Bestärkendes Lernen

Bestärkendes Lernen oder verstärkendes Lernen (englisch reinforcement learning) steht für eine Reihe von Methoden des maschinellen Lernens, bei denen ein Agent selbstständig eine Strategie (englisch policy) erlernt, um erhaltene Belohnungen zu maximieren. Dabei wird dem Agenten nicht vorgezeigt, welche Aktion in welcher Situation die beste ist, sondern er erhält durch die Interaktion mit seiner Umwelt zu bestimmten Zeitpunkten eine Belohnung, die auch negativ sein kann.

Der Begriff ist der Psychologie entlehnt und wurde bereits seit den Anfängen der Kybernetik verwendet. So benutzte schon Marvin Minsky den Begriff in seiner Dissertation von 1954.[1] Die Modelle des bestärkenden Lernens versuchen das Lernverhalten in der Natur nachzubilden.

Es besteht eine besonders enge Beziehung des bestärkenden Lernens zur dynamischen Programmierung und optimalen Steuerung. In letzteren ist anders als bei ersterem a priori ein Umgebungsmodell gegeben, welches die Interaktion mit der Umwelt überflüssig macht.[2]

Modell

Die Methoden des bestärkenden Lernens betrachten die Interaktion eines lernenden Agenten mit seiner Umwelt. Letztere ist dabei als Markow-Entscheidungsproblem formuliert. So besitzt die Umwelt eine Menge von Zuständen . Der Agent kann situativ, , eine Aktion, , aus einer Menge von verfügbaren Aktionen wählen, wodurch er in einen Folgezustand gelangt und eine Belohnung erhält.

Ziel des Agenten ist es, den zukünftig zu erwarteten Gewinn

mit

zu maximieren. Der erwartete Gewinn ist also so etwas wie die erwartete Gesamtbelohnung. Dabei nennt man den Diskontierungsfaktor, der zukünftige Belohnungen gewichtet. Bei episodischen Problemen, d. h. die Welt geht nach einer endlichen Anzahl von Schritten in einen Endzustand über (wie z. B. eine Schachpartie), eignet sich der Diskontierungsfaktor . In diesem Fall wird jede Belohnung gleich gewertet. Bei kontinuierlichen Problemen () muss man ein wählen, damit die unendliche Reihe konvergiert. Für zählt nur die aktuelle Belohnung ; alle zukünftigen Belohnungen werden ignoriert. Geht gegen 1, wird der Agent weitsichtiger.

Zu diesem Zweck verfolgt der Agent eine Strategie (englisch policy), die er laufend verbessert. Üblicherweise wird die Strategie als eine Funktion betrachtet, die jedem Zustand eine Aktion zuweist. Jedoch sind auch nichtdeterministische Strategien (oder gemischte Strategien) möglich, sodass eine Aktion mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit ausgewählt wird. Im Allgemeinen wird eine Strategie demnach als bedingte Wahrscheinlichkeitsverteilung definiert: [3]

Lernverfahren

Zum Erlernen der Strategie des Agenten gibt es verschiedene Algorithmen. Sie lassen sich grob einteilen in modellbasiert und modellfrei. Die am häufigsten genutzten modellfreie Ansätze sind wertbasiert oder strategiebasiert. Die Mischform wird meist als Actor-Critic bezeichnet.[4]

Modellfrei

Wertbasiert

Bekannte Beispiele sind Monte-Carlo-Methoden und Temporal Difference Learning. Bei diesen handelt es sich um Algorithmen, bei denen der Agent eine Nutzenfunktion besitzt, welche einen bestimmten Zustand oder eine bestimmte Aktion in einem Zustand bewertet.

Bei kleinen Zustands- oder Aktionsräumen kann dies eine Tabelle sein, deren Felder anhand der erhaltenen Belohnung aktualisiert werden. Bei großen Zustandsräumen muss die Funktion jedoch approximiert werden. Dazu eignet sich beispielsweise die Fourierreihe oder auch ein Neuronales Netz.

Soll mehr als ein Agent lernen, kann selbst bei kooperativen Agenten, außer in trivialen Fällen, die Konvergenz der Lernvorgänge (bislang) nicht mehr garantiert werden. Trotzdem kann unter Zuhilfenahme von Heuristiken oft ein in der Praxis nützliches Verhalten gelernt werden, da der worst case selten auftritt.[5]

Strategiebasiert

Strategiebasierte Methoden versuchen, die zu erwartende kumulative Belohnung direkt durch Parametrisierung der Strategie zu maximieren. Meistens erfolgt diese Maximierung durch stochastisch gradientbasierte Optimierung (englisch policy gradient). Prominente Vertreter dieser Klasse sind REINFORCE, Trust Region Policy Optimization (TRPO) und Proximal Policy Optimization (PPO).

Beispiel REINFORCE

Der einfach herzuleitende Algorithmus REINFORCE[6] schätzt den Gradienten des zu erwartenden Gewinns

, um damit seine Parameter über empirisch gewinnbare Spielabläufe zu aktualisieren. Hierbei muss die Strategie nach differenzierbar sein und stellt einen Spielablauf dar, der aus der Wahrscheinlichkeitsverteilung entnommen wird. Diese setzt sich einerseits aus der Strategie , als auch der möglicherweise nicht-deterministischen Umgebung (auf die der Agent keinen Einfluss hat), zusammen:

,

wobei eine Verteilung über den Startzustand darstellt. Über die Definition der Erwartungswerts kann nun REINFORCE wie folgt hergeleitet werden:

:

wobei für die erste Gleichung die Leibnizregel verwendet wurde und für die dritte Gleichung die Regel

,

wobei der natürliche Logarithmus gemeint ist. Als letzten Schritt erkennen wir, dass

.

Nun kann man einen erwartungstreuen Schätzer des Gradienten des zu erwartenden Gewinns erhalten, indem man erst einen Spielablauf mit dem Agenten generiert und einsetzt:

.

Der Parameterupdate mit Lernrate erfolgt dann wie folgt:

.

Modellbasiert

Modellbasierte Verfahren konstruieren ein prädiktives Modell ihrer Umwelt. Dies bedeutet, dass der Agent Vorhersagen für Anfragen der Art „Was wird passieren, wenn ich eine bestimmte Aktion ausführe?” generieren kann.[7] Das Modell stellt somit einen (gelernten oder bekannten) reversiblen Zugang zur Umgebungsdynamik dar, da der Agent eine Vorhersage zu jedem beliebigen Zustands-Aktions-Paar ermitteln kann und nicht an die durch den Spielablauf vorgegebene Ordnung gebunden ist. Anders als in modellfreien Ansätzen ermöglicht das Modell explizites Planen.[8] Dies wird in Algorithmen wie z.B. MuZero von Deepmind genutzt, um ein präzise Vorausberechnung zu ermöglichen, die in einigen Spielen wie Schach oder Go von besonderer Relevanz ist.[9] Eine andere Klasse von Methoden, welche auf dem Algorithmus Dyna basiert, kombiniert den modellbasierten mit dem modellfreien Ansatz, indem sie das gelernte Modell nutzt, um künstliche (halluzinierte) Daten zu generieren. Diese werden dann wiederum zum Lernen einer Strategie und/oder Wertfunktion eingesetzt.[10]

Literatur

  • Richard Sutton, Andrew Barto: Reinforcement Learning: An Introduction. MIT Press, Cambridge, MA, 1998.
  • Dimitri P. Bertsekas, John Tsitsiklis: Neuro-Dynamic Programming. Athena Scientific, Cambridge, MA, 1996.
  • Csaba Szepesvári, Algorithms for Reinforcement Learning, Morgan and Claypool, 2010 (ualberta.ca PDF).
  • Marc Patrick Deisenroth, Gerhard Neumann, Jan Peters: A Survey on Policy Search for Robotics. Foundations and Trends in Robotics, 21, S. 388–403, 2013 (ausy.tu-darmstadt.de PDF).
  • Jens Kober, Drew Bagnell, Jan Peters: Reinforcement Learning in Robotics: A Survey. International Journal of Robotics Research, 32, 11, S. 1238–1274, 2013 (ausy.tu-darmstadt.de PDF).
  • Uwe Lorenz: Reinforcement Learning: Aktuelle Ansätze verstehen – mit Beispielen in Java und Greenfoot. Springer Vieweg, 2020, ISBN 978-3-662-61651-2
  • Warren B. Powell: Approximate Dynamic Programming. John Wiley and Sons, 2011.
  • Stuart Russell, Peter Norvig: Künstliche Intelligenz: Ein moderner Ansatz. Pearson Studium, August 2004, ISBN 3-8273-7089-2 (deutsche Übersetzung der 2. Auflage) Kapitel 21.

Einzelnachweise

  1. Richard Sutton: Reinforcement Learning FAQ. 2. April 2004, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 28. August 2016; abgerufen am 21. April 2016 (englisch).
  2. Yi Ma und Shankar Sastry: Reinforcement Learning & Optimal Control Overview. (PDF) University of California, Berkeley, 17. Februar 2021, abgerufen am 18. April 2022 (englisch).
  3. Michel Tokic: Reinforcement Learning mit adaptiver Steuerung von Exploration und Exploitation. Ulm 2013, doi:10.18725/oparu-2517 (PhD thesis, Universität Ulm, Institut für Neuroinformatik).
  4. Sergey Levine: Actor-Critic Algorithms. (PDF) In: Actor-Critic Algorithms. UC Berkley, abgerufen am 27. Dezember 2021 (englisch).
  5. J. F. Knabe: Kooperatives Reinforcement Lernen in Multiagentensystemen. B. Sc. Thesis, Universität Osnabrück, 2005 (panmental.de PDF)
  6. Ronald J. Williams: Simple statistical gradient-following algorithms for connectionist reinforcement learning. In: Machine Learning. Band 8, Nr. 3, 1. Mai 1992, ISSN 1573-0565, S. 229–256, doi:10.1007/BF00992696.
  7. Daniel Seita: Model-Based Reinforcement Learning:Theory and Practice. Abgerufen am 18. April 2022.
  8. Thomas M. Moerland, Joost Broekens, Aske Plaat, Catholijn M. Jonker: Model-based Reinforcement Learning: A Survey. 31. März 2022, doi:10.48550/arxiv.2006.16712, arxiv:2006.16712 [abs].
  9. Julian Schrittwieser, Ioannis Antonoglou, Thomas Hubert, Karen Simonyan, Laurent Sifre: Mastering Atari, Go, chess and shogi by planning with a learned model. In: Nature. Band 588, Nr. 7839, Dezember 2020, ISSN 1476-4687, S. 604–609, doi:10.1038/s41586-020-03051-4 (nature.com [abgerufen am 18. April 2022]).
  10. Daniel Seita: Model-Based Reinforcement Learning:Theory and Practice. Abgerufen am 18. April 2022.