Vesper von Ephesos

Reich des Mithridates VI.

Als Vesper von Ephesos ( auch Ephesische Vesper, Asiatische Vesper, Blutbefehl von Ephesos) wird die pogromartige Ermordung von mindestens 80.000 Römern[1] und Italikern im Jahre 88 v. Chr. bezeichnet, die Mithridates VI., der König von Pontos, in allen Poleis der von ihm besetzten römischen Provinz Asia angeordnet hatte.

Ausgangslage

Die Vesper von Ephesos fällt in die Zeit des Ersten Mithridatischen Krieges. Dieser erste von insgesamt drei Kriegen hatte seinen Ausgangspunkt im Bestreben des Mithridates, seinen Herrschaftsbereich in Kleinasien zu erweitern. Das führte zum Konflikt mit Rom, das eine solche Machtkonzentration in dieser Region bzw. unmittelbar an seiner Grenze nicht tolerieren wollte. Der pontische König beabsichtigte mit der Vesper von Ephesos wohl jede römisch-italische Opposition in dem von ihm beherrschten Gebiet auszuschalten und die lokalen Verantwortlichen durch die Bluttaten auf Gedeih und Verderb an sich zu binden. Zugleich ergab sich dadurch die Möglichkeit, durch die Aneignung des Besitzes der Ermordeten die materiellen Erwartungen seiner Parteigänger zu befriedigen. Mithridates hatte sich im Zuge seiner annexionistischen Bestrebungen zwar zum Befreier der Griechen proklamiert, doch war es ihm bis dahin nicht gelungen, seine Kriegskasse entsprechend aufzufüllen. Die in Kleinasien ansässigen Italiker, die durch ihre Herkunft Fremde im Land waren, sich von den Einheimischen separierten und sich der politischen Agenda des pontischen Königs verschlossen, boten sich auch deshalb als lohnende Zielgruppe an, weil es sich bei ihnen um eine überwiegend vermögende, zumeist im Handel und in der Verwaltung tätige Personengruppe handelte. Zudem gehörten ihr auch die römischen Steuerpächter an, welche die Provinz Asia über 40 Jahre ausgebeutet hatten und die darum der einheimischen Bevölkerung besonders verhasst waren.[2]

Ablauf

Mithridates erteilte den königlichen Beamten und Statthaltern der Städte der Provinz Asia durch geheime Emissäre schriftliche Anweisung, an einem festgesetzten Tag die Tötung aller Römer und Italiker, ihrer Frauen und Kinder sowie der Freigelassenen zu veranlassen. Hilfeleistungen für die so quasi zum kollektiven Tod verurteilte Personengruppe sollten bestraft werden. Hingegen sollten Anzeigen oder Tötungen von Römern oder Italikern durch ihre Sklaven mit deren Freilassung, durch ihre Schuldner mit dem Erlass der Hälfte der Schulden belohnt werden. Die Bestattung der Getöteten wurde untersagt.

Wann genau die Massenmorde stattfanden, lässt sich aufgrund der Quellenlage nicht genau eruieren, zumindest aber auf einen Zeitpunkt zwischen der späten zweiten Jahreshälfte 89 und dem ersten Halbjahr 88 v. Chr. eingrenzen, wobei das Jahr 88 v. Chr. als wahrscheinlicher gilt. Aus den Quellen ist bekannt, dass sich in Adramyttion, Ephesos, Pergamon und Tralleis, besonders aber in der Hafenstadt Kaunos, Szenen unbeschreiblicher Grausamkeit abgespielt haben sollen. In Adramyttion, wo der gesamte Stadtrat hingerichtet wurde, hatte sich dabei beispielsweise ein ansonsten unbedeutender Philosoph namens Demetrios hervorgetan, der als fanatischer Parteigänger des pontischen Königs galt. Umgekehrt wird auch überliefert, dass die Bewohner der Insel Kos später angaben, römische Bürger im Asklepieion, außerhalb der Stadt, versteckt und so gerettet zu haben.[3]

Opferzahlen und Beurteilung

Die genauen Opferzahlen sind zwar unbekannt, doch findet sich die in den Quellen genannte Zahl von 80.000 Toten auch überwiegend in der Forschungsliteratur, wohingegen die Zahl von 150.000 Getöteten überwiegend als überhöht angesehen wird. Übereinstimmung herrscht hinsichtlich der Tatsache, dass es zweifellos eine große Anzahl an Opfern gab, was auch insofern plausibel erscheint, als zwischen Rom und dem Königreich Pergamon schon vor der Zeit als dieses an Rom fiel, freundschaftliche Beziehungen geherrscht hatten und zum Beispiel Händler aus Italien zweifelsohne schon seit längerem dort ansässig gewesen waren. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass Appian berichtet, die zu Verfolgenden stammten aus dem genos Italikon, womit die Herkunft gemeint ist und nicht etwa, dass diese bloß Inhaber des römischen Bürgerrechtes seien, wurde der Frage nachgegangen, ob es sich bei der Vesper von Ephesos um einen frühen Genozid gehandelt habe.[4] Da sich aber die Motive und Überlegungen, die den pontischen König zur Erteilung seines Mordbefehles bewogen ebenso wie das Ausmaß der Morde und die genauen Hintergründe und Abläufe in den verschiedenen Städten anhand der vorhandenen Quellen nicht hinreichend klären lassen, ist eine definitive Beantwortung dieser Frage nicht möglich.

Folgen

Für den Urheber der Morde, den König von Pontos, blieben die Massaker ohne Folgen. Im Friedensvertrag von Dardanos im Jahr 85 v. Chr., der den Ersten Mithridatischen Krieg beendete, musste Mithridates sich lediglich verpflichten, auf seine während des Krieges gemachten Eroberungen zu verzichten, seine Stammländer durfte er hingegen behalten. Diese relativ milden Bedingungen waren auch der Tatsache geschuldet, dass während des Krieges Sullas innenpolitische Gegner in Rom die Macht übernommen hatten und er zu einem raschen Friedensschluss gezwungen war, um sich diesen zuwenden zu können.

Weit weniger glimpflich kamen hingegen die Städte der Provinz Asia davon, die sich nur zu bereitwillig auf die Seite von Mithridates gestellt und den Mordbefehl ausgeführt hatten. Bei der Neuordnung Kleinasiens erlegte Sulla ihnen 84 v. Chr. die Zahlung von 20 000 Talenten auf. Zusätzlich mussten sie für die Einquartierung und Verpflegung der römischen Soldaten sowie deren Besoldung, für die das Vierzigfache des normalen Soldes festgelegt wurde, aufkommen. Epesos, wo Sulla sein Winterquartier einrichtete, verlor große Teile seines Territoriums und die Häupter der antirömischen Partei wurden hingerichtet.[5]

Etymologie

Für den Begriff Vesper von Ephesos, der erst im 19. Jahrhundert aufkam, stand die Sizilianische Vesper von 1282 Pate. Theodor Mommsen sprach bereits 1869 im 2. Band seiner Römischen Geschichte von Ephesischen Mordbefehle(n) und äußerte sich dahingehend nochmals 1885 im Zusammenhang mit dem britannischen Boudicca-Aufstand, den er als nationale Vesper gleich [der] mithradatischen bezeichnete. Endgültig etablierte sich der Begriff dann 1890 mit der französischen Erstauflage von Théodore Reinachs Buch über Mithradates VI., wo von der Vêpres éphesiennes gesprochen wird.[6]

Literatur

Anmerkungen

  1. Wolfram Letzner: Lucius Cornelius Sulla. Versuch einer Biographie. Münster u. a. 2000, S. 154. Die Zahlen differieren. Valerius Maximus 9,2 nennt 80 000 Opfer. Plutarch, Sulla 24,4 spricht von 150 000 Toten.
  2. Elmar Schwertheim: Kleinasien in der Antike. Von den Hethitern bis Konstantin (= Beck'sche Reihe 2348 C. H. Beck-Wissen). Beck, München 2005, ISBN 3-406-50848-0, S. 89.
  3. Elmar Schwertheim: Kleinasien in der Antike, S. 350.
  4. Ebda.
  5. Appian, Mithridates 61–63 und Wolfram Letzner: Lucius Cornelius Sulla. Versuch einer Biographie. Münster u. a. 2000, S. 211.
  6. Elmar Schwertheim: Kleinasien in der Antike, S. 716f., Anm. 155.