Streit um den Namen Mazedonien

Der Namensstreit zwischen Mazedonien und Griechenland entzündete sich im Jahre 1991, als sich die jugoslawische Teilrepublik Mazedonien unter dem Namen Republik Mazedonien für unabhängig erklärte. Griechenland befürchtete Gebietsansprüche Mazedoniens und verwies auf seine Provinz Makedonien. Zudem beansprucht Griechenland das kulturelle Erbe der historischen Region Makedonien. Der gegenwärtige Status quo ist, dass die Republik Mazedonien im internationalen Verkehr meist die Bezeichnung The Former Yugoslav Republic of Macedonia (F.Y.R.O.M.) (zu deutsch: Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien) verwendet. Unter diesem Namen wurde die Republik Mazedonien auch von den Vereinten Nationen anerkannt. Verhandlungen über eine endgültige Lösung sind derzeit im Gange.

Im weiteren Text wird die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien kurz Mazedonien genannt.

Entwicklung des Konfliktes

Flagge der Sozialistischen Republik Mazedonien 1945-1992
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Flagge der Republik Mazedonien 1992–1995
Flagge der Republik Mazedonien seit 1995

Von 1944 bis 1991 gab es innerhalb der SFR Jugoslawien die Teilrepublik Mazedonien. Als diese 1991 ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien erklärte (Zerfall Jugoslawiens) und historische, nach griechischer Auffassung hellenistische, Namen und Symbole (Stern von Vergina) benutzte, protestierte die griechische Regierung und verweigerte die diplomatische Anerkennung des neuen Landes.

1992 wurde Artikel 3 der mazedonischen Verfassung, der die Unverletzlichkeit der mazedonischen Grenzen erklärt, um den Satz ergänzt: „Die Republik Mazedonien hat keine territorialen Ansprüche gegenüber benachbarten Staaten.“[1] Auch trotz des Namenskompromisses Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien war Griechenland wegen der Flagge weiterhin unzufrieden und verhängte im Februar 1994 eine Handelsblockade. Die Sanktionen wurden 1995 nach Unterzeichnung einer vorübergehenden Übereinkunft aufgehoben, nachdem Mazedonien in seiner Flagge den Stern von Vergina durch eine achtstrahlige, stilisierte Sonne ersetzt hat. Griechenland hat 1995 bei der World Intellectual Property Organization die exklusiven internationalen Urheberrechte für den Stern von Vergina beansprucht [2].

Unter der Obhut der UNO begannen beide Länder Verhandlungen über den endgültigen Namen. Trotz des UNO-Vorschlages für Republika Makedonija-Skopje lehnen die meisten Griechen die Verwendung des Wortes Mazedonien zur Bezeichnung der Nachbarrepublik ab. Seit der Unabhängigkeit von 1991 bezeichnen sie das Nachbarland umgangssprachlich nach der Hauptstadt des Landes als Skopje (griech. Σκόπια/Skópia) und seine Bewohner Skopianer (griech. Σκοπιανοί/Skopianí).

Der Antrag Mazedoniens auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union (22. März 2004) eröffnete eine neue Gelegenheit für die Beilegung dieses letzten offenen Problems zwischen den beiden Nachbarn. Auf der Sitzung des Stabilisierungs- und Assoziationsrates der EU mit Mazedonien (14. September 2004, Brüssel) hat die EU festgestellt, dass die Namensdifferenzen noch existieren, und dazu aufgerufen, eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden.

Position Griechenlands

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Karte Makedoniens zur Zeit Philipps II. (dunkelorange)

Griechenland argumentiert, Makedonien sei ein Name griechischen Ursprungs, der bereits für die nördliche griechische Provinz Makedonien und die Region Makedonien verwendet wird. Slawische Stämme seien in der Balkanregion aber erst im frühen Mittelalter (ab dem 6. Jahrhundert n. Chr.) erschienen – und die Bewohner der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien seien Slawen. Außerdem umfasse das Staatsgebiet der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik größtenteils ein Gebiet, das nicht zum ursprünglichen historischen Gebiet Makedoniens zähle. In der Antike habe man dieses Gebiet, in dem heute auch die Hauptstadt Skopje liegt, Paionien genannt. Die Verwendung des Namens Mazedonien stelle somit eine Usurpation fremder Geschichte und Kultur dar. Dies geschehe aus politischen Gründen, um sich von den benachbarten Bulgaren abzugrenzen und ein identitätsstiftendes Nationalgefühl begründen zu können, das die Grundlage für die Existenz des neuen Staates sein soll (vgl. Nationsbildung und Herkunftssage). Zudem handele es sich bei der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik um einen Vielvölkerstaat (u. a. 25 % Albaner, 4 % Türken, 3 % Roma, 2 % Serben), dessen territoriale Einheit es sicherzustellen gelte. Ein weiterer Grund für die historisch nicht haltbare Bezugnahme auf die antiken Makedonier und ihren Staat liege im Anspruch auf eine politische Vorrangstellung der slawischstämmigen Bevölkerungsgruppe gegenüber den anderen Volksgruppen, die so historisch begründet werden soll.

Besetzung Griechenlands 1941–45: Bulgarien (grün), Italien (blau), Deutschland (rot)

Die slawischen Bewohner dieser Region hätten sich selbst in den vergangenen Jahrhunderten immer als Bulgaren bezeichnet. Dies habe sich erst mit der Verordnung Titos geändert, der der südlichsten Region Jugoslawiens, der ehemaligen Vardar-Banschaft, den offiziellen Namen Vardar-Mazedonien verlieh. Damit hätten bulgarische Gebietsansprüche auf Südjugoslawien abgewehrt werden und zugleich jugoslawische Gebietsansprüche gegen Nordgriechenland gestützt werden sollen. Zu diesem Zweck hätten die Bewohner der südlichsten Provinz Jugoslawiens eine neue nationale Orientierung erhalten sollen. Die Sprache der slawischen Bevölkerungsmehrheit, wesentliche Grundlage eines Volkes, welche dem Bulgarischen äußerst nahe stehe, sei in Mazedonisch umbenannt worden. Es habe außerdem eine groß angelegte Geschichtsfälschung nach kommunistischem Muster begonnen. Die verfälschte Geschichte sei in den Schulen unterrichtet worden, mit der Folge, dass die heutigen slawischstämmigen Bewohner ein falsches Bild von ihrer Geschichte hätten.

Griechenland sperrt sich auch gegen den Namen Republik Mazedonien, weil es mazedonische Gebietsansprüche gegen die gleichnamige nordgriechische Provinz Makedonien befürchtet – eine Angst, die damit begründet wird, dass die ebenfalls slawischstämmigen Bulgaren vom Ende der osmanischen Zeit 1912/13 bis 1919 Thrakien sowie 1941 bis 1945 unter faschistischer Regierung auch Ostmakedonien besetzt hätten.

Da sich die griechischen Makedonier als Makedonier bezeichnen und ebenfalls eine Verwandtschaft mit den antiken Makedonen beanspruchen, könne dieser Name jetzt nicht plötzlich von einer neu geschaffenen Nation verwendet werden, noch dazu ohne jede historische, ethnische oder sprachliche Grundlage.

Von griechischer Seite wird zudem eingeräumt, dass man nicht gegen die Existenz des neuen Staates sei, sondern nur gegen den Namen, den dieser für sich beanspruche. Griechenland sei im Grunde an guten nachbarschaftlichen Beziehungen interessiert und bereit, den jungen Staat politisch und wirtschaftlich zu unterstützen.

Argumente der Republik Mazedonien

Plakatmotiv einer mazedonischen Kampagne

Die Bezeichnung Skopje für die Republik Mazedonien wird von den slawischen Mazedoniern als herabwürdigend empfunden. Auch die Bezeichnung Fyromer (oder FYROM für ihr Land) halten sie für äußerst unangemessen.

Makedonien sei seit alters der Name der historischen Region, in der die Republik Mazedonien liegt, so dass die Benutzung dieses Namens für den auf diesem Gebiet liegenden Staat nahe liege. Eine Verwechslungsgefahr bestehe nicht, da die Republik Mazedonien der einzige Staat mit diesem Namen sei. Aus der Namensübereinstimmung mit den griechischen Regionen Westmakedonien, Zentralmakedonien und Ostmakedonien und Thrakien ließen sich ebenso wenig Gebietsansprüche ableiten wie etwa aus derjenigen zwischen dem Großherzogtum Luxemburg und der belgischen Provinz Luxemburg.

Datei:Kgr. Jugoslawien.jpg
Jugoslawische Banschaften 1929–1941

Die Mazedonier hätten nicht erst unter Tito ein mazedonisches Nationalgefühl entwickelt, sondern spätestens seit dem Ilinden-Aufstand von 1903. Der Name Makedonija für dieses von Slawen bewohnte Gebiet sei bereits mindestens seit dem 19. Jahrhundert üblich (z. B. bei Vuk Karadžić 1836/49 in der Form „Maćedonija“). Der von griechischer Seite gern herangezogene Name Vardar-Banschaft stehe im Kontext des zentralistischen Ersten Jugoslawiens, dessen Verwaltungseinheiten durch ihre Grenzen und Namen bewusst die bestehenden nationalen Unterschiede verdecken sollten, so dass auch so traditionelle Regionen wie Dalmatien („Banschaft Küste“), Kroatien-Slawonien („Banschaft Save“), Vojvodina („Banschaft Donau“) oder Krain („Banschaft Drau“, heute Slowenien) nicht unter ihrem angestammten Namen geführt worden seien.

Bisweilen beanspruchen die slawischen ebenso wie die griechischen Makedonier eine Verwandtschaft mit den antiken Makedonen, mit der Begründung, dass diese sich allmählich mit den Slawen seit deren Ankunft auf dem Balkan im 6. Jahrhundert vermengt hätten. Diese These ist jedoch auch unter slawischen Mazedoniern heftig umstritten und vermutlich kaum überprüfbar.

Mazedonien habe freundschaftliche Beziehungen zu seinen Nachbarländern, fühle sich aber seit der Unabhängigkeit 1991 zu Unrecht in den Namensstreit mit Griechenland verwickelt.

Standpunkt anderer Staaten und Organisationen

Die Republik Mazedonien wurde von drei (USA, Russland, China) der fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates unter dem Namen Republik Mazedonien anerkannt. Auch hat der überwiegende Teil der Staatengemeinschaft das Land unter seinem verfassungsmäßigen Namen anerkannt. Dies gilt allerdings nur für bilaterale Beziehungen zwischen der Republik Mazedonien und dem jeweiligen Land. Die völkerrechtliche Bezeichnung ist nach wie vor „The Former Yugoslav Republic of Macedonia“ (F.Y.R.O.M.).

Der Weltsicherheitsrat empfahl am 7. April 1993 die Aufnahme Mazedoniens in die UNO und stellte dabei die Existenz des Namensstreites fest.[3] Die Generalversammlung nahm Mazedonien daraufhin am 8. April 1993, der Empfehlung des Sicherheitsrates folgend, unter dem Namen The Former Yugoslav Republic of Macedonia (Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien) in die Staatengemeinschaft auf.[4] [5]

Nach der Aufnahme Mazedoniens in die UNO haben auch andere internationale Organisationen diese Namenskonvention übernommen, darunter die EU, die NATO, das Internationale Olympische Komitee, die Europäische Rundfunkunion, der IWF, die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und andere.

Die meisten Diplomaten, die in Mazedonien akkreditiert sind, benutzen in offiziellen internationalen Dokumenten die Bezeichnung Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien oder Mazedonien (ehemalige jugoslawische Republik), so beispielsweise die Vertreter Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, Italiens, Spaniens, Finnlands, Portugals, Frankreichs, Luxemburgs, der Niederlande, Kanadas, Australiens, Brasiliens, Argentiniens, Ägyptens und andere.

Andererseits haben über 106 Länder Mazedonien unter dem Namen Republik Mazedonien für den bilateralen Verkehr anerkannt. Dazu gehören die USA (2004), Russland, die Volksrepublik China, die Nachbarländer Bulgarien, Albanien und Serbien, Kroatien, Slowenien, Bosnien-Herzegowina, die Türkei, die Ukraine, Weißrussland, Estland, Litauen, Iran, Pakistan, die Philippinen, Malaysia und andere. Auch die Außenministerien Deutschlands, Österreichs und der Schweiz nennen die Republik Mazedonien bei diesem Namen.

Aktueller Stand und Lösungsansätze

Bisher wurde keine dauerhafte Einigung über den Namen der Republik erzielt. Mannigfache alternative Namen sind bisher vorgeschlagen worden:

  • Republik Skopje – nach der Hauptstadt
  • Vardar-Republik – bezogen auf Mazedoniens wichtigsten und einzigen schiffbaren Fluss und angelehnt an die Verwaltungseinheit Vardarska banovina des Königreiches Jugoslawien
  • Dardanien – bezogen auf das antike Nachbarvolk der antiken Makedonen, die Dardaner, deren Hauptstadt schon damals Skopje war
  • Päonien – nach einem weiteren antiken Volk aus dieser Region, den Päoniern.
  • Südslawien – wodurch der Name Jugoslawiens wieder aufgegriffen würde
  • Zentralbalkanische Republik
  • Slawische Republik Mazedonien
  • Slawomazedonien
  • Neumazedonien
  • Obermazedonien
  • Nordmazedonien
  • Mazedonoslawien

Dabei sind diejenigen Namen, in denen mazedon- enthalten ist, für Griechenland inakzeptabel, während für Mazedonien nur diese akzeptabel sind.[6]

Im Oktober 2004 haben Griechenland und die Republik Mazedonien beschlossen, ihre Beziehungen zu normalisieren und die Verhandlungen über den Namen des Landes zu intensivieren. Der Staatsname bleibt jedoch Quelle für lokale und internationale Unstimmigkeiten. Die Verwendung des Namens ist weiterhin umstritten.

Aufgrund des anhaltenden Widerstandes von griechischer Seite ist Mazedonien derzeit gezwungen, im internationalen Verkehr stets den Zusatz Former Yugoslav Republic (FYR) (ehemalige jugoslawische Republik) zu verwenden.

Matthew Nimetz, der UN-Sonderbeauftragte für Mazedonien, hat für offizielle Zwecke den unübersetzten Namen Republika Makedonija-Skopje (Република Македонија-Скопје) vorgeschlagen. Griechenland hat diesen Vorschlag abgelehnt, ihn aber als eine Grundlage für weitere konstruktive Verhandlungen bezeichnet. Der mazedonische Premierminister Vlado Buckovski lehnte den Vorschlag ab und unterbreitete den Gegenvorschlag einer Doppelbenennung, wobei die internationale Gemeinschaft den Namen Republik Mazedonien verwendet, während Griechenland und weitere Länder den Namen Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien benutzen.

Im Oktober 2005 machte Matthew Nimetz einen neuen Vorschlag: Demnach sollen die Länder, die die Republik Mazedonien unter diesem Namen anerkannt haben, diesen weiterhin benutzen, während Griechenland den Namen Republik Mazedonien-Skopje verwenden solle. In internationalen Organisationen solle der unübersetzte, lateinisch transkribierte Name Republika Makedonia verwendet werden.

Eine internationale Schiedskommission soll demnächst auch den Landesnamenstreit schlichten. Griechenland favorisiert zwar weiterhin Republik Skopje oder Dardanien, hat aber auch angedeutet, Vardar-Mazedonien oder Obermazedonien als Kompromiss akzeptieren zu können.

Quellen

  1. Art. 3 der mazedonischen Verfassung auf der Seite der mazedonischen Regierung (in mazedonischer Sprache).
  2. [1] Eintragung des Sterns von Vergina bei der World Intellectual Property Organization, 3. Juni 1995
  3. Empfehlung der Aufnahme und Feststellung des Namenskonfliktes in Resolution 817 (pdf) des UN-Sicherheitsrates', 7. April 1993
  4. Anerkennung durch die UN-Generalversammlung: A/RES/47/225 , 8. April 1993
  5. Offizielle Liste der UNO-Mitgliedsstaaten
  6. Loring M. Danforth. National conflict in a transitional world: Greeks and Macedonians at the Conference for Security and Cooperation in Europe.