Hexenprozesse von Lindheim

Die Hexenprozesse von Lindheim waren insbesondere drei derartige Verfahren, die unter dem Oberschultheißen (Amtmann) Georg Ludwig Geis Anfang der 1660er Jahre stattfanden.

Quellenlage

Die Quellenlage zu diesen drei Hexenprozessen ist vielschichtig, aber vor allem dank der Arbeit des Historikers Karl Ernst Demandt relativ gut erforscht. Hinsichtlich der Quellen sind aber einige Einschränkungen zu beachten:

  1. Ein erheblicher Teil der Original-Quellen befand sich im Gemeindearchiv von Lindheim, dessen Bestände im kalten Winter von 1930/31 dazu genutzt wurden, die Schule zu beheizen, und ging dadurch verloren.[1]
  2. Ein Teil der Quellen ist nur sekundär aus einer Veröffentlichung von 1818 erhalten[2], die aber nachweislich erhebliche Fehler enthält.[3]
  3. Die Geschehnisse sind von einer Schicht von Traditionen überlagert, in der es auch der Fachliteratur schwerfällt, die Fiktion von der Realität zu unterscheiden.[Anm. 1]

Vorgeschichte

Die Ganerbschaft Lindheim bestand ausschließlich aus dem Dorf Lindheim, heute ein Ortsteil der Gemeinde Altenstadt im Wetteraukreis in Hessen. Deren Besitzer, die Ganerben[Anm. 2], lebten weitab und die einzige Obrigkeit vor Ort war der „Oberschultheiß“ genannte Amtmann.

Bereits 1598 hatte es in Lindheim einen Hexenprozess gegeben, bei dem die Angeklagte vermutlich – es gibt dazu nur indirekte Anhaltspunkte – hingerichtet wurde. Anschließend gibt es über sechs Jahrzehnte keinen Hinweis auf weitere derartige Verfahren in Lindheim.[4]

Der Ort befand sich nach dem Dreißigjährigen Krieg in einem desolaten Zustand, die Bevölkerung war drastisch dezimiert und demoralisiert, die Infrastruktur zerstört und die Anteilseigner der Ganerbschaft verlangten hohe Abgaben. Der Amtmann, Augustin Huber, scheiterte 1661 an dem herrschenden Chaos. Schon 1657 hatten die Ganerben eine Polizeiordnung für Lindheim erlassen, deren zweites Kapitel „Teufelsbeschwörung, Zauberei, Teufelsbeschwören und Wahrsagen“ behandelt.[5]

Prozesse

1661 fand eine Hexenverfolgung gegen einige Kinder statt, die für diese allerdings glimpflich ausging.[6] Das Phänomen war also virulent. In dieser Situation trat Georg Ludwig Geis im Frühjahr 1663 – er war zuvor im Amt Ortenberg Amtmann gewesen – die Stelle des Oberschultheißen in Lindheim an. Bereits im August 1663 berichtete er an die Ganerben, dass er mit gutem Erfolg gegen sechs Personen einen Hexenprozess eingeleitet habe. Insgesamt sollten es drei Prozesse werden:

  1. 30. April 1663 bis zum 12. Juni 1663: Der Prozess endete mit dem Tod von sieben Frauen.[7]
  2. 17. Juni 1663 bis zum 25. August 1663: Neun Frauen und Männer wurden hingerichtet.[8]
  3. 27. Dezember 1663 bis zum 1. März 1664: Drei weitere Personen wurden hingerichtet.[9] Alle Prozesse sicherte Georg Ludwig Geis durch universitäre Rechtsgutachten ab. Die Hinrichtungen führte der Scharfrichter von Ortenberg, Konrad Asmus, durch.[10]

Da in den Verfahren auch auf die Vermögen der Betroffenen und der Familien zugegriffen wurde, bereicherten sich Georg Ludwig Geis, seine Helfer und die Ganerben in diesen Prozessen.[11] 1200 Taler Bargeld wurden den Beschuldigten und ihren Familien abgenommen, darüber hinaus Sachwerte in großem Umfang.[12] Georg Ludwig Geis leitete die Folter der Beschuldigten – zumindest zum Teil – persönlich und ging mit großer Brutalität und Vehemenz vor.[13] Die Opfer sind namentlich bekannt.[14]

Die Verfolgungswelle führte dazu, dass ein Teil der Dorfbevölkerung floh. „Lindheim war wirtschaftlich und moralisch ruiniert“[15], was selbstverständlich den Wert der Ganerbschaft für deren Besitzer erheblich minderte. Außerdem drohte die Prozesswelle ins benachbarte „Ausland“, insbesondere die Burggrafschaft Friedberg überzuschwappen. Es soll in ganz Lindheim zum Schluss nur noch vier Personen gegeben haben, die nicht der Hexerei bezichtigt wurden. Letztendlich setzte sich sowohl der von der Ganerbschaft entsandte Vertreter, Georg Moritz von Grünroth, als auch der Burggraf von Friedberg, Wolfgang Adolf von Carben, bei den Ganerben dafür ein, Georg Ludwig Geis seines Amtes zu entheben. Angesichts der hoffnungslosen Lage in Lindheim geschah das auch.[16]

Zwei besonders betroffene Familien strengten Entschädigungs-Prozesse gegen die Ganerbschaft vor dem Reichskammergericht an, was jedoch im Sande verlief.[17]

Gedenken

Gedenkplakette am Hexenturm: Namen der Opfer der Hexenprozesse

In Lindheim steht als einer der Reste der Ganerben-Burg der sogenannte „Hexenturm“, der während der Prozesse als Gefängnis und Folterstätte diente.[18] Eine Plakette am Turm erinnert an die Opfer.[19]

Literatur

  • Ecke Demandt: Die Hexenprozesse in Lindheim = Schriften der Altenstädter Gesellschaft für Geschichte und Kultur e. V. 6. Altenstädter Gesellschaft für Geschichte und Kultur e. V., Altenstadt 1995. Ohne ISBN.
  • Karl Ernst Demandt: Die Schreckensjahre von Lindheim nach Dokumenten dargestellt. In: Schriften der Altenstädter Gesellschaft für Geschichte und Kultur e. V. 3. Gießen 1981. Ohne ISBN, S. 73–104.
  • Peter Gbiorczyk: Zauberglaube und Hexenprozesse in der Grafschaft Hanau-Münzenberg im 16. und 17. Jahrhundert. Shaker. Düren 2021. ISBN 978-3-8440-7902-9
  • O. Glaubrecht[20] (Pseudonym[21]): Die Schreckensjahre von Lindheim. Ein Beitrag zur Sittengeschichte des siebzehnten Jahrhunderts. Für das Volk erzählt. 2. Auflage, Frankfurt am Main 1846. ND in: Schriften der Altenstädter Gesellschaft für Geschichte und Kultur e. V. 3. Gießen 1981. Ohne ISBN, S. 7–71.

Anmerkungen

  1. So führt z. B. Gbiorczyk, S. 286, ein „Hausbüchlein“ des zeitgenössischen Lindheimer Pfarrers Konrad Hölker als Quelle an, das Karl Demandt, S. 74, als „literarische Erfindung“ von O. Glaubrecht (siehe: Literatur) einstuft.
  2. Die Ganerbschaft bestand zu dieser Zeit aus dem damaligen Domdekan (und späteren Bischof) von Würzburg, Johann Hartmann von Rosenbach, der braunschweig-lüneburgische Rat Heinrich Hermann von Oeynhausen und der Hofmeister des Landgrafen von Hessen-Kassel, von Wallenstein (Karl Demandt, S. 81).

Einzelnachweise

  1. Karl Demandt, S. 84.
  2. Georg Conrad Horst: Dämonomagie, oder Geschichte des Glaubens an Zauberei und dämonische Wunder mit besonderer Berücksichtigung des Hexenprocesses seit den Zeiten Innocentius des Achten ; nebst einer ausführlichen, nach Inquisitionsacten bearbeiteten Beschreibung des Hexenthurms zu Lindheim in der Wetterau, als eines Beitrags zu den alterthümlichen Denkwürdigkeiten in den Großherzoglich-Hessischen Landen. Wilmans, Frankfurt am Main 1818 (Digitalisat bei Google Books).
  3. Karl Demandt, S. 84f.
  4. Karl Demandt, S. 76.
  5. Karl Demandt, S. 79f.
  6. Karl Demandt, S. 82.
  7. Ecke Demandt, S. 21f.
  8. Ecke Demandt, S. 23f.
  9. Ecke Demandt, S. 25–27.
  10. Karl Demandt, S. 100.
  11. Ecke Demandt, S. 20.
  12. Karl Demandt, S. 83, 94f, 101.
  13. Karl Demandt, S. 90.
  14. Namen der Opfer der Hexenprozesse/ Hexenverfolgung von Lindheim (PDF; 121 kB), abgerufen am 17. Juli 2021.; Ecke Demandt, S. 29 (Opferliste).
  15. Ecke Demandt, S. 27.
  16. Karl Demandt, S. 103.
  17. Karl Demandt, S. 103f.
  18. Vgl.: Ecke Demandt, S. 28.
  19. Ecke Demandt, S. 27.
  20. Zum Autor: Oeser, Ludwig Rudolf. In: LAGIS. Hessische Biografie; Stand: 15. April 2021.
  21. Rudolf Oeser (1807–1859), Pfarrer von Lindheim 1835–1859.