Positives Christentum

Positives Christentum ist ein Schlagwort der NS-Propaganda, mit dem die NSDAP in ihrem Parteiprogramm von 1920 ihre eigene Weltanschauung als christlich, konfessionell ungebunden, dem „jüdisch-materialistischen“ Geist kämpferisch entgegengesetzt und am Prinzip des völkisch-rassistisch verstandenen Gemeinnutzes orientiert ausgab.[1]

Der Begriff des „positiven Christentums“ hatte in der Religionsphilosophie der Aufklärung im Sinne von „positiver Religion“ (religio posita oder positiva) als Analogiebildung zum Begriff des Positiven Rechts den Charakter des Christentums als Offenbarungsreligion und institutionalisierter Religion im Gegensatz zu natürlicher Religion und Vernunftreligion beschrieben. Auf dieses traditionelle Begriffsverständnis, dem in der Kaiserzeit die kirchlich-positive Richtung gefolgt war, wiesen christliche Theologen auch in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zuweilen hin, wenn sie betonten, dass „positiv“ nur „schriftgemäß“ der biblischen Offenbarung und nicht einer politischen Partei gemäß, bedeuten könne.[2]

Die NS-Ideologie knüpfte an diese Begriffstradition jedoch nicht an, sondern stellte stattdessen „positives“ und „negatives“ Christentum (Alfred Rosenberg) einander gegenüber, womit die der eigenen Ideologie kommensurablen oder von ihr als christlich ausgegebenen, z. T. recht eigentlich neuheidnischen Inhalte einerseits[3] und andererseits die als jüdisch oder kirchlich-konfessionell depraviert abgelehnten Elemente begrifflich getrennt werden sollten.

Die Selbstdarstellung als „positives Christentum“ verband sich dabei im 25-Punkte-Programm mit der Forderung nach „Freiheit aller religiöser Bekenntnisse im Staat“, dies allerdings versehen mit einer wesentlichen Einschränkung „soweit sie nicht dessen Bestand“ (d. h. den des NS-Staates) „gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen“.[1] In Abgrenzung von den marxistischen und sozialdemokratischen Parteien, aber auch von der öffentlichen Wahrnehmung ihrer eigenen antichristlichen und antikirchlichen Tendenzen versuchte sich die NSDAP damit den Anschein einer Partei zu geben, die dem Christentum und den Kirchen mit kritischer Aufgeschlossenheit gegenüberstand und auch der großen Zahl derer eine Heimat zu bieten hatte, welche sich den Kirchen entfremdet, aber christlichen Werten weiterhin verbunden fühlten.[4]

In seinem öffentlichen Aufruf zur Machtergreifung bekräftigte Hitler am 31. Januar 1933: Sie (die Reichsregierung) wird das Christentum als Basis unserer gesamten Moral, die Familie als Keimzelle unseres Volks- und Staatskörpers in ihren festen Schutz nehmen.[5]

Siehe auch

Literatur

  • Claus-Ekkehard Bärsch: Die politische Religion des Nationalsozialismus: die religiösen Dimensionen der NS-Ideologie in den Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler. 2., vollst. überarb. Aufl., Fink, München 2002, ISBN 3-7705-3172-8.
  • Michael Ley, Julius H. Schoeps: Der Nationalsozialismus als politische Religion. Philo, Bodenheim 1997 (= Studien zur Geistesgeschichte; 20), ISBN 3-8257-0032-1.
  • Friedrich Zipfel: Kirchenkampf in Deutschland 1933–1945: Religionsverfolgung und Selbstbehauptung der Kirchen in der nationalsozialistischen Zeit. Walter de Gruyter, Berlin 1965 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, 11), ISBN 3-11-000459-3.

Anmerkungen

  1. a b Parteiprogramm der NSDAP vom 24. Februar 1920, Punkt 24: „Wir fordern die Freiheit aller religiöser Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen. Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns und ist überzeugt, daß eine dauerhafte Genesung unseres Volkes nur erfolgen kann von innen heraus auf der Grundlage: Gemeinnutz vor Eigennutz.“ Zitiert nach Friedrich Zipfel: Kirchenkampf in Deutschland, 1965, S. 1.
  2. Vgl. Heinrich Vogel: Wort Gotts oder Mythus, Referat vom 4. März 1935. In: Wilhelm Niemöller (Hrsg.): Die Preußensynode zu Dahlem. Die zweite Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union: Geschichte – Dokumente – Berichte. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1975 (= Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes; 29), ISBN 3-525-55532-6, S. 68 ff., hier S. 76.
  3. Zum Verhältnis von „positivem Christentum“ und „Neuheidentum“ siehe Hans-Jürgen Becker: Neuheidentum und Rechtsgeschichte, in: Joachim Rückert, Dietmar Willoweit (Hrsg.): Die Deutsche Rechtsgeschichte in der NS-Zeit: ihre Vorgeschichte und ihre Nachwirkungen. Mohr (Siebeck), Tübingen 1995 (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 12), ISBN 3-16-146444-3, S. 7–29.
  4. So eines der zentralen Anliegen von Ludwig Müller in seiner Schrift Was ist positives Christentum? (1938); vgl. Thomas Martin Schneider: Reichsbischof Ludwig Müller: eine Untersuchung zu Leben, Werk und Persönlichkeit, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1993 (= Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte, Reihe B, 19), ISBN 3-525-55719-1, S. 274 ff.
  5. @1@2Vorlage:Toter Link/germanhistorydocs.ghi-dc.org (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)