Deutsche Wohnen & Co. enteignen

Kampagnenplakat zum Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ im August 2021

Deutsche Wohnen & Co. enteignen (kurz DW enteignen) ist eine Bürgerinitiative in Berlin, die einen Volksentscheid über die Vergesellschaftung privater Wohnungsgesellschaften zum Ziel hat. Dabei sollen Wohnungsunternehmen enteignet, für die Enteignung entschädigt und die Wohnungen in eine Anstalt des öffentlichen Rechts überführt werden. Dies beträfe 243.000 der rund 1,5 Millionen Mietwohnungen in Berlin. Als Gründe werden steigende Mieten auf dem Berliner Wohnungsmarkt und zum Teil unterlassene Instandhaltungen durch große Immobilienfirmen angeführt. Primäres Ziel, und daher auch Name der Initiative, ist die Wohnungsgesellschaft Deutsche Wohnen, die mit ca. 110.000 Wohnungen die größte Vermieterin in Berlin ist[1] und gemäß der Initiative eine Politik der permanenten Mietzinsmaximierung verfolge.[2]

Entstehung

Rouzbeh Taheri, der als einer der Köpfe der Initiative gilt, und Michael Prütz berichteten 2019 in einem Spiegel-Interview, wie 2017 die Idee entstand, einen Volksentscheid zu initiieren. Den Spruch „Deutsche Wohnen enteignen“ habe es jedoch schon zuvor bei der Berliner Initiative „Kotti & Co.“ gegeben.[3] Kotti & Co hat die Forderung nach Enteignung auch im Rahmen einer kleinen Kampagne „Wir wollen unsere Häuser zurück“ 2016 an die Öffentlichkeit getragen.[4]

Verlauf

Quorum erreicht

Die Initiative hatte bis zum 25. Juni 2021 mehr als 349.000 Unterschriften gesammelt. 261.000 wurden bisher geprüft und bereits 175.000 als gültig anerkannt. Damit ist das Quorum erreicht: Etwas mehr als 170.000 Unterschriften waren nötig (sieben Prozent der zum Abgeordnetenhaus Wahlberechtigten).

Volksentscheid am 26. September

Am 26. September 2021 findet nun der Volksentscheid über die Enteignung statt, gleichzeitig zu den Wahlen zum Deutschen Bundestag und dem Berliner Abgeordnetenhaus. Laut Verfassung von Berlin müssten dann „mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten“ – das entspricht rund 613.000 – dafür stimmen, damit der Entscheid Erfolg hat.[5]

Konsequenzen bei Erfolg

Da es sich um einen sogenannten „Beschlussvolksentscheid“ handelt, würde bei einem Erfolg dieser Abstimmung der Senat lediglich aufgefordert, alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Art. 15 Grundgesetz erforderlich sind. Dabei hat er mehr Umsetzungsspielraum als bei einem Gesetzesvolksentscheid, bei dem bereits ein fest formuliertes Gesetz zur Abstimmung gestellt wird. Der Senat hat auch die Möglichkeit, auf die Ausarbeitung eines entsprechenden Gesetzes zu verzichten.[6]

Inhalt

Nach Ansicht der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen machten Immobilienkonzerne in Berlin fette Profite durch steigende Mieten. Durch die Vergesellschaftung könnten in über 240.000 Wohnungen die Mieten gesenkt werden. Denn von den Mieten müssten dann nicht mehr der Profit von Deutsche Wohnen & Co bezahlt werden, sondern nur noch die tatsächlich entstehenden Kosten. Die Mietsenkungen hätten auch einen Einfluss auf den restlichen Wohnungsmarkt.[2]

Der Senat von Berlin hingegen rechnet bei kommunaler Bewirtschaftung der zu vergesellschaftenden Wohnungen mit laufenden Kosten, welche die unveränderten Bestandsmieten um 100 bis 340 Millionen Euro pro Jahr übersteigen. Sollten die Mieten gesenkt werden – wie es die Initiative fordert – wäre sogar mit deutlich höheren laufenden Verlusten zu rechnen. Weiterhin würden die zusätzlichen Kreditzinsen den Stadthaushalt belasten.[7]

Sozialisiert werden sollen die Immobilien von Wohnungsbauunternehmen und anderen Immobilienunternehmen, die am 26. September 2021 mindestens 3.000 Mietwohnungen in Berlin besitzen. Dies beträfe mutmaßlich neben Deutsche Wohnen auch Vonovia, Akelius aus Schweden, das französische Unternehmen Covivio, TAG Immobilien aus Hamburg, sowie Grand City Properties und die Adler Group, die beide ihren Sitz in Luxemburg haben. Nach Angaben der Initiative wären 243.000 der rund 1,5 Millionen Mietwohnungen in Berlin von der Enteignung betroffen.[8]

Die Initiative beruft sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes, der die Überführung von Privat- in Gemeineigentum vorsieht, bisher aber noch nie angewandt wurde.[9] Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend. Außerdem findet auch Artikel 28 Absatz 1 der Verfassung von Berlin Erwähnung. In Art. 28 VvB (Recht auf Wohnraum und dessen Unverletzlichkeit) heißt es:

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Das Land fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, sowie die Bildung von Wohnungseigentum.[10]

Aus der Kombination beider Artikel wird abgeleitet, dass jeder Mensch das Recht auf die Versorgung mit angemessenem Wohnraum habe.

Enteignungen sind laut Artikel 14, Absatz 3 des Grundgesetzes möglich zum Schutze des Allgemeinwohls, etwa wenn Menschen für den Bau einer Autobahn ihr Haus und Grundstück aufgeben müssen oder ganze Dörfer für den Braunkohletagebau umgesiedelt werden. Allerdings muss die Enteignung wirklich das letzte verfügbare Mittel sein und die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Der zu erwartende Rechtsstreit hierüber würde voraussichtlich erst in letzter Instanz vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden werden.[11]

Eine Vergesellschaftung oder eine Enteignung ist weiterhin nach dem Grundgesetz nur zulässig, wenn  Art und Ausmaß einer angemessenen Entschädigung gesetzlich geregelt sind. Eine solche Entschädigung solle „unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten“ stattfinden. Die Initiative verspricht, dass diese Entschädigung „deutlich unter dem Marktwert“ erfolgen könne. Sie würde für die 240.000 zu enteignenden Wohnungen acht Milliarden Euro Entschädigung ansetzen. Die linksgeführte Verwaltung für Stadtentwicklung rechnet mit notwendigen Entschädigungszahlungen in Höhe von 36 Milliarden Euro.[12] Eine Arbeitsgruppe um Andrej Holm berechnet nach vier unterschiedlichen Verfahren Entschädigungshöhen von 14,5 Milliarden Euro bis 22,8 Milliarden Euro.[13]

Unterstützung und Ablehnung

Unterstützer und Gegner des Volksbegehrens
Unterstützer
Interessengruppen:

Politische Parteien und Organisationen:

Sonstige:

Gegner
Interessengruppen:

Politische Parteien und Organisationen:

Die Linke sprach sich von Beginn an für die Initiative aus und half auch beim Sammeln von Unterschriften.

Die Grünen beschlossen auf ihrem Landesparteitag die Initiative zu unterstützen.[14]

Die SPD und der Regierende Bürgermeister Michael Müller lehnen die Enteignung großer Wohnungskonzerne ab. Er argumentiert, dass im Kampf gegen steigende Mieten 15.000 oder 20.000 Wohnungen pro Jahr neu gebaut werden müssten. Die Wohnungsbauziele könnten aber nur mit privaten Partnern erreicht werden; allein über die städtischen Gesellschaften funktioniere das nicht.[15] Die Jusos hingegen stellten sich hinter das Volksbegehren.[16]

Die CDU lehnt die Initiative ab, da für die Entschädigung der Enteigneten 36 Milliarden Euro neue Schulden gemacht werden müssten, aber keine neue Wohnungen entstünden. Sie will stattdessen mit einer Neubauoffensive neue bezahlbare Wohnungen schaffen.[17] CDU-Landeschef Kai Wegner warnte vor drohenden Miet- und Steuererhöhungen zur Finanzierung der Enteignungen.[18]

Auch die FDP lehnt die Initiative ab. FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja warf der Initiative vor, den Menschen Sand in die Augen zu streuen. Die Ausgaben für die Entschädigung führten das Land Berlin in den finanziellen Ruin.[19]

Zu den weiteren Unterstützern zählen der Berliner Mieterverein und die Berliner MieterGemeinschaft sowie weitere Sozialverbände und Kirchenkreise.[20] Die Landesverbände der Gewerkschaften IG Metall, GEW und Ver.di sowie die DGB-Jugend (nicht jedoch der DGB Landesverband Berlin-Brandenburg) unterstützen das Volksbegehren.[21][22]

Nach Ansicht von Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hilft ein kommunaler Rückkauf von Wohnungen den Wohnungssuchenden in Berlin wenig und würde den Wohnungsmarkt nicht nachhaltig entspannen. Wenn man eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt erreichen möchte, wäre es sinnvoller in neue Bauten zu investieren, um insgesamt das Angebot zu erhöhen. Reiner Braun vom Wirtschaftsforschungsinstitut Empirica empfiehlt ebenfalls: „Wenn der Staat das Geld ausgibt, sollte er mehr Neubau tätigen, statt Bestände zu kaufen. Dann hab‘ ich ja auch mehr kommunale Wohnungen.“[23][24]

Der Immobilienverband IVD sprach davon, dass durch die angestrebte Vergesellschaftung, zu deren Verwirklichung im Unterschied zum Mietendeckel eine rechtliche Kompetenz des Landes Berlin grundsätzlich gegeben sei, sich nur die Identität des Vermieters ändere und keine neue Wohnung entstehe. Damit wäre sie „nur ein weiteres sinnloses sozialistisches Prestigeprojekt“.[25] Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen warnt, dass mehr – auch geförderter – Wohnungsbau in Berlin dringend nötig sei. Alleine schon die Debatte über Enteignungen schrecke Investoren aber ab.[26] Axel Gedaschko, Präsident des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, fordert in Hinblick auf den angespannten Wohnungsmarkt in den Hotspots „mehr bezahlbares Bauland, weniger teure Auflagen und mehr Anreize für bezahlbaren Wohnungsneubau“. Außerdem brauche es mehr Sozialwohnungen. „Das sind die richtigen Instrumente.“ Bauen sei in Deutschland zu kompliziert und zu teuer geworden: „Mit dem Investitionsbetrag, mit dem man 2010 noch 100 Wohnungen bauen konnte, bringt man zehn Jahre später nur noch 72 Wohnungen auf den Weg.“[27]

In einer Umfrage von Infratest Dimap vom 27. August 2021 in Berlin sprachen sich 47% der Befragten eher für den Volksentscheid aus, 43% eher dagegen.[28]

Einzelnachweise

  1. Wohnungskonzern verteidigt sich: „Unsere Wohnungen sind bezahlbar“. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 17. Februar 2021]).
  2. a b Warum enteignen? – Deutsche Wohnen enteignen! Abgerufen am 17. Februar 2021.
  3. Michael Sontheimer: Initiative zu Enteignungen. 5. April 2019, abgerufen am 4. Mai 2021.
  4. Wir wollen unsere Häuser zurück. In: Kotti & Co. 26. Februar 2016, abgerufen am 26. Juni 2021 (deutsch).
  5. Jan Hauser: Volksentscheid wahrscheinlich: 343.000 Berliner wollen Wohnkonzerne enteignen. In: FAZ.NET. 25. Juni 2021, abgerufen am 25. Juni 2021.
  6. Berlin steht vor Volksbefragung über Immobilien-Enteignung. Artikel vom 25. Juni 2021 im Portal spiegel.de, abgerufen am 26. Juni 2021
  7. Die Zeit, Werden jetzt Immobilienkonzerne in Berlin enteignet?, 25. Juni 2021, abgerufen am 27. Juni 2021
  8. Tina Groll: Werden jetzt Immobilienkonzerne in Berlin enteignet? In: Zeit Online, 25. Juni 2021.
  9. Berliner Zeitung, Ullrich Battis, Ulrich Battis: Enteignung schafft in Berlin keine einzige neue Wohnung, 8. Februar 2019, abgerufen am 27. Juni 2019
  10. Verfassung von Berlin - Abschnitt II: Grundrechte, Staatsziele, auf berlin.de, abgerufen am 8. März 2021
  11. Die Zeit, Werden jetzt Immobilienkonzerne in Berlin enteignet?, 25. Juni 2021, abgerufen am 27. Juni 2021
  12. rbb24, Das erfolgreichste Volksbegehren aller Zeiten - und seine Tücken, 25. Juni 2021, abgerufen am 27. Juni 2021
  13. Ralf Schönball: Entschädigung an „vergesellschaftete“ Firmen soll zwischen 14 und 23 Milliarden Euro kosten in Der Tagesspiegel, 19. August 2021, abgerufen am 30. August 2021
  14. ZEIT Online: Berliner Grüne befürworten Enteignung von Wohnungsunternehmen. Abgerufen am 17. April 2021.
  15. Team News, Carola Tunk: Berlin: Müller gegen Enteignung von Wohnungskonzernen. Abgerufen am 26. Juni 2021.
  16. Berliner Jusos wollen Wohnungskonzerne enteignen. Abgerufen am 17. April 2021.
  17. rbb24, Enteignungs-Initiative hat wohl genügend Unterschriften für Volksentscheid, 25. Juni 2021, abgerufen am 26. Juni 2021
  18. Tagesspiegel, Berlin steht vor Volksentscheid über Immobilien-Enteignung, 25. Juni 2021, abgerufen am 27. Juni 2021
  19. Tagesspiegel, Berlin steht vor Volksentscheid über Immobilien-Enteignung, 25. Juni 2021, abgerufen am 27. Juni 2021
  20. Michael Prütz: Jetzt geht‘s los: Deutsche Wohnen & Co enteignen. Abgerufen am 17. April 2021.
  21. Tina Groll: Werden jetzt Immobilienkonzerne in Berlin enteignet? ZEIT Online, 25. Juni 2021, abgerufen am 27. Juni 2021.
  22. Robert Kiesel: Berliner Gewerkschaften unterstützen Volksbegehren zur Enteignung. Der Tagesspiegel, 16. Juni 2021, abgerufen am 27. Juni 2021.
  23. Die Zeit, Werden jetzt Immobilienkonzerne in Berlin enteignet?, 25. Juni 2021, abgerufen am 27. Juni 2021
  24. rbb24, Immobilienexperten warnen vor Rückkauf kommunaler Wohnungen , 24. Juni 2021, abgerufen am 27. Juni 2021
  25. Silke Kersting: „Sinnloses sozialistisches Prestigeprojekt“ – Immobilienwirtschaft kritisiert Berliner Enteignungsdebatte. Artikel vom 27. Juni 2021 im Portal handelsblatt.com, abgerufen am 28. Juni 2021
  26. Haufe, Volksbegehren schürt Berliner Debatte um Vergesellschaftung, 11. Mai 2021, abgerufen am 27. Juni 2021
  27. Handelsblatt, Mietendebatte in Berlin: Wohnungswirtschaft fordert „Ministerium für gutes Wohnen“, 25. Juni 2021, abgerufen am 27. Juni 2021
  28. Christoph Reinhardt: Knappe Mehrheit für Enteignung großer Wohnungsunternehmen bei rbb24.de, 27. August 2021, abgerufen am 30. August 2021