Obersachsen

Vorschlag zur Bildung eines Landes Obersachsen von Hugo Preuß, 1919

Als Obersachsen bezeichnet man große Teile der ehemaligen Herrschaftsgebiete der Wettiner und deren Bewohner im Raum des heutigen östlichen Mitteldeutschlands.

Der Begriff entstand nach dem Sturz Heinrichs des Löwen, als der Titel des Herzogs über das alte Stammesherzogtum Sachsen[1] an das Geschlecht der Askanier vergeben wurde.

Besiedelung und Ursprung

die sächsischen Herzogtümer um 1235: das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg, das Herzogtum Westfalen, welches an die Kölner Erzbischöfe ging, und das neue askanische Sachsen-Lauenburg, vermehrt um das ursprüngliche askanische Gebiet um Sachsen-Wittenberg

Während für die nördlichen der an die Askanier gefallenen Gebiete des ursprünglichen Herzogtums Sachsen die Bezeichnung „Niedersachsen“ aufkam, wurde das Herzogtum Sachsen-Wittenberg auch „Obersachsen“ genannt.[2] Die 1512 gebildeten, sich von der Nordsee bis zur Ostgrenze des Heiligen Römischen Reiches erstreckenden Niedersächsischer- und Obersächsischer Reichskreis zeugen von der damaligen Bedeutung dieser geografischen Begriffe.

Saxonia Superior cum Lusatia et Misnia (Obersachsen mit Lausitz und Meißen) aus dem Atlas Maior (1645)

Dem Herzogtum Sachsen-Wittenberg wurde 1356 die umstrittene Kurwürde zugesprochen. Nach der Übernahme des Kurfürstentums Sachsen durch den wettinischen Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen Friedrich der Streitbare, sowie des Bedeutungsverlustes des niedersächsischen Herzogtums Sachsen-Lauenburg wurde die Landesbezeichnung „Sachsen“ nur noch mit wettinischen Ländern verbunden (siehe auch Ernestiner). Kurz nach der Aufwertung der albertinischen Gebiete zum Königreich Sachsen und der Aufhebung der schon früher bedeutungslos gewordenen Reichskreise ging das zwischenzeitlich „Kurkreis“ genannte Gebiet des ehemaligen Herzogtums Sachsen-Wittenberg an die neugebildete Provinz Sachsen innerhalb Preußens verloren. Wenn die Gemeinsamkeiten der genannten Gebiete zwischen Harz und Erzgebirge hervorgehoben werden sollten, wurde auch im 19. Jahrhundert der Begriff „Obersachsen“ verwendet.[3]

Heute bezeichnen sich sowohl die mitteldeutschen Bewohner des Freistaates Sachsen selbst, als auch Außenstehende und selbst die Medien umgangssprachlich diese Bewohner als Sachsen, obwohl deren Vorfahren hauptsächlich Sorben, Thüringer, Franken und Flamen waren.

Sprachwissenschaftlich betrachtet, sind die ostmitteldeutschen Dialekte – das Meißenische und das Osterländische – Bestandteil der thüringisch-obersächsischen Dialektgruppe. Obersachsen sind damit ebenfalls die sächsischen Bewohner des Vogtlandes, des Erzgebirges, der Oberlausitz und des größten Teils Thüringens.

Thüringen und Thüringer Mark als Teil des Heiligen Römischen Reiches zur Zeit der Salier

Der stärkste heute noch erkennbare Siedlungseinfluss kam in Form der Thüringer aus dem Westen, die möglicherweise die Sorben nach Osten verdrängten. So wurde das Gebiet der Markgrafschaft Meißen, dem Ursprung und Vorläufer des heutigen Obersachsens, auch als Thüringer Mark, also als Grenzregion der Thüringer, bezeichnet. Die Stadt Meißen hatte in dieser Zeit den Beinamen Stadt der Hermunduren[4], also Stadt der Thüringer. Im Vogtland und im Erzgebirge gab es im Zuge der Deutschen Ostsiedlung einen relativ starken mainfränkischen Siedlungseinfluss, im Saale- und Elstertal gab es einen schwachen mainfränkischen Siedlungseinfluss. Das Vogtländische, das Erzgebirgische und das Südostthüringische (Sorbenfränkisch) wurden deshalb in der Vergangenheit oft auch dem Ostfränkischen zugeordnet. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts etablieren sich in den Mundarten und der Umgangssprache im Süden Obersachsens zunehmend Einflüsse des Thüringisch-Obersächsischen Dialekts. Ein deutlich spürbarer sächsischer Siedlungseinfluss existiert offensichtlich nicht, was sich auch in der Trennung des Mitteldeutschen vom Niederdeutschen zeigt.

Attribute

Mit den Obersachsen verbinden sich die Attribute „helle, heeflich und heemdiggsch“ (hell, höflich, heimtückisch). Sie nehmen sich selbst vermeintlich ironisierend auf die Schippe: „Mir Sachsen, mir sin helle, / das weeß de ganze Welt, / un wenn mir man ni helle sin, / da hammer uns verstellt“ (Wir Sachsen, wir sind helle, das weiß die ganze Welt, und wenn wir mal nicht helle sind, da haben wir uns verstellt). Die Sprache ist weich, jedoch überaus kehlig, was an folgendem Ausspruch deutlich wird: „Gaiser Garl gonnde geene Gimmelgerner gaun, aber Gäsegeilschn gonndr gatschn.“ (Kaiser Karl konnte keine Kümmelkörner kauen, aber Käsekeulchen konnte er katschen.). Der Sachse unterscheidet auch zwischen hartem „b“ (p) und weichem „b“ (b) sowie zwischen hartem „d“ (t) und weichem „d“ (d), und spricht das "r" ausgesprochen kehlig aus.

Einzelnachweise

  1. Das Stammesherzogtum Sachsen umfasste das heutige Westfalen, Niedersachsen, Holstein und den nördlichen Teil Sachsen-Anhalts, wo (nieder-)sächsische Mundarten des Niederdeutschen verbreitet sind.
  2. Wichmann von Meding: Lauenburg: zur Geschichte des Ortes, Amtes, Herzogtums. Verlag Peter Lang, 2008, S. 288; Sebastian Münster: Cosmographey: oder Beschreibung aller Länder ... Basel 1578, S. 984
  3. siehe z. B. Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien. 14. Jahrgang, Wien 1863, S. 905
  4. http://skd-online-collection.skd.museum/de/contents/show?id=1453078 Meißen, Stadt der Hermunduren

Literatur

  • Dr. L. Hertel, Thüringer Sprachschatz, Sammlung mundartlicher Ausdrücke aus Thüringen nebst Einleitung, Sprachkarte und Sprachproben 1895