Marcel Perincioli

Marcel Perincioli (* 14. Juni 1911 in Bern; † 10. September 2005 in Bern) war ein Schweizer Bildhauer.

Leben

Der Sohn des aus dem Piemont eingewanderten Bildhauers Etienne Perincioli[1][2] und der Bernerin Rosa Dietrich bildete sich nach einer Bildhauerlehre beim Vater in den 1930er-Jahren in Berlin und Paris weiter. Zu seinen Lehrern gehörten die Bildhauer Charles Despiau, Wilhelm Otto, Walter Linck und die Bildhauerin Germaine Richier. Er war ab 1936 verheiratet mit der Kunsthandweberin Hélène Perincioli, geb. Jörns (1911–1996).

Ein Durchbruch gelang dem jungen Künstler mit der Ausführung des Porträts von Fritz de Quervain, Direktor des Berner Inselspitals. Für die Schweizerische Landesausstellung von 1939 in Zürich schuf er die Figur Narziss, die jetzt vor dem Berner Staatsarchiv steht, und für die Berner Feuerwehrkaserne das Relief Florian und sein Engel.[3] Es folgten weitere Aufträge für öffentliche Bauten und Kirchen, grosse figurative und später abstrakte Kompositionen in Stein, Holz, Bronze, Aluminium und Stahl.

Fred Zaugg schrieb 2011: „Viele begegnen seinen Figuren täglich. […] Das Schaffen von Marcel Perincioli befindet sich weniger in Museen als draussen in der Stadt, in der Agglomeration und weit darüber hinaus in unseren Lebensräumen.“[4]

Bronzereliefs von Perincioli an der Brückentüre der Nydeggkirche in Bern

Perincioli schuf für die Berner Nydeggkirche zwei Bronzetüren, Glockenreliefs in Gümligen, Kanzel, Abendmahlstisch und Taufstein der Chapelle Romande in Thun und der Stephanuskirche im Spiegel, Bronzereliefs an der Kirche Bern-Bethlehem, abstrakte Plastik beim Kirchgemeindehaus Bolligen und eine Engelsfigur für den Schosshaldenfriedhof, als Teil der Friedhofsgestaltung: „Die schiere Grösse der Skulptur, aber auch die Formensprache und der Ausdruck lassen keinen Zweifel offen: Das ist keine niedliche Engelsgestalt, sondern eine kraftvolle Figur mit festem Stand – verbunden mit dem Irdischen, aber dennoch erhaben. Die fliessenden Linien – die Verschmelzung von Körper und Gewand – nehmen dem Engel die Strenge und lassen ihn freundlich wirken. Seine Arme sind schützend und willkommen heissend ausgestreckt …“[5]

Fred Zaugg sieht die Bronzetüren der Nydeggkirche als zentral im Schaffen des Bildhauers, der auch selbst zu diesem Werk gesagt habe, „ … es sei eines seiner wichtigsten. Vielleicht darum, weil er hier am alten Sakralbau seine unverwechselbare bildhauerische Sprache mit der alten Konstruktionsform der Kassetten konfrontierte und verband. Er schlug damit einen Bogen von der Gegenwart bis in die Renaissance, ja bis ins Mittelalter. Die andere, für die ganze Philosophie des Künstlers bezeichnende Brücke verbindet ihn mit der Antike, mit der Mythologie.“[6]

Immer wieder widmete sich Perincioli dem Menschen in Bewegung: Läufergruppen, Speerwerfer, und als Kleinplastiken Tänzerinnen.

Johanna Strübin Rindisbacher schrieb: „Perincioli ist dem Ausdruck von – äusserer und innerer – Bewegung verpflichtet. Beweglichkeit und Offenheit prägen auch seine künstlerische Haltung. Er reflektiert in seinem Werk Ausdrucksweisen von Germaine Richier bis Henry Moore. Anfänglich arbeitet er vor allem in Stein, dann zunehmend in Bronze. Heute modelliert er die Vorlagen direkt in Wachs. Nach Kriegsende wendet er sich unter dem Eindruck der funktionalistischen Architektur auch ungegenständlichen Kompositionen zu, unter anderem in Holz. Seine bevorzugten Themen sind aber bis heute Läufer, Tänzerinnen und Speerwerfer als Einzelfiguren oder als Gruppen, neuerdings auch Pferdestudien. Kraftvoll-expressive Monumentalwerke (Speerwerfer, 1964, Bern, Haus des Sports; Engel, 1959, Bern, Schosshaldenfriedhof) stehen neben bewegten feingliedrigen Kleinplastiken (Tänzerinnen, 1960er bis 1980er Jahre). In einigen seiner Kleinbronzen, etwa in Frau am Fenster (1962) und in der Werkgruppe Joie de vivre (1972), hält Perincioli zauberhafte Augenblicke sinnlicher Faszination fest. Die figürlichen und abstrakten Kleinplastiken haben eine spielerische und einige auch eine poetische Qualität (Schlüsselmannli, 1966; Septett, 1965). Seine Zeichnungen zu figürlichen Motiven spiegeln das Tempo der Niederschrift und die Unmittelbarkeit des Ausdrucks.“[7]

Fred Zaugg hebt die humanistischen Anliegen des Künstlers hervor: «Das letzte Werk Marcel Perinciolis heisst ‹Liberté›, seine ‹Flüchtlingsgruppe› steht im IKRK in Genf, und sein Herz gehörte den Behinderten und Bedrängten ebenso wie den Tanzenden und den Athleten.»[8]

Von 1961 bis 1966 amtierte Perincioli als Zentralpräsident der Gesellschaft der Schweizer Maler, Bildhauer und Architekten (GSMBA).[9] In dieser Zeit förderte er explizit den Zugang von Künstlerinnen in diese Vereinigung. Er erwirkte zudem für die Bildhauer die Möglichkeit, bei Kleinplastiken eine Serie von bis zu sechs Original-Abgüssen machen zu können.

2004 gründete er zusammen mit seinen Kindern die „Stiftung Hélène und Marcel Perincioli-Jörns“, die mit Stipendien junge Künstler (speziell Tanz und Musik) unterstützt.

Die Regisseurin Cristina Perincioli ist seine Tochter.

Auszeichnungen

1947, 1948 und 1953 erhielt Perincioli Kunstpreise der Stadt Bern für Komposition, Portrait und Leichtathletik; 1959, 1966 und 1967 Goldmedaillen für Sportplastik, für kirchliche Kunst (Seconda Mostra internationale d’Arte Sacra Triest) und an der XVIII. Mostra del Fiorino in Florenz; 1969 Medaille an der 2. Internationalen Biennale des Sportes in der Kunst in Madrid.

Dem Grab Marcel Perinciolis auf dem Berner Schosshaldenfriedhof – in dem auch seine Ehefrau Hélène Perincioli mit bestattet ist – wurde von der Stadt Bern der Status eines «Persönlichkeitsgrabes» verliehen.[10]

Werk

Werke von Marcel Perincioli
JahrWerkStandortOrtschaft/GemeindeEN
1938Porträt Prof. Dr. de QuervainInselspitalBern
1939«Narziss I», BrunnenStaatsarchiv BernBern[11][12]
1942FlötenspielerHaus Brunnadernstrasse 95Bern
1943«Florian und sein Engel», ReliefFeuerwehrkaserneBern[13]
1945Grabmal Koerfer-FehrFriedhofBolligen
1947MutterschaftMattenkrippeBern
1948LöwinEingang WorblaIttigen
1949Zwei ReliefplastikenGebäude der BrandversicherungsanstaltBern
1950«Genius»GewerbeschuleThun
1950«Narziss»Sammlung H.S.Muri BE
1950Fünf GlockenreliefsKircheGümligen[14]
1951Kanzel, Abendmahlstisch und TaufsteinChapelle RomandeThun[15]
1951Bronzegruppe «Befreiung Petri»Chapelle RomandeThun
1952Grabmal HabichRheinfelden
1952«Guter Hirte»SchulhausGrosshöchstetten
1953MutterschaftSchulhausplatzOstermundigen[16]
1953ReliefEingang ErsparniskasseThun
1953–1955Zwei Bronzetüren und AbendmahlstischNydeggkircheBern[17]
1954Gruppe «Barmherzigkeit»ZieglerspitalBern
1954«Grosse Pietà»FriedhofFlawil
1955Gruppe Knabe und MädchenSekundarschule RothusOstermundigen[18]
1955Stehender JünglingBremgartenfriedhofBern
1956Gruppe Knabe mit Hund und BrunnenDorfplatzOstermundigen[19]
1957«Guter Hirte»Stettlen
1958Familiengrab RosselBümpliz
1958Grosser EngelFriedhofFrutigen
1958Kanzel, Abendmahlstisch und TaufsteinStephanskircheSpiegel bei Bern
1959MutterschaftSchweizerische BotschaftBelgrad
1958/59Grosser EngelSchosshaldenfriedhofBern[20]
1960/61SpeerwerfergruppeSportanlage SchönauBern
1961Grosser LäuferMagglingen und Schulhaus Rüfenacht
1962/63«David und Goliath»SekundarschulhausKirchberg[21]
1963/64Bronzeplastik «Grosser Speerwerfer»Haus des Sportes, Bern (ab 2007 Haus des Sports, Ittigen)Ittigen
1964Ankerkreuz in roter LavaKrematorium BremgartenfriedhofBern
1964KanzelplatteKirchgemeindehaus-Kapelle CalvinBern
1965Form II[22]
1965Gruppe von fünf LäufernStadt Bern, PTT Bern, Madrid, Sportanlage Fluntern, Zürich
1966Grabmal ReusserSchosshaldenfriedhofBern
1966Bronzeplastik «Offene Gemeinde»Hof des KirchgemeindehausesBolligen[23]
1966/67ReliefEingangshalle Generaldirektion der Schweizerischen VolksbankBern
1967Fussballergruppe, Preis der europäischen NachwuchsmannschaftenMoskau
1967/68Relief «Arche Noah»Schulhaus in FerenbergBolligen
1968BronzeplastikVerwaltungsgebäude Losinger AGBern-Fischermätteli
1969BetonplastikSchulhausanlage EisengasseBolligen[24]
1969Zwei BronzereliefsKirche BethlehemBern
1969BronzeplastikSchule HünibachHilterfingen
1970Gartenplastik in BronzeSammlung F.R.Bern
1970Relief in Nickel/BronzeAmtsersparniskasseMünsingen
1971Holzplastik «Libuda»Untere Gantrischhütte
1971Relief in Nickel/BronzeEingangshalle Krankenkasse des Kanton BernBern
1972Brunnen-PlastikSchule BuchseeKöniz
1972/73HolzplastikSchulhausanlage RütiOstermundigen
1972Studien «Joie de vivre», Kleinplastiken in Bronze und Skizzen[25]
1973Relief in BronzeGebäude der Publicitas/Vita, City-WestBern
1973/74BronzeplastikGebäude des RadiostudiosBern
1974BronzeplastikGemeindehausMörigen
1974Monumentalplastik in AluminiumSchule BuchholzThun[26]
1975Plastik in Cor-Ten-StahlSammlung E.H.Flugbrunnen BE
1977Grabmal O. WirzBremgartenfriedhofBern
1979Brunnen «Jona»FriedhofSeedorf, BE
1979Relief in AluminiumCARBALiebefeld, BE
1979Auferstehung, Bronze, Grab Hélène und Marcel PerincioliSchosshaldenfriedhofBern
1980Plastik in Cor-Ten-StahlETBBurgdorf
1980Grosses Relief in AluminiumSchweizerische KreditanstaltBern
1980Plastik in Cor-Ten StahlKantonale KrankenkasseBern
1981«Cité»Eingangshalle der Einwohner-ErsparniskasseBern
1981Keimende FormSammlung S.Essen
1982Form III/65Schweizerische NationalbankZürich
1995«Flüchtlingsgruppe»Internationales Rotes KreuzGenf
199xDrei abstrakte FormenSportplatz FüllerichGümligen

Literatur

  • M. Perincioli, W. Fries, J. Latour: Les 100 ans de la Société des Peintres Sculpteurs et Architectes suisses /100 Jahre Gesellschaft Schweizerischer Maler Bildhauer und Architekten. Aarau (GSMBA) 1965.
  • Alfred Scheidegger, Marcel Perincioli: Perincioli. Bern 1969.
  • Alexander Müllegg, Marcel Perincioli: Marcel Perincioli. Katalog zur Ausstellung im Thunerhof 22. Febr.-30. März 1969, Thun (Kunstsammlung) 1969.
  • Marcel Perincioli: Aufzeichnungen. Bern 1986.
  • Hans Christoph von Tavel, Max von Mühlenen: Marcel Perincioli. Bern 1990, ISBN 3-7272-9521-X.
Commons: Marcel Perincioli – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Biografie + Werdegang. In: perincioli.ch. Abgerufen am 15. Oktober 2020.
  2. Etienne Perincioli in: SIKART – Lexikon und Datenbank zur Kunst in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein, abgerufen am 11. Juni 2011.
  3. Einweihung Florian und der Engel. In: Die Berner Woche. Bd. 33, Heft 17, 1943, S. 476.
  4. Fred Zaugg: Bronzene Begleiter – selbst Narziss ist dabei. In: Der Bund. Bern 14. Juni 2011 (perincioli.ch [PDF; 871 kB; abgerufen am 28. März 2018]).
  5. Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün, Stadtgrün Bern (Hrsg.): Der Schosshaldenfriedhof. Ein Spaziergang mit Geschichten, Bern (Schweiz) 2017, S. 19. Auf S. 20 dazu auch ein Foto "Der grosse Engel von Perincioli wird von der Feuerwehr versetzt, 1964". Der Sitzende Athlet ist auf dem Cover der Veröffentlichung abgebildet, der Namensartikel zu Perincioli findet sich auf S. 22. Download der vollständigen Broschüre unter [1]
  6. Fred Zaugg: Bronzene Begleiter – selbst Narziss ist dabei. In: Der Bund. Bern, 14. Juni 2011.
  7. Johanna Strübin Rindisbacher, In: SIKART Lexikon und Datenbank zur Kunst in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein., abgerufen am 12. Juni 2011.
  8. Fred Zaugg: Bronzene Begleiter – selbst Narziss ist dabei. In: Der Bund. Bern, 14. Juni 2011.
  9. seit 2001 visarte.schweiz, abgerufen am 12. Juni 2011.
  10. vgl. Esther Diener-Morscher: Die Stadt Bern lässt berühmten Leuten auf dem Friedhof ihre Ruhe. In: bernerzeitung.ch. 20. Mai 2014, abgerufen am 11. Oktober 2021 (Anmeldung erforderlich): „Die Kriterien sind streng: Der Nachwelt erhalten bleiben Grabmäler nur, wenn es das Grab einer Persönlichkeit ist, ‚die in ihrem Lebenswerk Aussergewöhnliches geleistet hat‘.“
  11. Abb.
  12. Bezugsangabe
  13. Abb.
  14. Abb.
  15. Abb.
  16. Abb.
  17. Abb.
  18. Abb.
  19. Figurative Grossplastiken. In: perincioli.ch. Abgerufen am 13. August 2021.
  20. Abb.
  21. Abb.
  22. Marcel Perincioli: «Form II» 1965. In: perincioli.ch. Abgerufen am 25. Juli 2018.
  23. «Offene Gemeinde» – Kirchgemeindehaus Bolligen, 1966. Foto: Marcel Perincioli. In: perincioli.ch. Abgerufen am 1. Mai 2020.
  24. Betonplastik, Schule Eisengasse, Bolligen, 1969. Foto: Albert Winkler. In: perincioli.ch. Abgerufen am 1. Mai 2019.
  25. Abb.
  26. Marcel Perincioli: Kletterplastik aus Aluminium, Schule Buchholz, Thun, 1974. In: perincioli.ch. Abgerufen am 3. August 2018.