Karl Gebhardt

Karl Gebhardt in Hohenlychen (1935)

Karl Franz Gebhardt (* 23. November 1897 in Haag in Oberbayern; † 2. Juni 1948 in Landsberg am Lech) war ein deutscher Chirurg und Sportmediziner. Er wurde einer der führenden Ärzte innerhalb der Schutzstaffel (SS) und Leibarzt seines Jugendfreundes, des NSDAP-Politikers Heinrich Himmler. Gebhardt nahm medizinische Versuche an Konzentrationslager-Häftlingen vor, speziell im KZ Ravensbrück und in seiner zwölf Kilometer entfernt gelegenen Klinik Hohenlychen sowie im KZ Auschwitz. Er wurde in den Nürnberger Prozessen angeklagt, wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tod verurteilt und hingerichtet.

Herkunft und Jugend

Als Schüler lernten sich Gebhardt und Himmler in Landshut kennen. Himmlers älterer Bruder Gebhard Ludwig Himmler ging in dieselbe Klasse, und der Vater war Rektor des Gymnasiums. Das Medizinstudium begann Gebhardt 1919 in München. 1919 wurde er Mitglied des Corps Bavaria München.[1] Er war wie Heinrich Himmler und Sepp Dietrich Mitglied des Freikorps Oberland. Auch am sogenannten Hitlerputsch vom 9. November 1923 war Gebhardt beteiligt. 1923 erhielt er die Approbation als Arzt und 1924 wurde er promoviert.

Aufstieg im Nationalsozialismus

Karl Gebhardt, Generalmajor der Waffen-SS, 1944

Am 1. Mai 1933 trat er der NSDAP (Mitgliedsnummer 1.723.317) bei, zwei Jahre später auch der SS (SS-Nr. 265.894), wo er am 20. April 1935 zum SS-Sturmbannführer befördert wurde.[2]

Er habilitierte sich 1935 und war ab 1937 Professor für Sportmedizin an der Universität Berlin. Am 1. November 1933 übernahm er die Leitung des Tuberkulose-Sanatoriums in Hohenlychen, das er zunächst zur orthopädischen Klinik und dann während des Zweiten Weltkriegs zu einem Krankenhaus der Waffen-SS umgestaltete. Er war Leiter des medizinischen Instituts der Reichsakademie für Leibesübungen in Berlin und beratender Chirurg der SS. Ab 1940 war er beratender Kliniker der Organisation Todt und richtete auf der Reichsschulungsburg der deutschen Technik eine Erholungsstätte für Westwall-Arbeiter ein.

Rolle nach dem Attentat auf Heydrich

Himmler sandte seinen Leibarzt am 27. Mai 1942 nach Prag, um ihn nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich die Operation an dem Verletzten durchführen zu lassen. Tschechische Ärzte hatten Heydrich untersucht: Er hatte eine Scherbe in der Milz und einen Zwerchfellriss davongetragen, während seine Niere unverletzt geblieben war. Da Gebhardts Flugzeug mit Verspätung landete, hatten bereits die deutschen Ärzte Josef Hohlbaum und Walther Dick die Operation vorgenommen. Auch von den renommierten Ärzten Morell (Hitlers Leibarzt) und Ferdinand Sauerbruch wurde sofortige Hilfe angeboten. Gebhardt – ehemaliger Schüler Sauerbruchs, der nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 von Gebhardt davor gewarnt worden sein soll, in die Schweiz zu reisen, da er sich dadurch einer Mitschuld verdächtig machen könnte (Gebhardt soll zudem Hitler von Sauerbruchs Unschuld überzeugt haben)[3] – lehnte diese jedoch ab und überwachte Heydrichs Genesung alleine. Laut seiner Ansicht hätte das Eingreifen mehrerer Ärzte zu schädlicher Nervosität führen können.[4] Heydrichs Verletzungen hätten nicht zwangsläufig zum Tod führen müssen, jedoch waren Teile des zerrissenen Wagensitzes in die Wunden geraten. Heydrichs Zustand verbesserte sich nach der Operation. Am 3. Juni konnte er seine Mittagsmahlzeit schon im Sitzen einnehmen. Plötzlich kollabierte Heydrich jedoch und verstarb am 4. Juni 1942. Heydrichs Tod stellte für Gebhardt ein Debakel dar, vor allem, da er die Hilfe berühmter Ärzte abgelehnt hatte. Zusätzlich geriet Gebhardt in eine gefährliche Situation, als Morell anmerkte, es wäre eventuell anders ausgegangen, hätte man sein neues Sulfonamid Ultraseptyl eingesetzt.

Sulfonamid-Experimente

Sulfonamide (Antibiotika) wurden noch vor dem Penicillin entdeckt. Domagk hatte hierfür 1939 den Nobelpreis für Medizin erhalten, den er auf Befehl Hitlers jedoch nicht annehmen durfte. Viele deutsche Ärzte trauten der neuen Arznei nicht. In den Lazaretten des Deutschen Reichs starben damals mehr Soldaten an Sepsis (Blutvergiftung) als an der Front fielen.[5] Der Reichsführer SS Himmler entschied, die Anwendbarkeit und Wirksamkeit der Sulfonamide solle an KZ-Häftlingen erprobt werden. Die medizinischen Experimente standen unter der Leitung von Reichsarzt SS Grawitz. Auch Gebhardts Rehabilitierung hing nun vom Ausgang der Sulfonamid-Experimente ab.

Am 20. Juli 1942 begannen die ersten der Sulfonamid-Experimente an 57 Insassen des KZ Ravensbrück.[6] Gebhardt hatte erreicht, die Experimente selbst leiten und beurteilen zu dürfen. Er versuchte Kriegsverletzungen zu simulieren, indem er den Opfern beispielsweise eine Wade aufschneiden, Muskeln quetschen und Stoff bzw. Holzsplitter und ähnliche Materialien in die Wunde einnähen ließ. Er testete verschiedene Sulfonamide nach von ihm festgelegten Kriterien. Am vierten Tag des Experiments ließ er die eiternden Wunden öffnen, d. h. chirurgisch behandeln. Bei den Versuchsreihen kam es insgesamt zu zahlreichen Todesfällen, unter anderem durch künstlich hervorgerufene Blutvergiftungen, bei denen man Häftlingen Eiter in die Venen spritzte. Grawitz legte Himmler am 29. August zwei Zwischenberichte über die Ergebnisse vor:[7] Laut Gebhardt seien Sulfonamide nicht in der Lage, eine Infektion zu verhindern, einzig ein chirurgischer Eingriff könne den Patienten retten. Jedoch das Medikament Katoxyn, das Heydrich offenbar verabreicht worden war, sei in der Lage, einen Heilungsprozess zu beschleunigen. Gebhardt wies darauf hin, dass es ihm nicht gelungen war, an Häftlingen Gasbrand mit ernsthaftem Krankheitsverlauf hervorzurufen.[8]

Am 3. September inspizierte Grawitz das KZ Ravensbrück. Er ordnete an, den Frauen Schussverletzungen zuzufügen, und bezeichnete die bisher zugefügten Wunden als „Mückenstiche“. Danach begann Gebhardt an einer neuen Versuchsreihe an 24 polnischen Frauen. Er fügte den Frauen keine Schusswunden zu, sondern impfte sie mit Eiter von an Gasbrand Erkrankten und erprobte die Wirkung der Sulfonamide. Er konnte tatsächlich eine starke Infektion mit Gasbrand erzeugen, drei Frauen starben.

Am 9. September 1942 rehabilitierte Himmler seinen Jugendfreund Gebhardt sowie die beiden Ärzte in Prag, Hollbaum und Dick in einem Dankesbrief, es sei bei der Behandlung Heydrichs alles getan worden, jenes „wertvolle und teuere Blut zu erhalten“.[9] Die Sulfonamid-Versuchsreihe ließ er zu Schütz, dem Leiter der „Biochemischen Versuchsstation“ im Krankenrevier des Konzentrationslagers Dachau verlegen.

Orthopädische Experimente

Gebhardt konnte sich nun wieder auf das Fachgebiet Orthopädie konzentrieren. Er ließ einigen polnischen Frauen beispielsweise mit dem Hammer Knochen zertrümmern, um mögliche Kriegsverwundungen und geeignete Heilmethoden zu erforschen. Im Nürnberger Ärzteprozess konnte belegt werden, dass er eine Gefangene ermorden ließ, um seinem Patienten Franz Ladisch ein neues Schulterblatt implantieren zu können.[10]

Polygal-Experimente

1943 waren einige SS-Ärzte, besonders Gebhardt, Polygal gegenüber skeptisch.[11] Rascher hatte daraufhin die blutstillende Wirksamkeit von Polygal nachzuweisen und gab Tabletten an KZ-Häftlinge aus.

Meerwasser-Versuche

Im Juni 1944 befürwortete Gebhardt die von der Luftwaffe erbetenen Versuchsreihen an KZ-Häftlingen, um die schädlichen Auswirkungen von Meerwasser einschätzen zu können.[12]

Beförderungen

Kriegsende

Nach Kriegsende begleitete Gebhardt Himmler auf dessen Flucht, die zunächst über die sogenannte Rattenlinie Nord nach Flensburg führte.[13] Als Himmler an der dortigen letzten Reichsregierung nicht beteiligt wurde, ging dieser mit Gefolge wieder nach Süden. Gebhardt wurde mit Himmler und dessen Gefolge am 21. oder 22. Mai 1945 in Bremervörde gefasst.

Prozess, Verurteilung und Tod

Gebhardt als Angeklagter im Nürnberger Ärzteprozess, 1946/47

Am 9. Dezember 1946 begann der Nürnberger Ärzteprozess, in dem Gebhardt wegen tödlicher Sulfonamid-Experimente an weiblichen KZ-Insassen und verbrecherischer chirurgischer Eingriffe angeklagt wurde. Gebhardt titulierte sich in einer eidesstattlichen Versicherung als Präsident des DRK. Er gab an, er sei am 23. April 1945 Präsident des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) geworden. Die Anklagebehörde unter Telford Taylor übernahm diese Angaben in die Anklageschrift. Auch in das Eröffnungsplädoyer und das Urteil gegen Gebhardt sind diese Behauptungen eingegangen. Es handelte sich aber um eine Schutzbehauptung[14], auch wenn sie gelegentlich weiterhin vorgetragen wird.[15] Gebhardt wurde wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen am 20. August 1947 zum Tode verurteilt und am 2. Juni 1948 gehängt.

Literatur

Commons: Karl Gebhardt – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Kösener Corpslisten 1960, 104, 1451
  2. SS-Personalamt: SS-Dienstaltersliste vom 1. Dezember 1938, lfd. Nr. 292
  3. Ferdinand Sauerbruch, Hans Rudolf Berndorff: Das war mein Leben. Kindler & Schiermeyer, Bad Wörishofen 1951; benutzt: Lizenzausgabe für Bertelsmann Lesering, Gütersloh 1956, S. 421.
  4. Aussage Prof. Gebhardt. NOR 1, Prot. S. 4050–4051 G. – Anm.: Der tschechische Historiker Stanislav Zámečník und ehemalige Häftling des KZ Dachau vermutet, Gebhardt wollte den erwarteten Erfolg der Operation mit niemandem teilen. Vgl. Zámečník: Das war Dachau. Luxemburg, 2002, S. 285 ff.
  5. Zámečník, S. 286.
  6. Silke Schäfer: Zum Selbstverständnis von Frauen im Konzentrationslager. Das Lager Ravensbrück. Dissertation TU Berlin 2002, urn:nbn:de:kobv:83-opus-4303, doi:10.14279/depositonce-528.
  7. Zwischenbericht Gebhardts (PDF; 476 kB) In: Claudia Taake: Angeklagt: SS-Frauen vor Gericht. Diplomarbeit, Universität Oldenburg, 1999. BIS Verlag, ISBN 3-8142-0640-1.
  8. Zámečník, S. 287.
  9. Reichsführer! Briefe, S. 175 f.
  10. siehe auch oekostadt-online.de (Memento vom 27. September 2011 im Internet Archive)Vorlage:Webarchiv/Wartung/Linktext_fehlt
  11. Vgl. Schreiben Brandts vom 29. November 1943 an Sievers, Dok. NO-612, zitiert in NOR 1 S. 1006–1007 G.
  12. Dokument VEJ 11/146 in: Lisa Hauff (Bearb.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945 (Quellensammlung), Band 11: Deutsches Reich und Protektorat Böhmen und Mähren April 1943–1945. Berlin/Boston 2020, ISBN 978-3-11-036499-6, S. 427–428.
  13. Stephan Link: „Rattenlinie Nord“. Kriegsverbrecher in Flensburg und Umgebung im Mai 1945. In: Gerhard Paul, Broder Schwensen (Hrsg.): Mai ’45. Kriegsende in Flensburg. Flensburg 2015, S. 21.
  14. Birgit Morgenbrod, Stephanie Merkenich: Das Deutsche Rote Kreuz unter NS-Diktatur 1933-1945, Paderborn 2008, Seite 419 ff
  15. Medizingeschichte: Der Nürnberger Ärzteprozes von Wolfgang U. Eckart. In: Deutsches Ärzteblatt vom 21. August 2017, PDF (376 kB) [1]