„Gaullismus“ – Versionsunterschied

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{{Dieser Artikel|beschreibt die politische Ideologie in Frankreich. Für die außenpolitische Richtung in der Bundesrepublik Deutschland siehe [[Gaullisten (Deutschland)]].}}
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'''Gaullismus''' ist eine wichtige gemäßigt rechtsgerichtete [[Politik|politische]] Strömung in [[Frankreich]], die von [[Charles de Gaulle]] begründet wurde und nach ihm benannt ist. Heute vertritt ein Teil des Parteienbündnisses [[Les Républicains]] (bis Mai 2015 [[Union pour un mouvement populaire|UMP]]), dem auch der ehemalige Präsident [[Nicolas Sarkozy]] angehört, die Idee des Gaullismus.
'''Gaullismus''' ist eine [[politische Ideologie]] in Frankreich, die von [[Charles de Gaulle]] begründet wurde und die einen kulturell [[Konservatismus|konservativen]], wirtschaftlich aufgeschlossenen, aber [[Zentralismus|zentralistischen]] Staat anstrebt. Nach dem Ende der [[Vierte Französische Republik|Vierten Republik]] 1958 wurde der Gaullismus in Frankreich zur Gründungsideologie der [[Politisches System Frankreichs|Fünften Republik]]. Heute vertritt ein Teil der Partei [[Les Républicains]] (bis Mai 2015 ''Union pour un mouvement populaire''), dem auch der ehemalige Präsident [[Nicolas Sarkozy]] angehört, die Idee des Gaullismus.

Spricht man bei deutschen Politikern (historisch) vom Gaullismus, meint man damit eine außenpolitische Ausrichtung.


== Politische Ideen ==
== Politische Ideen ==
[[Datei:Charles de Gaulle-1963.jpg|miniatur|Charles de Gaulle 1963]]
[[Datei:Charles de Gaulle-1963.jpg|mini|Charles de Gaulle 1963]]
Die politischen Ideen des Gaullismus entwickelte Charles de Gaulle in der Zeit des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkriegs]]. Ein wichtiger Punkt war zu diesem Zeitpunkt die Wiederherstellung der nationalen Größe des von [[Deutsches Reich 1933 bis 1945|Deutschland]] besetzten Frankreich. Von 1959 bis 1969 war de Gaulle der erste Präsident der [[Fünfte Französische Republik|Fünften Französischen Republik]], deren Staatsform er maßgeblich bestimmt hatte.
Die politischen Ideen des Gaullismus entwickelte Charles de Gaulle in der Zeit des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkriegs]]. Ein wichtiger Punkt war zu diesem Zeitpunkt die Wiederherstellung der nationalen Größe des von [[Deutsche Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg|Deutschland besetzten Frankreich]]. Von 1959 bis 1969 war de Gaulle der erste Präsident der [[Politisches System Frankreichs|Fünften Französischen Republik]], deren Staatsform er maßgeblich bestimmt hatte.


Der Gaullismus ist grundsätzlich [[Konservatismus|konservativ]]. Er strebt nach einem [[Zentralismus|zentralistischen]] Staat und legt Wert auf die internationale Bedeutung Frankreichs. Gaullisten sind in der Regel gemäßigt rechts, sehr [[Patriotismus|patriotisch]] und stehen der [[Europäische Union|europäischen Integration]] [[Ambivalenz|ambivalent]] gegenüber.
Der Gaullismus ist grundsätzlich [[Konservatismus|konservativ]]. Er strebt nach einem [[Zentralismus|zentralistischen]] Staat und legt Wert auf die nationale [[Souveränität]] und internationale Bedeutung Frankreichs als [[Großmacht]] sowie eine eigenständige Außenpolitik in Zeiten des [[Kalter Krieg|Kalten Kriegs]]. Dies äußerte sich maßgeblich im eigenen Atomwaffenprogramm ''([[Force de dissuasion nucléaire française|force de frappe]])'' und dem Ausscheiden aus der militärischen Integration der [[NATO]] 1966. Gaullisten sind in der Regel sehr [[Patriotismus|patriotisch]] und stehen der [[Europäische Integration|europäischen Integration]] [[Ambivalenz|ambivalent]] gegenüber: Statt dem [[Supranationalität|supranationalen]] Ziel der [[Vereinigte Staaten von Europa|Vereinigten Staaten von Europa]] strebten de Gaulle und seine Anhänger ein „[[Europa der Vaterländer]]“ an.


Während der Gaullismus in sozialen und kulturellen Fragen [[tradition]]alistisch ist, befürwortet er eine [[wirtschaft]]liche und [[Technischer Fortschritt|technische Modernisierung]]. Hierbei setzten die Gaullisten auf [[Staatsinterventionismus]] ''(dirigisme)'', d. h. ein staatliches Eingreifen in die Wirtschaft durch Förderprogramme und [[Staatsunternehmen]]. Mit diesem „[[Dritter Weg|Dritten Weg]]“ zwischen liberalem Kapitalismus und Sozialismus war er sowohl für Vertreter des rechten wie des linken politischen Lagers anschlussfähig.
Im Gaullismus verbinden sich zwei Gegensätze. Einerseits treten seine Unterstützer für soziale und kulturelle [[Tradition]]en ein, andererseits zeigen sie sich der [[wirtschaft]]lichen und [[Technischer Fortschritt|technischen Modernisierung]] gegenüber aufgeschlossen. Nach dem Ende der [[Vierte Französische Republik|Vierten Republik]] 1958 wurde der Gaullismus in Frankreich zur Gründungsideologie der [[Fünfte Französische Republik|Fünften Republik]].


Nach dem Rücktritt (1969) und Tod (1970) Charles de Gaulles entwickelte sich die Ausrichtung der gaullistischen Parteien unter [[Georges Pompidou]] (Präsident von 1969 bis 1974) und unter [[Jacques Chirac]] (Präsident von 1995 bis 2007) schrittweise weiter: von wirtschaftspolitischem Dirigismus hin zu liberaler Marktwirtschaft und vom außenpolitischen Sonderweg Frankreichs hin zu europäischer Integration und schließlich (unter Präsident [[Nicolas Sarkozy]] 2009) sogar zur Rückkehr in die Militärstrukturen der NATO. Dies wird als „Neogaullismus“ bezeichnet. Die Unterschiede zwischen Gaullisten und nicht-gaullistischen Mitte-rechts-Parteien (sowohl innerhalb Frankreichs als auch in anderen westeuropäischen Staaten) verwischten sich dadurch zunehmend.<ref>Andrew Knapp: ''From the Gaullist movement to the presidentʹs party.'' In: Jocelyn A. J. Evans: ''The French party system.'' Manchester University Press, Manchester 2003, S. 121–136.</ref>
== Parteien des Gaullismus ==

Jedoch gab es Widerstand von „orthodoxen“ und „sozialen Gaullisten“, die die Abtretung nationaler Souveränität an europäische Institutionen bzw. liberale Wirtschafts- und Sozialreformen ablehnten. Beispielhaft hierfür steht das Referendum über den [[Vertrag von Maastricht]] 1992, bei dem die Parteiführung des gaullistischen [[Rassemblement pour la République|RPR]] um Jacques Chirac für ein „Ja“ plädierte, während „orthodoxe Gaullisten“ wie [[Charles Pasqua]] und „soziale Gaullisten“ wie [[Philippe Séguin]] für ein „Nein“ warben und damit rund zwei Drittel der RPR-Wähler auf ihrer Seite hatten.<ref>Andrew Knapp: ''From the Gaullist movement to the presidentʹs party.'' In: Jocelyn A. J. Evans: ''The French party system.'' Manchester University Press, Manchester 2003, S. 121–136, hier S. 125, 128–129.</ref>

== Parteien, Personen und Fraktionen des Gaullismus ==
[[Datei:Affiche Charles de Gaulle - RPF - 1947.jpg|mini|hochkant|Wahlplakat des RPF 1947]]
Der Gaullismus brachte mehrere [[Politische Partei|Parteien]] hervor:
Der Gaullismus brachte mehrere [[Politische Partei|Parteien]] hervor:
* 1947–1952: [[Rassemblement du peuple français|Rassemblement du Peuple Français]] (RPF). Nach der Befreiung gründete de Gaulle das Rassemblement (Sammlung), um das politische Programm umzusetzen, das er in den Reden von [[Bayeux]] vorstellt. Die Partei blieb aber eher schwach im Gegensatz zum [[Mouvement républicain populaire]] (MRP), das damals die politische Rechte dominierte.
* 1947–1955: [[Rassemblement du peuple français|Rassemblement du Peuple Français]] (RPF). Nach der Befreiung gründete de Gaulle das Rassemblement (Sammlung), um das politische Programm umzusetzen, das er in den Reden von [[Bayeux]] vorstellt. Nach ersten Erfolgen schnitt die Partei bei den Wahlen schwächer ab als von de Gaulle erhofft, weshalb er sich 1953 zurückzog und das RPF zerfiel.
* 1958–1962: [[Union pour la Nouvelle République]] (UNR). Am 13. Mai 1958 wurde sie auf dem Höhepunkt des [[Algerienkrieg]]s zur Rückkehr von de Gaulle in Regierungsfunktionen gegründet. Ihre Mitglieder setzten sich hauptsächlich aus Anhängern eines algerischen Staates unter französischer Regie (Algérie Française) zusammen. Als de Gaulle schließlich eine Politik der Selbstbestimmung für Algerien vorstellte, kam es zu Meinungsverschiedenheiten mit Jacques Soustelle. Bedeutende Mitglieder waren [[Michel Debré]] und [[Jacques Chaban-Delmas]].
* 1958–1962: [[Union pour la Nouvelle République]] (UNR). Am 13. Mai 1958 wurde sie auf dem Höhepunkt des [[Algerienkrieg]]s zur Rückkehr von de Gaulle in Regierungsfunktionen gegründet. Ihre Mitglieder setzten sich hauptsächlich aus Anhängern eines algerischen Staates unter französischer Regie (Algérie Française) zusammen. Als de Gaulle schließlich eine Politik der Selbstbestimmung für Algerien vorstellte, kam es zu Meinungsverschiedenheiten mit Jacques Soustelle. Bedeutende Mitglieder waren [[Michel Debré]] und [[Jacques Chaban-Delmas]].
* 1958–1962: [[Union Démocratique du Travail]] (UDT). Diese neue Bewegung vereinigte die linksgerichteten Gaullisten, d.h. diejenigen, die de Gaulle zutrauten, in Algerien einen Frieden auszuhandeln. Bedeutende Mitglieder waren [[Henri Capitant]], [[Henri Vallon]] und [[Léo Hamon]].
* 1958–1962: [[Union Démocratique du Travail]] (UDT). Diese neue Bewegung vereinigte die linksgerichteten Gaullisten, d.&nbsp;h. diejenigen, die de Gaulle zutrauten, in Algerien einen Frieden auszuhandeln. Bedeutende Mitglieder waren [[Henri Capitant]], [[Henri Vallon]] und [[Léo Hamon]].
* 1962–1968: Nach den [[Verträge von Évian|Abkommen von Evian]] und anlässlich der Präsidentschaftskampagne schlossen sich diese beiden Bewegungen unter der Bezeichnung UNR-UDT zusammen.
* 1962–1967: Nach den [[Verträge von Évian|Abkommen von Evian]] und anlässlich der Präsidentschaftskampagne schlossen sich diese beiden Bewegungen unter der Bezeichnung UNR-UDT zusammen.
* 1967–1976: Zur Wahl 1967 wurde die UNR-UDT durch die ''Union des Démocrates pour la V<sup>e</sup> République'' (UD-V<sup>e</sup>) ersetzt. Diese benannte sich nach den Maiunruhen 1968 in [[Union pour la défense de la République]] (UDR) um. Nach dem Rücktritt (1969) und Tod (1970) de Gaulles führte [[Georges Pompidou]] die Regierungspartei. Da die V. Republik nicht mehr neu war und auch nicht mehr bedroht erschien, wurde die Partei 1971 in [[Union des Démocrates pour la République]] umbenannt, das Akronym UDR blieb dabei erhalten.
* 1968–1971: UNR-UDT wurde zur [[Union pour la Défense de la République]] (UDR).
[[Datei:Jacques Chirac 1990 (crop).jpg|mini|hochkant|Jacques Chirac, Führungsfigur der Neogaullisten (1990)]]
* 1971–1976: [[Union des Démocrates pour la République]] (UDR)
* 1976–2002: [[Rassemblement pour la République]] (RPR). Nach dem Verlust der Präsidentschaft reorganisierte [[Jacques Chirac]] das (neo-)gaullistische Lager in einer neuen Partei. Diese entwickelte sich mehrheitlich in eine wirtschaftsliberale und pro-europäische Richtung, es gab aber auch „orthodoxe“ und „soziale Gaullisten“.
* 1976–2002: [[Rassemblement pour la République]] (RPR)
* 1999–2011: [[Rassemblement pour la France et l’indépendance de l’Europe]] (RPF). Souveränistische und EU-skeptische Abspaltung vom RPR unter [[Charles Pasqua]].
* seit 2008: [[Debout la République]] (DLR)
* 2002–2015: [[Union pour un mouvement populaire]] (UMP). Mitte-rechts-Sammelpartei, die vor allem neogaullistische (ehemaliges RPR), aber auch christdemokratische und liberale Ideologien umfasste.
* seit 2010: [[République solidaire]] (RS)
* seit 2008: [[Debout la France|Debout la République]] (DLR). Souveränistische, EU-skeptische und „sozialgaullistische“ Kleinpartei unter [[Nicolas Dupont-Aignan]].
* seit 2010: [[République solidaire]] (RS). „Sozialgaullistische“ Kleinpartei von [[Dominique de Villepin]].
* seit 2015: [[Les Républicains]] (LR). Neuer Name der UMP.


Zu den bedeutendsten Gaullisten in Frankreich gehören [[André Malraux]] (Kulturminister 1959–1969), [[Michel Debré]] (Premierminister 1959–1962), Georges Pompidou (Premierminister 1962–1968, Staatspräsident 1969–1974), [[Jacques Chaban-Delmas]] (Premierminister 1969–1972). Zu den bedeutendsten „Neogaullisten“ zählen Jacques Chirac (Premierminister 1974–76 und 1986–88; Staatspräsident 1995–2007), [[Alain Juppé]] (Premierminister 1995–1997), [[Dominique de Villepin]] (Premierminister 2005–2007) und [[Nicolas Sarkozy]] (Staatspräsident 2007–2012).
Besondere Bedeutung erlangte dabei das in den 1970er Jahren entstandene neogaullistische [[Rassemblement pour la République]] (RPR) unter [[Jacques Chirac]]. Es ist nach einer Fusion im Zuge des Präsidentschaftswahlkampfes 2002 zur Wiederwahl Chiracs in der [[Union pour un mouvement populaire]] (UMP) aufgegangen.


Im [[Europäisches Parlament|Europäischen Parlament]] bildeten die Gaullisten von 1965 bis 1995 eine eigene [[Fraktion im Europäischen Parlament|Fraktion]]: Diese hieß zunächst Europäische Demokratische Union (''Union démocratique européenne'', UDE), ab 1973 Fraktion der Europäischen Demokraten für den Fortschritt (''Groupe des démocrates européens de progrès'', DEP), ab 1984 [[Fraktion der Sammlungsbewegung der Europäischen Demokraten|Sammlungsbewegung der Europäischen Demokraten]] (''Rassemblement des démocrates européens'', RDE). Neben den gaullistischen Abgeordneten aus Frankreich gehörten ihr – nach dem EG-Beitritt Irlands, Großbritanniens und Dänemarks 1973 – die Vertreter der irischen [[Fianna Fáil]], der [[Scottish National Party]] (bis 1989) und der dänischen [[Fremskridtspartiet]] (bis 1984) an.<ref>Hiltrud Naßmacher: ''Parteiorganisation, Parteiprogramme und Strukturen innerparteilicher Willensbildung.'' In: Oscar W. Gabriel, Frank Brettschneider (Hrsg.): ''Die EU-Staaten im Vergleich. Strukturen, Prozesse, Politikinhalte.'' 2. Auflage. Westdeutscher Verlag, Opladen 1994, S. 221–257, hier S. 254.</ref> Diese Allianz war eher ein Zweckbündnis von Partnern unterschiedlicher politischer Ausrichtung.<ref name="Palmer81">Michael Palmer: ''The European Parliament. What It Is – What It Does – How It Works.'' Pergamon Press, Oxford 1981, S. 80–81.</ref> Fianna Fáil wird aber zuweilen mit den Gaullisten verglichen, aufgrund ihrer uneindeutigen Position im Links-Rechts-Spektrum, ihrem Nationalismus und ihrer Ausrichtung auf eine charismatische Gründerpersönlichkeit ([[Éamon de Valera]]).<ref>Richard Dunphy: ''The Enigma of Fianna Fáil. Party Strategy, Social Classes and the Politics of Hegemony.'' In: Mike Cronin, John M. Regan: ''Ireland. The Politics of Independence, 1922–49.'' Macmillan Press, Basingstoke (Hants) 2000, S. 67–83, hier S. 79.</ref> Eine weitere Gemeinsamkeit war das Eintreten für hohe Preisgarantien für Landwirte im Rahmen der [[Gemeinsame Agrarpolitik|Gemeinsamen Agrarpolitik]].<ref name="Palmer81" /> Später kamen Abgeordnete der portugiesischen [[Partido Renovador Democrático]] und des griechischen [[Politiki Anixi]] hinzu. Die gaullistische Fraktion vereinigte sich 1995 mit [[Forza Europa]] (die hauptsächlich aus italienischen Abgeordneten der [[Forza Italia]] bestand) zur Fraktion [[Union für Europa]]. Nach 1999 saßen die Abgeordneten der neogaullistischen RPR in der großen Mitte-rechts-[[Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten|Fraktion der Europäischen Volkspartei und europäischer Demokraten]] (EVP-ED), während sich die Vertreter des euroskeptischen RPF der nationalkonservativen Fraktion [[Union für das Europa der Nationen]] (UEN) anschlossen.
Zu den bedeutendsten Gaullisten in Frankreich gehören Jacques Chirac, [[Alain Juppé]] und [[Georges Pompidou]].

== „Gaullismus“ in Deutschland ==

In Deutschland gibt es den Gaullismus im eigentlichen Sinne nicht, aber zu Zeiten de Gaulles hat man auch einige deutsche Politiker als „Gaullisten“ bezeichnet. Gemeint war damit, dass diese Politiker eine engere Anlehnung an Frankreich anstrebten. Das Gegenstück waren die "[[Atlantiker]]", die den Beziehungen zu den USA Vorrang einräumten. Diese Unterscheidung betrifft fast ausschließlich die [[Unionsparteien]]. Gaullisten und Atlantiker waren sich einig, dass die USA der wichtigste Bündnispartner für die Bundesrepublik waren, es ging eher um taktische Fragen.

Die Unterscheidung hat auch eine wirtschaftspolitische Komponente. An Frankreich orientierte Gaullisten neigten zu einer Wirtschaftspolitik mit größerem staatlichen Eingreifen ([[Rheinischer Kapitalismus]]). Dazu gehörte eine Zollpolitik, die den europäischen Markt abschirmte. Die Atlantiker hingegen sympathisierten mit den Freihandelsideen, wie sie in Großbritannien und den USA stärker anzutreffen sind. Gaullisten waren meist Katholiken, Atlantiker Protestanten.

Ein Problem für die deutschen Gaullisten war es, dass sie ein Interesse an einer starken Europäischen Gemeinschaft hatten. In Frankreich jedoch war es gerade de Gaulle, der sich dagegen aussprach und lieber von einem loseren „Europa der Nationen“ sprach.

Bekanntester Gaullist war Bundeskanzler [[Konrad Adenauer]], der sich um den [[Élysée-Vertrag|Deutsch-Französischen Freundschaftsvertrag]] von 1963 bemühte. Zu nennen sind auch [[Heinrich Krone]] und die bayerischen [[Christlich-Soziale Union in Bayern|CSU]]-Politiker [[Franz Josef Strauß]] und [[Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg]].<ref>{{Internetquelle|url=http://www.foia.cia.gov/docs/DOC_0000954494/0000954494_0008.gif | titel="Prospects for change in West German foreign policy"| zugriff=29. November 2010| hrsg= [[Central Intelligence Agency]]| datum=6. September 1966| archiv-url=https://archive.is/20120731042737/http://www.foia.cia.gov/docs/DOC_0000954494/0000954494_0008.gif| archiv-datum=2012-07-31}}</ref> Bei den Medien standen die [[Axel Springer AG|Springer-Blätter]], der [[Rheinischer Merkur|Rheinische Merkur]], die [[Stuttgarter Nachrichten]] und die katholische Bildpost auf der gaullistischen Seite.

Dagegen werden [[Ludwig Erhard]], [[Gerhard Schröder (CDU)|Gerhard Schröder]] und [[Kai-Uwe von Hassel]], [[Der Spiegel]], der [[Stern (Zeitschrift)|Stern]], [[Die Zeit]], das [[Sonntagsblatt (Bayern)|Sonntagsblatt]] und [[Christ und Welt]] eher den Atlantikern zugerechnet.

Der Konflikt zwischen Atlantikern und Gaullisten wurde gegen 1969 durch den Konflikt um die [[Neue Ostpolitik]] abgelöst. Zeitgleich trat in Frankreich de Gaulle als Staatspräsident ab.<ref>[http://www.sehepunkte.de/2008/12/14579.html Peter Hoeres: ''Rezension: Tim Geiger: Atlantiker gegen Gaullisten'', auf: sehepunkte.de.].</ref>

[[Peter Scholl-Latour]] war erklärtermaßen Gaullist (jedoch lehnte er diese Bezeichnung mit dem Verweis auf de Gaulles Tod ab<ref>Phoenix: ''Unter den Linden'' vom 7. Mai 2007.</ref>) und betrachtete die politischen Vorgänge auf dem [[Balkanhalbinsel|Balkan]], in Afrika, im [[Naher Osten|Nahen Osten]] und Ostasien insbesondere aus der Sicht französischer Machtpolitik.


== Literatur ==
== Literatur ==
* Frédéric Turpin: ''De Gaulle, les gaullistes et l’Indochine 1940–1956''. Paris 2005, ISBN 2-84654-099-3.

* Matthias Waechter: ''Der Mythos des Gaullismus: Heldenkult, Geschichtspolitik und Ideologie, 1940–1958''. Wallstein-Verlag, Göttingen 2006, ISBN 3-8353-0023-7.
* {{Literatur|Autor=Tim Geiger|Titel=Atlantiker gegen Gaullisten. Außenpolitischer Konflikt und innerparteilicher Machtkampf in der CDU/CSU 1958-1969|Verlag=Oldenburg|Ort=München|Jahr=2008|ISBN=978-3-486-58586-5}}
* Frédéric Turpin: ''De Gaulle, les gaullistes et l'Indochine 1940–1956'', Paris 2005, ISBN 2-84654-099-3.
* Matthias Waechter: ''Der Mythos des Gaullismus: Heldenkult, Geschichtspolitik und Ideologie, 1940–1958'', Wallstein-Verlag, Göttingen 2006, ISBN 3-8353-0023-7.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* [http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/17526/gaullismus Gaullismus im "Politiklexikon"] der "[[Bundeszentrale für politische Bildung]]"
* [https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/17526/gaullismus ''Gaullismus''.] In: ''Politiklexikon.'' der [[Bundeszentrale für politische Bildung]]


== Belege ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


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[[Kategorie:Charles de Gaulle]]
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Aktuelle Version vom 15. Juni 2024, 22:08 Uhr

Das Lothringerkreuz – seit dem 1. Juli 1940 Symbol des Gaullismus – in Colombey-les-Deux-Églises

Gaullismus ist eine politische Ideologie in Frankreich, die von Charles de Gaulle begründet wurde und die einen kulturell konservativen, wirtschaftlich aufgeschlossenen, aber zentralistischen Staat anstrebt. Nach dem Ende der Vierten Republik 1958 wurde der Gaullismus in Frankreich zur Gründungsideologie der Fünften Republik. Heute vertritt ein Teil der Partei Les Républicains (bis Mai 2015 Union pour un mouvement populaire), dem auch der ehemalige Präsident Nicolas Sarkozy angehört, die Idee des Gaullismus.

Politische Ideen

Charles de Gaulle 1963

Die politischen Ideen des Gaullismus entwickelte Charles de Gaulle in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Ein wichtiger Punkt war zu diesem Zeitpunkt die Wiederherstellung der nationalen Größe des von Deutschland besetzten Frankreich. Von 1959 bis 1969 war de Gaulle der erste Präsident der Fünften Französischen Republik, deren Staatsform er maßgeblich bestimmt hatte.

Der Gaullismus ist grundsätzlich konservativ. Er strebt nach einem zentralistischen Staat und legt Wert auf die nationale Souveränität und internationale Bedeutung Frankreichs als Großmacht sowie eine eigenständige Außenpolitik in Zeiten des Kalten Kriegs. Dies äußerte sich maßgeblich im eigenen Atomwaffenprogramm (force de frappe) und dem Ausscheiden aus der militärischen Integration der NATO 1966. Gaullisten sind in der Regel sehr patriotisch und stehen der europäischen Integration ambivalent gegenüber: Statt dem supranationalen Ziel der Vereinigten Staaten von Europa strebten de Gaulle und seine Anhänger ein „Europa der Vaterländer“ an.

Während der Gaullismus in sozialen und kulturellen Fragen traditionalistisch ist, befürwortet er eine wirtschaftliche und technische Modernisierung. Hierbei setzten die Gaullisten auf Staatsinterventionismus (dirigisme), d. h. ein staatliches Eingreifen in die Wirtschaft durch Förderprogramme und Staatsunternehmen. Mit diesem „Dritten Weg“ zwischen liberalem Kapitalismus und Sozialismus war er sowohl für Vertreter des rechten wie des linken politischen Lagers anschlussfähig.

Nach dem Rücktritt (1969) und Tod (1970) Charles de Gaulles entwickelte sich die Ausrichtung der gaullistischen Parteien unter Georges Pompidou (Präsident von 1969 bis 1974) und unter Jacques Chirac (Präsident von 1995 bis 2007) schrittweise weiter: von wirtschaftspolitischem Dirigismus hin zu liberaler Marktwirtschaft und vom außenpolitischen Sonderweg Frankreichs hin zu europäischer Integration und schließlich (unter Präsident Nicolas Sarkozy 2009) sogar zur Rückkehr in die Militärstrukturen der NATO. Dies wird als „Neogaullismus“ bezeichnet. Die Unterschiede zwischen Gaullisten und nicht-gaullistischen Mitte-rechts-Parteien (sowohl innerhalb Frankreichs als auch in anderen westeuropäischen Staaten) verwischten sich dadurch zunehmend.[1]

Jedoch gab es Widerstand von „orthodoxen“ und „sozialen Gaullisten“, die die Abtretung nationaler Souveränität an europäische Institutionen bzw. liberale Wirtschafts- und Sozialreformen ablehnten. Beispielhaft hierfür steht das Referendum über den Vertrag von Maastricht 1992, bei dem die Parteiführung des gaullistischen RPR um Jacques Chirac für ein „Ja“ plädierte, während „orthodoxe Gaullisten“ wie Charles Pasqua und „soziale Gaullisten“ wie Philippe Séguin für ein „Nein“ warben und damit rund zwei Drittel der RPR-Wähler auf ihrer Seite hatten.[2]

Parteien, Personen und Fraktionen des Gaullismus

Wahlplakat des RPF 1947

Der Gaullismus brachte mehrere Parteien hervor:

  • 1947–1955: Rassemblement du Peuple Français (RPF). Nach der Befreiung gründete de Gaulle das Rassemblement (Sammlung), um das politische Programm umzusetzen, das er in den Reden von Bayeux vorstellt. Nach ersten Erfolgen schnitt die Partei bei den Wahlen schwächer ab als von de Gaulle erhofft, weshalb er sich 1953 zurückzog und das RPF zerfiel.
  • 1958–1962: Union pour la Nouvelle République (UNR). Am 13. Mai 1958 wurde sie auf dem Höhepunkt des Algerienkriegs zur Rückkehr von de Gaulle in Regierungsfunktionen gegründet. Ihre Mitglieder setzten sich hauptsächlich aus Anhängern eines algerischen Staates unter französischer Regie (Algérie Française) zusammen. Als de Gaulle schließlich eine Politik der Selbstbestimmung für Algerien vorstellte, kam es zu Meinungsverschiedenheiten mit Jacques Soustelle. Bedeutende Mitglieder waren Michel Debré und Jacques Chaban-Delmas.
  • 1958–1962: Union Démocratique du Travail (UDT). Diese neue Bewegung vereinigte die linksgerichteten Gaullisten, d. h. diejenigen, die de Gaulle zutrauten, in Algerien einen Frieden auszuhandeln. Bedeutende Mitglieder waren Henri Capitant, Henri Vallon und Léo Hamon.
  • 1962–1967: Nach den Abkommen von Evian und anlässlich der Präsidentschaftskampagne schlossen sich diese beiden Bewegungen unter der Bezeichnung UNR-UDT zusammen.
  • 1967–1976: Zur Wahl 1967 wurde die UNR-UDT durch die Union des Démocrates pour la Ve République (UD-Ve) ersetzt. Diese benannte sich nach den Maiunruhen 1968 in Union pour la défense de la République (UDR) um. Nach dem Rücktritt (1969) und Tod (1970) de Gaulles führte Georges Pompidou die Regierungspartei. Da die V. Republik nicht mehr neu war und auch nicht mehr bedroht erschien, wurde die Partei 1971 in Union des Démocrates pour la République umbenannt, das Akronym UDR blieb dabei erhalten.
Jacques Chirac, Führungsfigur der Neogaullisten (1990)

Zu den bedeutendsten Gaullisten in Frankreich gehören André Malraux (Kulturminister 1959–1969), Michel Debré (Premierminister 1959–1962), Georges Pompidou (Premierminister 1962–1968, Staatspräsident 1969–1974), Jacques Chaban-Delmas (Premierminister 1969–1972). Zu den bedeutendsten „Neogaullisten“ zählen Jacques Chirac (Premierminister 1974–76 und 1986–88; Staatspräsident 1995–2007), Alain Juppé (Premierminister 1995–1997), Dominique de Villepin (Premierminister 2005–2007) und Nicolas Sarkozy (Staatspräsident 2007–2012).

Im Europäischen Parlament bildeten die Gaullisten von 1965 bis 1995 eine eigene Fraktion: Diese hieß zunächst Europäische Demokratische Union (Union démocratique européenne, UDE), ab 1973 Fraktion der Europäischen Demokraten für den Fortschritt (Groupe des démocrates européens de progrès, DEP), ab 1984 Sammlungsbewegung der Europäischen Demokraten (Rassemblement des démocrates européens, RDE). Neben den gaullistischen Abgeordneten aus Frankreich gehörten ihr – nach dem EG-Beitritt Irlands, Großbritanniens und Dänemarks 1973 – die Vertreter der irischen Fianna Fáil, der Scottish National Party (bis 1989) und der dänischen Fremskridtspartiet (bis 1984) an.[3] Diese Allianz war eher ein Zweckbündnis von Partnern unterschiedlicher politischer Ausrichtung.[4] Fianna Fáil wird aber zuweilen mit den Gaullisten verglichen, aufgrund ihrer uneindeutigen Position im Links-Rechts-Spektrum, ihrem Nationalismus und ihrer Ausrichtung auf eine charismatische Gründerpersönlichkeit (Éamon de Valera).[5] Eine weitere Gemeinsamkeit war das Eintreten für hohe Preisgarantien für Landwirte im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik.[4] Später kamen Abgeordnete der portugiesischen Partido Renovador Democrático und des griechischen Politiki Anixi hinzu. Die gaullistische Fraktion vereinigte sich 1995 mit Forza Europa (die hauptsächlich aus italienischen Abgeordneten der Forza Italia bestand) zur Fraktion Union für Europa. Nach 1999 saßen die Abgeordneten der neogaullistischen RPR in der großen Mitte-rechts-Fraktion der Europäischen Volkspartei und europäischer Demokraten (EVP-ED), während sich die Vertreter des euroskeptischen RPF der nationalkonservativen Fraktion Union für das Europa der Nationen (UEN) anschlossen.

Literatur

  • Frédéric Turpin: De Gaulle, les gaullistes et l’Indochine 1940–1956. Paris 2005, ISBN 2-84654-099-3.
  • Matthias Waechter: Der Mythos des Gaullismus: Heldenkult, Geschichtspolitik und Ideologie, 1940–1958. Wallstein-Verlag, Göttingen 2006, ISBN 3-8353-0023-7.

Einzelnachweise

  1. Andrew Knapp: From the Gaullist movement to the presidentʹs party. In: Jocelyn A. J. Evans: The French party system. Manchester University Press, Manchester 2003, S. 121–136.
  2. Andrew Knapp: From the Gaullist movement to the presidentʹs party. In: Jocelyn A. J. Evans: The French party system. Manchester University Press, Manchester 2003, S. 121–136, hier S. 125, 128–129.
  3. Hiltrud Naßmacher: Parteiorganisation, Parteiprogramme und Strukturen innerparteilicher Willensbildung. In: Oscar W. Gabriel, Frank Brettschneider (Hrsg.): Die EU-Staaten im Vergleich. Strukturen, Prozesse, Politikinhalte. 2. Auflage. Westdeutscher Verlag, Opladen 1994, S. 221–257, hier S. 254.
  4. a b Michael Palmer: The European Parliament. What It Is – What It Does – How It Works. Pergamon Press, Oxford 1981, S. 80–81.
  5. Richard Dunphy: The Enigma of Fianna Fáil. Party Strategy, Social Classes and the Politics of Hegemony. In: Mike Cronin, John M. Regan: Ireland. The Politics of Independence, 1922–49. Macmillan Press, Basingstoke (Hants) 2000, S. 67–83, hier S. 79.