„Friedenslinien“ – Versionsunterschied

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Stadtplaner bewerten die Friedenslinien ambivalent: Einerseits definieren die Friedenslinien genau abgrenzbare Wohngebiete und führen damit für die Bewohner, deren Alltag von jahrzehntelangen gewalttätigen Auseinandersetzungen geprägt war, zu mehr subjektiver [[Sicherheit]]. Andererseits schaffen die Friedenslinien ein einschüchterndes und wenig menschenfreundliches Wohnumfeld.<ref>Diese Einschätzungen bei Bollens, ''Narrow ground'', S. 209f.</ref> Die [[Northern Ireland Housing Executive]] (NIHE), zentral für die Wohnungspolitik in Nordirland verantwortlich, bezeichnete 1988 den Begriff „Friedenslinen“ als Widerspruch in sich: Friedenslinien seien in vielen Fällen nicht von Frieden und nachbarschaftlicher Harmonie geprägt, sondern von Konflikten, Spannungen, Sachbeschädigungen und andauernder Instabilität.<ref>Bericht der NIHE von 1988, zitiert bei Bollens, ''Narrow ground'', S. 216.</ref>
Stadtplaner bewerten die Friedenslinien ambivalent: Einerseits definieren die Friedenslinien genau abgrenzbare Wohngebiete und führen damit für die Bewohner, deren Alltag von jahrzehntelangen gewalttätigen Auseinandersetzungen geprägt war, zu mehr subjektiver [[Sicherheit]]. Andererseits schaffen die Friedenslinien ein einschüchterndes und wenig menschenfreundliches Wohnumfeld.<ref>Diese Einschätzungen bei Bollens, ''Narrow ground'', S. 209f.</ref> Die [[Northern Ireland Housing Executive]] (NIHE), zentral für die Wohnungspolitik in Nordirland verantwortlich, bezeichnete 1988 den Begriff „Friedenslinien“ als Widerspruch in sich: Friedenslinien seien in vielen Fällen nicht von Frieden und nachbarschaftlicher Harmonie geprägt, sondern von Konflikten, Spannungen, Sachbeschädigungen und andauernder Instabilität.<ref>Bericht der NIHE von 1988, zitiert bei Bollens, ''Narrow ground'', S. 216.</ref>


Für die Stadtplanung in Belfast haben die Friedenslinien und die Segregation in der Stadt erhebliche Folgen. Zwischen 1951 und 1991 verlor die Stadt 37 % der Bevölkerung. Dabei erhöhte sich der Anteil der katholischen Nationalisten in Belfast von circa 28 % im Jahr 1961<ref>Bollens, ''Narrow ground'', S. 192</ref> auf 47 % im Jahr 2001.<ref>[http://www.ninis.nisra.gov.uk/mapxtreme_towns/report.asp?SettlementName=Belfast%20Urban%20Area&bandName=Belfast%20Metropolitan%20Urban%20Area%20%28BMUA%29 Area Profile of Belfast Urban Area - Based on 2001 Census] bei ''Northern Ireland Neighbourhood Information Service'' (NINIS) (englisch, abgerufen am 4. Dezember 2011).</ref> Die Gründe hierfür liegen in der höheren [[Geburtenziffer|Geburtenrate]] der Nationalisten sowie in der Abwanderung von Unionisten in das meist unionistisch geprägte Umland von Belfast.<ref>Bollens, ''Narrow ground'', S. 207.</ref> Die durch die Friedenslinien verstärkte Abgrenzung der Wohngebiete führte zu einem Ungleichgewicht auf dem Wohnungsmarkt von Belfast. Während Wohnraum in nationalistischen Wohngebieten fehlt, stehen in unionistischen Gebieten zahlreiche Wohnungen leer, zum Teil wurden ganze Straßenzüge abgerissen. Der Neubau Siedlungen für Nationalisten in unionistischen Gebieten ist politisch nicht durchsetzbar.<ref>Bollens, ''Narrow ground'', S. 212f.</ref>
Für die Stadtplanung in Belfast haben die Friedenslinien und die Segregation in der Stadt erhebliche Folgen. Zwischen 1951 und 1991 verlor die Stadt 37 % der Bevölkerung. Dabei erhöhte sich der Anteil der katholischen Nationalisten in Belfast von circa 28 % im Jahr 1961<ref>Bollens, ''Narrow ground'', S. 192</ref> auf 47 % im Jahr 2001.<ref>[http://www.ninis.nisra.gov.uk/mapxtreme_towns/report.asp?SettlementName=Belfast%20Urban%20Area&bandName=Belfast%20Metropolitan%20Urban%20Area%20%28BMUA%29 Area Profile of Belfast Urban Area - Based on 2001 Census] bei ''Northern Ireland Neighbourhood Information Service'' (NINIS) (englisch, abgerufen am 4. Dezember 2011).</ref> Die Gründe hierfür liegen in der höheren [[Geburtenziffer|Geburtenrate]] der Nationalisten sowie in der Abwanderung von Unionisten in das meist unionistisch geprägte Umland von Belfast.<ref>Bollens, ''Narrow ground'', S. 207.</ref> Die durch die Friedenslinien verstärkte Abgrenzung der Wohngebiete führte zu einem Ungleichgewicht auf dem Wohnungsmarkt von Belfast. Während Wohnraum in nationalistischen Wohngebieten fehlt, stehen in unionistischen Gebieten zahlreiche Wohnungen leer, zum Teil wurden ganze Straßenzüge abgerissen. Der Neubau von Siedlungen für Nationalisten in unionistischen Gebieten ist politisch nicht durchsetzbar.<ref>Bollens, ''Narrow ground'', S. 212f.</ref>


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Version vom 15. Dezember 2011, 22:37 Uhr

Friedenslinie an der Springmartin Road in West-Belfast (Lage).

Als Friedenslinien oder Friedensmauern (englisch: Peace lines oder Peace walls) werden Barrieren bezeichnet, die in nordirischen Städten, insbesondere in der Hauptstadt Belfast, die Wohngebiete irischer Nationalisten und britischer Unionisten trennen. Die Friedenslinien entstanden 1969 nach dem Ausbruch des Nordirlandkonfliktes in einem Teil der Gebiete, die als Interface areas bezeichnet werden und durch wiederholte Auseinandersetzungen zwischen Nationalisten und Unionisten gekennzeichnet sind.

Geschichte

Bereits vor 1969 waren nordirische Städte von starker Segregation geprägt. In Belfast wohnten in den 1960er Jahren 64 % der Haushalte in Straßen, in denen mindestens 90 % der Bewohner entweder Unionisten oder Nationalisten waren.[1] Bei schweren Unruhen im August 1969 brannte ein aus dem Gebiet der von Unionisten bewohnten Belfaster Shankill Road kommender Mob ganze Straßenzüge im Gebiet der von Nationalisten bewohnten Falls Road nieder. Zur Beendigung der Unruhen wurde die Britische Armee eingesetzt.

Friedenslinie in Belfast zwischen den Stadtteilen Shankill Road und Falls Road 2010 (Lage).
Tor in einer Friedenslinie im Larnak Way, West-Belfast (Lage).

Am 9. September 1969 gab der nordirische Premierminister James Chichester-Clark bekannt, dass zwischen den Gebieten der Shankill Road und der Falls Road eine Friedenslinie, bestehend aus einem von Polizei und Armee kontrollierten Stacheldrahtzaun, errichtet werden sollte. Mit dem Bau der Friedenslinie sollten die Bewohner der beiden Stadtteile im Westen Belfasts dazu bewegt werden, die Beseitigung von Barrikaden zu akzeptieren, die während der Unruhen im August gebaut worden waren.[2] Ian Freeland, General Officer Commanding der britischen Armee in Nordirland, bezeichnete die Friedenslinie als „zeitlich begrenzte Maßnahme“ und erklärte: „Wir werden in dieser Stadt keine zweite Berliner Mauer haben“.[3]

Während des Nordirlandkonflikts nahm die Segregation in den nordirischen Städten weiter zu. In Belfast waren zwischen 1969 und 1973 schätzungsweise 60.000 Menschen gezwungen, ihre Wohnungen nach Bombenanschläge, Schießereien, Unruhen oder auf Grund von Einschüchterungen zu verlassen.[1] Insbesondere Katholiken flohen aus den bislang gemeinsam mit Protestanten bewohnten Gebieten Belfasts in Gebiete mit einer katholischen Mehrheit. Die als Provisorium gedachte Friedenslinie blieb bestehen; die anfänglichen Stacheldrahthindernisse wurden durch dauerhafte Strukturen ersetzt. Zudem wurden weitere Friedenslinien insbesondere im Norden und Westen von Belfast, aber auch in weiteren Städten wie Derry und Portadown errichtet. Dabei wurden Wellblechzäune, Stahlwände und Mauern erbaut, später auch den Örtlichkeiten angepasste Gitter oder mehrfarbige Wände. An Straßen entstanden Tore, die dauerhaft, nur nachts oder während Unruhen geschlossen sind.[4] Einzelne Friedenslinien sind zum Teil mehrere Kilometer lang[5] und bis zu acht Meter hoch. 2010 wurde die Gesamtlänge der Friedenslinien mit 21 Kilometern angegeben.[6]

Auch nach der Waffenstillstandserklärung der IRA und weiterer paramilitärischer Gruppen 1994 und der im Karfreitagsabkommen von 1998 vereinbarten Friedensregelung nahm die Zahl der Friedenslinien weiter zu: In Belfast gab es 1994 15 Friedenslinien;[7] ihre Zahl stieg auf 35 im Jahr 2001[5] und 42 im Jahr 2009.[8] Für 2007 wird konstatiert, dass es in der Bevölkerung keine breite Unterstützung für die Beseitigung der Friedenslinien gebe.[5] Im September 2011 beschloss der Stadtrat von Belfast, eine Strategie zur Beseitigung der Friedenslinien zu entwickeln.[9]

Seit der Friedensregelung haben sich die Friedenslinien zu Sehenswürdigkeiten entwickelt, die ebenso wie Wandmalereien im Rahmen von Stadtführungen mit Bussen und Taxen angesteuert werden. Für diese Art des Tourismus ist der Begriff „Konflikttourismus“ entstanden.[10]

Folgen

Stadtplaner bewerten die Friedenslinien ambivalent: Einerseits definieren die Friedenslinien genau abgrenzbare Wohngebiete und führen damit für die Bewohner, deren Alltag von jahrzehntelangen gewalttätigen Auseinandersetzungen geprägt war, zu mehr subjektiver Sicherheit. Andererseits schaffen die Friedenslinien ein einschüchterndes und wenig menschenfreundliches Wohnumfeld.[11] Die Northern Ireland Housing Executive (NIHE), zentral für die Wohnungspolitik in Nordirland verantwortlich, bezeichnete 1988 den Begriff „Friedenslinien“ als Widerspruch in sich: Friedenslinien seien in vielen Fällen nicht von Frieden und nachbarschaftlicher Harmonie geprägt, sondern von Konflikten, Spannungen, Sachbeschädigungen und andauernder Instabilität.[12]

Für die Stadtplanung in Belfast haben die Friedenslinien und die Segregation in der Stadt erhebliche Folgen. Zwischen 1951 und 1991 verlor die Stadt 37 % der Bevölkerung. Dabei erhöhte sich der Anteil der katholischen Nationalisten in Belfast von circa 28 % im Jahr 1961[13] auf 47 % im Jahr 2001.[14] Die Gründe hierfür liegen in der höheren Geburtenrate der Nationalisten sowie in der Abwanderung von Unionisten in das meist unionistisch geprägte Umland von Belfast.[15] Die durch die Friedenslinien verstärkte Abgrenzung der Wohngebiete führte zu einem Ungleichgewicht auf dem Wohnungsmarkt von Belfast. Während Wohnraum in nationalistischen Wohngebieten fehlt, stehen in unionistischen Gebieten zahlreiche Wohnungen leer, zum Teil wurden ganze Straßenzüge abgerissen. Der Neubau von Siedlungen für Nationalisten in unionistischen Gebieten ist politisch nicht durchsetzbar.[16]

Einzelnachweise

  1. a b Scott A. Bollens: On narrow ground. Urban policy and ethnic conflict in Jerusalem and Belfast. State University of New York Press, Albany, NY 2000, ISBN 0-7914-4413-9 S. 194
  2. Eintrag 9. September 1969 und Conclusions of a meeting of the Joint Security Committee held on tuesday 9th September, 1969, at Stormont Castle bei CAIN – Conflict Archive on the Internet (englisch, abgerufen am 4. Dezember 2011)
  3. Zitiert in: Die Mauer von Belfast in Epoch Times, 07. Mai 2008 (Abgerufen am 4. Dezember 2011).
  4. Bollens, Narrow ground, S. 208.
  5. a b c Eintrag 'Peace Line'/'Peace Wall' bei CAIN – Conflict Archive on the Internet. (englisch, abgerufen am 4. Dezember 2011).
  6. Stanley D. Brunn, Sarah Byrne, Louise McNamara, Annette Egan: Belfast Landscapes: From Religious Schism to Conflict Tourism. In: Focus on Geography 53(2010) doi:10.1111/j.1949-8535.2010.00011.x, S. 81–91, hier S. 82.
  7. Bollens, Narrow ground, S. 210.
  8. Forty years of peace lines bei BBC News, 1. Juli 2009 (englisch, abgerufen am 4. Dezember 2011).
  9. Belfast's peace walls may be set to tumble. In: Irish Times, 3. September 2011 (englisch, abgerufen am 4. Dezember 2011).
  10. Brunn, Belfast Landscapes, S. 83f.
  11. Diese Einschätzungen bei Bollens, Narrow ground, S. 209f.
  12. Bericht der NIHE von 1988, zitiert bei Bollens, Narrow ground, S. 216.
  13. Bollens, Narrow ground, S. 192
  14. Area Profile of Belfast Urban Area - Based on 2001 Census bei Northern Ireland Neighbourhood Information Service (NINIS) (englisch, abgerufen am 4. Dezember 2011).
  15. Bollens, Narrow ground, S. 207.
  16. Bollens, Narrow ground, S. 212f.