„Giftvögel“ – Versionsunterschied

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'''Giftvögel''' sind Vögel, die verschiedene Gifte zu Verteidigungszwecken einsetzen. Die Vögel stellen diese Gifte nicht selber her, sondern nehmen sie entweder mit der Nahrung auf oder reiben sich damit ein. Das Gift stammt von Tieren und Pflanzen, von denen sich die Vögel ernähren, üblicherweise von giftigen Insekten.
'''Giftvögel''' sind [[Vögel]], die verschiedene [[Toxin]]e ([[Gift]]stoffe) zu Verteidigungszwecken einsetzen. Die Vögel synthetisieren diese Toxine nicht selbst, sondern nehmen sie entweder mit der tierischen oder pflanzlichen Nahrung auf ([[Sequestrierung von Toxinen]]) oder reiben sich damit ein.


== Bekannte Arten ==
== Bekannte Arten ==
Der [[Zweifarbenpitohui]], der [[Einfarbenpitohui]], der [[Blaukappenflöter]] und der [[Walddickkopf]] nutzen [[Steroidalkaloide]] wie [[Batrachotoxin]], die sich in ihrer Haut und ihren Federn ablagern. Die afrikanische [[Sporngans]] ist giftig, da ihr Gewebe Gift von den [[Ölkäfer]]n enthält, von denen sich die Sporngans ernährt. Es ist auch bekannt, dass der Verzehr von [[Wachtel (Art)|Wachteln]], bei denen zu bestimmten Zeiten Gifte nachweisbar sind, [[Coturnismus]] verursachen kann. Diese Vergiftung durch Wachtelfleisch wird schon in der Bibel beschrieben<ref name="Bibel">{{Bibel|Num|11,31–34}}</ref>. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung des Menschen durch Muskelfaserauflösung und die Folgen einer [[Rhabdomyolyse]], die nach dem Verzehr von Wachteln auftritt, die sich von giftigen Pflanzen ernährt haben. Der Name leitet sich vom lateinischen Namen der Wachtel, ''Coturnix coturnix'', ab.
Der [[Zweifarbenpitohui]], der [[Einfarbenpitohui]], der [[Blaukappenflöter]], der [[Oliv-Haubendickkopf]] und der [[Walddickkopf]] nutzen [[Steroidalkaloide]] wie [[Batrachotoxin]], die sich in ihrer Haut und ihren Federn ablagern. Die afrikanische [[Sporngans]] ist giftig, da ihr Gewebe Gift von den [[Ölkäfer]]n enthält, von denen sich die Sporngans ernährt. Es ist auch bekannt, dass der Verzehr von [[Wachtel (Art)|Wachteln]] [[Coturnismus]] verursachen kann. Dabei handelt es sich um eine [[Rhabdomyolyse]], also um eine Auflösung der Muskelfasern. Als Ursache wird vermutet, dass die Wachteln zuvor giftige Pflanzen gefressen haben. Der Name der Erkrankung leitet sich vom lateinischen Namen der Wachtel, ''Coturnix coturnix'', ab. Die in der Bibel genannte Plage, der ein Teil des Volkes Israel auf seinem Zug durch die Wüste zum Opfer fiel, war möglicherweise diese Vergiftung. Es hatte die vom Himmel gefallenen Wachteln eingesammelt und gegessen.<ref name="Bibel">{{Bibel|Num|11,31–34}}</ref><ref name="MTsironi">M. Tsironi: ''The patient with rhabdomyolysis: Have you considered quail poisoning?.'' In: ''Canadian Medical Association Journal.'' 171, 2004, S.&nbsp;325–326, [[doi:10.1503/cmaj.1031256]].</ref>


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Rectes leucorhynchus - The Birds of New Guinea (cropped).jpg|Einfarbenpitohui
Rectes leucorhynchus - The Birds of New Guinea (cropped).jpg|Einfarbenpitohui
Ifrita kowaldi 1899.jpg|Blaukappenflöter
Ifrita kowaldi 1899.jpg|Blaukappenflöter
Rufous-naped Bellbird. Aleadryas rufinucha (48826745946) (cropped).jpg|Oliv-Haubendickkopf<ref>GEO 07/2023, S. 106, Gibt es giftige Vögel?</ref>
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Sporengans 1 Plectropterus gambensis.jpg |Sporngans
Sporengans 1 Plectropterus gambensis.jpg |Sporngans
Coturnix coturnix (Lmbuga) (cropped).jpg |Wachtel
Coturnix coturnix (Lmbuga) (cropped).jpg |Wachtel
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== Geschichte ==
== Forschungsgeschichte ==
Erste Hinweise auf Giftstoffe in Vögeln fand der Naturforscher [[Hugh B. Cott]] beim Sammeln und Häuten von Vögeln 1941 in Ägypten. Dabei fiel ihm auf, dass Hornissen zwar von einem frisch gehäuteten Vogelkadaver einer [[Palmtaube]] fraßen, einen daneben liegenden Kadaver eines [[Graufischer]]s aber nicht berührten.<ref name="PJWeldon">Paul J. Weldon: ''Avian chemical defense: toxic birds not of a feather.'' In: ''Proceedings of the National Academy of Sciences,'' 97, 2000, S.&nbsp;12948–12949.</ref>
Erste Hinweise auf Giftstoffe in Vögeln fand der Naturforscher [[Hugh B. Cott]] beim Sammeln und Häuten von Vögeln 1941 in Ägypten. Dabei fiel ihm auf, dass Hornissen zwar von einem frisch gehäuteten Vogelkadaver einer [[Palmtaube]] fraßen, einen daneben liegenden Kadaver eines [[Graufischer]]s aber nicht berührten.<ref name="PJWeldon">Paul J. Weldon: ''Avian chemical defense: toxic birds not of a feather.'' In: ''Proceedings of the National Academy of Sciences,'' 97, 2000, S.&nbsp;12948–12949.</ref>


Im Jahr 1992 entdeckte [[John Dumbacher]] bei Feldforschung an [[Raggi-Paradiesvogel|Raggi-Paradiesvögeln]] im Variarata-Nationalpark in [[Papua-Neuguinea]], dass eine der dort weit verbreiteten Vogelart, die Pitohui-Vögel, ein Toxin in ihren Federn und im Muskelgewebe enthielten.<ref name="JTidwell">John Tidwell: ''The intoxicating birds of New Guinea.'' In: ''ZooGoer.'', Bd. 30, Nr. 2., 2001.</ref> Dieses Toxin wurde als [[Batrachotoxin]] identifiziert, ein Steroidalkaloid, das bis dahin nur aus der Haut südamerikanischer [[Baumsteigerfrösche|Pfeilgiftfrösche]] der Gattung [[Blattsteiger]] (Phyllobates) bekannt war.
Im Jahr 1992 entdeckte [[John Dumbacher]] bei Feldforschung an [[Raggi-Paradiesvogel|Raggi-Paradiesvögeln]] im Variarata-Nationalpark in [[Papua-Neuguinea]], dass eine dort weit verbreitete Vogelart, die Pitohui-Vögel, ein Toxin in ihren Federn und im Muskelgewebe enthielt.<ref name="JTidwell">John Tidwell: ''The intoxicating birds of New Guinea.'' In: ''ZooGoer.'', Bd. 30, Nr. 2., 2001.</ref> Dieses Toxin wurde als [[Batrachotoxin]] identifiziert, ein Steroidalkaloid, das bis dahin nur aus der Haut südamerikanischer [[Baumsteigerfrösche|Pfeilgiftfrösche]] der Gattung [[Blattsteiger]] (Phyllobates) bekannt war.


== Gifte und Giftquellen ==
== Gifte und Giftquellen ==
[[Datei:Batrachotoxin.png|mini|hochkant=1.0|Strukturformel von Batrachotoxin.]]
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[[Datei:Cantharidin-2D.svg|mini|hochkant=0.5|Strukturformel von Cantharidin.]]
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Bei der Untersuchung der Vögel wurden verschiedene, vorher nicht bekannte [[Kongenere]] des Batrochotoxins wie Batrachotoxinin-A-20R-cis-crotonat, Batrachotoxinin-A-20R-3´-hydroxypentanoat, Batrachotoxinin-A-20R-acetat sowie Homobatrachotoxin nachgewiesen.<ref name="JPDumbacher2">J. P. Dumbacher, T. F. Spande, J. W. Daly: ''Batrachotoxin alkaloids from passerine birds: A second toxic bird genus (Ifrita kowaldi) from New Guinea.'' In: ''Proceedings of the National Academy of Sciences.'' 97, 2000, S.&nbsp;12970–12975, [[doi:10.1073/pnas.200346897]].</ref> Die höchsten Batrachotoxinwerte wurden in den Konturfedern von Bauch, Brust oder Beinen der Vögel gefunden, geringere Mengen finden sich in Kopf-, Rücken-, Schwanz- und Flügelfedern. Die Giftmenge variierte zwischen den verschiedene Populationen von Pitohui und Ifrita.
Bei der Untersuchung der Pitohui-Vögel wurden verschiedene, vorher nicht bekannte [[Kongenere]] des Batrachotoxins wie Batrachotoxinin-A-20R-cis-crotonat, Batrachotoxinin-A-20R-3´-hydroxypentanoat, Batrachotoxinin-A-20R-acetat sowie Homobatrachotoxin nachgewiesen.<ref name="JPDumbacher2">J. P. Dumbacher, T. F. Spande, J. W. Daly: ''Batrachotoxin alkaloids from passerine birds: A second toxic bird genus (Ifrita kowaldi) from New Guinea.'' In: ''Proceedings of the National Academy of Sciences.'' 97, 2000, S.&nbsp;12970–12975, [[doi:10.1073/pnas.200346897]].</ref> Die höchsten Batrachotoxinwerte wurden in den [[Konturfeder]]n von Bauch, Brust oder Beinen der Vögel gefunden, geringere Mengen finden sich in Kopf-, Rücken-, Schwanz- und Flügelfedern. Die Giftmenge variierte zwischen den verschiedenen Populationen von Pitohui und Ifrita.


Die Vögel nehmen die Batrachotoxine aus ihrer Nahrung auf, insbesondere aus dem giftigen Melyridkäfer [[Choresine]]. Bei der Analyse des Mageninhalts von Pitohui-Vögeln wurden Choresine-Käfer sowie zahlreiche andere kleine Käfer und Arthropoden gefunden.<ref name="JDumbacher1">John P. Dumbacher u.&nbsp;a.: ''Melyrid beetles (Choresine): a putative source for the batrachotoxin alkaloids found in poison-dart frogs and toxic passerine birds.'' In: ''Proceedings of the National Academy of Sciences''. 101, 2004, S.&nbsp;15857–15860; [[doi:10.1073/pnas.0407197101]].</ref> Es wird vermutet, dass die Toxine hauptsächlich zur Abwehr von Ektoparasiten wie Läusen oder gegen bakterielle Hautinfektionen dienen.<ref name="DHClayton">Dale H. Clayton u.&nbsp;a.: ''How birds combat ectoparasites.'' In: ''The Open Ornithology Journal'', 2010, S.&nbsp;41 –71, [[doi: 10.2174/1874453201003010041]].</ref> Bei In-vitro-Versuchen wurde festgestellt, dass Läuse auf Pitohui-Federn eher absterben als Läuse auf ungiftigen Federn. Pitohuis scheinen nur einer geringen Zeckenbelastung ausgesetzt zu sein. Eine andere Studie zeigte, dass die Pitohui vergleichsweise wenige Blutparasiten wie etwa [[Plasmodien]] aufweisen.<ref name="DHClayton" />
Die Vögel nehmen die Batrachotoxine aus ihrer Nahrung auf, insbesondere aus dem giftigen Melyridkäfer [[Choresine]]. Bei der Analyse des Mageninhalts von Pitohui-Vögeln wurden Choresine-Käfer sowie zahlreiche andere kleine Käfer und Arthropoden gefunden.<ref name="JDumbacher1">John P. Dumbacher u.&nbsp;a.: ''Melyrid beetles (Choresine): a putative source for the batrachotoxin alkaloids found in poison-dart frogs and toxic passerine birds.'' In: ''Proceedings of the National Academy of Sciences''. 101, 2004, S.&nbsp;15857–15860; [[doi:10.1073/pnas.0407197101]].</ref> Es wird vermutet, dass die Toxine hauptsächlich zur Abwehr von Ektoparasiten wie Läusen oder gegen bakterielle Hautinfektionen dienen.<ref name="DHClayton">Dale H. Clayton u.&nbsp;a.: ''How birds combat ectoparasites.'' In: ''The Open Ornithology Journal'', 2010, S.&nbsp;41–71, [[doi: 10.2174/1874453201003010041]].</ref> Bei In-vitro-Versuchen wurde festgestellt, dass Läuse auf Pitohui-Federn eher absterben als Läuse auf ungiftigen Federn. Pitohuis scheinen nur einer geringen Zeckenbelastung ausgesetzt zu sein. Eine andere Studie zeigte, dass die Pitohui vergleichsweise wenige Blutparasiten wie etwa [[Plasmodien]] aufweisen.<ref name="DHClayton" />


Die Toxine dienen möglicherweise dem Schutz vor [[Fressfeind]]en wie Schlangen. Die orange und schwarze Färbung des Zweifarbenpitohui ist vermutlich [[Aposematismus|aposematisch]] und wird von verwandten Vögeln wie ''P. kirhocephalus'' nachgeahmt.<ref name="PJWeldon" />
Die Toxine dienen möglicherweise dem Schutz vor [[Fressfeind]]en wie Schlangen. Die orange und schwarze Zeichnung des Zweifarbenpitohui dient vermutlich als Warnfärbung ([[Aposematismus]]) und wird von verwandten Vögeln wie ''P. kirhocephalus'' nachgeahmt.<ref name="PJWeldon" />


Die Sporngänse sind immun gegen das Gift [[Cantharidin]], das sie über verzehrte Ölkäfer aufnehmen. Dadurch werden sie selbst giftig für Fressfeinde. Das Wachtelgift ist noch nicht bekannt. Es wurde lange vermutet, dass es sich bei der toxischen Substanz der Wachteln um [[Coniin]] handelt, ein [[Pseudoalkaloide|Pseudoalkaloid]], das sich vom [[Piperidin]] ableitet und in Pflanzen wie dem [[Gefleckter Schierling|Gefleckten Schierling]] vorkommt. Dies konnte mittlerweile widerlegt werden.<ref name="BWKennedy">Bruce W. Kennedy, Louis Evan Grivetti: ''Toxic quail: A cultural‐ecological investigation of coturnism.'' In: ''Ecology of Food and Nutrition.'' 9, 2010, S.&nbsp;15–41, [[doi:10.1080/03670244.1980.9990580]].</ref> Coturnismus ist seit der Antike bekannt. Die Krankheit tritt vorwiegend in [[Algerien]], [[Frankreich]], [[Griechenland]] sowie [[Russland]] auf. Wachteln sind in Algerien und Frankreich im Frühjahr währende der Migration nach Norden giftig. Beim Flug in den Süden im Herbst ist der Verzehr sicher. Dieses Muster ist in Griechenland und der Sowjetunion umgekehrt, wo Wachteln auf dem südlichen Herbstflug giftig sind.<ref name="DCLewis">David C. Lewis, Elizabeth Metallinos-Katzaras, Louis E. Grivetti: ''Coturnism: Human Poisoning By European Migratory Quail.'' In: ''Journal of Cultural Geography.'' 7, 1987, S.&nbsp;51–65, [[doi:10.1080/08873638709478507]].</ref>
Die Sporngänse sind immun gegen das Gift [[Cantharidin]], das sie über verzehrte Ölkäfer aufnehmen. Dadurch werden sie selbst giftig für Fressfeinde. Das Wachtelgift ist bisher nicht bekannt. Es wurde lange vermutet, dass es sich bei der toxischen Substanz der Wachteln um [[Coniin]] handelt, ein [[Pseudoalkaloide|Pseudoalkaloid]], das sich vom [[Piperidin]] ableitet und in Pflanzen wie dem [[Gefleckter Schierling|Gefleckten Schierling]] vorkommt. Dies konnte mittlerweile widerlegt werden.<ref name="BWKennedy">Bruce W. Kennedy, Louis Evan Grivetti: ''Toxic quail: A cultural‐ecological investigation of coturnism.'' In: ''Ecology of Food and Nutrition.'' 9, 2010, S.&nbsp;15–41, [[doi:10.1080/03670244.1980.9990580]].</ref> Coturnismus ist seit der Antike bekannt. Die Krankheit tritt vorwiegend in [[Algerien]], [[Frankreich]], [[Griechenland]] sowie [[Russland]] auf. Wachteln sind in Algerien und Frankreich im Frühjahr während der Migration nach Norden giftig. Beim Flug in den Süden im Herbst ist der Verzehr sicher. Dieses Muster ist in Griechenland und in Russland umgekehrt, wo Wachteln auf dem südlichen Herbstflug giftig sind.<ref name="DCLewis">David C. Lewis, Elizabeth Metallinos-Katzaras, Louis E. Grivetti: ''Coturnism: Human Poisoning By European Migratory Quail.'' In: ''Journal of Cultural Geography.'' 7, 1987, S.&nbsp;51–65, [[doi:10.1080/08873638709478507]].</ref>


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Aktuelle Version vom 6. Juli 2024, 22:05 Uhr

Zweifarbenpitohui, dessen Federn mit dem Nervengift Batrachotoxin versetzt sind.

Giftvögel sind Vögel, die verschiedene Toxine (Giftstoffe) zu Verteidigungszwecken einsetzen. Die Vögel synthetisieren diese Toxine nicht selbst, sondern nehmen sie entweder mit der tierischen oder pflanzlichen Nahrung auf (Sequestrierung von Toxinen) oder reiben sich damit ein.

Bekannte Arten

Der Zweifarbenpitohui, der Einfarbenpitohui, der Blaukappenflöter, der Oliv-Haubendickkopf und der Walddickkopf nutzen Steroidalkaloide wie Batrachotoxin, die sich in ihrer Haut und ihren Federn ablagern. Die afrikanische Sporngans ist giftig, da ihr Gewebe Gift von den Ölkäfern enthält, von denen sich die Sporngans ernährt. Es ist auch bekannt, dass der Verzehr von Wachteln Coturnismus verursachen kann. Dabei handelt es sich um eine Rhabdomyolyse, also um eine Auflösung der Muskelfasern. Als Ursache wird vermutet, dass die Wachteln zuvor giftige Pflanzen gefressen haben. Der Name der Erkrankung leitet sich vom lateinischen Namen der Wachtel, Coturnix coturnix, ab. Die in der Bibel genannte Plage, der ein Teil des Volkes Israel auf seinem Zug durch die Wüste zum Opfer fiel, war möglicherweise diese Vergiftung. Es hatte die vom Himmel gefallenen Wachteln eingesammelt und gegessen.[1][2]

Forschungsgeschichte

Erste Hinweise auf Giftstoffe in Vögeln fand der Naturforscher Hugh B. Cott beim Sammeln und Häuten von Vögeln 1941 in Ägypten. Dabei fiel ihm auf, dass Hornissen zwar von einem frisch gehäuteten Vogelkadaver einer Palmtaube fraßen, einen daneben liegenden Kadaver eines Graufischers aber nicht berührten.[4]

Im Jahr 1992 entdeckte John Dumbacher bei Feldforschung an Raggi-Paradiesvögeln im Variarata-Nationalpark in Papua-Neuguinea, dass eine dort weit verbreitete Vogelart, die Pitohui-Vögel, ein Toxin in ihren Federn und im Muskelgewebe enthielt.[5] Dieses Toxin wurde als Batrachotoxin identifiziert, ein Steroidalkaloid, das bis dahin nur aus der Haut südamerikanischer Pfeilgiftfrösche der Gattung Blattsteiger (Phyllobates) bekannt war.

Gifte und Giftquellen

Strukturformel von Batrachotoxin.
Strukturformel von Cantharidin.

Bei der Untersuchung der Pitohui-Vögel wurden verschiedene, vorher nicht bekannte Kongenere des Batrachotoxins wie Batrachotoxinin-A-20R-cis-crotonat, Batrachotoxinin-A-20R-3´-hydroxypentanoat, Batrachotoxinin-A-20R-acetat sowie Homobatrachotoxin nachgewiesen.[6] Die höchsten Batrachotoxinwerte wurden in den Konturfedern von Bauch, Brust oder Beinen der Vögel gefunden, geringere Mengen finden sich in Kopf-, Rücken-, Schwanz- und Flügelfedern. Die Giftmenge variierte zwischen den verschiedenen Populationen von Pitohui und Ifrita.

Die Vögel nehmen die Batrachotoxine aus ihrer Nahrung auf, insbesondere aus dem giftigen Melyridkäfer Choresine. Bei der Analyse des Mageninhalts von Pitohui-Vögeln wurden Choresine-Käfer sowie zahlreiche andere kleine Käfer und Arthropoden gefunden.[7] Es wird vermutet, dass die Toxine hauptsächlich zur Abwehr von Ektoparasiten wie Läusen oder gegen bakterielle Hautinfektionen dienen.[8] Bei In-vitro-Versuchen wurde festgestellt, dass Läuse auf Pitohui-Federn eher absterben als Läuse auf ungiftigen Federn. Pitohuis scheinen nur einer geringen Zeckenbelastung ausgesetzt zu sein. Eine andere Studie zeigte, dass die Pitohui vergleichsweise wenige Blutparasiten wie etwa Plasmodien aufweisen.[8]

Die Toxine dienen möglicherweise dem Schutz vor Fressfeinden wie Schlangen. Die orange und schwarze Zeichnung des Zweifarbenpitohui dient vermutlich als Warnfärbung (Aposematismus) und wird von verwandten Vögeln wie P. kirhocephalus nachgeahmt.[4]

Die Sporngänse sind immun gegen das Gift Cantharidin, das sie über verzehrte Ölkäfer aufnehmen. Dadurch werden sie selbst giftig für Fressfeinde. Das Wachtelgift ist bisher nicht bekannt. Es wurde lange vermutet, dass es sich bei der toxischen Substanz der Wachteln um Coniin handelt, ein Pseudoalkaloid, das sich vom Piperidin ableitet und in Pflanzen wie dem Gefleckten Schierling vorkommt. Dies konnte mittlerweile widerlegt werden.[9] Coturnismus ist seit der Antike bekannt. Die Krankheit tritt vorwiegend in Algerien, Frankreich, Griechenland sowie Russland auf. Wachteln sind in Algerien und Frankreich im Frühjahr während der Migration nach Norden giftig. Beim Flug in den Süden im Herbst ist der Verzehr sicher. Dieses Muster ist in Griechenland und in Russland umgekehrt, wo Wachteln auf dem südlichen Herbstflug giftig sind.[10]

Einzelnachweise

  1. (Num 11,31–34 EU)
  2. M. Tsironi: The patient with rhabdomyolysis: Have you considered quail poisoning?. In: Canadian Medical Association Journal. 171, 2004, S. 325–326, doi:10.1503/cmaj.1031256.
  3. GEO 07/2023, S. 106, Gibt es giftige Vögel?
  4. a b Paul J. Weldon: Avian chemical defense: toxic birds not of a feather. In: Proceedings of the National Academy of Sciences, 97, 2000, S. 12948–12949.
  5. John Tidwell: The intoxicating birds of New Guinea. In: ZooGoer., Bd. 30, Nr. 2., 2001.
  6. J. P. Dumbacher, T. F. Spande, J. W. Daly: Batrachotoxin alkaloids from passerine birds: A second toxic bird genus (Ifrita kowaldi) from New Guinea. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. 97, 2000, S. 12970–12975, doi:10.1073/pnas.200346897.
  7. John P. Dumbacher u. a.: Melyrid beetles (Choresine): a putative source for the batrachotoxin alkaloids found in poison-dart frogs and toxic passerine birds. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. 101, 2004, S. 15857–15860; doi:10.1073/pnas.0407197101.
  8. a b Dale H. Clayton u. a.: How birds combat ectoparasites. In: The Open Ornithology Journal, 2010, S. 41–71, doi: 10.2174/1874453201003010041.
  9. Bruce W. Kennedy, Louis Evan Grivetti: Toxic quail: A cultural‐ecological investigation of coturnism. In: Ecology of Food and Nutrition. 9, 2010, S. 15–41, doi:10.1080/03670244.1980.9990580.
  10. David C. Lewis, Elizabeth Metallinos-Katzaras, Louis E. Grivetti: Coturnism: Human Poisoning By European Migratory Quail. In: Journal of Cultural Geography. 7, 1987, S. 51–65, doi:10.1080/08873638709478507.