Vierfachmord von Rupperswil

Als Vierfachmord von Rupperswil wird eines der aufsehenerregendsten Verbrechen der Schweizer Kriminalgeschichte bezeichnet, das in der Schweizer Gemeinde Rupperswil im Kanton Aargau am 21. Dezember 2015 begangen wurde. Aufgrund der Kaltblütigkeit des mutmasslichen Einzeltäters Thomas N. in der Ausführung, der zufälligen Auswahl der Opfer und des manipulativen Vorgehens des Täters und seines als sympathisch beschriebenen Auftretens überschritt es mehrere Grenzen unserer geläufigen Wahrnehmung der Realität.[1] Die Opfer standen nicht mit dem mutmasslichen Täter in Beziehung und kannten ihn nicht. Die Motive des nicht vorbestraften und zuvor polizeilich nicht aufgefallenen Tatverdächtigen sollen finanzieller und sexueller Art gewesen sein.

Tathergang

Am 21. Dezember 2015 wurde die Feuerwehr zu einem Brand in einem Wohnhaus gerufen. Die Rettungskräfte fanden während der Löscharbeiten die Leichen von vier Menschen. Schnell wurde klar, dass die Opfer schon vor dem Brandausbruch getötet worden waren.

Das Verbrechen lief gemäss den Ermittlungen wie folgt ab: An diesem Morgen beobachtete der geständige Tatverdächtige das Haus einer Familie in Rupperswil. Zu dieser Zeit hielten sich dort die 48-jährige Mutter, ihr Lebenspartner, ihre 13 und 19 Jahre alten Söhne sowie die 21-jährige Freundin des älteren Sohnes auf. Der mutmassliche Täter wartete, bis der Lebenspartner der Mutter das Haus verliess und zur Arbeit ging. Dann verschaffte er sich mit einer List Zugang zum Haus, bedrohte den jüngeren Sohn und zwang dadurch die Mutter, den älteren Bruder und dessen Freundin mit Kabelbindern zu fesseln. Der Tatverdächtige zwang die Mutter dazu, Geld in der nahen Bankfiliale und am Bancomaten abzuholen. Danach verging er sich sexuell an dem jüngeren Sohn und fesselte und knebelte dann auch ihn. Er schnitt allen Opfern die Kehle durch und steckte sie und das Haus mithilfe von Brandbeschleunigern in Brand, um seine Spuren zu beseitigen.

Für Hinweise zur Aufklärung des Verbrechens war im Februar 2016 eine Belohnung von 100'000 Schweizer Franken ausgesetzt worden, der höchste Betrag in der Schweizer Kriminalgeschichte.[2] Die Ermittlungen erwiesen sich als schwierig, da keine Beziehung zwischen dem Tatverdächtigen und seinen Opfern bestand. Am 12. Mai 2016 wurde der mutmassliche Täter verhaftet; er konnte aufgrund von DNA-Spuren und Fingerabdrücken identifiziert werden.[3][4] Da kein Hinweis aus der Bevölkerung zur Überführung des Tatverdächtigen führte, beschloss der Aargauer Regierungsrat, dass die ausgesetzte Belohnung als Bonus für die involvierten Ermittler ausgezahlt wird.[5]

Mutmasslicher Täter

Datei:Utensilien Vierfachmord Rupperswil Schweiz.jpeg
Beim Tatverdächtigen gefundene Materialien: Kabelbinder, Klebeband, Pistole und Fesseln

Bei dem geständigen Tatverdächtigen handelt es sich um einen zum Verhaftungszeitpunkt 33-jährigen Mann, der mit seiner Mutter 500 Meter vom Tatort entfernt in einem Haus in Rupperswil lebte. Er ist ledig und gab an, Student zu sein. Er wirkte als Juniorenfussballtrainer und als Koordinator der Seetal Selection, einer Kooperation der Vereine SC Seengen und FC Sarmenstorf im Juniorenbereich. Er plante die Morde in Rupperswil und suchte die Opferfamilie sehr wahrscheinlich aufgrund seines sexuellen Interesses an dem jüngeren Sohn aus.

Bei der Verhaftung wurden in seinem Haus ein Rucksack mit einer alten Armeepistole (Pistole 1900/06/29[6]), für die Fesselung vorbereitete Stricke und Kabelbinder sowie Klebeband sichergestellt. Die Polizei geht daher davon aus, dass der Tatverdächtige weitere gleichartige Verbrechen plante.[7][8] Am 7. September 2017 erhob die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau Anklage.[9]

Urteilspsruch des Bezirksgerichts Lenzburg

Thomas N. wurde am 16. März 2018 vom Bezirksgericht Lenzburg (AG) des mehrfachen Mordes, mehrfacher (teilweise versuchter) räuberischer Erpressung, mehrfacher Freiheitsberaubung, mehrfacher Geiselnahme, sexuellen Handlungen mit einem Kind, sexueller Nötigung, Brandstiftung, mehrfacher Pornografie, mehrfacher Urkundenfälschung und mehrfacher strafbarer Vorbereitungshandlungen schuldig gesprochen. Alle Schadenersatzforderungen wurden anerkannt. Er wurde zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Bezirksgericht Lenzburg sprach somit die höchste Strafe im schweizerischen Strafgesetz aus. Zudem wurde Thomas N. nach Art 64 Abs. 1 zu einer ordentlichen Verwahrung verurteilt.

Gerichtspräsident Aeschbach sagte, die Voraussetzung einer dauerhaften Untherapierbarkeit sei nicht erfüllt, eine lebenslängliche Verwahrung könne damit – auch wenn gewisse Ausführungen der Gutachter als widersprüchlich betrachtet werden könnten – nicht ausgesprochen werden.[10] Man könne die unterschiedlichen Taten nicht vollständig getrennt voneinander betrachten, wie das die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer getan habe. Beide Gutachter hätten immer einen Gesamtzusammenhang der verschiedenen Tateinheiten betont. [11]

Staatsanwältin Barbara Loppacher hatte versucht, in ihrer Argumentation das Kausalverhältnis zwischen der Ermordung der Familie und der von den beiden Gutachtern diagnostizierten psychischen Störungen (in Habermayers Gutachten eine narzistische Persönlichkeitsstörung, im Falle von Josef Sachs eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung) zu trennen, um eine lebenslange Verwahrung des Täters zu erwirken. Die in den Gutachten diagnostizierten Störungen könnten zwar die anderen Taten erklären, nicht aber die Ermordung der Familie. Folglich sei keine psychische Störung ausschlaggebend für die Tat, die überhaupt therapiert werden könne. Sie berief sich dabei auf Sachs’ Gutachten, der explizit sagte, der Mord sei nicht auf die Störung rückführbar («Im Gegensatz zu den sexuellen Handlungen mit einem Kind, die in direktem Zusammenhang mit der Pädophilie stehen, kann die Vierfachtötung tatsächlich nicht auf eine psychische Persönlichkeitsstörung zurückgeführt werden.»).[12]

Loppachers Argumentation verfing bei der Mehrheit der fünf Richter nicht. Diese habe es als «unstatthaft» empfunden, die Einzeltaten zu zerpflücken, wenngleich der Ansatz der Staatsanwältin von den beteiligten Richtern als «interessant» befunden worden sei, sei dieser «konstruiert». Eine Minderheit des Gerichts ist der Argumentation Loppachers gefolgt und sah keine psychische Störung, die dem Mord zugrundeliege (womit das Erfordernis der dauerhaften Untherapiebarkeit für eine lebenslange Verwahrung erfüllt worden wäre, da nicht behandelt werden kann, was nicht vorhanden ist). [13] [14]

Aeschbach betonte, «Thomas N. ging primitiv, kaltblütig, empathiefrei und krass egoistisch vor». Weiter rügte der Gerichtspräsident die Argumentation der Pflichtverteidigerin, wonach die Opfer durch ihre passive Haltung zum Tatgeschehen beigetragen hätten, als «bizarr» und grotesk».[15]

Weiteres

Es war vorgesehen, den Fall in der ZDF-Sendung Aktenzeichen XY … ungelöst zu thematisieren; die Dreharbeiten hatten zum Zeitpunkt der Festnahme des mutmasslichen Täters bereits stattgefunden.[16]

Dokumentarfilm

Einzelnachweise

  1. «Der Täter verfügte über enorme Kaltblütigkeit». Neue Zürcher Zeitung, 13. Mai 2016, abgerufen am 14. Mai 2016.
  2. Die höchsten Belohnungen in der Aargauer Kriminalgeschichte. Aargauer Zeitung, 22. Februar 2016, abgerufen am 14. Mai 2016.
  3. Vierfachmörder im Fall Rupperswil verhaftet. Neue Zürcher Zeitung, 13. Mai 2016, abgerufen am 14. Mai 2016.
  4. Rupperswiler Vierfachmord von A bis Z in Tages-Anzeiger vom 14. Mai 2016
  5. Fall Rupperswil: Belohnung geht an Ermittler. SRF, abgerufen am 18. Mai 2016.
  6. Siehe Bild auf NZZ: Chronologie des Vierfachmords von Rupperswil, abgerufen am 14. Mai 2016
  7. Täter von Rupperswil plante weitere Morde. Neue Zürcher Zeitung, 13. Mai 2016, abgerufen am 14. Mai 2016.
  8. Thomas N. trainierte Fussball-Junioren. Tages-Anzeiger, 13. Mai 2016, abgerufen am 14. Mai 2016.
  9. Anklage im Fall Rupperswil steht – diese grausamen Taten werden Thomas N. vorgeworfen. watson, 7. September 2017, abgerufen am 7. September 2017.
  10. Blick: Urteil im Vierfachmord Rupperswil: Lebenslange Freiheitsstrafe. (blick.ch [abgerufen am 16. März 2018]).
  11. Blick: Urteil im Vierfachmord Rupperswil: Lebenslange Freiheitsstrafe. (blick.ch [abgerufen am 16. März 2018]).
  12. Wie Staatsanwältin Loppacher die Psychiater umgeht – und warum das problematisch ist. In: watson.ch. (watson.ch [abgerufen am 16. März 2018]).
  13. Blick: Urteil im Vierfachmord Rupperswil: Lebenslange Freiheitsstrafe. (blick.ch [abgerufen am 16. März 2018]).
  14. Blick: Urteil im Vierfachmord Rupperswil: Lebenslange Freiheitsstrafe. (blick.ch [abgerufen am 16. März 2018]).
  15. Blick: Urteil im Vierfachmord Rupperswil: Lebenslange Freiheitsstrafe. (blick.ch [abgerufen am 16. März 2018]).
  16. Fall Rupperswil wird in München verfilmt. SRF, 27. April 2016, abgerufen am 14. Mai 2016.