Chor (Theater)

Getty Villa – Vase mit einem Chor aus Stelzenläufern – inv. VEX.2010.3.65

Der Chor (altgriechisch χορός chorós) war in der griechischen Antike zunächst die Bezeichnung für einen umgrenzten Tanzplatz. Später bedeutete das Wort den Rund- und Reigentanz selbst, insbesondere den mit Gesang verbundenen, bei festlichen Gelegenheiten zu Ehren einer Gottheit ausgeführten Reigen. Schließlich ging die Bezeichnung auf die Gruppe der Tanzenden und Singenden über, die im Drama als Begleiter der Handlung mitwirkten.[1][2]

Jannes Elkner

Man nimmt an, dass der griechische Theaterchor aus dem griechischen Kulttanz und -gesang für verschiedene Gottheiten heraus entstanden ist. Eine seiner bedeutendsten Formen war der Dithyrambos.[3] Aus dem Chorgesang entwickelte sich das Drama. Der Chor bot eine Vielfalt von Hintergrundinformationen an, um dem Publikum dabei zu helfen, der Aufführung zu folgen. Er kommentierte die zentralen Themen des Stückes und zeigte, wie ein ideales Publikum auf das Drama zu reagieren habe. Er stellte vorwiegend die Meinung der breiten Masse in der Geschichte dar. Bei Sophokles diente der Chor als allwissender Kommentator, welcher durch seine Äußerungen die allgemeinen moralischen Vorstellungen untermauerte. Dabei konnte er als Unsichtbarer wie auch als Teilnehmer des Geschehens agieren. In vielen altgriechischen Dramen drückte der Chor dem Publikum gegenüber aus, was die Hauptcharaktere nicht zu sagen vermochten, wie etwa Ängste und Geheimnisse. Üblicherweise sang der Chor, sprach aber auch kurze Sätze unisono.

Der Chor war ein wichtiger Grundbestandteil des frühen griechischen Theaters in einer Zeit, in der Tragödien und Komödien zumeist lyrisch verfasste Werke waren. Vor der Einführung des Theaters mit mehreren, interagierenden Schauspielern durch Aischylos war der Chor der einzige Darsteller neben dem Hauptdarsteller. Im 5. Jahrhundert begann die Bedeutung des Chores immer mehr zu verblassen. Spätere Dramatiker, wie etwa Menander, schenkten dem Chor wenig Aufmerksamkeit.

Aufgrund der Größe der griechischen Theater mussten die Handlungen des Chors übertrieben wirken und ihre Stimmen so laut sein, dass jeder Zuschauer sie sehen und hören konnte. Hierbei verwendete der Chor Techniken wie Synchronisation, kurze Echowellen, physisches Theater und Masken. Meist setzte sich der Chor aus Bürgern zusammen, die unter der Leitung eines Chorführers probten. Der tragische Chor umfasste 12–15 Sänger ohne Masken, in der Komödie traten 24 Sänger mit Maske auf und im Satyrspiel fanden sich zumeist 12 maskierte Sänger.

Adrian Ginzel

In der Gegenwart gibt es den Chor weiterhin in manchen Opern als musikalisches Ingredienz der Klang-Komposition sowie zu Beginn des 21. Jahrhunderts auch vermehrt außerhalb des Musiktheaters in Aufführungen der großen deutschsprachigen Theaterhäuser in Wien (Ein Sportstück, 1998), Weimar (Friedrich Schillers Maria Stuart), mehrfach am Staatstheater Stuttgart und in mehreren Stücken am Staatsschauspiel Dresden. In der umstrittenen Dresdner Inszenierung des Theaterregisseurs Volker Lösch, frei nach Gerhart Hauptmanns Die Weber (2004), übernimmt ein Theaterchor aus von Hartz IV Betroffenen die Transponierung des Dramenstoffes mitten in die konfliktreiche Gegenwart der Zeitgenossen hinein. Das beträchtliche Wagnis, das durch Skandalisierung und Gerichtsentscheidungen pro und kontra überregional Aufsehen erregte, war beim zahlenden Publikum sehr erfolgreich.

Die bedeutendsten Chorinszenierungen im deutschsprachigen Raum der letzten Jahrzehnte stammten von Einar Schleef, dessen oft skandalumwitterte Umsetzungen dramatischer Stoffe (Goethe, Brecht, Hauptmann, Hochhuth) häufig auf dem Wechselgesang eines weiblichen und eines männlichen Chors aufbauten und einen Großteil der ursprünglich einzelnen Figuren zugedachten Texte dem Chor überantwortete.[4][5]

Auch Elfriede Jelinek setzt in ihren Stücken – bereits in Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaft, aber eindringlicher in Ein Sportstück und ausdrücklich in Wolken.Heim – den Chor als „Instanz“ ein, wobei der Chor nicht moralische Instanz ist, sondern Spiegel des „Profanen, des Gewöhnlichen“, verkörpert durch den Zuschauer im Theater schlechthin.[6]

Literatur

  • Helga Arend: Der Chor. Partizipation, Isolation und Auflösung des Einzelnen. In: Theater als Raum bildender Prozesse. Hrsg. von Mayte Zimmermann, Kristin Westphal, Helga Arend, Wiebke Lohfeld. Athena: Oberhausen 2020, S. 65–78.
  • Nikos Ch. Chourmouziadis: Ο χορός στο αρχαίο ελληνικό δράμα. Στιγμή, Αθήνα 2010. – („Der Chor im altgriechischen Drama“)
  • Sebastian Kirsch: Chor-Denken. Sorge, Wahrheit, Technik. Fink: Paderborn 2020, ISBN 978-3-7705-6484-2.
  • Maria Kuberg: Chor und Theorie. Zeitgenössische Theatertexte von Heiner Müller bis René Pollesch. Konstanz University Press: Konstanz 2021, ISBN 978-3-8353-9135-2. (zum Chor im zeitgenössischen deutschsprachigen Theater)

Einzelnachweise

  1. Chor. [1]. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage. Band 4: Chemnitzer–Differenz. Bibliographisches Institut, Leipzig / Wien 1906, S. 92–93 (zeno.org).
  2. Chor. In: Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon. 5. Auflage. Band 1. Brockhaus, Leipzig 1911, S. 341 (zeno.org).
  3. Chor. [1]. In: Heinrich August Pierer, Julius Löbe (Hrsg.): Universal-Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit. 4. Auflage. Band 4: China–Deutsch-Krone. Altenburg 1858, S. 80–81 (zeno.org).
  4. Torsten Beyer: Einar Schleef – Die Wiedergeburt des Chores als Kritik des bürgerlichen Trauerspiels in theater-wissenschaft.de.
  5. @1@2Vorlage:Toter Link/www.titel-magazin.de (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  6. Günther Fischer: Rezensionen: Elfriede Jelinek: "Sportstück"stück für Griechischen Chor. In: Spiegel Online. 23. Januar 1998, abgerufen am 30. Dezember 2016.