„Denisova-Mensch“ – Versionsunterschied

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Bei dem '''homininen Fossil aus der Denissowa-Höhle''' im [[Altai|Altai-Gebirge]] handelt es sich um das dritte (äußere) [[Fingerknochen|Fingerglied]] (Phalanx distalis) des [[Kleiner Finger|kleinen Fingers]] eines Individuums der [[Gattung (Biologie)|Gattung]] ''[[Homo]]'', das keiner zuvor bekannten [[Art (Biologie)|Art]] zugeordnet werden konnte. Das 48.000 bis 30.000 Jahre alte [[Fossil]] war 2008 von [[Russland|russischen]] Forschern in der [[Denissowa-Höhle]] {{Coordinate|NS=51.4|EW=84.68|name=Denissowa-Höhle|region=RU-ALT|text=ICON0|type=landmark}} im südlichen Sibirien entdeckt und im März 2010 in der Fachzeitschrift [[Nature]] erstmals wissenschaftlich beschrieben worden.<ref>Johannes Krause, Qiaomei Fu, Jeffrey M. Good, Bence Viola, Michael V. Shunkov, Anatoli P. Derevianko und Svante Pääbo (2010): ''The complete mitochondrial DNA genome of an unknown hominin from southern Siberia.'' In: ''Nature.'' Bd. 464, Nr. 7290, S. 894–897. {{DOI|10.1038/nature08976}} [http://www.rifters.com/real/articles/Nature_Krause_et_al.pdf PDF]</ref>
Bei dem '''homininen Fossil aus der Denissowa-Höhle''' im [[Altai|Altai-Gebirge]] handelt es sich um das dritte (äußere) [[Fingerknochen|Fingerglied]] (Phalanx distalis) des [[Kleiner Finger|kleinen Fingers]] eines Individuums der [[Gattung (Biologie)|Gattung]] ''[[Homo]]'', das keiner zuvor bekannten [[Art (Biologie)|Art]] zugeordnet werden konnte. Das 48.000 bis 30.000 Jahre alte [[Fossil]] war 2008 von [[Russland|russischen]] Forschern in der [[Denissowa-Höhle]] {{Coordinate|NS=51.4|EW=84.68|name=Denissowa-Höhle|region=RU-ALT|text=ICON0|type=landmark}} im südlichen Sibirien entdeckt und im März 2010 in der Fachzeitschrift [[Nature]] erstmals wissenschaftlich beschrieben worden.<ref>Johannes Krause, Qiaomei Fu, Jeffrey M. Good, Bence Viola, Michael V. Shunkov, Anatoli P. Derevianko und Svante Pääbo: ''The complete mitochondrial DNA genome of an unknown hominin from southern Siberia.'' In: ''Nature.'' Bd. 464, Nr. 7290, 2010, S. 894–897. {{DOI|10.1038/nature08976}} [http://www.rifters.com/real/articles/Nature_Krause_et_al.pdf PDF]</ref>


Einer Forschergruppe um Johannes Krause und [[Svante Pääbo]] vom [[Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie]] in [[Leipzig]] war es gelungen, die [[Mitochondriale DNA|Mitochondrien-DNA]] (mtDNA) des Fundes zu [[DNA-Sequenzierung|sequenzieren]]. Die Bekanntgabe der Ergebnisse dieser [[DNA-Analyse]] sorgte für weltweites Aufsehen, da das Fossil als Beleg für eine bis dahin unbekannte, nur entfernt mit [[Neandertaler]] und [[Mensch|''Homo sapiens'']] verwandte Population der [[Hominini]] interpretiert wurde.
Einer Forschergruppe um Johannes Krause und [[Svante Pääbo]] vom [[Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie]] in [[Leipzig]] war es gelungen, die [[Mitochondriale DNA|Mitochondrien-DNA]] (mtDNA) des Fundes zu [[DNA-Sequenzierung|sequenzieren]]. Die Bekanntgabe der Ergebnisse dieser [[DNA-Analyse]] sorgte für weltweites Aufsehen, da das Fossil als Beleg für eine bis dahin unbekannte, nur entfernt mit [[Neandertaler]] und [[Mensch|''Homo sapiens'']] verwandte Population der [[Hominini]] interpretiert wurde.
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== Analyse der mtDNA ==
== Analyse der mtDNA ==
Johannes Krause, ein ehemaliger [[Promotion (Doktor)|Doktorand]] von Svante Pääbo und Experte für die Analyse von Neandertaler-[[Desoxyribonukleinsäure|DNA]], hatte aus 30 Milligramm pulverisiertem Material des Fingerknochens, der vermutlich von einem fünf- bis siebenjährigen Kind stammt, genügend mtDNA gewonnen, um deren vollständige [[Nukleotidsequenz]] rekonstruieren zu können. Danach wurde diese mtDNA-Sequenz mit jener von 54 heute lebenden Menschen verglichen, ferner mit der mtDNA-Sequenz eines [[Jungpleistozän|jungpleistozänen]] ''Homo sapiens'' aus Kostenki ([[Russland]]) <ref>Caramelli, D. et al. (2008): ''A 28,000 years old Cro-Magnon mtDNA sequence differs from all potentially contaminating modern sequences.'' In: ''PLoS One.'' 3, e2700. {{DOI|10.1371/journal.pone.0002700}}</ref>, mit den vollständigen mtDNA-Sequenzen von sechs Neandertalern sowie mit der mtDNA je eines [[Gemeiner Schimpanse|Schimpansen]] und eines [[Bonobo]]. Während sich [[Neandertaler]] und moderner Mensch im Durchschnitt an 202 [[Nukleotid]]-Positionen der mtDNA unterscheiden, ist die Anzahl der Abweichungen zwischen dem Fund aus der Denissowa-Höhle und dem modernen Menschen mit 385 fast doppelt so groß.
Johannes Krause, ein ehemaliger [[Promotion (Doktor)|Doktorand]] von Svante Pääbo und Experte für die Analyse von Neandertaler-[[Desoxyribonukleinsäure|DNA]], hatte aus 30 Milligramm pulverisiertem Material des Fingerknochens, der vermutlich von einem fünf- bis siebenjährigen Kind stammt, genügend mtDNA gewonnen, um deren vollständige [[Nukleotidsequenz]] rekonstruieren zu können. Danach wurde diese mtDNA-Sequenz mit jener von 54 heute lebenden Menschen verglichen, ferner mit der mtDNA-Sequenz eines [[Jungpleistozän|jungpleistozänen]] ''Homo sapiens'' aus Kostenki ([[Russland]]) <ref>David Caramelli et al.: ''A 28,000 years old Cro-Magnon mtDNA sequence differs from all potentially contaminating modern sequences.'' In: ''PLoS One.'' 3, e2700 (2008), {{DOI|10.1371/journal.pone.0002700}}</ref>, mit den vollständigen mtDNA-Sequenzen von sechs Neandertalern sowie mit der mtDNA je eines [[Gemeiner Schimpanse|Schimpansen]] und eines [[Bonobo]]. Während sich [[Neandertaler]] und moderner Mensch im Durchschnitt an 202 [[Nukleotid]]-Positionen der mtDNA unterscheiden, ist die Anzahl der Abweichungen zwischen dem Fund aus der Denissowa-Höhle und dem modernen Menschen mit 385 fast doppelt so groß.


Aus dem Vergleich dieser Daten mit den Abweichungen zwischen Mensch und [[Schimpansen]] (1462 Positionen) wurde abgeschätzt, dass sich die Entwicklungslinien des Denissowa-Individuums und des modernen Menschen bereits vor 1.314.000 bis 779.000 Jahren getrennt haben, während sich die Entwicklungslinien von ''Homo sapiens'' und Neandertaler erst vor 618.000 bis 321.000 Jahren trennten. Daraus wurde geschlossen, dass es vor rund 40.000 Jahren im Altai neben ''Homo sapiens'' und dem Neandertaler noch eine dritte, unabhängig von diesen beiden Arten dorthin eingewanderte Population der Gattung ''Homo'' gegeben habe.
Aus dem Vergleich dieser Daten mit den Abweichungen zwischen Mensch und [[Schimpansen]] (1462 Positionen) wurde abgeschätzt, dass sich die Entwicklungslinien des Denissowa-Individuums und des modernen Menschen bereits vor 1.314.000 bis 779.000 Jahren getrennt haben, während sich die Entwicklungslinien von ''Homo sapiens'' und Neandertaler erst vor 618.000 bis 321.000 Jahren trennten. Daraus wurde geschlossen, dass es vor rund 40.000 Jahren im Altai neben ''Homo sapiens'' und dem Neandertaler noch eine dritte, unabhängig von diesen beiden Arten dorthin eingewanderte Population der Gattung ''Homo'' gegeben habe.

Version vom 9. Mai 2010, 19:19 Uhr

Bei dem homininen Fossil aus der Denissowa-Höhle im Altai-Gebirge handelt es sich um das dritte (äußere) Fingerglied (Phalanx distalis) des kleinen Fingers eines Individuums der Gattung Homo, das keiner zuvor bekannten Art zugeordnet werden konnte. Das 48.000 bis 30.000 Jahre alte Fossil war 2008 von russischen Forschern in der Denissowa-Höhle im südlichen Sibirien entdeckt und im März 2010 in der Fachzeitschrift Nature erstmals wissenschaftlich beschrieben worden.[1]

Einer Forschergruppe um Johannes Krause und Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig war es gelungen, die Mitochondrien-DNA (mtDNA) des Fundes zu sequenzieren. Die Bekanntgabe der Ergebnisse dieser DNA-Analyse sorgte für weltweites Aufsehen, da das Fossil als Beleg für eine bis dahin unbekannte, nur entfernt mit Neandertaler und Homo sapiens verwandte Population der Hominini interpretiert wurde.

Die Ausgrabungen in der Denissowa-Höhle waren vom Naturkundemuseum von Nowosibirsk durchgeführt worden,[2] unter der Leitung der beiden Archäologen Michail Schunkow und Anatoli Derewianko von der Russischen Akademie der Wissenschaften.[3]

Analyse der mtDNA

Johannes Krause, ein ehemaliger Doktorand von Svante Pääbo und Experte für die Analyse von Neandertaler-DNA, hatte aus 30 Milligramm pulverisiertem Material des Fingerknochens, der vermutlich von einem fünf- bis siebenjährigen Kind stammt, genügend mtDNA gewonnen, um deren vollständige Nukleotidsequenz rekonstruieren zu können. Danach wurde diese mtDNA-Sequenz mit jener von 54 heute lebenden Menschen verglichen, ferner mit der mtDNA-Sequenz eines jungpleistozänen Homo sapiens aus Kostenki (Russland) [4], mit den vollständigen mtDNA-Sequenzen von sechs Neandertalern sowie mit der mtDNA je eines Schimpansen und eines Bonobo. Während sich Neandertaler und moderner Mensch im Durchschnitt an 202 Nukleotid-Positionen der mtDNA unterscheiden, ist die Anzahl der Abweichungen zwischen dem Fund aus der Denissowa-Höhle und dem modernen Menschen mit 385 fast doppelt so groß.

Aus dem Vergleich dieser Daten mit den Abweichungen zwischen Mensch und Schimpansen (1462 Positionen) wurde abgeschätzt, dass sich die Entwicklungslinien des Denissowa-Individuums und des modernen Menschen bereits vor 1.314.000 bis 779.000 Jahren getrennt haben, während sich die Entwicklungslinien von Homo sapiens und Neandertaler erst vor 618.000 bis 321.000 Jahren trennten. Daraus wurde geschlossen, dass es vor rund 40.000 Jahren im Altai neben Homo sapiens und dem Neandertaler noch eine dritte, unabhängig von diesen beiden Arten dorthin eingewanderte Population der Gattung Homo gegeben habe.

Ausbreitung und Fortentwicklung von Homo erectus. Von welchem der drei Äste die Denissowa-Fossilien abzweigen, ist derzeit unbekannt.

Taxonomische Einordnung des Fossils

Die taxonomische Einordnung des Fossils ist ungeklärt. Der Fund wird von seinen Entdeckern bisher neutral – nach dem Fundort – als „Denisova-Hominine“ bezeichnet. In einem Begleitartikel zur Fachveröffentlichung in Nature wurde der Evolutionsbiologe Eske Willerslev, Direktor des Centre for Ancient Genetics der Universität Kopenhagen, zitiert, der gleichfalls davon abriet, allein aus einer mtDNA-Analyse die Entdeckung einer neuen biologischen Art abzuleiten;[5] in diesem Begleitartikel ist auch von weiteren Knochenfunden die Rede, die möglicherweise weitere Anhaltspunkte für eine sichere taxonomische Einordnung liefern. Konkret benannt wurden an anderer Stelle zwei Zähne.[6] Die Abspaltung der „Denisova-Homininen“ von der zum Neandertaler und zum modernen Menschen führenden Entwicklungslinie vor rund einer Million Jahren bedeutet aber, dass sie vorläufig als späte Nachfahren des Homo erectus einzuordnen sind, da diese Art zum Zeitpunkt der Abspaltung beider Entwicklungslinien die einzige derzeit bekannte Art der Gattung Homo ist.

Die Leipziger Forscher kündigten im März 2010 an, im Anschluss an die mtDNA auch die vollständige DNA aus Zellkernen des Fossils zu sequenzieren.[7] Fest steht bereits, dass das von den Leipziger Forschern inoffiziell „X-Woman“ genannte und als „Mädchen“ beschriebene Fossil kein Y-Chromosom besaß, also eine junge Frau war.[8]

Quelle

  • Johannes Krause, Qiaomei Fu, Jeffrey M. Good, Bence Viola, Michael V. Shunkov, Anatoli P. Derevianko und Svante Pääbo: The complete mitochondrial DNA genome of an unknown hominin from southern Siberia. Nature, Band 464, Nr. 7290, 2010, S. 894–897, doi:10.1038/nature08976

Siehe auch

  • dw-world.de vom 25. März 2010: „Alles deutet auf eine neue Spezies Mensch hin.“ Interview mit Johannes Krause über die Tragweite seiner Entdeckung
  • dradio.de vom 25. März 2010: „‚Das war eine ziemliche Sensation.‘ Dritte Urmenschenform bei Knochenfund in Sibirien entdeckt.“ Gespräch mit Johannes Krause (Audio on Demand von Deutschlandradio Kultur)
  • dradio.de vom 25. März 2010: „Weder Neandertaler noch Homo sapiens. Forscher entdecken eine 40.000 Jahre alte Menschenform.“ Beitrag von Michael Stang im Deutschlandfunk.

Einzelnachweise

  1. Johannes Krause, Qiaomei Fu, Jeffrey M. Good, Bence Viola, Michael V. Shunkov, Anatoli P. Derevianko und Svante Pääbo: The complete mitochondrial DNA genome of an unknown hominin from southern Siberia. In: Nature. Bd. 464, Nr. 7290, 2010, S. 894–897. doi:10.1038/nature08976 PDF
  2. laut dw-world.de vom 25. März 2010: „Alles deutet auf eine neue Spezies Mensch hin.“ Interview mit Johannes Krause über die Tragweite seiner Entdeckung
  3. Michael Balter: Researchers Discover New Lineage of Ancient Human. news.sciencemag.org vom 24. März 2010
  4. David Caramelli et al.: A 28,000 years old Cro-Magnon mtDNA sequence differs from all potentially contaminating modern sequences. In: PLoS One. 3, e2700 (2008), doi:10.1371/journal.pone.0002700
  5. Rex Dalton (2010): Fossil finger points to new human species. DNA analysis reveals lost relative from 40,000 years ago. In: Nature. Bd. 464, Nr. 7290, S. 472–473. doi:10.1038/464472a
  6. Katrin Blawat: Homo X. Süddeutsche Zeitung Nr. 70 vom 25. März 2010, S. 18
  7. faz.net vom 25. März 2010, Sonja Kastilan: „Sensationsfund ‚X-Woman‘. Entdeckten Forscher eine neue Menschenart?“
  8. zeit.de vom 25. März 2010: „Der kleine Finger der Evolution. Ein Fossil aus Russland stammt womöglich von einer bislang unbekannten Menschenart.“