„Totalitarismus“ – Versionsunterschied

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Umstritten ist in der Forschung, ob der Begriff etwa auf die [[Deutsche Demokratische Republik|DDR]] angewendet werden kann. Nach [[Eckhard Jesse]] kann die DDR unter [[Walter Ulbricht]] als totalitär bezeichnet werden. Unter [[Erich Honecker]] habe die DDR aufgrund der abnehmenden Ideologisierung selbst innerhalb der [[SED]], sowie der abnehmenden Mobilisierung der Bevölkerung diesen Charakter zunehmend verloren und sich in Richtung eines [[Autoritarismus|autoritären]] Systems bewegt.
Umstritten ist in der Forschung, ob der Begriff etwa auf die [[Deutsche Demokratische Republik|DDR]] angewendet werden kann. Nach [[Eckhard Jesse]] kann die DDR unter [[Walter Ulbricht]] als totalitär bezeichnet werden. Unter [[Erich Honecker]] habe die DDR aufgrund der abnehmenden Ideologisierung selbst innerhalb der [[SED]], sowie der abnehmenden Mobilisierung der Bevölkerung diesen Charakter zunehmend verloren und sich in Richtung eines [[Autoritarismus|autoritären]] Systems bewegt.

Andere:
* [[Chile]] unter [[Augusto Pinochet]] (umstritten wg.Abgrenzung zum [[Autoritarismus]])


== Totalitarismus-These ==
== Totalitarismus-These ==

Version vom 13. Dezember 2006, 17:37 Uhr

Totalitarismus bezeichnet eine diktatorische Herrschaftsform. Im Unterschied zu autoritären Diktaturen erheben totalitäre Diktaturen den Anspruch, einen „neuen Menschen“ gemäß einer bestimmten Ideologie zu formen, und in alle sozialen Verhältnisse hinein zu wirken. Während sich autoritäre Diktaturen damit begnügen, dass das Volk nicht gegen die Herrschenden aufbegehrt und der status quo bestehen bleibt, fordern totalitäre Diktaturen die aktive Unterstützung der Beherrschten und die Weiterentwicklung eines Zustands in Richtung der jeweiligen Ideologie ein. Typisch ist die dauerhafte Mobilisierung in Massenorganisationen und die Ausgrenzung oder ggf. Vernichtung derer, die sich den Strukturen nicht unterwerfen wollen. Als Gegensatz zu totalitärem Herrschaftsanspruch versteht sich Karl Poppers Modell der Offenen Gesellschaft.

Die Begriffsgeschichte

Der Begriff wurde 1923 von dem italienischen Liberalen Giovanni Amendola geprägt. Er bezeichnete das vom damaligen Diktator Italiens Benito Mussolini geschaffene Herrschaftssystem des Faschismus als totalitäres System ("sistema totalitario"). Während die Antifaschisten damit vor einer absoluten und unkontrollierbaren Herrschaft warnen wollten, wurde der Begriff von den Faschisten selbst übernommen und in ihrem Sinne positiv belegt. In Deutschland sprach der rechtskonservative Staatsrechtler Carl Schmitt bejahend von einem "totalen Staat", der die Vereinigung von Staat, Gesellschaft, Kultur und Religion bringen würde und dem die Zukunft gehöre; und Ernst Forsthoff veröffentlichte eine gleichnamige Monographie.

Der Begriff fand Eingang in die allgemeine innenpolitische Auseinandersetzung Italiens. Die katholische Volkspartei Italiens etwa stellte unter Verwendung des Begriffs die Lager der Faschisten und Kommunisten gleich, da beide die parlamentarische Demokratie ablehnten. Franz Borkenau stellte 1940 in seinem Werk The Totalitarian Enemy eine frühe Totalitarismuskonzeption mittels des Vergleichs von Nationalsozialismus und Bolschewismus vor.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Begriff ausschließlich mit negativer Bedeutung verwandt. Unterschiedliche Publizisten verglichen Nationalsozialismus und Stalinismus und bezeichneten beide als totalitäre Regimes. Andere lehnten die Verwendung des Wortes Totalitarismus ohne tiefere Reflexion als Ausdruck des Kalten Krieges ab.

Einer der bekanntesten Kritiker des Totalitarismus war der Schriftsteller George Orwell, der schon im Jahre 1948 in seinem Roman 1984 spätere Erkenntnisse anderer Publizisten auf fiktiver Ebene vorwegnahm. Die meistrezipierten Theoretiker des Totalitarismus sind Hannah Arendt, Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzezinski. Schon die drei zuletzt genannten Autoren gelangen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Einige Wissenschaftler vertreten nach der Jahrtausendwende die These, dass beispielsweise islamistische Systeme und Bewegungen die gegenwärtige Erscheinugsform totalitärer Herrschaftsansprüche darstellen oder darstellen könnten.

Merkmale des totalitären Staates

Eines der wesentlichen Merkmale des totalitären Staates ist, dass es keine Gewaltenteilung gibt. Legislative, Exekutive und Judikative sind nicht unabhängig und getrennt voneinander, sondern liegen in "einer Hand" (z.B. einer Partei, einem Diktator). Der totalitäre Staat versucht, durch Propaganda und Erziehung die unter seiner Herrschaft lebenden Menschen einer ständigen Indoktrination dieser herrschenden Ideologie auszusetzen. Dies soll bewirken, dass nicht nur äußerlich der formale Gehorsam dem Staat gegenüber sichergestellt ist, sondern auch innerlich die herrschende Ideologie enthusiastisch akzeptiert wird, was eine Politisierung der privaten Lebensbereiche mit sich bringt: Die Gedanken und Gefühle eines jeden Menschen sollen faktisch von der Wiege bis zur Bahre manipuliert werden, um diese innere Bejahung der herrschenden Ideologie zu erzeugen. Daher ist ein weiteres Merkmal, dass die Presse- und Medienfreiheit stark eingeschränkt bzw. nicht existent ist.

Um jedes von der herrschenden Ideologie abweichende Denken schon im Keime zu ersticken, sind die Bürger des totalitären Staates einer ständigen Kontrolle durch Spitzel und Geheimdienste und auch oft willkürlichen Repressionen wie etwa spontaner Verhaftung ausgesetzt.

Totalitarismus-Modelle

Das Totalitarismus-Modell von Friedrich/Brzezinski

Die Politologen Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzezinski sahen in totalitären Regimen etwas grundsätzlich Neues. Die verschiedenen totalitären Systeme seien jedoch grundsätzlich gleichartig und untereinander vergleichbar. Das Wesen der totalitären Regime sei ihre Organisation und ihre Methoden zur Erreichung der totalen Kontrolle, nicht ihr Streben nach totaler Kontrolle. Dennoch habe man sich totalitäre Systeme nicht als statische Gebilde vorzustellen, da sie einer Evolution unterlägen. In ihrem 1956 erschienenen Werk Totalitarian Dictatorship and Autocracy definierten Friedrich und Brzezinski sechs konstitutive Merkmale totalitärer Systeme:

  1. eine umfassende, allgemeinverbindliche, auf Schaffung einer neuen Gesellschaft (stark utopische und z.T. religionsähnliche Elemente) ausgerichtete Ideologie mit Wahrheitsanspruch.
  2. eine einzige, hierarchisch organisierte Massenpartei (neuen Typs), die mit dem Staat identisch ist (Partei = Staat), oder ihn zumindest bestimmt
  3. ein physisches und/oder psychisches Terrorsystem: Kontrolle und Überwachung durch Geheimpolizei
  4. das nahezu vollständige Monopol der Massenkommunikationsmittel
  5. das nahezu vollständige Monopol der Anwendung der Kampfwaffen
  6. eine zentrale, bürokratisch koordinierte Überwachung und Lenkung der Wirtschaft

Friedrich und Brzezinski weisen weiterhin auf die zentrale Rolle des technischen Fortschritts hin, der die Merkmale 3-6 erst ermögliche.

Das Totalitarismus-Modell von Peter Graf Kielmansegg

Der Politologe Peter Graf Kielmansegg kritisierte das Modell von Friedrich/Brzezinski, das seiner Meinung nach die Dynamik des sozialen Wandels innerhalb des Systems nicht erklären könne. Nach Kielmannsegg sind die entscheidenden Merkmale totalitärer Systeme:

1. monopolistische Konzentration der Einflussmöglichkeiten auf Entscheidungsprozesse in einem Führungszentrum

Entscheidend sei hierbei nicht, dass die Führung wirklich alles selbst regelt, sondern dass sie prinzipiell die Möglichkeit hat, jede Entscheidung an sich zu ziehen sowie die Entscheidungen, die außerhalb der Führung getroffen wurden, zu revidieren. Maßgeblich sei auch, dass die totalitäre Führung keiner Kontrollinstanz unterworfen ist.

2. prinzipiell unbegrenzte Reichweite der Entscheidungen des politischen Systems

Hiermit ist die Eingriffskompetenz des politischen Systems in prinzipiell alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gemeint.

3. prinzipiell unbeschränkte Freiheit, Sanktionen zu verhängen (unbeschränkte Intensität der Sanktionen)

Entscheidend sei das zur Verfügung stehende Sanktionsinstrumentarium und die Verfügungsfreiheit über diese Instrumente. Terror sei nur eines der möglichen Instrumente. Als weitere werden beispielsweise die Bestimmung über Bildungs-, Berufs- und Kommunikationschancen, sowie über die Chancen materieller Befriedigung genannt.

Nach Kielmansegg zöge die Inanspruchnahme von Entscheidungsgewalt unbegrenzter Reichweite (2) die obige Struktur nach sich. Dieser Punkt sei also als Beginn der Entstehung totalitärer Systeme zu sehen. Sobald das Herrschaftsmonopol erst einmal etabliert sei, werde die Sicherung des Monopols (Machterhalt) zum Selbstzweck des Monopols. Nach Kielmansegg besteht also in totalitären Systemen ein Vorrang der Sicherung des Entscheidungsmonopols vor allen ideologischen Herrschaftszielen. Ideologie und Massenpartei hätten lediglich die Aufgabe, zu motivieren, zu kontrollieren und Legitimation zu verschaffen.

Das Modell totaler Herrschaft nach Hannah Arendt

Nach Hannah Arendt ist die Rolle des Terrors das entscheidende Merkmal für ein totalitäres System. In ihrer zunächst in englischer Sprache erschienenen umfangreichen Untersuchung: Totalitarism, die 1955 in Frankfurt am Main als Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft herausgebracht wurde, heißt es:

"Das wesentliche der totalitären Herrschaft liegt also nicht darin, daß sie bestimmte Freiheiten beschneidet oder beseitigt, noch darin, daß sie die Liebe zur Freiheit aus den menschlichen Herzen ausrottet; sondern einzig darin, daß die Menschen, so wie sie sind, mit solcher Gewalt in das eiserne Band des Terrors schließt, daß der Raum des Handelns, und dies allein ist die Wirklichkeit der Freiheit, verschwindet." Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, S. 958

Als weitere Kriterien der totalitären Herrschaft nennt sie: den Willen zur Weltherrschaft, fanatisierte Massenbewegungen auf der Grundlage des Führerprinzips, millionenfache Morde im Namen einer „neuen“ gesetzmäßigen Ordnung, d.h. die Umdeutung und Manipulation der Moral sowie die Verknüpfung mit einer Ideologie.

Arendt bezeichnete lediglich den Nationalsozialismus und den Stalinismus als totalitäre Herrschaftssysteme. Andere Ausprägungen politischer Unterdrückung, beispielsweise in Kriegszeiten, betrachtete sie seit der Antike als Diktaturen bzw. als Systeme der Tyrannis. Hierfür liefert sie eine Fülle von Beispielen. Die „Satellitenstaaten“ der Sowjetunion kennzeichnete sie als nichttotalitäre Diktaturen. Sie äußerte die Sorge, dass in Zukunft wiederum mit totalitären Gesellschaftsformen zu rechnen sei.

Dazu weitere Ausführungen in: Hannah Arendt: 2.2 Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft

Beispiele totalitärer Regime

Je nach Totalitarismus-Modell werden unterschiedliche Staaten als totalitär bezeichnet. Beispiele für häufig genannte Regime sind:

Faschismus:

Islamismus:

Realsozialismus:

Umstritten ist in der Forschung, ob der Begriff etwa auf die DDR angewendet werden kann. Nach Eckhard Jesse kann die DDR unter Walter Ulbricht als totalitär bezeichnet werden. Unter Erich Honecker habe die DDR aufgrund der abnehmenden Ideologisierung selbst innerhalb der SED, sowie der abnehmenden Mobilisierung der Bevölkerung diesen Charakter zunehmend verloren und sich in Richtung eines autoritären Systems bewegt.

Totalitarismus-These

Die Totalitarismus-These vergleicht seit ihrem Aufkommen in den 20er Jahren die Systeme des Faschismus mit dem Stalinismus. Obwohl beide Ideologien sich strikt gegeneinander stellten und bekämpften, zeigen sie für demokratische Beobachter eine Reihe auffälliger formaler und inhaltlicher Ähnlichkeiten. Hannah Arendt bezeichnet den Nationalsozialismus und den Stalinismus als „Variationen des gleichen Modells“ [1].

In den letzten Jahren wurden besonders die Verbrechen in sozialistischen Staaten mit denen des Nationalsozialismus verglichen. Dazu erschien 1998 das „Schwarzbuch des Kommunismus“, in dem verschiedene Studien die Verbrechen kommunistischer Regierungen zum Teil als „Roten Holocaust“ darstellen. Dieser neu eingeführte Begriff knüpft an den so genannten „Historikerstreit“ von 1986 an, in dem der Historiker Ernst Nolte den „Rassenmord“ der Nazis mit dem „Klassenmord“ unter Stalin parallelisierte. Dieser Versuch, bisherige Standards in der Bewertung des Nationalsozialismus in Deutschland zwischen 1933-1945 zu verwischen, traf damals auf weitgehende Ablehnung in der Geschichtsforschung. Gegenwärtig hat die These in Teilen der deutschen, nicht jedoch in der angelsächsischen Geschichtswissenschaft an Beliebtheit gewonnen.

In der neu entfachten Diskussion um den „Roten Holocaust“ wurde vor allem kritisiert, dass dieser Begriff die im "real existierenden" Sozialismus begangenen Verbrechen weniger wissenschaftlich erkläre als vielmehr den Unterschied zum rassisitisch motivierten industriellen Massenmord an den Juden und anderen Gruppen verwische. Damit trage diese These zwangsläufig zur Relativierung des Holocaust bei.

Dagegen hat der Herausgeber des Schwarzbuches, Stéphane Courtois, gegen einige Autoren des Buchs (Werth und Margolin) die Millionen Toten der Systeme verglichen. Er geht, anders als die historische Forschung, die von ca. 50 Millionen Opfern spricht, von 25 Millionen zwischen 1933 und 1945 vom Naziregime getöteten Menschen aus und von 80 bis 100 Millionen Todesopfern des „Kommunismus“, weil durch die Betonung der Singularität des Holocaust die kommunistischen Verbrechen zu wenig beachtet würden. Er will mit dem Roten Holocaustbegriff auf die, seiner Auffassung nach, sehr viel größere Zahl von Verbrechen durch kommunistische Systeme als durch den Nationalsozialismus, hinweisen.

Daraufhin warfen ihm Kritiker eine ahistorische Übertragung des Holocaustbegriffs auf die stalinistische Politik vor. Dort wurde der Begriff "Roter Terror" von der KPdSU selbst öffentlich geprägt, um die staatlichen Gewalt- und Mordaktionen zu legitimieren (Werth). Courtois antwortete : „Im historischen Fachdisput ist moralisch zu akzeptieren, dass ein getötetes Kulakenkind so viel wiegt wie ein in der Gaskammer getötes Kind der Juden.“ (S. ?)

Die Tötungen standen hier und dort aber in verschiedenen Kontexten. Das Schwarzbuch behauptet denn auch nicht, es habe einen dem Holocaust entsprechenden "Klassen-Mord" unter den Kommunisten gegeben, sondern betont, dass unter Stalins wie Pol Pots Terrorregime tendenziell alle Bevölkerungsgruppen in ständiger Gefahr schwebten, ermordet zu werden.

Dem Versuch der industriellen Ausrottung der „Rasse“ der Juden, die jenseits eines realen Konflikts stattfand und den anderen Naziverbrechen, steht der Terror und Mord von politisch aktiven Bevölkerungsteilen in der UdSSR gegenüber, wobei bei der Verfolgung Begriffe wie "Klasse", d.h. Klassenfeind benutzt wurden. In der Debatte wird einerseits die Position vertreten, dass der industriell-systematisch durchgeführte Massenmord in den Konzentrationslagern sich von den stalinistischen Massenmorden auf Grund von „Vernichtung durch Arbeit“ unterschieden habe, da es in der UdSSR die Möglichkeit der Entlassung bzw. Ausweisung gab. Andererseits werden die Parallellen der Massenvernichtung hervorgehoben.

Diskussion um die Totalitarismus-These

Vor allem von orthodox sozialistischer Seite wird die Totalitarismusthese als „Totalitarismusdoktrin“ bezeichnet. Diese sei ein ideologisches Konstrukt des Kalten Krieges, das die Länder des real existierenden Sozialismus diffamieren sollte. Gemäß dieser Auffassung ist der Nationalsozialismus nicht mit sozialistischen Systemen, welcher Art auch immer, zu vergleichen.

Das Totalitarismus-Konzept erfasse nämlich nicht die Ziele und Inhalte politischer Systeme sowie die Motivation politisch Handelnder, sondern lediglich die äußeren Formen wie Unterdrückung und Verfolgung politischer oder anderer Gruppen. Eine Reihe gemeinsamer Merkmale, wie Einheitspartei, umfassender Machtapparat, Kommunikationsmonopol, Führerkult und Terror reiche demnach nicht aus, um Regierungen unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung als totalitär zu bezeichnen.

Auch die Weiterentwicklung der Totalitarismustheorie durch den Extremismus-Ansatz wird kontrovers diskutiert. Der Totalitarismus müsse als Erklärungsmodell für Neonazismus versagen, wie er schon - so die Auffassung der Kritiker- in der Vergangenheit nicht das Wesen von Faschismus und Nationalsozialismus habe beschreiben können. Problematisch sei dabei die Gleichsetzung über idealtypische Kennzeichen von Stalinismus und Nationalsozialismus. Jeder Vergleich von Struktur und Praxis führe unvermeidlich zu Relativierungen. So werde der Holocaust zu einem Verbrechen unter anderen gemacht. Damit fände auch unter den Bekundungen einer so betriebenen Historisierung des Holocaust, z.B. durch die so genannten "Massakervergleiche", die den antisemitischen Kern von Auschwitz nicht berücksichtigten, eine Umdeutung der deutschen Geschichte statt.

Dem wird entgegengehalten, dass die historische Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Verbrechen nicht bedeuten kann, dass totalitäre politische Strukturen und Praktiken nicht miteinander verglichen werden dürfen. Ein Vergleich von Systemen und ihrer Verbrechen stellt demnach noch keine Gleichheit der Verbrechen selbst her. Die mögliche oder tatsächliche Instrumentalisierung der Totalitarismustheorie zu historisierenden und relativierenden Zwecken spreche nicht gegen alle Formen dieser These insgesamt, sondern lediglich gegen grobe Gleichsetzungen unterschiedlicher ideologischer Kerne und Ziele.

Nicht Relativierung der einen Gefahr durch Aufrechnen gegen die andere sei das Ziel der Totalitarismustheorien, sondern das Aufzeigen von freiheitsbedrohenden und antihumanistischen Gefahrenpotentialen insgesamt.

In diesem Zusammenhang wird in der Politikwissenschaft der Begriff Politische Religion als ein Instrument zur Erklärung der Motivation und Mobilisierung innerhalb totalitärer Systeme verwandt, durch das auch unterschiedliche ideologische Kerne ihre jeweilige Berücksichtigung erfahren und die eher auf Strukturen achtende Vorgehensweise der Totalitarismustheorien um die von Kritikern vermisste Betrachtung der verschiedenen Menschenbilder und Zielvorstellungen ergänzt wird.

Siehe auch

Literatur

aus kritischer Sicht:

  • Karl Heinz Roth: Geschichtsrevisionismus. Die Wiedergeburt der Totalitarismustheorie. KVV-Konkret. Hamburg, 1999 (Besprechung: Die neue Staatsdoktrin)
  • Reinhard Kühnl (1998): Vom Siechtum und Wiederbelebung einer politischen Theorie und von der Sichtweise eines Polizeiverstandes auf eine wissenschaftliche Umwälzung. In: Das Argument 225 (Heft 3/1998)
  • Hans-J. Lietzmann (1997): Von der konstitutionellen zur totalitären Diktatur. Carl Joachim Friedrichs Totalitarismustheorie. In: Söllner, Alfred u.a. [Hrsg.]: Totalitarismus. Eine Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts
  • Stefan Vogt – Gibt es einen kritischen Totalitarismusbegriff? In: jour fixe initiative berlin (Hg.) : Theorie des Faschismus - Kritik der Gesellschaft. ISBN 3-89771-401-9
  • Wolfgang Wippermann: Totalitarismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute. Darmstadt 1997
  • Gerd Wiegel: Die Zukunft der Vergangenheit. Konservativer Geschichtsdiskurs und kulturelle Hegemonie. Köln 2001
  • Wolfgang Wippermann: Über »Extremismus«, »Faschismus«, »Totalitarismus« und »Neofaschismus«: Jäger, Siegfried / Schobert, Alfred (Hg.) : Weiter auf unsicherem Grund. Faschismus - Rechtsextremismus - Rassismus: Kontinuitäten und Brüche. ISBN 3-927388-75-0

Anmerkungen

  1. The Origins of Totalitarianism. New York, 1951 (dt. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, S. 640, Frankfurt, 1955; 10. Aufl. Piper, München, 2003 ISBN 3-492-21032-5)