, Ochsenfurter Gau, Pfinzgau, Rangau, Rheingau, Ringgau, Rodgau, Rupertigau, Saargau, Stevergau (Südmünsterland), Ufgau, Wasgau, Wonnegau, Zabergäu
- Österreich: Attergau (im Salzkammergut), Nibelungengau (Neuschöpfung im Donautal), Strudengau
- Schweiz: Aargau, Elsgau, Solothurnisches Gäu, Surseer Gäu, Klettgau, Prättigau, Thurgau
- Luxemburg: Wavergau
- Italien: Vinschgau (im Südtirol)
- Frankreich: Sundgau
- Belgien: Ardennengau, Brabantgau, Haspengau, Hennegau, Lommegau, Lüttichgau, Mepsegau, Methingau
- Niederlande: Gorecht, Fivelgo, Hunsingo, Ostergau, Westergau (in friesischen Gebieten ist Gau gleich Go)
Regionalgruppen von Vereinen
Turnerbünde, Bündische Jugend, Trachtenverbände, Schützenbünde (zum Beispiel bei Gaumeisterschaften) und zum Teil Pfadfinderbünde verwenden den Begriff. Auch beim ADAC findet er Verwendung.[4] In Österreich hat der Österreichische Turnerbund (ÖTB) teilweise eine Gliederung in Turngaue, der Deutsche Turner-Bund spricht von Gau.
Bezirke
Die Bezirke des Bundeslandes Salzburg heißen zwar offiziell nach ihrem Hauptort, allgemein werden sie aber nach ihrer alten Bezeichnung Gaue genannt, etwa Gebirgsgaue für das Innergebirg (Pongau, Pinzgau, Lungau, Flachgau, Tennengau).
Wegen des Sprachgebrauchs im nationalsozialistischen Deutschland wird die Bezeichnung Gau heute nicht mehr in der öffentlichen Verwaltung benutzt.
Gau für fremdsprachliche Begriffe
Das Wort wird auch für folgende fremdsprachliche Begriffe verwendet:
- altägyptisch sp3.t (sepat), Verwaltungsbezirke im alten Ägypten, siehe Gau (Ägypten)
- ehemalige Verwaltungseinheiten auf der Pazifikinsel Nauru (heute unabhängige Republik) vor 1968, siehe Verwaltungsgliederung Naurus
- Tikina, traditionelle Verwaltungseinheiten auf Fidschi[5]
Weblinks
- {{{Autor}}}: Gau. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Jürgen Finger: Gau (neuzeitliche Begriffsgeschichte). In: Historisches Lexikon Bayerns. 28. Mai 2008, abgerufen am 11. Juli 2008.
- Fritz Backhaus, Hildegard John: Die Gaue vor 900. In: Geschichtlicher Atlas von Hessen (Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen). Land Hessen, 1961, abgerufen am 30. Mai 2010.
Siehe auch
- Liste mittelalterlicher Gaue
- Liste der Gaue von Alamannien, Schwaben, dem Elsass und von Hochburgund
- Wiktionary: Kollektivbildung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Einzelnachweise
- ↑ Das Herkunftswörterbuch, im Duden Band 7, Mannheim 1989
- ↑ Jürgen Finger: Gau, Abschnitt Gau, in der historischen Forschung des 18. und 19. Jahrhunderts, Historisches Lexikon Bayerns, 2008
- ↑ Elisabeth Bertol-Raffin, Peter Wiesinger: Die Ortsnamen des politischen Bezirkes Braunau am Inn. Wien 1989.Ute Maurnböck-Mosser: Altheim. (Diplomarbeit) In: Die Haus- und Hofnamen im Gerichtsbezirk Mauerkirchen. 2002, abgerufen am 24. Juli 2008. , Band 1, S. 49; nach
- ↑ Satzung des ADAC 2008
- ↑ Country paper: Fiji. In: United Nations Economic and Social Commission for Asia and the Pacific UN ESCAP (Hrsg.): Local Government in Asia and the Pacific: A Comparative Study. Brief Description of the Country and its National/State Government Structure –Fijian administration (Webdokument).