Bildung in Estland

Universität Tartu, Hauptgebäude

Das Bildungssystem in Estland umfasst drei Stufen im Bildungssystem, begründet vom Bildungsgesetz der Republik Estland 1991. Bildung genießt einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft, der 2021 gewählte Präsident Alar Karis will sie in den Mittelpunkt seiner fünfjährigen Amtszeit stellen. Bei den PISA-Studien von 2015 belegte Estland Platz 9 von 72 Ländern in Mathematik, Platz 3 in Naturwissenschaften und Platz 6 beim Leseverständnis. Die Schüler gehörten damit zu den besten von allen teilnehmenden Ländern und erreichten zusammen mit Finnland den Spitzenwert in Europa. 2018 und 2022 standen sie sogar noch vor Finnland.[1][2][3]

Alle Kleinkinder haben das Recht auf einen Platz im Kindergarten, doch in Estland sind nicht in allen Regionen genügend davon vorhanden. Vorschulprogramme für alle fünf- und sechsjährigen Kinder sind Pflicht und finden entweder in den Kindergärten oder in den Schulen statt. In Estland gilt eine neunjährige Schulpflicht (Primar- und Sekundärstufe I), die mit Erreichen des siebten Lebensjahres beginnt und nach Abschluss der neunjährigen Ausbildung bzw. mit dem 17. Lebensjahr endet.[4]

Struktur

Bildungssystem in Estland

Das Bildungssystem gliedert sich in

  • Vorschulbereich,
  • Grundschule (Primarstufe, Klasse 1–4),
  • Sekundarstufe I (Klasse 5–9), mit einheitlichem Abschluss,
  • Sekundarstufe II (Klasse 10–12), Gymnasien oder berufsbildende Schulen,
  • Tertiärstufe: Hochschulen und Universitäten.

Nach der Sekundarstufe I können die Schüler zwischen einer berufsbildenden Schule bzw. beruflichen Ausbildung mit dem Besuch der entsprechenden Berufsschule oder einer weiterführenden Schule (staatliche oder private Gymnasien) der Sekundarstufe II wählen. Der erfolgreiche Abschluss der 12. Klasse/Berufsausbildung berechtigt zu einem Universitätsstudium oder dem Besuch einer berufsbildenden Akademie.

Digitalisierung

In vielen Schulen gibt es elektronische Klassenbücher. Das ermöglicht Lehrern das Stellen von Hausaufgaben wie auch den Eltern, von zu Hause aus Einsicht in die Einträge über die Schüler zu erhalten. Den Lehrkräften erspart es viel Verwaltungsarbeit. Das erforderliche Computer-Programm wird den Eltern vom Staat kostenlos zur Verfügung gestellt. Ein Computer am Lehrerpult und ein Beamer oder Smartboard gehören zur Ausstattung jedes Klassenzimmers. Im Regelfall stellen Schulen Bildungstechnologen ein, die Lehrkräfte beim Medieneinsatz unterstützen und die Wartung der Geräte übernehmen. Bereits Ende der 1990er Jahre hatte jede Schule einen Internetzugang.[5] Dennoch ist der Unterricht durch die meist älteren Lehrkräfte mit sowjetischer Ausbildung recht traditionell auf Wissensvermittlung ausgerichtet. Anders als in Finnland gehen nicht viele junge Menschen als Lehrer in die Schule.[6]

Fremdsprachen und russischsprachige Schulen

Nach der Unabhängigkeit 1991 wurde Russisch als erste Fremdsprache durch Englisch ersetzt. Zum Teil beginnt der Englischunterricht bereits im Kindergarten. Nicht synchronisierte englischsprachige Fernsehsendungen fördern das Lernen erheblich.

In Estland wohnen viele Russen, die sich am Nachbarland orientieren. 1993 wurde das Gesetz über die „kulturelle Autonomie nationaler Minderheiten“ verabschiedet und damit den Minderheiten in der estnischen Bevölkerung die Möglichkeit gegeben, private Gymnasien mit Unterricht in ihrer Sprache zu errichten.[7] Seit Beginn des staatlichen Programms „Integration in die estnische Gesellschaft 2000–2007“ gehört der Übergang zum zweisprachigen Unterricht an staatlichen russischsprachigen Gymnasien zum staatlichen Lehrplan der Regierung, um den Jugendlichen durch die frühe Vermittlung der estnischen Sprache bessere Ausbildungs- und Berufschancen zu ermöglichen. Ab 2008/2009 wurde in allen 63 russischsprachigen Gymnasien der Anteil an Unterrichtsfächern, die in Estnisch stattfinden, erhöht.[8] Ab dem Schuljahr 2024/2025 soll die russischsprachigen Schulen ganz abgeschafft werden. Das seit der Unabhängigkeit unveränderte Kita- und Schulsystem, das estnisch- und russischsprachige Schüler trennt, soll vereinheitlicht werden. Erst- und Viertklässler sollen den Plänen zufolge ab 2024 komplett auf Estnisch beschult werden, weitere Klassenstufen im Schuljahr darauf folgen.[9]

Sonderpädagogik

Jede Schule hat einen Verantwortlichen, der sich um die Schüler mit Behinderung kümmert. Sonderpädagogische Förderung, Sprachtherapie und sozialpädagogische Beratung sollen verhindern, dass Kinder die Schule abbrechen. Verhaltensgestörte Kinder (meist Jungen) kommen in Sonderklassen an den normalen Schulen oder an den Gymnasien, 2005 gab es 30 Sonderklassen. Die Jungen mögen die geringe Schülerzahl, den engeren Kontakt mit den Lehrern, den angepassten Lehrplan und die hohe Disziplin. 86 % der befragten Lehrer halten die Methode der Sonderklassen für erfolgreich und sehr positiv.[10]

Hochschulen

In Estland gibt es zwölf anerkannte Universitäten, davon sieben staatliche und fünf private Universitäten, sowie 26 weitere Hochschulen, die Universität Tartu wurde 1632 gegründet.[11] Die Hochschulen orientieren sich immer mehr an internationalen Standards und fördern den akademischen Austausch durch ausländische Gastdozenten und Studenten. Die Estnische Akademie der Wissenschaften versammelt die Spitzenforschung. Deutschland und Estland haben zum Erhalt der deutsch-baltischen Kultur zahlreiche akademische Gesellschaften gegründet. Seit 1997 findet jedes Jahr die deutsch-estnische akademische Woche „Academica“ statt. Im April 1998 eröffnete das Goethe-Institut am Deutschen Kulturinstitut Tallinn eine Zweigstelle; die Gründung der Eurofakultät an der Universität in Tartu[12] (deutsch: Dorpat) im Jahr 1993 geht auf deutsche Initiatoren zurück. Wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine 2022 werden russische und belorussische Studenten nicht mehr eingeschrieben.[13]

Links

Gustav-Adolf-Gymnasium in Tallinn

Weblinks

Commons: Education in Estonia – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. PISA 2018: Estonian students rank 1st in Europe. 28. Mai 2020, abgerufen am 1. Januar 2022 (amerikanisches Englisch).
  2. Bildung | Estland.com. Abgerufen am 1. Januar 2022.
  3. NDR: PISA-Studie: Was macht Estland so erfolgreich? 5. Dezember 2023, abgerufen am 5. Dezember 2023.
  4. Julia Köppe: Estland als Schul-Vorbild: So wird Lernen gerechter. In: Der Spiegel. 29. Dezember 2017, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 1. Januar 2022]).
  5. The digital future has already arrived - it’s in Estonia: Comprehensive technology education puts the Baltic country light-years ahead. Abgerufen am 1. Januar 2022 (englisch).
  6. Estland: Reise ins Digital-Wunderland. In: Das Deutsche Schulportal. 2020, abgerufen am 1. Januar 2022 (deutsch).
  7. Meeli Väljaots: Historische Entwicklung der Jungenpädagogik in Estland. (PDF) Abgerufen am 1. Januar 2022.
  8. Bildung | Estland.com. Abgerufen am 1. Januar 2022.
  9. Gemma Teres Arilla: Bildung in Estland: Schulreform gegen den Krieg. In: Die Tageszeitung: taz. 26. Januar 2023, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 8. Dezember 2023]).
  10. Bildung | Estland.com. Abgerufen am 1. Januar 2022.
  11. Study in Estonia: Education in Estonia. Abgerufen am 1. Januar 2022 (deutsch).
  12. Hamburger Abendblatt: Eine Rose für den Emeritus aus Hamburg. 17. Juli 2000, abgerufen am 1. Januar 2022 (deutsch).
  13. Gemma Teres Arilla: Universitäten in Estland: Kein Zugang für russische Studis. In: Die Tageszeitung: taz. 8. September 2022, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 8. Dezember 2023]).
  14. Haridus - ja Teadusministeerium / Estnisches Ministerium für Bildung und Forschung. Abgerufen am 1. Januar 2022.