Benutzer:Zenon/Exzerpt/Notizen von Horkheimer

Für Timaios / Zum 16. September 2003

Max Horkheimer (1895-1973): Notizen 1950 bis 1969 und Dämmerung. Notizen in Deutschland (1926 bis 1931)
ISBN 3-10-031808-0 (S. Fischer, Frankfurt am Main 1974)

Über Pessimismus und Schopenhauer

  • Dass alles Leben der Macht gehorcht und aus dem Zauberkreis des Egoismus gerade noch die Hingabe an die Sache, die Identifikation mit dem, was nicht ich bin, herauszuführen und ins Nichts hineinzuführen scheint - und das ist ein Mythos -, hat Schopenhauer gesehen und war der Welt böse dafür. - Nietzsche, darin auch ein deutscher Philosoph, fand nicht weniger den appetitus, den Drang zur Expansion auf Kosten alles Schwachen als Kern der Existenz, wenngleich er ahnte, dass das noch ein Vorletztes sei. Im Gegensatz zu Schopenhauer wollte er vom Elend, dem am Ende auch wir selbst verfallen, zur Verneinung alles Daseins sich nicht zwingen lassen. Er merkte, dass gerade sie die Konsequenz, die Verlängerung des ganzen grauenvollen Mechanismus war, das Gegenteil von Philosophie, das heißt von Freiheit, Denken, Phantasie, Spontaneität; er merkte, dass der Pessimismus gerade was er leugnete: die Schönheit der Welt, den Glanz des Lebens zur Voraussetzung hat, entdeckte den schlechten Widerspruch im Werk des Lehrers. Was dieser gegen den Selbstmord anführt, das, womit er den Unsinn des Selbstmordes dartut, gilt für die pessimistische Postion überhaupt. Bedenklich ist nur, dass Nietzsches Ja selbst mehr verzweifelt als ursprünglich klingt, dass in ihm der Pessimismus nicht nur aufgehoben, sondern fortgesetzt wird, heilloser, wahnwitziger als beim Begründer. Überlegen ist Nietzsches psychologische, gesellschaftliche, historische Einsicht. Philosophie gibt es wahrscheinlich gar nicht, sie ist immer bloß ein Mythos.
    • Schopenhauer und Nietzsche (1957/58)
  • Schopenhauers Pessimismus steht über der europäischen Philosophie, weil er mit der Einsicht in den mechanischen Charakter alles Geschehens, die er mit den Empiristen, Skeptikern, Aufklärern teilt, zugleich das mit ihr identische Wissen um die Verlassenheit des Ganzen realisiert und ausspricht. Der Makel seines Gedankens besteht darin, dass er mit diesem Fluch sich ineinssetzt. Zur Eigenheit seines hellen Stils gehört das böse Pathos, dass alles, was dem Leben widerfährt, ihm recht geschieht. Er spricht vom Trieb zum Dasein und Wohlsein, dass die Essenz der Kreatur ausmacht, mit denunzierendem, schimpfendem Unterton, und eben, weil sie moralisiert, widerspricht seine Sprache der Moral, die sie selber verkündet. Er macht das Mitleid zur Grundlage des Guten, ja zur Quelle der Einsicht, die tiefer als Wissen ist. Mitleid abr kann nur fühlen, wer das Glück zu lieben vermag. Schopenhauer hat es geahnt, als er sagte: die Mitfreude sei des Mitleids höchste Form. Aber selbst darin schwingt der Hohn mit, dass es so wenige gibt, die sie fühlen können. Er ist ein Bürger, und die Stimmung, aus der sein Gedanke fließt, ist Kälte und Geiz. Das hat nur einer gewusst: Nietzsche. Schopenhauer kennt nicht den Überschwang. Das ist der Makel, der der Wahrheit seines Werkes anhaftet, der umgekehrte wie der an Spinoza. Dessen Ethik reflektiert das Glück und verschmäht die Barmherzigkeit, jedoch um wieviel besser als Schopenhauer war er selbst.
    • Bürger Schopenhauer (1959/60)
  • Schopenhauer war, im Entscheidenden, noch ein Optimist. Das Leiden der Welt haben auch die offiziellen Optimisten bis zu Leibniz und Hegel nicht geleugnet, nur das beruhigende Märchen dogmatischer Metaphysik hinzugedichtet. Kant allein hat das summum bonum als bloße Hoffnung dargestellt. Indem Schopenhauer die Verneinung des Willens zum Leben, also das Ende des Leidens, in einzelnen Fällen als metaphysische Realität gelten lässt, indem er, mit anderen Worten, so etwas wie eine Ursünde, nämlich die Abtrennung eines Einzelwillens von der Alleinheit und umgekehrt dessen Rückkehr ins Eine, die Versöhnung, auf Grund der Einsicht als Quietismus ans Ende des Systems setzt, fällt er in den optimistischen Dogmatismus zurück. Er meint im Grund, die Gier und Langeweile kommen nur dem Einzelwillen, nicht dem Willen schlechthin zu. Was aber heißt dann dann noch, dass ich von meinem Wesen auf das Ding an sich zu schließen fähig sei? Es ist wahr, dass seine positive Metaphysik die Erlösung nicht mit der eigenen Lehre identifiziert oder argumentierend gegen die Realität des Elends ausspielt, wie die anderen es tun, aber die Anwendung kategorialer Strukturen wie mein und dein intelligibler Charakter, Anfang und Ende, Schuld und Einheit auf eben das Jenseits, vor dem doch die Kategorien versagen, ist ein Traum, selbst wenn die Deutung des Inneren aller Wesen nach Analogie der Erfahrung des eigenen Innern ein wahrlich erhellender Gedanke ist. Schon Leibniz mit seinem Begriff der Begierde, dem appétit, der zusammen mit der Perzeption die Monade bestimmt, und noch Bergson mit dem élan vital und der évolution créatrice haben davon gelebt. Am deutlichsten tritt der metaphysische Optimismus Schopenhauers in seiner Übernahme des Mythos der Seelenwanderung hervor, wo nicht nur ein verschiedenes transzendentes Schicksal der Einzelseelen, sondern die reale Möglichkeit eines erlösenden Ausgangs für bestimmte unter ihnen behauptet wird. Die Trennung vom Einen höre auf. Es gehört ein starker Glaube dazu, die Kategorie der Einheit für weniger scheinhaft zu halten als die der Vielheit, die Projektion des Alleinherrschers für realer als die der Aristokratie oder des Liberalismus. Ist die individuatio Resultat subjektiver Vermögen, dann ist die Einheit nicht weniger als die Vielheit ihr Produkt, und es hängt von historischen Bedingungen ab, was von beiden jeweils vorwiegend hypostasiert und was als bloßer Schein betrachtet worden ist. Nach der kritischen Philosophie sind beide notwendiger Schein, und der Glaube ans Ende der Trennung entspringt dem praktischen Interesse der Vernunft der gequälten Subjekte, die nicht zu fassen vermögen, dass die Erlösung aus dem unendlichen Unheil - nicht zu fassen ist. Was immer ein menschliches Wesen als Ende des Leidens sich träumt, Tod und Auferstehung, was immer es absolut setzt, himmlische und irdische Liebe, ist ein Nu der schlechten Unendlichkeit. Die gute Unendlichkeit ist - ein zweifelhaft philosophischer Trost. So behält schließlich Schopenhauer gegen sich selber recht. Das vierte Buch seines Hauptwerkes erweist sich als eine Entgleisung, ein lapsus, den die anderen drei zu widerlegen vermögen. Dass die Erfahrung der Quintessenz der Welt zum Quietiv wird, ist ein psychologischer, kein metaphyischer Prozess. Das Leiden ist ewig.
    • Schopenhauer als Optimist (1961/62)
  • Die immanente Logik der gesellschaftlichen Entwicklung weist auf den Endzustand eines total technisierten Lebens hin. Die Herrschaft der Menschen über die Natur erreicht ein solches Ausmaß, dass der Mangel und damit die Notwendigkeit der Herrschaft von Menschen über Menschen verschwindet. Das Ende jedoch ist zugleich völlige Ernüchterung, das Erlöschen von Geist, soweit er vom Verstand als Werkzeug sich unterschied. Materielle Not war zugleich die Bedingung der Ungerechtigkeit, der Unterdrückung wie der Sehnsucht und der Phantasie. Die Menschengattung erfüllt ihre Bestimmung, indem sie den Status einer besonders geschickten, raffinierten Tierrasse erreicht. Über die Wissenschaft gelangt sie zur Technik, Automatisierung, schließlich zur Aufnahme der exakten Verfahrensweisen in die psychologische Substanz, als erblich übertragbare Instinkte und Geschicklichkeiten. Der Prozess kann durch Zwischenfälle unterbrochen werden; ihn abzulehnen, nicht mitzumachen, anstatt ihn voranzutreiben, wird schließlich der romantischen Torheit, dem Aberglauben gleichkommen, der Fehlentwicklung einzelner Exemplare der Gattung. - All das gehört zur Dialektik der Aufklärung, dem Umschlag von Wahrheit in unbedingte Konformität mit der Sinnlosigkeit, mit der Realität schlechthin.
    • Ad Pessimismus (1966-69)