Wissenstransfer

Wissenstransfer bezeichnet die erfolgreiche Übertragung von Daten von Sender zu Empfänger, die zunächst vom inhärenten Wissensträger codiert werden und vom Empfänger decodiert werden und über die Zwischenstufe Information zu taziten Wissen weiterverarbeitet werden.[1] Dieser Prozess kann von vielfältigen Störungen begleitet sein wie zum Beispiel intellektuelle Aufnahmebarrieren des Empfängers oder organisatorische Hindernisse.[2] Die Wissensspirale nach Nonaka beschreibt diesen Prozess aus abstrakter Sicht. Der Wissenstransfer kennzeichnet den höchstmöglichen Übertragungsprozess zwischen Individuen, Gruppen, Gesellschaften und steht semantisch über dem rein numerischen Datentransfer und dem Informationstransfer.

Der erfolgreiche Wissenstransfer ist die Voraussetzung für Lernen. Es gibt implizites Wissen, aber auch explizites Wissen, das übertragen werden kann. Der hermeneutische Zirkel ist eine anerkannte wissenschaftliche Arbeits- und Lehrmethode, die durch schrittweises und gestuftes Vorgehen (Anfänger, Fortgeschritten, Profi) des Senders implizites Wissen beim Empfänger aufbaut und dauerhaft verankert (z. B. ein gestaffeltes Kursprogramm). Auf der neuronalen Ebene werden damit beim Transferempfänger im Gehirn neue neuronale Synapsen hergestellt und das Wissen „geteilt“. Wissen wächst bei Transferprozessen folglich als Ressource aus sich heraus immer weiter an.

Auf folgenden Ebenen vollzieht sich Wissenstransfer:[3]

  • interpersoneller Wissenstransfer (z. B. Lehrer-Schüler)
  • gruppenbasierter Wissenstransfer (z. B. Familie)
  • intraorganisationaler Wissenstransfer (z. B. Firma)
  • interorganisationaler Wissenstransfer (z. B. Joint Venture)
  • Akkulturation (z. B. Krieg: Siegermacht und Verlierergesellschaft)

Definition

Wissenstransfer wird grundsätzlich als Identifikation – Transfer und Integration von Wissen zwischen unterschiedlichen Personen oder / und Organisationen verstanden.[4]

Wissenstransfer bezüglich Wissenschaft und Wirtschaft wird auf zweierlei Arten verstanden: 1. auf eine ältere, eingeschränktere Weise und 2. auf eine neuere, umfassendere Weise.

  1. Wissenstransfer wird in einem älteren Sinn verstanden als die Aufgabe einer Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Diese Schnittstellen sollen vermitteln zwischen den wissenschaftlichen Institutionen, z. B. Hochschulen, und Unternehmen, die mit diesen kooperieren möchten. Der Erstkontakt kann durch beide Seiten zustande kommen: Anfragen aus der Wirtschaft werden zielgerichtet an Wissenschaftler herangetragen, um dann gemeinsam eine Problemlösung zu erarbeiten, oder es werden umgekehrt Forschungsergebnisse in Unternehmen transferiert.
  2. Wissenstransfer in einem neueren Sinn umfasst viel mehr Beziehungen als zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Im Grunde geht es um jegliche Form von Experten-Laien-Kommunikation. So etwa sehen es die zitierten Autoren. Weitere Beispiele sind: Arzt – Patient, Lehrer – Schüler, Wissenschaftler des einen Faches – Wissenschaftler des anderen Faches, Unternehmen – Kunden. Der Wissenstransfer kann dabei durchaus von beiden Seiten – also sowohl dem Experten als auch dem Laien – ausgehen. Insbesondere Unternehmen wenden Wissenstransfermethoden und -ansätze an,[5] wie z. B. die sogenannte Wissensstafette, um die Herausforderungen der Globalisierung und des demografischen Wandels[6] zu bewältigen.[7]

Im zweiten, jüngeren Sinn sind Wissenstransfer und seine Bedingungen Gegenstand der Transferwissenschaft. Ihr ist eine Reihe von Kolloquien gewidmet, die von Gerd Antos (Halle) und Sigurd Wichter (Göttingen) seit 1999 abwechselnd durchgeführt wurden.

Der Wissenstransfer durchläuft unabhängig vom Umfang des Wissens immer die Phasen Initiierung, Wissensfluss und Integration.[8]

  1. In diesem Kontext steht Initiierung für den Beginn des Prozesses.
  2. In der Wissensflussphase findet die tatsächliche Transaktion des Wissens statt.
  3. Die Integration beschreibt hier den Prozess der Überprüfung oder Falsifizierung. Auch die Anwendung des erworbenen Wissens fällt hier mit herunter.

Untersuchung des Wissenstransfers

Kanning und Kollegen[9] unterscheiden drei verschiedene Strategien zur Untersuchung des Wissenschafts-Praxis-Transfers:

  1. Input-Analysen: Diese untersuchen den Praxisbezug wissenschaftlicher Veröffentlichungen anhand von inhaltlichen Kriterien wie Praxisnähe der Fragestellung oder explizite Praxisempfehlungen.
  2. Prozess-Analysen: Hier wird betrachtet, inwieweit Berufspraktiker Erkenntnisse der Wissenschaft wahrnehmen, z. B. indem man fragt, welche wissenschaftlichen Publikationen von diesen rezipiert werden.
  3. Output-Analysen: Hierbei wird untersucht, inwieweit wissenschaftliche Erkenntnisse Anwendung finden, indem z. B. die Verbreitung wissenschaftlich geprüfter Methoden und Verfahren in der Praxis erfasst wird.

Literatur

  • Gerd Antos, Sigurd Wichter (Hrsg.): Wissenstransfer durch Sprache als gesellschaftliches Problem. (= Transferwissenschaften. 3). Peter Lang, Frankfurt am Main 2005.
  • Albert Busch, Oliver Stenschke (Hrsg.): Wissenstransfer und gesellschaftliche Kommunikation. Festschrift für Sigurd Wichter zum 60. Geburtstag. Peter Lang, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-631-51823-4.
  • Susanne Göpferich: Textproduktion im Zeitalter der Globalisierung: Entwicklung einer Didaktik des Wissenstransfers. Stauffenburg, Tübingen 2002.
  • Veronika Lipphardt, David Ludwig: Wissens- und Wissenschaftstransfer. In: Europäische Geschichte Online hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2011, urn:nbn:de:0159-2011081833.
  • Oliver Stenschke, Sigurd Wichter (Hrsg.): Wissenstransfer und Diskurs. (= Transferwissenschaften. 6). Peter Lang, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-631-58552-8.
  • Sigurd Wichter, Gerd Antos (Hrsg.), in Zusammenarbeit mit Daniela Schütte und Oliver Stenschke: Wissenstransfer zwischen Experten und Laien: Umriss einer Transferwissenschaft. (= Transferwissenschaften. 1). Peter Lang, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-631-36572-1.
  • Sigurd Wichter, Albert Busch (Hrsg.): Wissenstransfer – Erfolgskontrolle und Rückmeldungen aus der Praxis. (= Transferwissenschaften. 5). Peter Lang, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-631-53671-2.
  • Sigurd Wichter, Oliver Stenschke (Hrsg.), in Zusammenarbeit mit Manuel Tants: Theorie, Steuerung und Medien des Wissenstransfers. (= Transferwissenschaften. 2). Peter Lang, Frankfurt (Main) 2004, ISBN 3-631-51832-3.
  • Benno Ackermann, Oliver Krancher, Klaus North, Katrin Schildknecht, Silvia Schorta: Erfolgreicher Wissenstransfer in agilen Organisationen. Springer Verlag, 2018, ISBN 978-3-658-19467-3 (springer.com)

Weblinks

Wiktionary: Wissenstransfer – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Stefan Doetsch: Wissenstransfer bei der Reintegration von Expatriates: Theoretische und empirische Analyse unternehmensinterner Strukturen und Prozesse. Springer-Verlag, 2016, S. 35.
  2. Kirsten A. Schröder: Mitarbeiterorientierte Gestaltung des unternehmensinternen Wissenstransfers: Identifikation von Einflussfaktoren am Beispiel von Projektteams. Springer-Verlag, 2013, S. 57.
  3. Michael Thiel: Wissenstransfer in komplexen Organisationen: Effizienz durch Wiederverwendung von Wissen und Best Practices. Springer-Verlag, 2013, S. 42.
  4. Benno Ackermann in Richard Pircher (Hrsg.): Wissensmanagement, Wissenstransfer, Wissensnetzwerke: Konzepte, Methoden, Erfahrungen. Publicis, Erlangen 2014, ISBN 978-3-89578-436-1.
  5. A. E. Katzung, R. Fuschini, M. Wunram: ExTra (Expertise Transfer) – Wissenssicherung bei AIRBUS. In: VDI-Berichte. Band 1964. VDI Verlag, Düsseldorf 2006, ISBN 3-18-091964-7, S. 243–266.
  6. Unternehmen droht Wissensverlust. FAZob.net, 19. Oktober 2006.
  7. Effiziente Personalentwicklung für KMU. FAZob.net, 10. März 2008.
  8. Georg von Krogh, Marija Köhne: Der Wissenstransfer in Unternehmen. Phasen des Wissenstransfers und wichtige Einflussfaktoren. In: Die Unternehmung. Heft 5, 1998, S. 235–263.
  9. U. P. Kanning, M. T. Thielsch, T. Brandenburg: Strategien zur Untersuchung des Wissenschafts-Praxis-Transfers. In: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, Band 55, Nr. 3, 2011, S. 153–157. thielsch.org (PDF; 0,1 MB)