Authentizität

Authentizität (von gr. αυθεντικός authentikós „echt“[1]; spätlateinisch authenticus „verbürgt“, „zuverlässig“) bedeutet Echtheit im Sinne von „als Original befunden“. Das Adjektiv zu Authentizität heißt authentisch.

Allgemeines

Authentizität (authentisch) bezeichnet eine kritische Qualität von Wahrnehmungsinhalten (Gegenständen oder Menschen, Ereignissen oder menschliches Handeln), die den Gegensatz von Schein und Sein als Möglichkeit zu Täuschung und Fälschung voraussetzt. Als authentisch gilt ein solcher Inhalt, wenn beide Aspekte der Wahrnehmung, unmittelbarerer Schein und eigentliches Sein, in Übereinstimmung befunden werden. Die Scheidung des Authentischen vom vermeintlich Echten oder Gefälschten kann als spezifisch menschliche Form der Welt- und Selbsterkenntnis gelten; zur Bewährung von Authentizität sind sehr weitreichende Kulturtechniken entwickelt worden, die die Kriterien von Authentizität für einen bestimmten Gegenstandsbereich normativ zu (re-) konstruieren suchen.

Formen von Authentizität

Archäologische und historische Authentizität

Authentizität von verschiedenen aufgefundenen Artefakten (z. B. Kunstwerken, Münzen, Schriftstücken) bedeutet, dass der zu untersuchende Gegenstand tatsächlich von der Person, dem Autor oder Quelle stammt, von der er vorgibt zu stammen, also weder Fälschung noch Fehlzuschreibung ist. Ein klassisches Beispiel aus dem Bereich der Altphilologie ist die sogenannte Homerische Frage; es wird mit den Mitteln der Sprachwissenschaft die Autorschaft Homers gegen die überlieferte Zuschreibung geprüft. Zugleich wird im Rahmen der Altertumswissenschaft die historische Authentizität (die tatsächliche Existenz) Homers, sowie der in diesen Schriften geschilderten Schauplätze und Ereignisse mit den Mitteln der Geschichtswissenschaft und Archäologie überprüft (Troja-Debatte).

Im Gegensatz zu wissenschaftlichen Verfahren wird die Authentizität der Heiligen Schrift von der Kirche kanonisch festgelegt.

Hermeneutik: Mens Auctoris und interpretatio authentica

Die griechischen Kirchenväter übersetzten Authentizität mit Auctoritas, welcher lateinische Begriff im heutigen Sprachgebrauch als Autorschaft oder Autorität erhalten ist. Zu den Grundlagen hermeneutischer Exegese (Textinterpretation) gehört die Frage nach der Absicht des Autors (mens auctoris) sowie der Begriff einer authentischen Interpretation, die von abwegigen oder ketzerischen, nicht-authentischen Auslegungen zu scheiden ist.

Rhetorik

Die Rhetorik verhandelt die Authentizitätsfrage auf der Textebene und der Ebene der rednerischen Performanz (Aufführung). Es handelt sich dabei um eine Inszenierung, die ihre Inszeniertheit zu verbergen und so einen Echtheits- bzw. Wirklichkeitseffekt zu erzeugen sucht (vgl. das Prinzip der dissimulatio artis). Authentizität ist nicht als Eigenschaft, die einem Text oder einer Person einfach innewohnt, zu verstehen, sondern als Ergebnis eines Zuschreibungsprozesses, das auf die rednerische Intention zurückzuführen ist. Auf der Textebene entsteht Authentizität durch Verbergen der Hergestelltheit des Textes, hier sind Medien wie Film oder Fotografie sehr erfolgreich. In Bezug auf die rednerische Performanz steht der Begriff der Authentizität in einem engen Verhältnis mit dem Ethos einer Person, in der Rhetorik dem Orator.

Musik

In der Musik werden unter anderem gewisse Kirchentonleitern als authentisch bezeichnet, im Gegensatz zu den plagalen Kirchentonleitern: Authentisch ist hier das ursprünglich Tonangebende, zu dem das Plagiale in einem bloß modifizierenden, untergeordneten Ableitungsverhältnis steht.

Recht

In der Rechtswissenschaft wird der vom Gesetzgeber selbst veröffentlichte Wortlaut einer Bestimmung authentisch genannt. Im Gegensatz dazu stehen andere Verlautbarungen oder Veröffentlichungen wie beispielsweise in Lehrbüchern oder Kommentaren, die entgegen der authentischen Version nicht im Wortlaut rechtsverbindlich sind. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind die Überschriften von Paragraphen in den meisten deutschen Gesetzen. In der authentischen Fassung der Gesetze (in Deutschland ausschließlich die Verlautbarung im Bundesgesetzblatt) haben die einzelnen Paragraphen keine Überschrift, während sie in vielen Veröffentlichungen von Verlagen nicht-authentische (d.h. inoffizielle und daher rechtlich unverbindliche) Überschriften enthalten. Österreich ist das erste europäische Land, das die Onlineversion des Bundesgesetzblattes (im Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes) anstelle der ebenfalls veröffentlichten Papierform als authentisch betrachtet. Eine Gesetzesauslegung (Exegese) kann den Status der sogennannten authentischen Interpretation haben.

Informatik

Eine Nachricht wird dann als authentisch bezeichnet, wenn sie sicher einem Sender zugeordnet werden kann. Digitale Signaturen bieten eine Möglichkeit, die Authentizität einer Nachricht nachzuweisen.

Anhand des "Problems der byzantinischen Generäle" kann man viele Fragestellungen zur Authentizität von Informationen untersuchen. Bei diesem Szenario belagern mehrere Generäle, die sich gegenseitig nicht vertrauen, Byzanz, und lassen sich Mitteilungen zukommen. Gesucht sind Algorithmen zur sicheren Übertragung und Verifikation dieser Mitteilungen, da der Absender oder eine ganze Mitteilung von einem anderen gefälscht sein kann, Mitteilungen durch abgefangene Boten verloren gehen oder durch gefälschte Mitteilungen ersetzt werden können.

Siehe auch: Authentifizierungsmerkmal

Fachdidaktik

In der Fachdidaktik versteht man unter Authentizität, dass das vorliegende Material (z.B. Interview, Film, Nachrichtensendung, Zeitungsartikel, Hinweisschild, etc.), welches ein Lehrer benutzt, nicht für den Unterricht entworfen oder verändert wurde.

In der Fremdsprachendidaktik werden Situationen dann als "authentisch" angesehen, wenn sie unmittelbar-real (in der schulischen oder außerschulischen Lebenswelt) oder als lebensecht akzeptierbar sind und es den Schülern somit ermöglichen, das Erlernte in der unmittelbaren Praxis zu bewähren.[2]

Marketing

Innerhalb der strategischen Markenführung wird Marken-Authentizität als "Wahrhaftigkeit des proklamierten Markennutzenversprechens" definiert. Der proklamierte Markennutzen bezieht sich dabei auf die Markenpositionierung, d. h. dem Aussagekonzept der Marke, das extern an die Konsumenten kommuniziert wird.

Authentizität von Personen

Angewendet auf Personen bedeutet Authentizität, dass das Handeln einer Person nicht durch externe Einflüsse bestimmt wird, sondern aus der Person selbst stammt (wenn bei einer Person allerdings die Eigenschaft, dass ihr Handeln durch externe Einflüsse bestimmt wird, aus der Person selbst stammt, spricht man von einer authentischen Inauthentizität, auch von der Authentisch inauthentischen Persönlichkeit). Gruppenzwang und Manipulation beispielsweise unterwandern persönliche Authentizität.

Eine als authentisch bezeichnete Person wirkt besonders echt, das heißt, sie vermittelt ein Bild von sich, das beim Betrachter als real, urwüchsig, unverbogen, ungekünstelt wahrgenommen wird. Dabei muss es sich nicht notwendigerweise um die realen Eigenschaften des Betrachteten handeln, sondern es können auch Zuschreibungen des Betrachters diese Eindrücke verursachen, die etwa auch Teil einer gelungenen Inszenierung darstellen können. Ist die Inszenierung übertrieben, wirkt sie schnell Klischee-haft und wird zum Kitsch (siehe auch Medientheorie).

Philosophie

Heidegger: Eigentlichkeit

Als Eigentlichkeit rückt Martin Heidegger den Begriff in Sein und Zeit (1927) in den Fokus der philosophischen Aufmerksamkeit. Dabei betont er ausdrücklich, dass er ihn jenseits seiner alltäglichen Verwendung im Sinne eines philosophischen Terminus verstanden wissen will: Die Eigentlichkeit ist eine mögliche Bestimmung des Daseins, das sich entschließt, aus dem alltäglichen Verfallensein an das Man als uneigentliches Sein zum Selbst als authentischer Existenz vorzudringen:

„Und weil Dasein wesenhaft je seine Möglichkeit ist, kann dieses Seiende in seinem Sein sich selbst wählen‘, gewinnen, es kann sich verlieren, bzw. nie und nur ‚scheinbar‘ gewinnen. Verloren haben kann es sich nur, sofern es seinem Wesen nach mögliches ‚eigentliches‘ , das heißt sich zueigen ist.[3]

Sartre

Sartre spricht davon, dass die unaufrichtige Seinsweise "sogar für eine sehr große Zahl von Personen der normale Aspekt des Lebens sein" [4] kann.

Sie entspringt der sogenannten komplizenhaften Reflexion.

Sartres Verständnis von Authentizität ist ein in der Sartre-Forschung durchaus umstrittener Begriff. Im Zentrum der Untersuchung zu seiner Vorstellung von Authentizität steht folgender Abschnitt: "Kurz, es gibt zwei authentische Haltungen: die, durch die ich den Andern als das Subjekt anerkenne, durch das ich zur Objektheit komme - das ist die Scham; und die, durch die ich mich als den freien Entwurf erfasse, durch den der Andere zum Anderer-sein kommt - das ist der Hochmut oder die Behauptung meiner Freiheit gegenüber dem Objekt-Andern. Aber der Stolz - oder die Eitelkeit - ist ein labiles unaufrichtiges Gefühl" [5]. Sartre unterscheidet also zwischen Unaufrichtigkeit (mauvaise foi) und Authentizität. Zum Grunde liegt dieser Unterscheidung die grundsätzliche Bestimmung des Seins der menschlichen Realität (des Menschen) als Für-sich das "das ist, was es nicht ist und nicht das ist, was es ist" (Sartre, das Sein und das Nichts. Reinbek bei Hamburg, 1995). Die Unaufrichtigkeit ist also ein sich selbst Belügen, welches insofern stattfindet, als die menschliche Realität um ein zwar nicht zutreffendes, jedoch ihr vorteilhaftes Sein weiß, welches sie als wahr zu glauben versucht, währenddessen sie gleichzeitig darum weiß, das dem nicht so ist. Der Unaufrichtigkeit wird als Antithese die Ehrlichkeit entgegengestellt und diese ist letztlich ein "Seinsideal" [6] das der Mensch nicht erreichen kann, weshalb er auch nicht ehrlich sein und vor allem nicht werden kann, weil er eben als Für-sich frei ist, sich zu entwerfen. Ehrlichkeit ist folglich selbst unaufrichtig, weil die menschliche Realität Bewusstsein davon hat, dieses Ideal nicht erreichen zu können. Die Authentizität aber ist ein Begriff, der sich vielmehr darauf bezieht das in der menschlichen Realität durch die Anerkennung des Anderen als Subjekt ein Schamgefühl hervorgerufen wird, auf Grund der Erfahrung ihres eigenen Objekt-in-der-Welt-seins, und dieses Schamgefühl ist insofern authentisch, als es den fühlbare Ausdruck einer ursprünglichen Beziehung zum Andern darstellt und darüber hinaus keinen Entwurf (da auf der Ebene des prereflexiven Cogito) zulässt. Die Scham ist da und kann nicht durch eine Haltung ausgeschaltet werden. Hier muss aber Verstanden werden, dass Sartre von einer ursprünglichen, dass heißt möglich machenden Scham, spricht aus welcher das alltagliche Schamgefühl (hingefallen sein und Bewusstsein von Erblicktwerden haben) resultiert.

Adorno

„Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“

Adorno widmet dem Authentizitätsbegriff Heideggers eine ausführliche Kritik.

Postmoderne

In der Postmoderne stellen sich die Fragen von Authentizität und Künstlichkeit, Original, Fälschung und Serie unter neuen Bedingungen. Es findet eine Infragestellung von Autorschaft (Tod des Autors) und Authentizität, die als normative Konstruktionen betrachtet werden, überhaupt statt. Philosophen wie Jean Baudrillard beschäftigten sich theoretisch mit dem Authentischen, Künstler wie Andy Warhol spielten damit.

Quellen

  1. Adjektiv zu αυθεντέω authenteo „eigenmächtig handeln“, „herrschen“ und αυθεντης „Authentes“ „Urheber“, „Täter“, oder „Mörder“.
  2. Vgl. Gerhard Bach & Johannes-Peter Timm: "Handlungsorientierung als Ziel und als Methode". In: Gerhard Bach & Johannes-Peter Timm (Hg.): Englischunterricht. Grundlagen und Methoden einer handlungsorientierten Unterrichtspraxis (3., vollst. überarb. u. verbess. Aufl.). Tübingen, Basel: A. Francke, 2003, 4-7 und 11-13.
  3. Martin Heidegger, Sein und Zeit, S. 42
  4. Das Sein und das Nichts. Reinbek bei Hamburg, 1995, S. 124: künftig zitiert als SN
  5. SN, S.519
  6. SN S. 140 ff.

Siehe auch

Literatur

  • Knaller, Susanne: Ein Wort aus der Fremde. Geschichte und Theorie des Begriffs Authentizität. Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2007
  • Wortmann, Volker: Was wissen Bilder schon über die Welt, die sie bedeuten sollen? Sieben Anmerkungen zur Ikonographie des Authentischen. In: Susanne Knaller / Harro Müller (Hrsg.) Authentizität. Diskussion eines ästhetischen Begriffs. München: Wilhelm Fink Verlag 2006; S. 163-184.
  • Knaller, Susanne / Harro Müller (Hrsg.): Authentizität. Diskussion eines ästhetischen Begriffs. München: Wilhelm Fink Verlag 2006
  • Wortmann, Volker: Authentisches Bild und authentisierende Form. Köln: von Halem Verlag 2003
  • Thomas Knieper / Marion G. Müller (Hrsg.): Authentizität und Inszenierung von Bilderwelten. Köln: Herbert von Halem Verlag, 2003.
  • Helmut Lethen: Versionen des Authentischen: sechs Gemeinplätze. In: Hartmut Böhme / Klaus R. Scherpe: Literatur und Kulturwissenschaften – Positionen, Theorien, Modelle. Rowohlt Taschenbuchverlag Reinbek 1996.
  • Erika Fischer-Lichte / Isabel Pflug (Hrsg.): Inszenierung von Authentizität. Tübingen und Basel: A. Francke Verlag, 2000.
  • Repräsentanz Expert (Hrg.); Corporate Speaking. Auftritte des Spitzenmanagements. Bonn und London 2006
  • Stefan Wachtel: Rhetorik und Public Relations. München 2003
  • Richard Sennett: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. 14. Aufl. Frankfurt/Main 1998.
  • C. Burmann / M. Schallehn: Die Bedeutung der Marken-Authentizität für die Markenprofilierung. Bremen: Arbeitspapier 31, Lehrstuhl für innovatives Markenmanagement Universität Bremen, 2008.
  • Günther Anders: Über Echtheit. In: ders. Über das Haben. Bonn: Cohen Verlag. 1928