Österreichische Identität

Österreichischer Bundesadler

Begriff

Ein Staat wird im rechtlichen Sinne durch Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt und durch internationale Anerkennung durch andere Staaten klassifiziert. Durch den Einfluss Herders wird v.a. im mitteleuropäischen Raum eine Nation aber nicht nur über diese rechtlichen, sondern auch zusätzlich über sonstige Gemeinsamkeiten wie Sprache, Kultur, Religion und ähnliches, die das Volk einer Nation charakterisieren, definiert.

Geschichtliche Entwicklung

Entwicklung bis zur Kleindeutschen Lösung

Nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806 und dessen rechtlichem Ende durch die Verabschiedung der Deutschen Bundesakte 1815 wuchsen die Bestrebungen innerhalb des Deutschen Bundes, einen Nationalstaat zu schaffen, der alle Menschen deutscher Muttersprache in einem Reich vereinen sollte.
An der politischen Frage der Vormachtstellung innerhalb des Deutschen Bundes entzündete sich schließlich der Konflikt im so genannten deutsch-deutschen Krieg zwischen den Großmächten Preußen und Österreich, den Preußen mit der Niederwerfung Österreichs 1866 in der Schlacht von Königgrätz für sich entschied. Nach dem erfolgreichen Feldzug gegen Frankreich 1870/71 erfolgte schließlich die vom preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck favorisierte Gründung eines Deutschen Reiches ohne Österreich (Kleindeutsche Lösung). Wilhelm von Preußen wurde im Spiegelsaal des Schlosses Versailles von den deutschen Fürsten zum Kaiser ausgerufen.

Situation in Österreich von 1806 bis 1918

Karikatur Schönerers, die als Antwort eines betrunkenen Gewaltakts seinerseits gilt.

Während die deutschen Habsburger ihr supranationales Reichsgebilde zusammenhalten wollten, versuchten die nichtdeutschen Völker sich aus der ungeliebten Klammer der Deutschen (Österreicher) zu befreien und eigene Staaten zu gründen bzw. sich ihren jeweiligen Nationalstaaten anschließen. Bekannt ist ein Zitat Kaiser Franz Josephs I. gegenüber Eduard VII.: „Sire, ich bin ein deutscher Fürst.“ Die Monarchie scheiterte schließlich am ungelösten Nationalitätenproblem und die Deutschen des Vielvölkerreiches (österreichische Deutsche) gründeten schließlich nach dem Untergang von Österreich-Ungarn auf dem Boden der heutigen Republik Österreich ihren eigenen Staat Deutschösterreich, der sich allerdings dem Anschlußverbot der Siegermächte des ersten Weltkrieges fügen mußte.

Zwischenkriegszeit

Parlamentsgebäude in Wien

Österreich als eigene Nation zu begreifen, allerdings im Sinne des internationalen Proletariats und nicht im Sinne einer nationalen Bewegung, wurde erstmals durch die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) nach 1918 angeregt und durch diese Partei auch bis zu ihrer Zwangsauflösung durch das austrofaschistische Regime nach außen vertreten.

Die Mehrheit der Parteien hingegen betrachtete Österreich als „Teil der Deutschen Republik“ (Proklamation Deutschösterreichs als Republik am 12. November 1918). Anschlussvorbereitungen – es gab bereits bilaterale Verhandlungen, in Tirol und Salzburg wurden Volksabstimmungen über den Anschluss abgehalten und dieser mehrheitlich befürwortet (Vorarlberg sprach sich für den Beitritt zur Schweiz aus) – wurden aber durch den Friedensvertrag von St. Germain unterbunden; Deutschösterreich musste im Herbst 1919 in Republik Österreich umbenannt werden.

Den Siegermächten des Ersten Weltkrieges war an einer Eigenstaatlichkeit Österreichs gelegen, um ein zu Wiedererstarken des Deutschen Reiches zu verhindern. Sie erhoben daher auch gegen den 1931 lancierten Plan einer Zollunion zwischen dem Deutschen Reich und Österreich sofort Einspruch. Diese Vetos der Entente hinderte die meisten österreichischen Deutschen nicht daran, sich weiterhin selbstverständlich wie immer auch als Deutsche zu betrachten.

Austrofaschismus und Nationalsozialismus

Nach der Ausschaltung des Parlaments durch die Regierung Engelbert Dollfuß 1933 – Dollfuß betonte in seiner Trabrennplatzrede in Wien im Herbst 1933 das Deutschtum Österreichs – und dem Verbot sämtlicher Parteien wurde durch die letzten christlich-sozialen Abgeordneten des Nationalrats auf verfassungswidrige Weise am 1. Mai 1934 eine neue Verfassung für einen „christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage“ verabschiedet. In der Regierungspropaganda sprach man vom „besseren deutschen Staat“.

Im Exil im Moskau befasste sich der kommunistische österreichische Staatswissenschaftler Alfred Klahr 1937 in einem Artikel mit der Frage der österreichischen Nation. Er lehnte es ab, die Österreicher von vornherein als Deutsche zu betrachten, und verlangte eine detaillierte wissenschaftliche Aufarbeitung der Unterschiede zwischen der Entwicklung der Deutschen und der Österreicher in den letzten Jahrhunderten. Es ist ungeklärt, ob sein Text im Auftrag des Kremls zustande kam oder aus eigenem Antrieb.

Das austrofaschistische System versuchte bis zuletzt, ein deutsches, aber unabhängiges Österreich zu erhalten. Am 9. März 1938 sagte Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, der nach der Ermordung von Dollfuß durch nationalsozialistische Putschisten im Juli 1934 an die Macht gekommen war, bei einer Veranstaltung der Vaterländischen Front in Innsbruck:

„[…] Jetzt will und muss ich wissen, ob das Volk von Österreich dieses freie und deutsche und unabhängige und soziale, christliche und einige, dabei keine Parteizerklüftung duldende Vaterland will. […] Das möchte ich wissen und darum Landsleute und Österreicher, Männer und Frauen, rufe ich Sie in dieser Stunde auf: Am nächsten Sonntag, am 13. März dieses Jahres, machen wir Volksbefragung […].“ [1]

Diese Volksbefragung musste auf Druck Adolf Hitlers abgesagt werden.

In seiner Radioansprache am 11. März 1938, am Abend vor dem Einmarsch reichsdeutscher Truppen in Österreich, verkündete Bundeskanzler Kurt Schuschnigg das Bundesheer nicht einsetzen zu wollen um „kein deutsches Blut [zu] vergießen“. [2] Seine Ansprache schloss Schuschnigg mit den Worten:

„So verabschiede ich mich in dieser Stunde von dem österreichischen Volke mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch: Gott schütze Österreich!“ [3]

Nach dem in Österreich allgemein herbei gesehnten Anschluss an das Deutsche Reich sollte der Begriff Österreich auf Betreiben Hitlers möglichst konsequent aus dem politischen Vokabular verschwinden. So machte er aus dem Land Österreich bald die Ostmark und zuletzt die „Donau- und Alpenreichsgaue“. Die Bundesländer Niederösterreich und Oberösterreich erhielten die Bezeichnungen Niederdonau und Oberdonau. In seiner kurz nach dem Einmarsch am Heldenplatz in Wien umjubelte Rede betonte Hitler vor seinen österreichischen Landsleuten den Begriff „Heimat“, die jetzt an das Deutsche Reich angeschlossen werde und vermied den für ihn ungeliebten Begriff Österreich.

Die Alliierten erklärten 1943 in der Moskauer Deklaration, Österreich sei „das erste Opfer“ Hitlers geworden und werde nach Kriegsende als selbstständiger Staat wiederhergestellt. Dies entsprach den Überlegungen in Wien verbliebener Politiker der Ersten Republik, die, als die Chancen des Großdeutschen Reiches auf einen Sieg im Zweiten Weltkrieg immer geringer wurden und das Ende der NS-Zeit absehbar erschien, ebenfalls ein selbstständiges Österreich planten. In der Bevölkerung gab es allerdings keine Bestrebungen sich aus dem Reichsverband wieder loszulösen. Die Ziele der Politiker geschahen hingegen nicht aus nationalen, sondern aus praktischen Erwägungen: Wenn man die Chance hatte, nicht zu den absoluten Kriegsverlierern zu gehören, wollte man sie nützen.

Nachkriegszeit

Zeichen der Widerstandsbewegung am Stephansdom

Mit der Formierung österreichischer Widerstandsgruppen wie O5 gegen Ende des Krieges erstarkte ebenfalls der Gedanke der Eigenständigkeit. Nach Kriegsende wurde die Idee, Österreich sei eine eigene Nation, vor allem dadurch nützlich, dass man von österreichischer Seite gern bereit war, sich gemäß Moskauer Deklaration selbst als erstes Opfer des Nationalsozialismus zu fühlen (die Mittäterrolle, in der Deklaration ebenfalls enthalten, wurde Jahrzehnte lang ausgeblendet) und die Eigenstaatlichkeit zu betonen. In der Bevölkerung setzte sich der Gedanke allerdings erst im Lauf der Zeit durch. 1955 fühlten sich knapp über 50 % der österreichischen Nation zugehörig, seither stieg der Wert auf gegenwärtig über 80 % (Statistik Austria).

Das gewandelte nationale Selbstbewusstsein der Österreicher ist aber nicht nur auf die Erfahrungen mit Nationalsozialismus und Krieg, sondern auch auf politische, wirtschaftliche und sportliche Erfolge zurückzuführen.

In den Jahren 1945–1950 konnte die staatliche Teilung entlang der Grenzen der Besatzungszonen, wie sie in Deutschland eintrat, vermieden werden. 1955 wurde die Besatzungszeit mit dem Staatsvertrag beendet – viele Jahre vor dem Abzug der Alliierten aus Deutschland; im gleichen Jahr wurde Österreich in die Vereinten Nationen aufgenommen und erklärte verfassungsrechtlich seine „immerwährende Neutralität“. Internationale Organisationen siedelten sich in Wien an, bis die Stadt offiziell zum „dritten UNO-Sitz“ erklärt wurde. 1961 trafen einander John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow in Wien.

Mit dem neuen Staat Israel, der von Österreich de facto 1949 anerkannt wurde, wurden 1950 konsularische Beziehungen aufgenommen, zur gegenseitigen Bestätigung kam es 1952. In der UN sprach sich Israel für das Ende der alliierten Besatzung und die Wiederherstellung der österreichischen Souveränität aus. Zudem ergab sich nach 1945 ein wachsender Austausch mit Österreichs Nachbarländern, wobei alte Konflikte bereinigt wurden. Der Streit um Südtirol wurde durch das Südtirol-Paket entschärft, mit Ungarn und der damaligen Tschechoslowakei wurden alte-neue Bande geknüpft.

Flüchtlinge aus diesen Staaten wurden bereitwillig aufgenommen, 1956 nach dem gescheiterten Aufstand in Ungarn und 1968 nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch sowjetische Truppen. Viele der Geflüchteten fanden in Österreich eine neue Heimat und integrierten sich in die österreichische Gesellschaft. Die slowenisch- und kroatischsprachigen Minderheiten in Burgenland und in Kärnten wurden anerkannt, ihre Sprachen als Amtssprachen gleichberechtigt neben die deutsche Sprache gestellt. In den 1980er Jahren verbreitete sich auch der von Erhard Busek unterstützte Mitteleuropa-Gedanke, der zu einem verstärkten intellektuellen wie kulturellen Austausch mit den Nachbarn anregte.

Die durch den Marshall-Plan ermöglichte Entwicklung österreichischer Industrieanlagen und Förderung wirtschaftlicher Initiativen ließ die zwischen 1918 und 1938 verbreitete Angst, dass Österreich allein nicht lebensfähig sei, rasch abklingen. Das Land schloss sich vorerst der EFTA, 1995 der EU an.

Im Sport vermittelten die großen Erfolge im alpinen Schilauf (siehe z. B. Toni Sailer) laufend Selbstvertrauen. Im Fußball wurde 1978 der 3:2-Sieg der österreichischen Nationalmannschaft über die Deutschen in Argentinien bejubelt und geriet zu einem über Jahrzehnte hinweg erinnerten Ereignis.

Papst Paul VI. bezeichnete das Land als „Insel der Seligen“ und trug damit dazu bei, dass sich die Österreicher in ihrer Eigenart bestätigt fühlten.

Wissenschaftliche Einordnung

Der Versuch, die nationale Eigenständigkeit über sprachliche Unterschiede zu definieren, ist schwierig; das österreichische Deutsch (siehe auch: Liste von Austriazismen) ist mittlerweile als eigenständige Varietät der deutschen Sprache weitgehend anerkannt. Im Verfassungskonvent von 2005 wurde auch darüber diskutiert, diese Unterschiede durch die Definition der Staatssprache als „Österreichisches Deutsch“ stärker zu betonen. Allerdings würde die sprachliche Nationsbegründung die Einbeziehung der kroatisch-, ungarisch- und slowenischsprachigen Volksgruppen in den österreichischen Nationsbegriff erschweren.

Eine religiöse Definition scheitert nicht nur am säkularen Fundament der Republik, sondern auch an der mangelnden Homogenität. Viele Staatsbürger bezeichnen sich bereits als „ohne Bekenntnis“, neben der katholischen Mehrheitsbevölkerung bekennen sich aber auch etliche Österreicher zum protestantischen, orthodoxen oder muslimischen Glauben.

Im Zusammenhang mit dem Versuch, die österreichische Nation auf ein wissenschaftliches Fundament zu stellen, wird häufig auf den Begriff der Willensnation zurückgegriffen, die sich nicht ausschließlich über Sprache, Kultur und dergleichen, sondern vor allem über ein „Identitäts- und Zusammengehörigkeitsgefühl“ definiert. Als Willensnation bezeichnen sich zum Beispiel Einwanderungsländer wie Kanada oder die USA, aber vor allem auch die Schweiz, in der Patriotismus aber generell stärker öffentlich demonstriert wird als in Österreich.

Ob man Österreich als Willensnation bezeichnen kann, ist umstritten. Aus der Schweiz, selbst als Willensnation unbestritten, stammt dazu eine zum Gedenken an den Untergang des Staates Österreich vor siebzig Jahren im März 2008 publizierte Meinung:

Die Zweite Republik steht heute glänzend da. Sie ist, anders als damals, nicht nur ein Staatskonstrukt, sondern eine prosperierende Willensnation (...)[4].

Siehe auch

Quellen

  1. Zit. nach Manfred Jochum, Die Erste Republik in Dokumenten und Bildern, Wilhelm Braumüller, Universitäts-Verlagsbuchhandlung, Wien 1983, S. 222.
  2. Zit. nach Manfred Jochum, a.a.O., S. 225.
  3. Zit. nach Manfred Jochum, a.a.O., S. 226.
  4. "Neue Zürcher Zeitung", Zürich, Nr. 63, 15./16. März 2008, S. 1/2, Wege aus bewegter Geschichte

Literatur

  • Wilhelm Brauneder: Quellenbuch zur Österreichischen Verfassungsgeschichte 1848–1945.
  • Ernst Bruckmüller: Nation Österreich. Kulturelles Bewußtsein und gesellschaftlich-politische Prozesse, Studien zu Politik und Verwaltung 4, Wien/Köln/Graz ²1996.
  • Friedrich Heer: Der Kampf um die österreichische Identität. Böhlau, Wien/Köln/Graz 1981
  • Robert Sedlacek: Das Österreichische Deutsch.
  • Anton Staudinger: Zur "Österreich"-Ideologie des Ständestaates. In: Das Juli-Abkommen von 1936. Vorgeschichte, Hintergründe und Folgen. Wien 1977. 198-240
  • Karl Vocelka: Geschichte Österreichs, Heyne/Styria, 3. Auflage, 2004, ISBN 3453216229.
  • Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
  • Statistik Austria