Sicherheitsrat der Russischen Föderation

Der Sicherheitsrat der Russischen Föderation (russisch Совет Безопасности Российской Федерации Sowet Besopasnosti Rossijskoi Federazii; englisch Security Council of the Russian Federation, SCRF) ist ein Gremium hochrangiger Politiker Russlands zur gemeinsamen Entscheidungsfindung in Sachen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Geschichte und Aufgabe

Der Sicherheitsrat der UdSSR war ein Gremium des Volksdeputiertenkongress der UdSSR. 1992 wurde seine Nachfolgeinstitution vom damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin per Erlass geschaffen, um das Staatsoberhaupt bei Fragen zur inneren und äußeren Sicherheitspolitik zu beraten. Seit 1993 ist er in der Verfassung Russlands in Artikel 83 festgeschrieben. Dort heißt es: „Der Präsident der Russischen Föderation […] bildet und leitet den Sicherheitsrat der Russischen Föderation, dessen Status durch das föderale Gesetz bestimmt wird“.

Organisiert als Teil der präsidentiellen Kreml-Administration besitzt er faktisch eine gewisse Autonomie. Er besteht aus 13 ständigen Mitgliedern qua Amtsnähe (z. B. Verteidigungsminister und Außenminister) und 18 vom Präsidenten ernannten Mitgliedern ohne Stimmberechtigung und trifft sich etwa 35 mal im Jahr. Die ständigen Mitglieder allerdings treffen sich wöchentlich unter Vorsitz des Präsidenten. Der Rat verfügt über ein eigenes und stark mit Personal versehenes Sekretariat, das Abstimmungsprozesse zwischen den Akteuren koordiniert und Einblick in deren Planungsprozesse und Operationen hat. Mitarbeiter des Sekretariats werden öfters auf hohe Posten in der Verwaltung befördert. Eine besondere und einflussreiche Rolle spielt der langjährige Sekretär des Rates, Nikolai Patruschew. Wichtige Personen bleiben über Jahre Mitglieder im Rat, selbst wenn ihre Positionen in Verwaltung und Politik sich zwischenzeitlich ändern. 1992 gegründet wurde der Rat zeitweise mit dem früheren Politbüro verglichen und als ein innerer Zirkel beschrieben, allerdings wird heute davon ausgegangen, dass die wichtigen Entscheidungen nicht im Rat selbst, sondern in noch kleinerem Rahmen vorbereitet werden. Über Zugehörigkeit zum Rat entscheidet letztlich immer der Präsident, der Rat ist ein Ort wo Elitenakteure – insbesondere die Silowiki – die Politik abstimmen und etwaige Konflikte lösen. Sicherheitsrelevante Gesetze werden im Rat vorformuliert und in den Gesetzgebungsprozess als Vorschläge eingebracht, die in der Verwaltung und der Duma beachtet werden (nachdem sie von ausgewählten Abgeordneten parlamentarisch eingebracht wurden), Rat und Sekretariat haben eine wirksame Rolle als Agenda-Setter und Koordinierungsstelle inne. So wird die Nationale Sicherheitsstrategie im Rat als Konsens erarbeitet. Der Rat diskutiert allerdings nicht nur sicherheitsrelevante Themen, sondern letztlich alles, was für den Staat wichtig erscheint, auch bei Themen die den Bereich innerer und äußerer Sicherheit verlassen, beeinflusst er zumindest die ideologische Ausrichtung.[1][2]

Sitzung zu den selbst ernannten Volksrepubliken in der Ukraine

Am 21. Februar 2022 wurde eine „öffentliche Sitzung“ des Sicherheitsrates abgehalten; eine Inszenierung wurde auch deshalb angenommen, weil die Sitzung möglicherweise entgegen den Angaben nicht live übertragen wurde; die Uhr des Verteidigungsministers verriet dies.[3] Die Mitglieder sollten die Frage nach der Anerkennung der Volksrepublik Donezk und der Volksrepublik Lugansk beantworten. Die Sitzung wurde als „bizarre Schulstunde“ oder als „absurd“ bezeichnet, der Zweck sei es gewesen, die Verantwortung für die längst gefällte Entscheidung und damit gleichzeitig die Entscheidung für den Russischen Überfall auf die Ukraine zu kollektivieren. Medwedew sprach die zu erwartenden Sanktionen an und bemerkte, der Westen werde trotzdem wieder früher oder später „ermüden“ und wieder „ankriechen“.[4][5]

Der Entschluss zur Invasion der Ukraine 2022 wurde allerdings nicht im Rat getroffen, sondern von einer kleinen Gruppe von Vertrauten Putins, darunter prominente Mitglieder des Sicherheitsrates wie Sekretär Patruschew, der Verteidigungsminister Schoigu, der Generalstabschef Gerassimow, der FSB-Direktor Bortnikow und der Kommandeur der russischen Nationalgarde Solotow. Bei einer öffentlichen Sitzung vor Invasionsbeginn, in der es offiziell um die Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk ging, in Wirklichkeit aber um den Krieg, waren nicht alle Mitglieder des Rates über die Pläne vorab informiert worden. Obwohl „eine Fraktion für die Fortsetzung der Verhandlungen mit den USA und der Nato plädierte“, ließ Putin keinen Widerspruch zu. Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Fabian Burkhardt sei der Zweck der Sitzung gewesen, die Nichteingeweihten in die Kriegsvorbereitung zu verwickeln und „mitschuldig zu machen“, um sie zu binden. Der Vorgang habe belegt, dass der Rat Putin nicht eingrenzen könne, sondern die Herrschaft in Russland sich radikalisiere und nicht von Institutionen, sondern von Putin als Person ausgehe. Es sei verdeutlicht worden, „wie hochpersonalisiert das autoritäre Regime in Russland ist“.[6]

Ständige Mitglieder des Sicherheitsrates

Stand Mai/Juni 2024[7][8][9]

NameBildAmt
Wladimir PutinPräsident und Vorsitzender des Sicherheitsrates
Dmitri Medwedewstellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates
Sergei SchoiguSekretär des Sicherheitsrates
Andrei BeloussowVerteidigungsminister
Nikolai PatruschewBerater der Präsidialverwaltung
Michail MischustinMinisterpräsident
Wjatscheslaw WolodinVorsitzender der Staatsduma
Sergei NaryschkinDirektor des Auslandsnachrichtendienstes SWR
Sergei LawrowAußenminister
Wladimir KolokolzewInnenminister
Walentina MatwijenkoVorsitzende des Föderationsrates
Alexander BortnikowDirektor des Inlandsgeheimdienstes Russlands FSB
Anton WainoLeiter der Präsidialverwaltung
Sergei IwanowSonderbeauftragter des Präsidenten für Naturschutz, Ökologie und Transport

Nichtständige Mitglieder des Sicherheitsrates

NameBildAmt
Raschid NurgalijewErster Stellvertretender Sekretär des Sicherheitsrates
Alexander KurenkowKatastrophenschutzminister
Konstantin TschuitschenkoJustizminister
Anton SiluanowFinanzminister
Waleri GerassimowChef des Generalstabs der Streitkräfte Russlands
Wiktor SolotowDirektor der Nationalgarde Russlands
Igor KrasnovGeneralstaatsanwalt
Sergei SobjaninBürgermeister von Moskau
Alexander BeglowGouverneur von Sankt Petersburg
Igor SchtschogolewBevollmächtigter Vertreter des Präsidenten für Zentralrussland
Alexander GutsanBevollmächtigter Vertreter des Präsidenten für Nordwestrussland
Wladimir UstinowBevollmächtigter Vertreter des Präsidenten für den Föderationskreis Südrussland
Juri TschaikaBevollmächtigter Vertreter des Präsidenten für den Föderationskreis Nordkaukasus
Igor KomarowBevollmächtigter Vertreter des Präsidenten für den Föderationskreis Wolga
Wladimir JakuschewBevollmächtigter Vertreter des Präsidenten für Föderationskreis Ural
Anatoly SeryshevBevollmächtigter Vertreter des Präsidenten für Föderationskreis Sibirien
Juri TrutnewBevollmächtigter Vertreter des Präsidenten für den Föderationskreis Ferner Osten

Stellvertretender Ministerpräsident

Sekretär des Sicherheitsrates

JahrSekretär des Sicherheitsrats der RF
1992–1993Juri Skokow
1993Jewgeni Schaposchnikow
1993–1996Oleg Lobow
1996Alexander Lebed
1996–1998Iwan Rybkin
1998Andrei Kokoschin
1998–1999Nikolai Bordjuscha
1999Wladimir Putin
1999Wladislaw Scherstjuk
1999–2001Sergei Iwanow
2001–2004Wladimir Ruschailo
2004–2007Igor Iwanow
2007–2008Walentin Sobolew
2008–2024Nikolai Patruschew
2024–Sergei Schoigu

Literatur

  • Richard F. Staar: Russia's new Politburo? In: Perspective, Volume XII, Number 2, November – December 2001 (Online)
  • Richard F. Staar: Decision Making in Russia. In: Mediterranean Quarterly, Volume 13, Number 2, Spring 2002, pp. 9–26 (PDF-Datei)
  • Jens Deppe: Über Pressefreiheit und Zensurverbot in der Russländischen Föderation. Rechtswissenschaftliche Dissertation, Hamburg 2000 (Online)
Commons: Security Council of Russia – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Ekaterina Schulmann, Mark Galeotti: A tale of two councils: the changing roles of the security and state councils during the transformation period of modern Russian politics. In: Post-Soviet Affairs. Band 37, Nr. 5, 3. September 2021, ISSN 1060-586X, S. 453–469, doi:10.1080/1060586X.2021.1967644.
  2. Mark Galeotti: Russia’s Security Council: Where Policy, Personality, and Process Meet. In: Security Insights Nr.41. George C. Marshall European Center For Security Studies, Oktober 2019, abgerufen am 1. September 2023 (englisch).
  3. Putin’s made-for-TV security debate gives him answers he wants to hear on Ukraine, Financial Times, 21. Februar 2022
  4. «Setzen Sie sich!» Putin inszeniert seine Entscheidung zur Militärintervention in der Ukraine wie eine Schmierenkomödie, NZZ, 22. Februar 2022
  5. Putin’s absurd, angry spectacle will be a turning point in his long reign, Guardian, 21. Februar 2022
  6. Fabian Burkhardt: Das System Putin. Regimepersonalisierung in Russland und der Krieg gegen die Ukraine. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Krieg in Europa. Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ). 72. Jahrgang, Nr. 28–29/2022, 11. Juli 2022, ISSN 0479-611X, S. 35–41 (bpb.de).
  7. Состав ∙ Совет Безопасности ∙ Структура ∙ Президент России. Abgerufen am 13. Mai 2024 (russisch).
  8. Совет Безопасности Российской Федерации. Abgerufen am 13. Mai 2024.
  9. Putin hält an Patruschew im russischen Sicherheitsrat fest. In: tagesschau.de. 12. Juni 2024, abgerufen am 12. Juni 2024.