Austrofaschismus

Austrofaschismus ist eine Bezeichnung für das ab 1933 in Österreich etablierte Herrschaftssystem, entwickelt und getragen von Engelbert Dollfuß, bzw. nach dessen Ermordung 1934 maßgeblich von Kurt Schuschnigg. Sammelbewegung und Einheitspartei war von 1933 bis 1938 die Vaterländische Front, zu der sich die Christlichsoziale Partei, die Heimwehr und der Landbund zusammenschlossen. Am 11. März 1938 wurde der österreichische Ständestaat durch die Nationalsozialisten beseitigt und damit der Austrofaschismus durch den Nationalsozialismus abgelöst.

Die Entstehung des austrofaschistischen Systems

Mit dem Korneuburger Eid der Heimwehr vom 18. Mai 1930 wurde die Ausschaltung des Parlaments und ein antidemokratischer Kurs, der sich in erster Linie gegen die oppositionelle Sozialdemokratie richtete (siehe Linzer Programm der Sozialdemokraten aus dem Jahr 1926), erstmals als Programm formuliert. „Wir verwerfen den westlich-demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat“ war eine der Formeln, die neben Heimwehrverbänden aus dem gesamten Bundesgebiet auch viele junge Christlichsoziale Politiker wie die späteren Bundeskanzler Leopold Figl und Julius Raab schworen.

Als 1932 nach den Wahlen in Wien klar wurde, dass die aus Christlichsozialen, Landbund und Heimwehren bestehende Regierung bei den nächsten Nationalratswahlen ihre ohnehin knappe Mehrheit verlieren würde, setzten sich zunehmend Bestrebungen zur Errichtung eines faschistischen Regimes durch. Außenpolitisch wurde dieses Vorhaben insbesondere von Benito Mussolini unterstützt. Den Anlass zur totalen Machtübernahme bot am 4. März 1933 die in der austrofaschistischen Propaganda als „Selbstausschaltung des Parlaments“ bezeichnete Geschäftsordnungskrise im Österreichischen Nationalrat.

In der Folge regierte das Dollfuß-Regime auf Basis des noch aus der Monarchie stammenden Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes. Dieses Gesetz war 1917 während des ersten Weltkriegs beschlossen worden, um die Versorgung der Bevölkerung durch Notverordnungen sicherstellen zu können. Auf Basis dieses Notverordnungsrechts schuf Engelbert Dollfuß 15 Jahre nach Beendigung des Weltkriegs einen autoritären Führerstaat.

Am 7. März 1933 erließ der Ministerrat ein Versammlungs- und Aufmarschverbot, weiters wurde mit Hilfe einer Notverordnung aus dem Ersten Weltkrieg, dem "Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz", eine als wirtschaftliche Schutzmaßnahme getarnte Presseverordnung herausgegeben. Danach konnte unter bestimmten Vorraussetzungen, beispielsweise, wenn "durch Verletzung des vaterländischen, religiösen oder sittlichen Empfindens eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Odnung und Sicherheit ..." bestand, für eine bereits einmal beschlagnahmte Zeitung die Vorlagepflicht zwei Stunden vor der Verbreitung angeordnet werden. Dabei war klar, dass es sich um eine reine Vorzensur handelte, doch war die Regierung bemühmt, den Schein nach außen zu wahren, auch weiterhin das verfassungsmäßige Verbot einer Zensur zu achten. Der letzte Versuch der Opposition, die Geschäfte des Nationalrats am 15. März 1933 wieder aufzunehmen, wurde mit Polizeigewalt vereitelt. Als sich sozialdemokratische und großdeutsche Abgeordnete vor dem Parlament einfanden, schickte die Regierung 200 Kriminalbeamte in das Hohe Haus, welche die Abgeordneten am Betreten des Sitzungssaals hinderten.

Am 31. März 1933 löste die Regierung den Republikanischen Schutzbund auf. Am 10. April 1933 wurde die zwangsweise Teilnahme an religiösen Übungen durch Aufhebung des so genannten Glöckel-Erlass wieder eingeführt. Der Urheber des Erlasses, der ehemalige sozialdemokratische Unterrichtsminister Otto Glöckel, wurde 1934 in Folge der Februarrevolte, an der er nicht persönlich beteiligt war, in seinem Büro im Palais Epstein verhaftet und in das Anhaltelager Wöllersdorf gebracht. Glöckel kehrte aus der Haft als gebrochener Mann zurück und verstarb am 23. Juli 1935 in Wien.

Am 10. Mai 1933 verordnete die Regierung die Aussetzung aller Wahlen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene. Am 26. Mai wurde die Kommunistische Partei Österreichs aufgelöst, am 19. Juni die NSDAP und einen Tag später - auf Wunsch der katholischen Kirche - der Freidenkerbund.

Als am 12. Februar 1934 das Hotel Schiff, ein Linzer Parteiheim der Sozialdemokraten, von der Polizei durchsucht werden sollte, kam es zum Februaraufstand, der auch als Österreichischer Bürgerkrieg in die Geschichte eingehen sollte. Nach der militärischen Niederschlagung des sozialdemokratischen Aufstandes durch das Österreichische Bundesheer und die Heimwehr wurde die Sozialdemokratische Partei verboten.

In einer letzten Nationalratssitzung wurde am 30. April 1934 von den Abgeordneten der Vaterländischen Front ein Gesetz beschlossen, das die Regierung mit allen Befugnissen ausstattete, die zuvor Nationalrat und Bundesrat oblagen. Die Mandate der Sozialdemokraten wurden vor Zusammentreten des „Rumpfparlaments“ für erloschen erklärt.

Der austrofaschistische Staat

Die Vollendung dieses Staatsstreichs stellte die austrofaschistische Verfassung dar, die am 1. Mai 1934 – nicht zufällig an einem der wichtigsten Feiertage der niedergeschlagenen Arbeiterbewegung – erlassen wurde. Aus “Österreich ist eine demokratische Republik. Das Recht geht vom Volk aus.“ wurde in der neuen Verfassung: „Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung“. Die Staatsbezeichnung „Republik Österreich“ wurde durch „Bundesstaat Österreich“ ersetzt.

Justiz

Nachdem das Parlament ausgeschaltet war, entledigte sich die Regierung auch des Verfassungsgerichtshofs. Die vier christlichsozialen Verfassungsrichter wurden zum Rücktritt bewegt, womit die Regierung einer sehr wahrscheinlichen Aufhebung der „Notverordnungen“ zuvorkam, auf deren Grundlage sie seit einigen Monaten regierte. Die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs wurde rechtlich abgesichert, indem Neuernennungen von Verfassungsrichtern per Verordnung untersagt wurden.

Im September 1933 ließ die Regierung mehrere Anhaltelager zur Internierung politischer Gegnerinnen und Gegner einrichten. Neben Sozialdemokraten, Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten wurden dort nach dem Juliputsch 1934 auch Nationalsozialisten eingesperrt.

Am 11. November 1933 führte die Regierung Dollfuß die 1919 abgeschaffte Todesstrafe für Mord, Brandstiftung und “öffentliche Gewalttätigkeit durch boshafte Beschädigung fremden Eigentums“ wieder ein. Nach den Ereignissen des Februar 1934 wurde die Todesstrafe zudem auf das Delikt „Aufruhr“ erweitert. In standrechtlichen Prozessen hatten drei Richter drei Tage lang Zeit einen Angeklagten entweder freizusprechen oder zum Tod durch den Strang zu verurteilen. Dauerte der Prozess länger als drei Tage, war nicht mehr das Standgericht, sondern ein ordentliches Schwurgericht zuständig, das die Todesstrafe nicht mehr verhängen konnte. Die Bundesregierung sicherte sich die Möglichkeit dem Bundespräsidenten Begnadigungen vorschlagen zu können und bewahrte auf diesem Weg mehrmals Personen, die den Christlichsozialen politisch nahe standen, vor der Todesstrafe. Als erstes Todesopfer der Standgerichte ging der geistig behinderte Peter Strauß in die Geschichte ein. Prominente politische Opfer der standrechtlichen Todesstrafe während des Austrofaschismus waren unter Anderem Josef Ahrer, Anton Bulgari, Johann Hoys, Karl Münichreiter, Alois Rauchenberger, Josef Stanek, Emil Swoboda, Koloman Wallisch und Georg Weissel.

Bildungspolitik

Bereits im Zuge des turbulenten Jahres 1933 wurde eine Reihe von Gesetzen erlassen, die die österreichische Bildungspolitik austrofaschistischen Grundsätzen gemäß umgestalten sollten. Der katholischen Kirche wurde dabei starker Einfluss auf das zuvor säkulare Bildungssystem eingeräumt. Wer in Österreich nun mit Matura aus einer höheren Schule ausscheiden wollte, musste den Religionsunterricht besucht haben. Auch Mädchen wurde das Erreichen eines höheren Bildungsgrades wieder erschwert, da die austrofaschistischen Machthaber das klassische Frauenbild der Hausfrau und Mutter favorisierten.

Auch auf Hochschulebene erließ die Bundesregierung 1933 mehrere Gesetze. Zunächst wurde die Zahl der Hochschullehrer und Assistenten vermindert, womit insbesondere regimekritische Lehrende auf legalistischem Wege ihrer Ämter enthoben werden konnten. Mit einem weiteren Gesetz wurden Disziplinarverfahren, die bisher der jeweils betroffenen Universität oblagen, der Kontrolle des Bundesministerium unterstellt, was sich ebenfalls zum Nachteil kritischer Mitarbeiter der Universitäten auswirkte. Akademische Funktionäre konnten von nun an ausschließlich Personen werden, die Mitglied der Vaterländischen Front waren. “Jede freiwerdende Lehrkanzel muss, wenn der entsprechende Mann vorhanden ist, mit einem Hochschullehrer von vaterlandstreuer und womöglich auch noch besonders christlicher Gesinnung besetzt werden“[1], ließ Unterrichtsminister Hans Pernter nach Beschluss der neuen Hochschulgesetze verlautbaren.

Zur ideologischen Schulung der Studierenden führte die Regierung Pflichtvorlesungen zu den „ideellen und Geschichtlichen Grundlagen des österreichischen Staates und zur weltanschaulichen und staatsbürgerlichen Erziehung“ ein und errichtete verpflichtende militärisch geführte Hochschullager. Im Gesetzestext, der die Einführung militärischer Hochschullager regelte, heißt es: “Jedes Hochschullager soll einen militärischen und einen pädagogischen Leiter, also Offiziere und Erziehungsleiter, erhalten, wobei ersteren das militärische Kommando und die vormilitärische Schulung, letzteren das Vortragswesen und die Freizeitgestaltung obliegt.“ Ein solches Hochschullager umfasste jeweils etwa 100 Studierende.

Wirtschafts- und Sozialpolitik

Im Bereich des Außenhandels wandte man sich bereits 1930 vom liberalen Freihandelssystem ab und führte ein Autarkiemodell ein. Oberste Maxime war die Abschottung des österreichischen Marktes vom Weltmarkt, wovon man sich einen wirtschaftlichen Aufschwung erhoffte. Weltwirtschaftlicher Hintergrund war dabei der New Yorker Börsenkrach im Jahr 1929.

1932 waren im Jahresdurchschnitt 468 000 Menschen in Österreich arbeitslos. Im Jahr 1933 stieg die Zahl der Arbeitslosen auf 557 000 Menschen an, was einem Prozentsatz von 25,9 entspricht. Die Situation wurde dadurch verschlimmert, dass immer mehr Arbeitslose als ausgesteuert galten. Sie verloren jeglichen Anspruch auf staatliche Unterstützung. In den folgenden Jahren (1933 bis 1937) sank der staatliche Sozialausgabenindex von 100 auf 79,42.

Ziel der Christlichsozialen und der Heimwehr war die „Abschaffung des Klassenkampfes“. Zu diesem Zweck wurden zwangsweise Standesverbände aus Arbeitern und Unternehmern eingerichtet, so genannte Kooperationen, die die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen und Arbeiter unterminieren und ablösen sollten. Die soziale Verantwortung wurde vom Staat auf „ständische“ Untereinheiten delegiert.

Dahingegen wurde dem Gewerbesektor die Schutzfunktion des Staates im großen Ausmaß zuteil. 1933 führte die Regierung eine Gewerbesperre ein, 1934 folgte das Untersagungsgesetz, das in den folgenden Jahren mehrmals verschärft wurde. Diese Politik stellte eine radikale Abkehr von der seit Jahrzehnten gültigen liberalen Gewerbeordnung dar, die 1935 in die Wiedereinführung des Zunftwesen gipfelte. “Mit dem Beharren auf orthodoxe Muster wurde für die Wirtschaftspolitik im Österreichischen Ständestaat eine Zwangslage geschaffen, die die inneren Widersprüche auf allen Ebenen überhand nehmen ließ“, resümiert der Wirtschaftswissenschaftler Gerhard Senft die austrofaschistische Wirtschaftspolitik.

Kulturpolitik

Die offizielle Kulturpolitik während des Austrofaschismus war von einer Affirmation des Barocks und anderer „vorrevolutionärer“ Stilrichtungen geprägt. Mit „vorrevolutionär“ ist hier die Zeit vor der französischen Revolution von 1789 gemeint. In diesem Zusammenhang kam es immer wieder zu positiven Bezugnahmen auf die „Wehrhaftigkeit“ Österreichs während der Türkenbelagerung, um das Bild der „Bedrohung aus dem Osten“ wach zu halten bzw. erneut in Erinnerung zu rufen und auf die Sowjetunion zu projizieren.

Großen Einfluss auf die austrofaschistische Kulturpolitik hatten Ernst Kreneks Streitschriften. Er wandte sich darin besonders gegen einen vermeintlichen „Kulturbolschewismus“, der als besondere Ausformung des Unheils über Österreich hereinzubrechen drohe. Er betrachtete insbesondere moderne Kunstzweige als kommunistisch unterwandert und bildete damit ein Fundament für die kulturelle Rückwärtsgewandtheit der austrofaschistischen Regimes. Der Autor Robert Musil kommentierte die austrofaschistische Kulturpolitik 1934 mit den berühmten Worten „Es ist nicht der böse Geist, sondern die böse Geisteslosigkeit der österreichischen Kulturpolitik“[2].

Ideologische Ausrichtung

Die Volksgemeinschaftsideologie der Austrofaschisten unterschied sich kaum von jener der Nationalsozialisten. Ziel war in beiden Fällen die scheinbare Aufhebung der Klassengegensätze auf Grundlage einer Fiktion von Unterwerfung des Individuums unter einen autoritär geführten Staat. Ziel des Austrofaschismus war, die Nationalsozialisten zu „überhitlern“, wie Dollfuß es nannte. In diesem Zusammenhang ist die autoritäre Führerideologie als auch die Errichtung der Vaterländischen Front, die als Massen- und Einheitspartei gedacht war, zu sehen. Außenpolitisch versuchte man sich vor dem Machtanspruch der reichsdeutschen Nationalsozialisten durch eine Kooperation mit Mussolini zu schützen.

Stützen des Systems

Kirche

Die römisch-katholische Kirche begrüßte den austrofaschistischen Staatsstreich, ähnlich wie wenig später in Spanien, von der ersten Sekunde an. „Das Jahr 1933 hat der ganzen Christenheit reichen Gnadensegen, unserem Vaterland Österreich überdies viele Freuden gebracht (...) Sie (die Regierung, Anm.) kann schon jetzt auf eine Reihe von segensreichen Taten hinweisen, die das wahre Wohl sichern und fördern“ [3]., heißt es im Weihnachtsbrief der österreichischen Bischöfe im Jahr, in dem Dollfuß das demokratisch gewählte Parlament ausschaltete.

Der Wiener Kardinal Innitzer begrüßte die Ausschaltung des Parlaments am 12. März 1933 als „Anbruch einer neuen Zeit“, die mit dem Zeitalter der Gegenreformation verglich. Den von Taras Borodajkewycz organisierten Katholikentag im Oktober 1933 stellte er unter das Motto „Numquam retrorsum“ („Niemals zurück“).

Am 10. Mai 1933 unterzeichnete Justizminister Kurt Schuschnigg das Konkordat, am 16. August erschwerte die Regierung den Austritt aus der katholischen Kirche. Von nun an mussten alle Menschen die gewillt waren der katholischen Kirche den Rücken zu kehren, eine Prüfung ihres “Geistes- und Gemütszustand“ über sich ergehen lassen. Die für den Austritt zuständigen Bezirkshauptmannschaften konnten dieses Verfahren beliebig lange hinausziehen.

Nicht zuletzt deshalb bekam das austrofaschistische Regime auch aus dem Vatikan offizielle Unterstützung. Papst Pius XII erteilte bereits am 28. Oktober 1933 seinen Segen den „vornehmen Männern, die Österreich in dieser Zeit, in diesen Tagen regieren, die Österreich so gut, so entschieden, so christlich regieren“[4] und sogar noch während der Februarkämpfe 1934 erhielt Dollfuß den apostolischen Segen des Papstes.

Dollfuß selbst war stark an einer katholischen Renaissance interessiert. Schon während der Trabrennplatzrede am 11. September 1933 kündigte er einen „sozialen, christlichen deutschen Staat Österreich auf ständischer Grundlage, unter starker autoritärer Führung“ als seine Zielvorstellung an. Aber auch auf Seiten der Kirche war das Interesse an einem klerikalfaschistischen Österreich beträchtlich. So beteiligten sich kirchliche Würdenträger in Ebensee und Steyr an der Säuberung von Arbeiterbüchereien. In Steyr wurden die Bestände von 4000 auf 900 Bücher reduziert, von denen weitere 200 gesperrt wurden. Betroffen war neben explizit linker Literatur auch Schriften jüdischer Autorinnen und Autoren. In kirchlichen Berichten zu diesen Ereignissen heißt es: “Vier Kisten mit Büchern wurden der Polizei zum Vernichten übergeben. Es handelte sich um die rein sozialistischen, erotischen und glaubensfeindliche Bücher. Die ärgsten erotischen und kirchenfeindlichen Bücher wurden in zerrissenem Zustand der Polizei übergeben“.

Österreichischer Cartellverband

Der Österreichische Cartellverband (ÖCV) nahm während der Zeit des Austrofaschismus eine intellektuelle Trägerfunktion des Regimes wahr. Nicht zuletzt aus diesem Grund fiel der gesellschaftliche Aufstieg des Verbands zeitlich mit der Ausschaltung der parlamentarischen Demokratie und der Etablierung des austrofaschistischen Systems zusammen.

Zwischen 1933 und 1938 waren fast alle öffentlichen Ämter von größerer Bedeutung mit ÖCV-Mitgliedern besetzt. Engelbert Dollfuß wurde Zeit seines Lebens in der offiziellen Sprachregelung des ÖCV als „Führer“ gesehen und auch so bezeichnet. Im Gegenzug sorgte Dollfuß dafür, dass junge Akademiker, die dem ÖCV angehörten, schnell zu Spitzenpositionen in Politik und Verwaltung vordringen konnten. Des Weiteren wurde dem Regierungschef ein Mitspracherecht bei der Besetzung von Ämtern innerhalb des ÖCV eingeräumt.

Dem Historiker Stephan Neuhäuser zu Folge „unterstützten mindestens 37 % aller studierenden Mitglieder des ÖCV in verschiedenen Wehrformationen Bundesheer und Heimwehr während der Februarereignisse 1934 (…) In Graz beteiligten sich 70 % der aktiven ÖCVer auf Seiten der Regierungstruppen und Heimwehren, in Leoben 45 %, in Wien 33 % und in Innsbruck 29 %. Die größten Kontingente stellten Babenberg Graz (40), Carolina Graz (40), Austria Wien (53), Austria Innsbruck (49), Norica Wien (64) und Rudolfina Wien (54)“[5]. Nach dem Februar übernahm die dem ÖCV nahe stehende Akademikerhilfe die zuvor sozialistischen Akademikerheime in der Säulengasse 18 sowie der Billrothstraße 9 in Wien.

Der Anteil von ÖCVern in verschiedenen Gremien des austrofaschistischen Staates war enorm hoch. Im Bundesrat lag er bei 90 Prozent. Mit Otto Kemptner wurde ein Bundesbruder von Engelbert Dollfuß mit dem Aufbau der Vaterländischen Front beauftragt. Für Mitglieder des ÖCV bestand ab 1933 Beitrittspflicht.

Der Einfluss des ÖCV auf die österreichische Regierungspolitik war offensichtlich. In der Regierung Dollfuß I gehörten sechs von zehn Ministern dem Verband an, nach drei Regierungsumbildungen waren es schließlich acht von zehn. Die Regierung Dollfuß II bestand ausschließlich aus Mitgliedern des ÖCV, in der Regierung Dollfuß III waren immerhin noch sechs von 13 Ministern Korporierte. Ähnlich verhielt es sich in den Regierungen Schuschnigg, in denen der ÖCV jeweils etwa die Hälfte der Ministerposten besetzen konnte. Auch als 1936 Nationalsozialisten in die Regierung aufgenommen wurden, waren immer noch vier Minister aus dem ÖCV Teil des Kabinetts und sogar noch in der nationalsozialistischen Marionettenregierung unter Arthur Seyß-Inquart fanden sich mit Wilhelm Wolf und Oswald Menghin zwei ÖCVer.

Nach der Absetzung des sozialdemokratischen Wiener Bürgermeisters in Folge des Februars 1934 wurde mit Richard Schmitz ein Mitglied des Cartellverbandes neuer Bürgermeister. Bereits 1933 kamen die Landeshauptleute des Burgenlands, Niederösterreichs, Oberösterreichs, Tirols, Salzburgs, der Steiermark und Vorarlbergs aus dem ÖCV.

“Einer der besten des CV, unser verewigter Kanzler Dr. Dollfuß“, hieß es im Juni 1935 im Mitteilungsblatt des ÖCV – und noch 1937 konnte man dort lesen: “Die Dollfußstraße ist keine andere als die traditionelle CV-Straße.“

Die bereits vor der austrofaschistischen Machtergreifung vorhandene Diskriminierung von Juden im öffentlichen Leben wurde nach 1933 weiter verschärft. Regelmäßig kam es zu Boykottaufrufen gegen jüdische Unternehmer und sogar zu Geschäftsblockaden.

Besonders in der öffentlichen Verwaltung setzte ab 1933 eine massive Diskriminierung jüdischer Beamter ein. 1935 befanden sich unter den 160 700 öffentlichen Bediensteten in Österreich gerade noch 682 Jüdinnen und Juden. Zuvor waren viele unter dem Vorwand, sie würden der sozialdemokratischen oder der kommunistischen Partei nahe stehen, aus ihren Posten entlassen worden. Die Historikerin Sylvia Maderegger schreibt dazu: “Vier Fünftel der entlassenen Juden – erklärte die Zeitschrift ‚Der jüdische Weg’ – hatten mit Politik nichts zu tun und wurden nur entlassen, weil sie Juden waren“ [6].

Die Bundesländerversicherung – heute Uniqa –, die dem Regime sehr nahe stand, bezeichnete sich in Inserattexten als „rein arische Anstalt“[7]. Oftmals wurden auch Sozialdemokraten mit Juden gleichgesetzt. Beispielsweise im Februar 1934, als sozialdemokratische Funktionäre unter Parolen wie “Judengesindel, wir werden es euch schon zeigen!“ in die Gefängnisse getrieben wurden.

Dennoch unterschied sich der Antisemitismus während des Austrofaschismus in seiner Intensität deutlich vom Vernichtungsantisemitismus der Nationalsozialisten. Auch wenn das Regime eine starke strukturelle Diskriminierung von Jüdinnen und Juden im öffentlichen Leben verfolgte, kam es nur selten zu offenen Gewaltakten. Ein Beispiel für gewalttätige antisemitische Ausschreitungen während des Austrofaschismus ist ein Überfall, der von Seiten des ÖCV 1935 auf eine jüdische Studentenverbindung an der Universität Wien verübt wurde. (Mitteilungsblatt 9/1935 des ÖCV).

Das Ende

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Stimmzettel zur Volksabstimmung über den Anschluss

Dem im Juli 1934 bei einem Putschversuch österreichischer Nationalsozialisten ums Leben gekommenen Engelbert Dollfuß folgte der vormalige Justizminister Kurt Schuschnigg als Bundeskanzler. Dieser schloss im Juli 1936 ein Abkommen mit dem Deutschen Reich. In dessen Folge wurden 17.000 österreichische Nazis amnestiert und der Nationalsozialist Arthur Seyß-Inquart als Staatsrat in das austrofaschistische Regierungskabinett aufgenommen. Des weiteren wurde ein „Volkspolitisches Referat“ als Teilorganisation der Vaterländischen Front geschaffen, mit der man die illegale nationalsozialistische Opposition in die Partei eingliederte. Zahlreiche zuvor verbotene nationalsozialistische Zeitungen wurden legalisiert. Im Gegenzug akzeptierte Adolf Hitler die Unabhängigkeit Österreichs. Durch das so genannte Juliabkommen erhielt die nationalsozialistische Opposition zusehends Auftrieb sowohl auf der Straße als auch in der Schuschnigg-Regierung.

Am 12. Februar 1938 kam es schließlich zum Berchtesgadener Abkommen. Seyß-Inquart wurde Innen- und Sicherheitsminister in der Schuschnigg-Regierung. Für den 13. März wurde eine Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich angesetzt, die jedoch erst im April 1938 unter anderen Vorzeichen stattfand. Der Austrofaschismus wurde bereits am 11. März 1938 – zwei Tage vor der geplanten Volksabstimmung - durch den Nationalsozialismus ohne Einsatz von Waffengewalt abgelöst. Auf dem Heldenplatz in Wien bejubelten hunderttausende Österreicherinnen und Österreicher Adolf Hitler, der dort den Anschluss an das Deutsche Reich proklamierte.

Nachwirkung

Politische Debatte

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Engelbert Dollfuß auf einer Briefmarke

Insbesondere Politikerinnen und Politiker aus den Reihen der ÖVP vermeiden das Wort „Faschismus“ gänzlich und verwenden stattdessen Begriffe wie Ständestaat (die Eigenbezeichnung des Regimes), wenn es um die Jahre 1933 bis 1938 geht. Lange Zeit war in konservativen Kreisen auch die „These der geteilten Schuld“ populär, die den Sozialdemokraten eine Teilschuld an den politischen Entwicklungen der 1930er gab und den Austrofaschismus als Reaktion darauf darstellte. Von Seiten der Sozialdemokraten war vor der austrofaschistischen Machtübernahme lediglich beschlossen worden, im Falle einer gewalttätigen Ausschaltung des Parlaments den Generalstreik auszurufen. Als Selbiges am 15. März 1933 tatsächlich passierte, blieb sogar der zuvor angedrohte Generalstreik aus und die sozialdemokratische Parteispitze gab sich weiter verhandlungsbereit.

Bis heute wird der Austrofaschismus von ÖVP-nahen Historikern wie Gottfried-Karl Kindermann als Bollwerk gegen den Nationalsozialismus dargestellt, obwohl diese These bereits seit Jahrzehnten als fragwürdig gilt und intensive Kooperationen zwischen austrofaschistischen und nationalsozialistischen Politikern – besonders in der Endphase des Regimes – nachgewiesen werden konnten. Oftmals Gegenstand politischer Debatten ist die Tatsache, dass ein Bild des austrofaschistischen Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß im Parlamentsklub der Österreichischen Volkspartei hängt. Jährlich legen der ÖVP-Parlamentsklub und die Junge ÖVP Wien einen Kranz am Grab von Engelbert Dollfuß nieder; auch der der ÖVP nahe stehende Österreichische Cartellverband legt dort regelmäßig Kränze nieder. Bis heute ist Dollfuß Ehrenmitglied in 16 ÖCV-Verbindungen, sein Nachfolger Kurt Schuschnigg bringt es auf neun Ehrenmitgliedschaften.

In den letzten Jahren wird jedoch auch in der politischen Debatte der Umgang konservativer Kreise mit der austrofaschistischen Vergangenheit zunehmend kritisiert. Ein Gedenkgottesdienst, den die ÖVP im Juli 2004 anlässlich des 70. Todestages von Engelbert Dollfuß veranstaltete, löste abermals eine breite politische Debatte aus, in deren Folge der Umgang der Partei mit ihrer eigenen Vergangenheit größtenteils verurteilt wurde. Dennoch gibt es bis heute keine allgemeine Sprachregelung unter den politischen Parteien, wenn es um die Jahre des Austrofaschismus geht. Während Dollfuß von manchen immer noch als „Heldenkanzler“ und „Märtyrer“ gesehen wird, bezeichnen ihn andere als „Diktator“, „Arbeitermörder“ und „Faschist“.

Historische Einordnung

Die Frage, ob es sich bei dem Austrofaschismus um einen „echten“ Faschismus handelte, ist insbesondere in der innerösterreichischen Debatte umstritten. Es wird argumentiert, dass dem System wesentliche Merkmale eines faschistischen Regimes fehlten, da es keine wirklich fassbare Ideologie, keine Massenpartei, vor allem aber keine Massenbasis gegeben habe. Ebenso blieben auch die geplanten Institutionen des Ständestaates bestenfalls ein Torso. Der Historiker Ernst Hanisch spricht etwa von Halbfaschismus, um die Jahre 1933 bis 1938 zu charakterisieren.

Von anderen Historikern wird der radikale Antiparlamentarismus sowie die gewaltsame Niederschlagung und Unterdrückung der Arbeiterbewegung ins Zentrum gestellt. Historiker wie Jill Lewis gehen davon aus, „dass die von den Christlich-Sozialen betriebene Zerstörung der demokratischen Institutionen auf das Auslöschen der Sozialdemokratie und nicht, wie apologetisch behauptet, auf den Schutz Österreichs vor dem Faschismus zielte“.

Seine Bezugnahme auf die katholische Soziallehre macht den Austrofaschismus zu einer spezifischen Form des Klerikalfaschismus. Ideologisch vergleichbar ist der Austrofaschismus mit der im italienischen Faschismus und auch im Nationalsozialismus existierenden „Traditionalistische Schule“, die etwa in Italien von Julius Evola und im Deutschen Reich von Carl Schmitt vertreten wurden. Sehr deutliche Anklänge gibt es an den Franquismus in Spanien und den Estado Novo in Portugal.

Literatur

  • Stephan Neuhäuser (Hrsg.): “Wir werden ganze Arbeit leisten“- Der austrofaschistische Staatsstreich 1934, ISBN 3-8334-0873-1
  • Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Austrofaschismus. Politik, Ökonomie, Kultur. 1933-1938. 5. Aufl., Lit, Münster u. a. 2005, ISBN 3-8258-7712-4
  • Hans Schafranek: Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934. Czernin-Verlag. Wien 2006.
  • Hans Schafranek: Hakenkreuz und rote Fahne. Die verdrängte Kooperation von Nationalsozialisten und Linken im illegalen Kampf gegen die Diktatur des 'Austrofaschismus'. In: Bochumer Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit, Nr.9 (1988), S.7 - 45.
  • Jill Lewis: Austria: Heimwehr, NSDAP and the Christian Social State (in Kalis, Aristotle A.: The Facism Reader. London/New York)
  • Lucian O. Meysels: Der Austrofaschismus - Das Ende der ersten Republik und ihr letzter Kanzler. Amalthea, Wien-München 1992
  • Erika Weinzierl: Der Februar 1934 und die Folgen für Österreich. Picus Verlag, Wien 1994

Siehe auch

Quellen

  1. Hans Prentner, in: Grundfragen der Hochschulpolitik, Krasser 1936, S. 48
  2. zit. nach Der Blick in den Spiegel des Februar 34 in Neuhäuser, 2004, S. 12
  3. zit. nach Wolfgang Huber Die Gegenreformation 1933/34 in Neuhäuser, 2004, S. 47
  4. zit. nach Wolfgang Huber Die Gegenreformation 1933/34 in Neuhäuser, 2004, S. 47
  5. Das Aufgebot des ÖCV in den Februarunruhen im Mitteilungsblatt 5/1934 S. 12
  6. Sylvia Maderegger: Die Juden im Österreichischen Ständestaat 1934 - 1938
  7. Inserattext im Mitteilungsblatt des ÖCV 16, 17/1938, jeweils letzte Seite